Auf wackeligen Beinen

Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni waren lange Koalitionsverhandlungen vorprogrammiert. Die Mehrheit aus CDU und SPD war so knapp, dass Rainer Haseloff sein Kabinett um die FDP erweiterte. Der Preis für so viel Kompromissbereitschaft ließ nicht lange auf sich warten: Haseloff gelang es erst im zweiten Wahlgang, sich zum Ministerpräsidenten wiederwählen zu lassen. Der Weg des neuen alten Regierungschefs ist nicht alternativlos: Eine Bündelung der demokratischen Kräfte wäre auch anders denkbar gewesen.

Munteres Zahlenspiel

Seit vergangenem Donnerstag ist es offiziell: Das Land Sachsen-Anhalt hat eine neue Regierung. Ministerpräsident bleibt Rainer Haseloff von der CDU. Er führt das Land fortan mit einer Deutschlandkoalition mit SPD und FDP. Wie bereits in Thüringen vor anderthalb Jahren zeichnete sich bereits am Wahlabend am 6. Juni ab, dass es zu langen Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen kommen würde. Klarer Wahlsieger war zwar Haseloffs CDU, doch gestaltete es sich schwierig, die Bedürfnisse aller Koalitionspartner unter einen Hut zu bringen.

Umso erstaunlicher ist nun, dass es Ministerpräsident Haseloff gelungen ist, sich aus drei unterschiedlichen Lagern zum Regierungschef wählen zu lassen – wenn auch erst beim zweiten Anlauf. Immerhin ist die Regierungsbeteiligung der FDP rein rechnerisch überhaupt nicht vonnöten. Die CDU in Sachsen-Anhalt käme auch allein mit der SPD auf eine absolute Mehrheit. Die beiden Parteien stellen im Magdeburger Landtag derzeit 49 von 97 Sitzen, also genau die Anzahl an Mandaten, die für eine Mehrheitsbildung nötig ist.

Alles für die Mehrheit

Die Liberalen wurden als reiner Stabilitätsfaktor mit ins Boot geholt. Der erste Wahlgang vom Donnerstag zeigte, dass dieser Puffer eine gute Investition für Rainer Haseloff war. Selbst mit dieser breiten Mehrheit gelang es ihm zunächst nicht, auf die absolute Mehrheit zu kommen. Wie wäre der Wahlgang wohl ausgegangen, wenn die FDP nicht gewesen wäre?

Vermutlich hätte Haseloff eine noch herbere Niederlage einstecken müssen. Trotzdem ist es durchaus bedenklich, dass die rechnerische Mehrheit zulasten der Opposition erweitert wird. Rainer Haseloff mag die Landtagswahl zwar haushoch gewonnen haben, trotzdem verteilten sich abweichende Meinungen auf insgesamt fünf Parteien. Es ist nicht demokratisch, diese Vielfalt an Widerspruch durch Mehrheitsbeschaffungsmaßnahmen ungerecht kleinzuhalten.

Weniger Opposition, mehr AfD

Es ist nämlich einerseits keine Selbstverständlichkeit für die FDP, überhaupt in den Landtag eines ostdeutschen Bundeslands gewählt worden zu sein. Seit der Wiedervereinigung hatten es die Liberalen eher schwer, in diese Parlamente einzuziehen. Das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler nun dazu zu nutzen, um auf Teufel komm‘ raus in der Regierung zu sitzen – das ist für die FDP schon einmal nach hinten losgegangen.

Diese Schwächung der Opposition hat aber noch einen anderen Effekt. Die Oppositionsführerin AfD hat nach der Fahnenflucht der FDP nun noch mehr Gewicht. Mit einem Konkurrenten weniger in der Opposition wird es ihr noch leichter fallen, sich als einzige wählbare Alternative zu gerieren.

Dokumentierte Treue

Über ihren vermeintlichen Wahlsieg im Juni kann sich die CDU also nach wie vor nicht freuen. Der Abstand zur AfD ist zwar größer als erwartet, doch besonders in der CDU brodelt ein Richtungsstreit, der Haseloff einige Stimmen gekostet hat. Großes Streitthema in der Fraktion ist der Umgang mit der AfD. Haseloffs Brandmauerpolitik gefällt nicht jedem. Dieser Zwist wird einer der Gründe dafür sein, warum Haseloff im ersten Wahlgang insgesamt acht Stimmen abhandengekommen sind.

