Die Dritten werden die Ersten sein

Lesedauer: 10 Minuten

Um eins vorwegzuschicken: Rezo kann das besser. Der blausträhnige Influencer ist ja schließlich auch die Nummer 1, wenn es darum geht, die CDU für ihren Politikstil zu kritisieren. Leider hat sich seit seinem Klickwunder kurz vor der EU-Wahl nur wenig an der Union geändert. Es ist das alte Lied: Macht um jeden Preis und bloß nicht von alten Prinzipien abweichen. Dass sich die ehemalige Volkspartei dabei auch schnell in Teufelsküche bringen kann, haben zuletzt die Entwicklungen in Thüringen gezeigt. Wenn die CDU wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen möchte, sollte sie schleunigst etwas ändern.

Weniger ist mehr

Der Bundestag platzt beinahe aus allen Nähten. Während unter der Reichstagskuppel vor zehn Jahren noch knapp über 600 Abgeordnete leicht Platz fanden, muss das historische Gebäude heute über 700 Parlamentarier beherbergen. Der Trend setzt sich weiter fort. Experten befürchten gar, dass nach der nächsten Bundestagswahl deutlich mehr als 800 Mandate entstehen können. Dann wird’s nicht nur besonders eng, sondern auch besonders teuer. Schon heute kosten die Volksvertreter den Steuerzahler mehr als 500 Millionen Euro pro Jahr. Ein einfacher Dreisatz verrät, wie teuer der Bundestag wäre, würde die Anzahl an Mandaten weiter steigen.

Der Handlungsbedarf liegt auf der Hand. Doch die Abgeordneten sind sich uneins darüber, wie sie das Problem am besten in den Griff bekommen. Die unterschiedlichsten Vorschläge liegen auf dem Tisch. Bei einem Parlament, das inzwischen aus sechs Fraktionen besteht, ist eine solche Fülle nicht weiter verwunderlich. Nicht jeder der Vorschläge taugt gleich viel. Sicher ist aber eines: Ohne Zähnezusammenbeißen wird es nicht gehen. Wenn der Bundestag wieder auf eine erträgliche Größe reduziert werden soll, müssen einige Mandate zwangsläufig gestrichen werden.

Einer der prominentesten Vorschläge ist eine Reduzierung der Wahlkreise. Momentan ist das Land in 299 Wahlkreise aufgeteilt. Da die Sitze im Bundestag zu einer Hälfte aus Direktmandaten und zur anderen Hälfte aus Listenmandaten bestehen, muss es doppelt so viele Sitze wie Wahlkreise geben. Das heißt, dass die Mindestgröße des Parlaments nach derzeitigem Wahlrecht bereits bei 598 Sitzen liegt. Da nun aber sieben Parteien in den Bundestag eingezogen sind – und sich das Erst- und Zweitstimmenergebnis bei manchen Parteien eklatant voneinander unterscheidet – entsteht eine Vielzahl an Überhangmandaten und den daraus resultierenden Ausgleichsmandaten.

Die Union stellt sich quer

Eine geringere Zahl an Wahlkreisen scheint also einleuchtend. Doch es ist vor allen Dingen eine Fraktion, die diesen Vorstoß bisher blockiert. Die Union fürchtet um den Verlust vieler ihrer Mandate. Gemessen an ihrem Zweitstimmenergebnis haben CDU und CSU bei der letzten Bundestagswahl nämlich übertrieben viele Direktmandate gewonnen. Viele davon sind Überhangmandate. Um das Kräfteverhältnis im Parlament zu wahren, müssen diese nach geltendem Recht durch Ausgleichsmandate der anderen Fraktionen kompensiert werden.

Der Union schwebt währenddessen eine ganz andere Reform vor: Die Ausgleichsmandate sollen komplett abgeschafft werden. Dass sich eine Partei gegen die Reduzierung der Wahlkreise sträubt, weil sie selbst besonders stark auf ihr Erststimmenergebnis angewiesen ist, liegt im Bereich des nachvollziehbaren. Dass die gleiche Partei allerdings eine Streichung sämtlicher daraus entstehenden Ausgleichsmandate fordert, grenzt ans unverschämte.