Um sich keinem falschen Verdacht auszusetzen, sah sich mindestens ein Abgeordneter der CDU beim zweiten Wahlgang dazu genötigt, seinen Stimmzettel mit dem Kreuz für Rainer Haseloff zu fotografieren. Diesen fragwürdigen Treueschwur nutzen die Grünen nun dazu, um gegen die Wahl vorzugehen. In jedem Fall verdeutlicht dieser Vorgang den Riss, der durch die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt geht.

Auf wackeligen Beinen

Die wackelige Mehrheit, auf die sich Rainer Haseloff beruft, ist kein neues Phänomen. Seit Jahren verlieren rechnerische Mehrheiten nach Parlamentswahlen an Bedeutung. Immer wieder mussten gestandene Politiker erleben, wie sie von Gefährten aus den eigenen Reihen zu Fall gebracht wurden. Erinnert sei hier nur an den traurigen Fall von Heide Simonis (SPD). Einer der ihren verweigerte ihr in insgesamt vier Wahlgängen die Unterstützung und führte damit die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein vor.

Auch die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel musste die Erfahrung machen, dass ihre Koalition nicht geschlossen hinter ihr steht. Bei ihrer Wiederwahl zur deutschen Bundeskanzlerin am 14. März 2018 fehlten ihr insgesamt 35 Stimmen. Selbst bei einer Großen Koalition ist diese Differenz bemerkenswert.

Eine Regierung für alle?

Diese unsteten Mehrheiten zeigen, dass es den Parteien zunehmend schwerfällt, die politischen Kräfte in klassischen Mehrheitskoalitionen zu bündeln. Oft wird in diesem Atemzug die AfD genannt, die die politische Ordnung durcheinanderbringt. Man rechtfertigt übergroße Koalitionen wie in Sachsen-Anhalt damit, dass sich die demokratischen Parteien gegen die AfD zusammenschließen müssten.

Die Verteidigung der Demokratie ist durchaus eine wichtige Aufgabe aller demokratischen Parteien. Eine Regierung sollte aber nicht nur den Kampf gegen die Undemokraten in einer Gesellschaft im Blick haben, sondern vor allem die Bedürfnisse der breiten Mehrheit. Bei zu großen Regierungskoalitionen schauen viele Menschen schnell in die Röhre. Unter dem Vorzeichen des Kompromisses ist es der Politik dann nicht mehr möglich, der politische Vielfalt in der Bevölkerung angemessen Rechnung zu tragen.

Angewandte Demokratie

Im übrigen könnten die Parteien der AfD auch ohne künstlich erzeugte Mehrheiten etwas entgegensetzen. Jenseits von Regierungsmehrheiten ist ein Zusammenschluss in Einzelfragen durchaus möglich. Das Stichwort ist hier „Toleranz“. Diese Toleranz kann sogar so weit gehen, dass die Parteien eine Regierung akzeptieren, die auf keine parlamentarische Mehrheit kommt. In Sachsen-Anhalt könnte davon besonders die FDP profitieren, die weiterhin keine Abstriche aus Rücksicht auf eine Koalition nehmen müsste.

Solche Minderheitsregierungen würden dem Wunsch vieler Menschen im Volk entsprechen. Die Parteien müssten wieder echte Überzeugungsarbeit leisten. Es würde wieder eine lebendige Diskussion stattfinden. Die Hetzer von rechts hätten es schwerer, vom politischen Einheitsbrei zu faseln. In Zeiten, in denen es immer schwerer wird, stabile Mehrheiten zu bilden, wäre eine solche Lösung ein wahrer Gewinn für die Demokratie. Dieser Weg wäre ausdrücklich kein Einknicken vor der AfD. Viel eher würde man den Wunsch in der Bevölkerung nach Unterscheidbarkeit der Parteien ernstnehmen. Im Kampf für die Demokratie helfen keine Machtdemonstrationen. Es braucht Demokratiedemonstrationen.

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Neue Wege statt roter Socken

Lesedauer: 8 Minuten

Die fragwürdige Ansprache von Angela Merkel bei ihrer wohl letzten Rede als Bundeskanzlerin löste ein kleines Medienbeben aus. Viele Berichterstattungen überschlugen sich nahezu bei ihrer Kritik an der Noch-Regierungschefin. Dabei waren die Äußerungen Merkels wirklich keine Überraschung. Ein Regierungsbündnis mit den Linken scheint ohnehin nicht die wahrscheinlichste Option. Was sich allerdings abzeichnet, sind schwierige Koalitionsverhandlungen. Olaf Scholz und seine SPD könnten aus der Lage aber auch gestärkt hervorgehen. Alles, was es dazu braucht, sind Diplomatie und eine deftige Prise an politischem Wagemut.