Erststimme hui, Zweitstimme pfui

Die Christdemokraten sollten sich lieber überlegen, woran es denn liegt, dass ihr Erstimmenergebnis so gigantisch über dem Ergebnis aus den Zweitstimmen liegt. Es ist doch logisch: Die Zweitstimmen der Union rauschen doch vor allem deshalb in den Keller, weil die Partei sich in den letzten Jahren total leerregiert hat. Nach fast einem halben Dutzend GroKos ist das Profil dieser Partei fast komplett abgewetzt. Die Wähler haben schlicht keine Lust mehr, von einer Partei regiert zu werden, die sich von Kompromiss zu Kompromiss hangelt.

Und Mehrheit bedeutet für die meisten eben weiterhin Regierungsverantwortung. Es ist in der Geschichte der Bundesrepublik selten vorgekommen, dass die stärkste Fraktion nicht an der Regierung beteiligt war. Das starke Erststimmenergebnis der Union rührt daher, dass die einzelnen Kandidaten den besten Eindruck auf die Wähler gemacht haben. Ein solcher Vorgang ist hochdemokratisch. Die Abschaffung von Ausgleichsmandaten ist es nicht.

Viel eher sollte die Union zu dem Schluss kommen, dass ewiges Regieren keine Option ist. Sie könnte ihr Zweitstimmenergebnis sicher durch eine Verschnaufpause hinter den Oppositionsbänken aufpolieren. Ist selten der Fall, aber hier können die Christdemokraten tatsächlich von der SPD lernen. Nach vier Jahren in der Opposition war das nächste Ergebnis zwar auch weit von einem Freudenschrei entfernt, lag aber doch höher als das der vorigen Wahl.

Sollen doch die anderen bluten

Doch leider ist die Union anscheinend weiterhin nicht willens, bei der Frage der Wahlrechtsreform einzulenken. Anstatt ihren gesamten Politikstil zu ändern, pocht sie auf den Erhalt ihrer Direktmandate. Dahinter steht vor allem eines: die schiere Angst vor dem Wähler gepaart mit einem Unvermögen, letzteren zu erreichen. Würde die CDU einige ihrer Hochburgen an andere Parteien abtreten müssen, so wäre ihr Reichtum an Überhangmandaten in Gefahr. Dass auch die anderen Fraktionen Einbußen durch fehlende Ausgleichsmandate hätten, interessiert die Union scheinbar nicht.

Um ihre Größe und ihre Macht zu erhalten, blockiert die Union also sämtliche sinnvolle Vorschläge einer Wahlrechtsreform und kommt stattdessen mit völlig grotesken eigenen Ideen um die Ecke. Hauptsache, die Sitze sind sicher.

Wenn die Dritten Erster sein wollen

Ähnliches lässt sich dieser Tage auch in Erfurt beobachten. Die Regierungskrise in Thüringen lässt sich im Endeffekt nur mit zwei Optionen lösen: Neuwahlen oder eine Kooperation mit den Linken. Den Pakt mit Ramelows Linkspartei lehnt die CDU aus reiner Prinzipienreiterei ab. Die Neuwahlen fürchtet sie aus Angst vor dem Wähler. Nach dem kurzen rechtsextremen Intermezzo Anfang Februar befürchtet Mohrings Partei zurecht, dass ein neues Ergebnis noch desaströser ausfallen würde als das jetzige. Aber NATÜRLICH muss der Wähler nach einem solchen Debakel die Möglichkeit haben, seine Entscheidung zu revidieren. Im Strafrecht spricht man von tätiger Reue.

Doch von Reue und Verantwortungsgefühl will die CDU gerade in Thüringen nichts wissen. Ihr heiliges Ziel, weitere fünf Jahre mit Rot-Rot-Grün zu verhindern, ist ihnen wichtiger als schlichter politischer Anstand. Anstatt sich mit ihrer Rolle als Wahldritter zufriedenzugeben und das Votum des Wählers demütig zu akzeptieren, reißt die CDU in Thüringen lieber sperrangelweit das Tor nach rechts auf.

Bloß nicht die Linken!

Und sie hätte das auch in einer ähnlichen Konstellation bereits 2014 gemacht. Zu dieser Zeit allerdings hatte Ramelows Bündnis noch eine Mehrheit. Die ist jetzt weg. Die Wahl und viele Umfragen zeigen aber eindeutig, dass die Abstimmung im vergangenen Herbst ein klarer Auftrag an Bodo Ramelow war, Ministerpräsident des Freistaats zu bleiben.

Um Rot-Rot-Grün zu stürzen, muss nicht mit Rechtsextremen paktiert werden. Es reicht vollkommen aus, die Wähler von der eigenen Kompetenz zu überzeugen. Die CDU in Thüringen hatte fünf Jahre lang Zeit, ihr konservatives und anti-linkes Profil zu schärfen. Sie konnte die Wähler nicht überzeugen. Sie wurde Dritte. Doch alles jenseits des zweiten Platzes existiert für die CDU nicht. Sie will Macht. Und sie will rechthaben. Einen eigenen Kandidaten für die Ministerpräsidentenwahl aufzustellen, dazu war die CDU zu feige. Lieber soll die FDP dran glauben.

In ihrer schier ekelerregenden Rechthaberei wirft die CDU eine politische Tugend nach der anderen über Bord. Zuerst die Achtung vor dem Wähler und als nächstes die Achtung vor dem Rechtsstaat. Hauptsache die bösen Linken regieren nicht mehr. Es ist ein offenes Geheimnis, dass es die Thüringer CDU mehr schmerzt, hinter der Linken gelandet zu sein als hinter der AfD.

Die Spielregeln einer repräsentativen Demokratie

Diese beinahe pathologische Abneigung gegenüber den Linken ist bei der CDU bundesweit zu beobachten. Okay, die beiden Parteien sind grundverschieden. Aufgrund ihrer Parteiprogramme und ihrer Visionen für das Land haben sie jedes Recht, wie Hund und Katze zu sein. Doch vor allem die Union begreift nicht, dass die eine nicht ohne die andere kann.

Als Gregor Gysi 2015 seine letzte Bundestagsrede als Fraktionsvorsitzender hielt, da machte er auf ein grundsätzliches Problem aufmerksam. Er behauptete, es gäbe noch zu viele in der Union, die sich einen Bundestag ohne Linke vorstellen könnten. Dafür erntete er von Unionsseite Applaus. Offensichtlicher kann der Wählerwille nicht übergangen werden. Sowohl bei der AfD heute als auch bei der PDS damals hat die CDU nie kritisch hinterfragt, weswegen diese Parteien so erstarkt sind. Stattdessen verlor sie sich in der Bekämpfung und Schlechtredung des Ergebnisses, anstatt selbst die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Veränderung tut weh

Aber das hätte in beiden Fällen ja eine Veränderung der Union, vielleicht sogar eine totale Kehrtwende bedeutet. Denn immerhin hätte man die Bevölkerung dann erst von den neuen Konzepten überzeugen müssen. Und in Überzeugungsarbeit fällt die CDU seit Jahren durch. Viel zu bequem ist die große Koalition, die bisher noch immer ein Garant für den Machterhalt war. Ein weiterer Vorteil der GroKo: Der Widerspruch ist am leisesten, weil die Opposition künstlich kleingehalten wird. Spätestens seit dem Einzug der AfD in den Bundestag und durch das kontinuierliche Zusammenschrumpfen der Großen Koalition hat sich das allerdings geändert.

Die CDU war im Überzeugen so aus der Übung, dass Jamaika nicht zustandekam. Die gesündeste Lösung, eine Minderheitsregierung, kam für die Union auch nicht in Frage. Eine Minderheitsregierung erfordert nämlich noch größere Zugeständnisse als eine Mehrheitsregierung. Und Zugeständnisse gefährden nun einmal die Rechthaberposition. Außerdem ist es natürlich nicht besonders höflich, solch große Kompromisse von einer Partei einzufordern, die sich über Jahre so lächerlich leerregiert hat wie die CDU. So etwas erfordert nämlich die Bereitschaft, seine eigene Haltung kritisch zu überdenken. Und es erfordert Kampfgeist. Beides hat die CDU derzeit nicht.


Mehr zum Thema:

Rechte Strippenzieher

Ein Pakt mit dem Teufel?