Kleine Worte mit großer Wirkung

Vergangene Woche hielt Angela Merkel ihre vermutlich letzte Regierungserklärung als Bundeskanzlerin. Eigentlich sollte es bereits vor zwei Monaten soweit gewesen sein, doch die verschärfte Lage in Afghanistan zwang den Bundestag dazu, vor der Bundestagswahl zu weiteren Sitzungen zusammenzukommen. Die scheidende Bundeskanzlerin nutzte ihre wirklich-wirklich letzte Rede im Bundestag auch dazu, einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. Sie wies auf die richtungsweisende Wirkung der anstehenden Bundestagswahl hin. Sie erklärte sinngemäß, dass sich die Wählerinnen und Wähler zwischen einer soliden bürgerlichen Regierung oder einer von den Linken tolerierten Regierung jenseits der Union entscheiden könnten.

Merkels Ausführungen sorgten für laute Zwischenrufe und Empörung. Besonders die linke Seite des Parlaments wollte sich diese Einmischung in den Wahlkampf nicht gefallen lassen. Sie warfen der Kanzlerin vor, die roten Socken aus der untersten Schublade der CDU-Wahlkampftricks herauszukramen. Die rechte Seite des Bundestags teilt diese Einschätzung naturgemäß nicht. Für sie kam es eher überraschend, dass sich Angela Merkel so offen gegen eine linke Regierung sträubte. Immerhin habe die Kanzlerin die CDU in den vergangenen Jahren derart entkernt, dass zwischen ihr und der SPD kaum noch Unterschiede deutlich wären.

Konkret war oft die Rede davon, Angela Merkel hätte ihre Partei sozialdemokratisiert. Das ist natürlich völliger Unsinn. Mit ihrem Fetisch für Große Koalitionen hat sie ihrer Partei zwar das nötige Profil geraubt, für sozialdemokratische Politik zeichnet die Kanzlerin aber wahrlich nicht verantwortlich. Immerhin ist die Anzahl an prekären Arbeitsverhältnissen und befristeten Stellen in ihrer Regierungszeit signifikant gestiegen. Die desaströse Rentenpolitik hat eine Grundrente nötig gemacht – und selbst die wurde erst nach zähem Kampf mit der Union beschlossen.

Ein alter Hut

Der Noch-Kanzlerin Anbiederei bei der politischen Linken zu unterstellen, ist also völlig absurd. Nur weil Angela Merkel nicht alle feuchten Träume von Erzkonservativen aus CSU und AfD erfüllt, macht sie noch lange keine linke Politik. Darum ist es auch so unverständlich, warum gerade SPD und Linke ein so großes Problem mit Merkels Erklärung vom 7. September haben.

Es ist doch wirklich keine Überraschung, dass Angela Merkel keinen Wahlkampf für die SPD macht. Natürlich möchte sie, dass ihre eigene Partei das Zepter in der Hand behält und selbstverständlich weiß sie, dass Regierungskoalitionen ohne die Union nicht mehr undenkbar sind. Und außerdem hat sich Merkel noch nie mit einer nennenswerten Nähe zur Linken hervorgetan. Bereits 1999 schloss sie bei Maybritt Illner eine Zusammenarbeit mit der PDS praktisch für alle Zeiten aus. Auch einige Wochen vor der Bundestagswahl 2005 wehrte sie sich entschieden gegen die Möglichkeit, die Linkspartei könne an der nächsten Regierung beteiligt sein. Merkels Rede mag ein Rückfall in die Ära der roten Socken gewesen sein. Ein politischer Skandal, wie er nun von vielen herbeigeredet wird, waren ihre Worte jedenfalls nicht.

Jenseits von Rot-Grün-Rot

Es ist tatsächlich möglich, dass Die Linke an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein wird. In Umfragen gibt es dazu immer wieder die entsprechenden Mehrheiten. Eine rot-grün-rote Koalition würde aber sicher nicht an den mahnenden Worten der Noch-Kanzlerin scheitern. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sich die Akteure in diesem Dreierbündnis in einigen Punkten nicht einig werden und mögliche Sondierungsgespräche ein ähnlich trauriges Schicksal ereilt wie einst die Verhandlungen über Jamaika.