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Rechte Strippenzieher

Lesedauer: 8 Minuten

Nach der Wahl ist vor der Wahl. In Thüringen passiert das schneller als den meisten lieb ist. Gerade einmal einen Tag nach seiner Vereidigung zum neuen Ministerpräsidenten hat FDP-Mann Thomas Kemmerich bereits wieder gekündigt. So gern viele diesen Skandal durch Neuwahlen wieder rückgängig machen wollen: Der Vorgang hat gezeigt, wie mächtig Höckes Flügel zwischenzeitlich ist.

Immer anders als man denkt

Eigentlich wollte ich als nächstes einen Beitrag über das Massenphänomen „Austritt aus der AfD-Fraktion“ machen. Mit Verena Hartmann hat nämlich vor kurzem die fünfte Abgeordnete in der laufenden Legislaturperiode bekanntgegeben, in Zukunft nicht mehr Mitglied der nationalkonservativen Fraktion zu sein. Aber bekanntlich kommt es ja immer anders als man denkt.

Dass aber ausgerechnet der Politskandal in Thüringen dazwischengrätscht, hätte ich mir nicht zu träumen gewagt. Dass es spannend werden würde, war keine Frage. Dass in Thüringen etwas neuartiges geschaffen würde, war auch von vornherein klar. Auch dass es knapp werden würde, war absehbar. Dass aber tatsächlich der Amtsinhaber Bodo Ramelow als Ministerpräsident verdrängt werden würde, damit hatten die wenigsten gerechnet. Fast jeder sah den Linken spätestens im dritten Wahlgang als Gewinner.

Dazu kam es aber nicht. CDU und FDP beliebte es, ihren Kandidaten Thomas Kemmerich mithilfe der AfD zum neuen Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Die faschistische Alternative unter Bernd Höcke ließ darüber getrost ihren eigenen Kandidaten im Regen stehen.

Der Shitstorm kam postwendend. Susanne Hennig-Wellsow wirft dem frischgebackenen Landeschef den Gratulationsstrauß vor die Füße, in mehreren Städten fanden sich spontan tausende Menschen zu Demonstrationen und Protestkundgebungen zusammen. Führende Politiker von CDU und FDP rügten ihren Parteikollegen für sein schäbiges Kalkül. Der Protest hat gewirkt: Bereits einen Tag nach Vereidigung kündigt Kemmerich seinen Rücktritt an. Neuwahlen stehen wohl ins Haus. Der Schaden ist trotzdem enorm.

Mit 5 Prozent zum neuen MP

Viele bezweifelten sogleich, ob Kemmerich überhaupt ein stabiler Ministerpräsident sein könnte. Sie meldeten Bedenken an, da es Kemmerichs Partei, die FDP, undenkbar knapp in den Erfurter Landtag geschafft hatte. Dass die schwächste Fraktion den Ministerpräsidenten eines Landes stellt ist zwar ein Novum, aber an und für sich nicht undemokratisch. In der Geschichte der Bundesrepublik kam es schon zigmal vor, dass eben nicht der Wahlgewinner den neuen Regierungschef stellte. Zugegeben, bei einer 5-Prozent – Partei mutet der Vorgang besonders grotesk an. Es ist nun aber einmal so, dass im Prinzip jede in einem Parlament vertretene Partei ein gewisses Regierungspotenzial in sich trägt.

Und im Kern geht es auch gar nicht darum, dass ein Bodo Ramelow abgewählt wurde. Es geht eigentlich um gar keine Abwahl. Es geht darum, dass eine faschistische Partei inzwischen so viel Einfluss hat, dass sie einen Ministerpräsidenten ins Amt hieven kann. Wer bei diesem perfiden Spiel mitmacht, verhilft dem Rechtsextremismus zur Unsterblichkeit.

Ein klarer Fall

Anscheinend glauben die Damen und Herren Abgeordneten von CDU und FDP allerdings, sie könnten die Menschen für dumm verkaufen. Angeblich hat es ja keine vorherigen Absprachen bezüglich der Wahl Kemmerichs gegeben. Sie seien Opfer des Kalküls der AfD geworden, die ihren eigenen Mann hinten runterfallen ließ. Wer diese dreiste Lüge glaubt, dem gebührt das gleiche Mitleid wie dem bereits scheidenden Ministerpräsidenten Kemmerich.

Selbstverständlich hat es diese Absprachen gegeben. Ansonsten hätten Konservative und Liberale niemals einen der ihrigen ins Rennen geschickt. Sie hätten doch davon ausgehen müssen, dass sie zwar für Kemmerich stimmen würden, die AfD aber ihren Kindervater wählen würde, während Rot-Rot-Grün ihrem eigenen Kandidaten treu bleiben würde. In einer solchen Konstellation hätte Bodo Ramelow im dritten Wahlgang die meisten Ja-Stimmen eingeheimst. Es ging den Abgeordneten links der AfD einzig und allein darum, einen unliebsamen linken Ministerpräsidenten zu beseitigen, koste es was es wolle.

Besonders verräterisch: Die AfD schickte keinen Fraktionskollegen ins Rennen, sondern jemanden von außerhalb. Bei dem Wahlverhalten der AfD hätte der Fraktionskandidat doch zwangsläufig sein Gesicht verloren. Über Christoph Kindervater haben kurz alle gelacht, selbst er selbst, bevor die Diskussion von Ramelow und Kemmerich beherrscht wurde.

Sprungbrett Mehrheitsopposition

Eines ist völlig gewiss: Das Signal, welches CDU und FDP in Thüringen gesendet haben, ist ein völlig falsches. Anstatt den wirklich gemäßigten Bodo Ramelow zumindest zu tolerieren, paktierten die beiden „Gewinner“-Parteien lieber mit der AfD. Höckes Verein allerdings ist im ganzen Land als besonders radikal verschrien. In ihrem unendlichen Linken-Hass haben CDU und FDP erfolgreich sämtliche Prinzipien über Bord geworfen. Für eine derartige Machtgeilheit kann man sich nur schämen.

Denn was wäre denn passiert, hätte man die rot-rot-grüne Minderheitsregierung toleriert? Die Opposition wäre in der Mehrheit gewesen und hätte die Geschicke des Landes viel stärker mitbestimmen können. Gerade in einem solchen Szenario hätte sich die Union als konservative Kraft profilieren können, die die Linksgrünen am kurzen Zügel hält. Ganz offensichtlich übernimmt dieses indirekte Mitregieren nun aber jemand anderes. Innerhalb von zwei Tagen haben Höckes Kameraden gezeigt, was sie können: Sie haben einen Ministerpräsidenten ins Amt gehoben und ihn sogleich wieder daraus entfernt.

Eine Truppe von Lachnummern

Und was passiert jetzt in Thüringen? Eigentlich wollte ich hier schreiben, dass sich die neugewählte Regierung immer von der AfD jagen lassen würde und den schwarzen Peter dann Rot-Rot-Grün und deren genereller Blockadehaltung zuschieben würde. Kann ich jetzt aber nicht mehr schreiben. Diese Regierung wird nach Kemmerichs Rücktritt nicht kommen. Immer anders als man denkt.

Verloren hat also nicht nur Ramelows Bündnis. Auch Kemmerich und seine Mannen müssen als Verlierer vom Feld ziehen. Eindeutiger Gewinner ist Höckes AfD. Unentschlossene Wähler und solche, die bisher zauderten, der AfD ihre Stimme zu geben, fragen sich doch nun zurecht, was so falsch daran ist, die Rechten zu wählen. Immerhin konnten die innerhalb kürzester Zeit aus dem Thüringer Landtag ein Affentheater machen. Ramelow regierungsunfähig, Kemmerich nach einem Tag zurückgetreten – wen soll man denn da wählen, wenn nicht die AfD? CDU und FDP stehen doch wie Vollidioten da, die kein normaldenkender Mensch mehr ernstnehmen kann. An einem Stimmengewinn der AfD führt kein Weg vorbei. Und der wird auf Kosten der beiden größten Politikhuren gehen, die das Land je gesehen hat.