Schon heute zeichnet sich ab, dass eine rechnerische linke Mehrheit im Zweifelsfall nicht genutzt werden würde. Besonders SPD und Grüne haben in den vergangenen Monaten immer anderen Parteien Avancen gemacht. Lange Zeit galt eine schwarz-grüne Koalition als am wahrscheinlichsten. Dann kam Armin Laschet und ließ dieses Szenario wieder in weitere Ferne rücken. Auch die Grünen blinkten lange Zeit fleißig in Richtung CDU. Als jedoch auch deren Umfragewerte mit Annalena Baerbock in den Keller rauschten, war erst mal Schluss mit solchen Träumereien.

Munteres Farbenspiel

Bei Olaf Scholz spukt bis heute der Verdacht, er habe es auf eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP abgesehen. Ob sich Christian Lindners FDP allerdings tatsächlich auf eine Koalition mit gleich zwei traditionell eher linken Parteien einlässt, bleibt abzuwarten. Die Umfragewerte der Liberalen deuten zumindest nicht darauf hin, dass es demnächst zu einem Wechsel an der Parteispitze kommen wird.

Und selbst wenn es zu Sondierungsgesprächen zwischen SPD, Grünen und Linken käme – scheitern würden solche Verhandlungen zweifellos am ehesten an den außen- und verteidigungspolitischen Vorstellungen. Der große Knackpunkt ist und bleibt die NATO. Den Linken wird nicht ohne weiteres ein Bekenntnis zu diesem Bündnis zu entlocken sein. Mit SPD und Grünen muss sich die Partei außerdem darauf einstellen, früher oder später die Entscheidung treffen zu müssen, ob sie sich entgegen ihrem Grundsatzprogramm für Auslandseinsätze der Bundeswehr ausspricht.

Ein schwieriger Spagat

Im Angesicht gravierender innenpolitischer Probleme wirken solche Fragen fast nebensächlich – in jedem Falle aber kontraproduktiv. Denn in zentralen sozial- und finanzpolitischen Angelegenheiten sind sich die drei Parteien weitgehend einig. Im wesentlichen stehen sowohl SPD, Linke und auch die Grünen für ein höheres Rentenniveau und eine Rückkehr zu einem funktionierenden Solidarstaat. Sie stehen für bessere Arbeitsbedingungen und ein gerechteres Steuersystem. Solche Punkte betreffen die Menschen im Land stärker als fehlende Treueschwüre gegenüber der NATO.

Deswegen wäre es fatal, wenn eine solche Mehrheit im nächsten Bundestag nicht genutzt werden würde. Mit Union und FDP lassen sich solch bedeutende Veränderungen nämlich nicht herbeiführen. Mit ihnen lassen sich bestenfalls Träumereien von Zwei-Prozent – Zielen realisieren. Warum also nicht beide Mehrheiten nutzen, wenn Rot-Grün-Rot an dieser Frage scheitern würde?

Demokratischer Gewinn

In einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken ließe sich vieles im Land verbessern. Man würde wieder mehr in Bildung, Schulen und Kitas investieren. Der Mindestlohn würde deutlich steigen. Die Ostrenten könnten auf ein angemessenes Niveau angehoben werden. Und vielleicht kann Rot-Grün auch in einem Zweckbündnis mit Union und FDP ihre Vorstellungen von geringeren Wehrausgaben umsetzen.

Viele Parteien könnten von dieser Konstellation profitieren. Die Union hätte ihre wohlverdiente Pause in der Opposition, die FDP könnte sich naturgemäß wichtigmachen. Die Linken könnten ihre herbeigesehnten sozialen Verbesserungen endlich durchsetzen, ohne die eigenen Werte zu verraten. SPD und Grüne könnten sich glücklich schätzen, endlich wieder eine Bundesregierung zu stellen.

In erster Linie würde aber wieder Leben in die Bude kommen. Die Minderheitsregierung setzt voraus, dass man für Mehrheiten wieder kämpfen müsste. Auf diese Weise kann der politische Wettbewerb wieder angekurbelt werden. Der Sturz des SPD-Kanzlers durch ein konstruktives Misstrauensvotum wäre eher unwahrscheinlich, weil Union und FDP dazu mit der Linken zusammenarbeiten müssten. Auch die rot-grüne Minderheitsregierung wäre ein lebendiger Kompromiss. Es wäre aber ein Kompromiss, mit der den meisten Interessen im Volk gedient wäre.