„Wir werden sie jagen“

Die Abgeordneten der Thüringer AfD stehen nun als ehrliche und mächtige Persönlichkeiten da. Sie inszenieren sich als wohlwollende Demokraten, die aus schier unendlicher Verfassungstreue einen Kandidaten aus dem bürgerlichen Lager ihrem eigenen Kandidaten vorzogen. Ein großer und entgegenkommender Schritt. Anstatt sich nun aber in angemessener Form bei Höcke & Co. erkenntlich zu zeigen, wird den rechten Hetzern allerdings eine Beteiligung an der Regierung verwehrt. Ein geschickter Wählerfang also, dessen Botschaft eindeutig ist: Den nächsten Ministerpräsidenten wollen wir stellen.

Mehr und mehr gewinnt Höckes Flügel an Einfluss. Natürlich werden die jüngsten Ereignisse in Thüringen auch die Bundes-AfD nicht unberührt lassen. Es ist eindeutig, dass sich auch die Bundespartei weiter nach rechts bewegen wird. Schließlich wurde in Thüringen völlig offensichtlich, was Faschismus in Deutschland weiterhin bewirken kann.

CDU und FDP haben in Thüringen eine gefährliche Dynamik in Gang gesetzt. Sie haben sich von der AfD jagen lassen. Sie haben sich von der AfD zu Volldeppen machen lassen. Und das alles aus reinem Personalkalkül. Weil sie mit sich selbst beschäftigt sind. Politik für das Volk sieht anders aus.


Mehr zum Thema:

Die Dritten werden die Ersten ein

Ein Pakt mit dem Teufel?

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Ein Pakt mit dem Teufel?

Lesedauer: 9 Minuten

Die politische Lage in Thüringen ist verzwickt. Nach der Landtagswahl im vergangenen Herbst ist keine der herkömmlichen Regierungen mehrheitsfähig. Was nun? Auf dem Zettel steht längst auch eine Kooperation von Linken und CDU. Hat das eine Zukunft? Wenn es nach der CDU-Chefin geht, auf gar keinen Fall. Ihr thüringischer Kollege Mike Mohring ist da offener. Eine Koalition mit der Linkspartei schließt zwar auch er kategorisch aus, in Einzelfällen hält er ein Entgegenkommen aber für denkbar. In Zeiten einer erstarkenden Rechten sind neue Konzepte tatsächlich gefragter denn je.

Gregor Gysi meinte einst: „…zur Abwendung einer faschistischen Gefahr würden wir selbstwahrscheinlich diesen Kompromiss eingehen…“. Das war im Jahr 1999, als Maybrit Illner sowohl ihn als auch die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel auf Koalitionsmöglichkeiten zwischen Linkspartei (damals noch PDS) und CDU ansprach. Mit ihrer provokanten Frage war Maybrit Illner ihrer Zeit mit Sicherheit weit voraus. Die Frage nach einer etwaigen Zusammenarbeit zwischen den Linken und den Christdemokraten stellte sich vor über zwanzig Jahren im Grunde nicht. Heute ist das anders. Seit Monaten wird über eine solche Zusammenkunft in Thüringen heiß diskutiert. Vor allem die Haltung vieler CDUler hat sich dazu kaum geändert.

Keine Regierung ohne die Ränder

Eines ist völlig klar: Die Regierungsbildung nach den Landtagswahlen in Thüringen ist gelinde gesagt schwierig. Sowohl Die Linke als auch die AfD sind in dem Freistaat zwischenzeitlich so stark, dass keine Regierung mehr gegen beide Parteien gebildet werden kann. Egal wie man es dreht und wendet – eine der Parteien MUSS an der Regierung beteiligt sein. Es muss jeden mit großer Sorge erfüllen, dass das Spektrum zwischen Linker und AfD keine eigene Mehrheit mehr zusammenbekommt. Selbst eine völlig abstruse Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP kommt nicht gegen das Wählervotum für Linkspartei und der selbsternannten blauen Alternative an.

Im Prinzip stehen die Zeichen auf Minderheitsregierung. Und natürlich wird das eine Rot-Rot-Grüne sein. Die bisherige Mehrheitsregierung wird ihre Macht nicht an eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung abtreten. Ebenso wenig kann eine Minderheitskoalition der „Mitte“ auf Stimmen von links oder von rechts hoffen. Eine Koalition mit der FDP und der AfD ist für die Union in mehrfacher Hinsicht ein Schuss ins eigene Bein. In einer solchen Konstellation wären sie zwar an der Regierung direkt beteiligt, aber nicht regierungsführend. Diesen Job würde dann die AfD übernehmen. Das wäre dann wohl gleichbedeutend mit einem Ministerpräsidenten Höcke. Selbst erzkonservative Mitglieder der Thüringer CDU können das nicht wollen.

Verantwortungsvolles Novum

Um ihrer landespolitischen Verantwortung gerecht zu werden, müssten sich die Abgeordneten der CDU bei der Wahl zum Ministerpräsidenten also wohl oder übel enthalten. Spätestens im dritten Wahlgang wäre Bodo Ramelow dann erneut zum Landeschef gewählt. Was das mit politischem Verantwortungsbewusstsein zu tun hat? Wie alle anderen Parteien ist die CDU zur Landtagswahl angetreten. Sie wurde drittstärkste Kraft. Folglich kann die CDU auch nur die dritte Geige spielen. Damit nehmen sie den Willen der Wähler ernst. Das ist landespolitische Verantwortung.

Und keiner kann danach ernsthaft erwarten, dass die Christdemokraten all zu große Zugeständnisse an Linksaußen macht. Im Gegenteil, als Teil einer Mehrheitsopposition können sie sogar noch besser Einfluss auf die politischen Geschicke in Thüringen nehmen als in den letzten fünf Jahren. Die geschrumpfte Regierung müsste das Veto aus der Opposition wesentlich ernster nehmen. Auch die Damen und Herren aus der Regierung müssten sich ihrer Verantwortung stellen.

Eine Zusammenarbeit zwischen der Linken und der CDU ist im Grunde lange nicht mehr so außergewöhnlich wie sie den Gästen bei Maybrit Illner Ende des letzten Jahrtausends erschien. Auf kommunaler Ebene gibt es in der Zwischenzeit durchaus Kooperationen zwischen den beiden Parteien. Aber Kommune ist eben Kommune. Und Land ist nun mal Land.

Wer mit wem?

Es ist aber beileibe nicht das erste Mal in der demokratischen Geschichte Deutschlands, dass es Koalitionen gab, die zunächst so grotesk und falsch anmuteten. Jamaika mag vor gut zwei Jahren gescheitert sein bevor es losging, andere Zusammenschlüsse hielten länger. Die Große Koalition beispielsweise bündelt die Interessen zweier eigentlich gegensätzlichen Lager. Dass das schon lange nicht mehr so ist, hat verschiedene Gründe. Und auch eine Zusammenarbeit von Sozialdemokratie und Wirtschaftsliberalismus scheint zunächst absurd. Die rot-gelbe Koalition der 1970er hatte dafür aber beachtlich lange Bestand. All diese Konstellationen zeigten, worauf es in einer Demokratie ankommt: Kompromisse und Entgegenkommen.

So vehement wie die Thüringer CDU dieser Tage eine Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD ausschließt, so lauthals wehrten sich in den 1980ern weite Teile des Bundestags gegen eine Kollaboration mit den Grünen. Die grüne Partei war tabu weil unbequem. Das hat sich im Laufe der Jahre geändert. Mehrere Jahre übernahmen die Bündnisgrünen Regierungsverantwortung auf Bundesebene. Die anderen Parteien gaben ihre Abwehrhaltung weitgehend auf. Die Grünen mutieren indes immer mehr zur bürgerlichen Partei.

Solch gravierende Veränderungen sind weder bei Linkspartei noch bei der CDU ernsthaft zu erwarten. Aber was würde denn passieren, wenn die CDU tatsächlich in Einzelfragen mit den Linken stimmen würde? Die Frage ist bestimmt nicht leicht zu beantworten. Aber fest steht schon jetzt: Es ist bereits eine Menge passiert. Immerhin ist in Thüringen eine Koalition ohne die politischen Ränder nicht mehr möglich. Dabei ist natürlich fraglich, ob man Bodo Ramelows Linkspartei ernsthaft noch als linken Rand bezeichnen kann. Die sitzen halt eben nun mal ganz links. Vor der Wiedervereinigung hat auch niemand SPD oder CDU als linken oder rechten Rand bezeichnet.