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Kanzler aus Leidenschaft

Lesedauer: 7 Minuten

Um den Einzug ins Kanzleramt streiten vor der anstehenden Bundestagswahl dieses Mal drei Kandidaten. Einer von ihnen hat besonders gute Chancen: Seit Wochen stellt Olaf Scholz (SPD) seine Kontrahenten in den Schatten. Scholz gibt sich in Interviews offen für verschiedene Regierungskonstellationen. Doch ein anonymer Informant behauptet nun, dass sich Kanzlerkandidat Scholz längst auf eine Koalition festgelegt hat. Die kommenden vier Jahre wolle er vor allem dazu nutzen, Rache an der Union zu nehmen.

Ungleicher Dreikampf

In drei Wochen ist Bundestagswahl. Lange gab es nicht mehr so viel zu entscheiden wie bei dieser Wahl. Ein Sieg von Angela Merkel und ihrer CDU galt bei den letzten Wahlen stets als sicher. Der Einzug der AfD in den Bundestag vor vier Jahren zementierte Merkels Macht dann vollkommen. Völlig richtig stellte sie noch am Wahlabend fest, dass gegen sie und ihre Partei keine Regierung gebildet werden könnte. Bei der Wahl am 26. September sieht das nun völlig anders aus: Merkel kündigte bereits 2019 an, nicht mehr als Kanzlerkandidatin anzutreten. Ihr Nachfolger Armin Laschet reitet die CDU von einem Umfragetief zum nächsten.

Die politische Konkurrenz kann davon nur profitieren. Neben Armin Laschet haben sich in den vergangenen Monaten Olaf Scholz von der SPD und Annalena Baerbock von den Grünen als Kanzlerkandidaten in Stellung gebracht. Die jüngsten Entwicklungen im Rennen auf das Kanzleramt sind eindeutig: Sowohl in den Umfragewerten der Parteien als auch bei den persönlichen Beliebtheitswerten liegt Olaf Scholz klar vorne. Ihm trauen die Menschen im Land am ehesten zu, Deutschland in den kommenden Jahren zu regieren.

Ein überraschendes Comeback

Angesprochen auf mögliche Regierungskoalitionen wollte Olaf Scholz beim ersten Kanzler-Triell nichts ausschließen. Selbst eine Koalition mit den Linken hielt er für möglich, wenn es entsprechende Bewegungen vonseiten der Partei gäbe. Ein interner Whistleblower behauptet nun aber, dass sich Scholz längst auf eine Zielkoalition festgelegt hätte.

Der anonyme Informant verfügt über beste Verbindungen ins Innere der SPD-Parteizentrale und kann bestätigen: Am liebsten würde Olaf Scholz die Koalition mit der Union weiterführen. Diese Option sei bei den vor Wahlen üblichen Spekulationen völlig aus dem Blick geraten und könnte noch in diesem Herbst ihr überraschendes Comeback feiern.

Methode „Kretschmann“

Die Verbindungsperson aus der SPD führte weiter aus, dass es Olaf Scholz nicht so sehr um das Zustandekommen einer Großen Koalition ginge. Momentan lägen Union und Grüne in Umfragen sowieso viel zu dicht beieinander. Verlässliche Aussagen, mit welcher der beiden Parteien eine Große Koalition zustandekommen könnte, wären daher verfrüht.

Viel eher möchte sich Olaf Scholz durch eine Koalition an der Union für die jahrelangen Demütigungen und die völlige Demontage seiner SPD rächen. Viel zu lange habe sich die ehemalige Volkspartei im Dienste des Staates für die Union verbogen und eine Kröte nach der anderen geschluckt. Angeblich soll sich Olaf Scholz bei seinen Bemühungen am baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) orientieren. Dieser hatte die CDU bereits 2016 mit einer Großen Koalition in die Knie gezwungen. Nach der Landtagswahl Anfang des Jahres kostete er seinen Triumph über den Koalitionspartner weiter aus, indem er den desolaten Zustand der CDU ausnutze und ihr eine weitere GroKo aufzwang.

Eine Reihe von Möglichkeiten

Wie auch in Baden-Württemberg werden Ende September mehrere Alternativen jenseits der Großen Koalition möglich sein. So spekuliert Christian Lindner auf eine Regierungsbeteiligung der FDP. Möglich wäre das in verschiedenen Konstellationen. Am wahrscheinlichsten galt lange die Ampelkoalition mit SPD und Grünen. Sollte das Hoch der SPD allerdings Bestand haben, wären die Liberalen für diese Koalition nicht mehr vonnöten. Eine rot-grüne Koalition käme dann auch ohne Lindner auf eine Mehrheit.

Doch egal, wie man es dreht und wendet: Die SPD mischt bei den meisten Farbenspielen mit. Gefährlich werden könnte für Olaf Scholz allerdings der vielgehypte Zusammenschluss von Union und Grünen. Bereits vor den letzten Bundestagswahlen hatten die Grünen keine Gelegenheit ausgelassen, um in Richtung CDU zu blinken. Doch besonders nach den jüngsten Umfragewerten müsste diese Koalition um Lindners FDP erweitert werden. Und das Experiment „Jamaika“ ist vor vier Jahren bekanntlich gescheitert, bevor es richtig losging.

Scholz kann Kanzlerin

Im Prinzip kann Olaf Scholz daher gelassen in Richtung Wahlen blicken. Seine Wunschkoalition mit der CDU ist kein unwahrscheinliches Szenario. Nicht nur die zu erwartenden Mehrheiten spielen Scholz dabei in die Hände, sondern auch sein ausgeprägtes Merkel’sches Talent. Immerhin weist der Kanzler in spe einige Gemeinsamkeiten mit der scheidenden Regierungschefin auf.

Zum einen hat er wie sein Vorbild Angela die Ausstrahlung einer Schlaftablette. Nur ab und zu, und dann völlig unerwartet, lässt er sich zu flapsigen Kommentaren und kurzzeitig emotionalen Momenten hinreißen. Sein Rückgrat ist aus Teflon und kann beliebig verbogen und verdreht werden – viele Jahre Große Koalition waren eine gute Schule.

Er wies dabei stets eine gewisse Distanz zur Grundausrichtung seiner Partei auf. Ein gestandener Sozialdemokrat ist er nicht. Seine politische Laufbahn ist die eines Machtpolitikers, der zur Not fast jeden Kompromiss macht, um nicht unterzugehen. Ähnlich wie Merkel hätte er auch in einer anderen großen Partei Karriere machen können.

Und auch wie Mutti ist er nur deshalb Kanzlerkandidat geworden, weil gerade kein besserer Kandidat zur Hand war. Mit den Fotos für den Spiegel, auf denen er stolz mit Merkelraute posiert, stellte er dann endgültig klar, auf welchen Regierungskurs sich das Land in den nächsten Jahren vorzubereiten hat.

Ein ewiger Kanzler?

Für viele Politikwissenschaftler kommen die Enthüllungen des Insiders nicht überraschend. Trotzdem äußern sich einige besorgt über den Regierungsstil á la Merkel und Scholz. Die meisten Forscher gehen sicher davon aus, dass Olaf Scholz das Rennen um das Kanzleramt machen wird. Für diesen Fall sehen sie voraus, dass sich mögliche Koalitionspartner die Zähne an der Profillosigkeit der SPD ausbeißen werden. Sie prognostizieren, dass Scholz seine Mehrheitsbeschaffer in Grund und Boden regieren wird. Darum halten sie eine Koalition mit der Union auch für am wahrscheinlichsten.

Samuel Peter Derff, Politologe an der Universität Jena, malt ein eher düsteres Bild: „In den vergangenen Jahren hat sich bei der SPD viel Frust aufgebaut. In einer Koalition mit der CDU lässt sich da vieles wettmachen. Allerdings ist eine langjährige Kanzlerschaft von Olaf Scholz zu erwarten.“ Derffs Kollegen schätzen die zu erwartende Amtszeit Scholz‘ auf mindestens zwanzig Jahre. In dieser Zeit wird er vermutlich in wechselnden Koalitionen regieren und seine ehemaligen Partner stets ausgeblutet zurücklassen.

Der Politjournalist Christopher Darian Ulmen gibt allerdings zu bedenken: „Merkel…äh, Scholz wird die politische Landschaft im Land weiter diversifizieren. Wir werden uns künftig nicht nur auf Kanzlertrielle, sondern wohl auch auf -quartelle und -quintelle einstellen müssen.“

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