Auf verschiedenen Seiten

Eine programmatische Annäherung zwischen CDU und Linker wäre wohl nicht zu erwarten. Dafür sind die Parteien in ihrem Weltverständnis zu verschieden. Passieren könnte das schon eher in einer formellen Koalition, wenn sie denn lange halten würde.

Man darf auch nicht vergessen: Bei einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung würden Linke und CDU weiterhin auf verschiedenen Seiten stehen. Die Linke wäre in der Regierung, die Union in der Opposition. Wer sich jetzt fragt, ob sich die beiden Parteien durch einzelne kleine Schlachten annähern könnte, der muss sich nur die Entwicklung der Thüringer CDU der letzten Jahre ansehen. In dieser Zeit befand sich die Partei Seite an Seite mit der AfD in der Opposition. Mit Sicherheit haben diese beiden Parteien auch Anträge gemeinsam abgelehnt. Sind sie sich deswegen wirklich nähergekommen? Ich glaube nicht.

Kooperation um keinen Preis?

In einer gemeinsamen Mehrheitsopposition wäre eine Annäherung zwischen CDU und AfD sogar wahrscheinlicher. Die beiden Parteien könnten sich schließlich noch effektiver zusammentun, um unliebsame rot-rot-grüne Spinnereien abzuschmettern. Die Frage „Heute mit den Linken, was kommt morgen?“ ist daher durchaus legitim. Natürlich würden Teile der CDU dann erst recht eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten befürworten, zumal ein Zusammenschluss gegen Links leichter wäre.

Wie laut dieser Aufschrei besonders konservativer Christdemokraten werden wird, ist allerdings fraglich. Mit Bernd Höcke hat sich die Thüringer AfD schließlich immer weiter vom rechtsstaatlichen Diskurs entfernt. Aber selbst wenn die Thüringer CDU brav Männchen macht – die Frage einer Kooperation mit den Rechtspopulisten wird in andere Bundesländer überschwappen, vermutlich sogar auf Bundesebene.

Andererseits ist der Beschluss des CDU-Parteitags eindeutig: Es wird keine Zusammenarbeit mit Linken und AfD geben. Doch weshalb ist ein solch endgültiger Beschluss überhaupt nötig? Wenn es sich nach CDU-Logik bei beiden Parteien um einen Haufen Verfassungsfeinde handelt, verbietet sich eine Zusammenarbeit dann nicht automatisch? Schließlich gibt es auch keinen Parteitagsbeschluss, der eine Zusammenarbeit mit der NPD ausschließt.

Völlig abwegig

Vielleicht gab es in den vergangenen Jahren ja doch einen Wandel innerhalb der CDU. Vielleicht sehen die Konservativen die Linkspartei heute nicht mehr pauschal als Feindin der Verfassung. Viel eher berufen sie sich auf die gravierenden programmatischen Unterschiede – die wirklich nicht von der Hand zu weisen sind. Und da in der bundesdeutschen Geschichte schon die wildesten Koalitionen trotz Unterschiede zusammentraten, ist der Beschluss auch legitim.

Und der Beschluss ist in der Sache auch richtig. Eine Koalition von Linken und CDU ist und bleibt absurd. Da kann Ramelow seine Genossen noch so sozialdemokratisiert haben. Bei einer solchen Zusammenarbeit würden beide Seiten ihre Seele verkaufen. Besonders konservative CDUler würden flugs zur AfD überlaufen und auch innerhalb der Linkspartei wäre mit enormem Widerstand zu rechnen.

Das Wahlergebnis in Thüringen ist wie es ist. Es liegt an den demokratischen Kräften im Freistaat, wie sie damit umgehen. Pauschale Absagen halte ich in einer solch prekären Situation für grob fahrlässig. Trotzdem will jeder Schritt gut überlegt sein. Spätestens mit einer Höcke-AfD ist der Fall eingetreten, den Angela Merkel 1999 bei Maybritt Illner noch als „abwegig“ bezeichnete: Das Land Thüringen sieht sich mit einer echten faschistischen Gefahr bedroht. Es wird Zeit, umzudenken.


Mehr zum Thema:

Die Dritten werden die Ersten sein

Rechte Strippenzieher

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!