Die Dritten werden die Ersten sein

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Um eins vorwegzuschicken: Rezo kann das besser. Der blausträhnige Influencer ist ja schließlich auch die Nummer 1, wenn es darum geht, die CDU für ihren Politikstil zu kritisieren. Leider hat sich seit seinem Klickwunder kurz vor der EU-Wahl nur wenig an der Union geändert. Es ist das alte Lied: Macht um jeden Preis und bloß nicht von alten Prinzipien abweichen. Dass sich die ehemalige Volkspartei dabei auch schnell in Teufelsküche bringen kann, haben zuletzt die Entwicklungen in Thüringen gezeigt. Wenn die CDU wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen möchte, sollte sie schleunigst etwas ändern.

Weniger ist mehr

Der Bundestag platzt beinahe aus allen Nähten. Während unter der Reichstagskuppel vor zehn Jahren noch knapp über 600 Abgeordnete leicht Platz fanden, muss das historische Gebäude heute über 700 Parlamentarier beherbergen. Der Trend setzt sich weiter fort. Experten befürchten gar, dass nach der nächsten Bundestagswahl deutlich mehr als 800 Mandate entstehen können. Dann wird’s nicht nur besonders eng, sondern auch besonders teuer. Schon heute kosten die Volksvertreter den Steuerzahler mehr als 500 Millionen Euro pro Jahr. Ein einfacher Dreisatz verrät, wie teuer der Bundestag wäre, würde die Anzahl an Mandaten weiter steigen.

Der Handlungsbedarf liegt auf der Hand. Doch die Abgeordneten sind sich uneins darüber, wie sie das Problem am besten in den Griff bekommen. Die unterschiedlichsten Vorschläge liegen auf dem Tisch. Bei einem Parlament, das inzwischen aus sechs Fraktionen besteht, ist eine solche Fülle nicht weiter verwunderlich. Nicht jeder der Vorschläge taugt gleich viel. Sicher ist aber eines: Ohne Zähnezusammenbeißen wird es nicht gehen. Wenn der Bundestag wieder auf eine erträgliche Größe reduziert werden soll, müssen einige Mandate zwangsläufig gestrichen werden.

Einer der prominentesten Vorschläge ist eine Reduzierung der Wahlkreise. Momentan ist das Land in 299 Wahlkreise aufgeteilt. Da die Sitze im Bundestag zu einer Hälfte aus Direktmandaten und zur anderen Hälfte aus Listenmandaten bestehen, muss es doppelt so viele Sitze wie Wahlkreise geben. Das heißt, dass die Mindestgröße des Parlaments nach derzeitigem Wahlrecht bereits bei 598 Sitzen liegt. Da nun aber sieben Parteien in den Bundestag eingezogen sind – und sich das Erst- und Zweitstimmenergebnis bei manchen Parteien eklatant voneinander unterscheidet – entsteht eine Vielzahl an Überhangmandaten und den daraus resultierenden Ausgleichsmandaten.

Die Union stellt sich quer

Eine geringere Zahl an Wahlkreisen scheint also einleuchtend. Doch es ist vor allen Dingen eine Fraktion, die diesen Vorstoß bisher blockiert. Die Union fürchtet um den Verlust vieler ihrer Mandate. Gemessen an ihrem Zweitstimmenergebnis haben CDU und CSU bei der letzten Bundestagswahl nämlich übertrieben viele Direktmandate gewonnen. Viele davon sind Überhangmandate. Um das Kräfteverhältnis im Parlament zu wahren, müssen diese nach geltendem Recht durch Ausgleichsmandate der anderen Fraktionen kompensiert werden.

Der Union schwebt währenddessen eine ganz andere Reform vor: Die Ausgleichsmandate sollen komplett abgeschafft werden. Dass sich eine Partei gegen die Reduzierung der Wahlkreise sträubt, weil sie selbst besonders stark auf ihr Erststimmenergebnis angewiesen ist, liegt im Bereich des nachvollziehbaren. Dass die gleiche Partei allerdings eine Streichung sämtlicher daraus entstehenden Ausgleichsmandate fordert, grenzt ans unverschämte.

Erststimme hui, Zweitstimme pfui

Die Christdemokraten sollten sich lieber überlegen, woran es denn liegt, dass ihr Erstimmenergebnis so gigantisch über dem Ergebnis aus den Zweitstimmen liegt. Es ist doch logisch: Die Zweitstimmen der Union rauschen doch vor allem deshalb in den Keller, weil die Partei sich in den letzten Jahren total leerregiert hat. Nach fast einem halben Dutzend GroKos ist das Profil dieser Partei fast komplett abgewetzt. Die Wähler haben schlicht keine Lust mehr, von einer Partei regiert zu werden, die sich von Kompromiss zu Kompromiss hangelt.

Und Mehrheit bedeutet für die meisten eben weiterhin Regierungsverantwortung. Es ist in der Geschichte der Bundesrepublik selten vorgekommen, dass die stärkste Fraktion nicht an der Regierung beteiligt war. Das starke Erststimmenergebnis der Union rührt daher, dass die einzelnen Kandidaten den besten Eindruck auf die Wähler gemacht haben. Ein solcher Vorgang ist hochdemokratisch. Die Abschaffung von Ausgleichsmandaten ist es nicht.

Viel eher sollte die Union zu dem Schluss kommen, dass ewiges Regieren keine Option ist. Sie könnte ihr Zweitstimmenergebnis sicher durch eine Verschnaufpause hinter den Oppositionsbänken aufpolieren. Ist selten der Fall, aber hier können die Christdemokraten tatsächlich von der SPD lernen. Nach vier Jahren in der Opposition war das nächste Ergebnis zwar auch weit von einem Freudenschrei entfernt, lag aber doch höher als das der vorigen Wahl.

Sollen doch die anderen bluten

Doch leider ist die Union anscheinend weiterhin nicht willens, bei der Frage der Wahlrechtsreform einzulenken. Anstatt ihren gesamten Politikstil zu ändern, pocht sie auf den Erhalt ihrer Direktmandate. Dahinter steht vor allem eines: die schiere Angst vor dem Wähler gepaart mit einem Unvermögen, letzteren zu erreichen. Würde die CDU einige ihrer Hochburgen an andere Parteien abtreten müssen, so wäre ihr Reichtum an Überhangmandaten in Gefahr. Dass auch die anderen Fraktionen Einbußen durch fehlende Ausgleichsmandate hätten, interessiert die Union scheinbar nicht.

Um ihre Größe und ihre Macht zu erhalten, blockiert die Union also sämtliche sinnvolle Vorschläge einer Wahlrechtsreform und kommt stattdessen mit völlig grotesken eigenen Ideen um die Ecke. Hauptsache, die Sitze sind sicher.

Wenn die Dritten Erster sein wollen

Ähnliches lässt sich dieser Tage auch in Erfurt beobachten. Die Regierungskrise in Thüringen lässt sich im Endeffekt nur mit zwei Optionen lösen: Neuwahlen oder eine Kooperation mit den Linken. Den Pakt mit Ramelows Linkspartei lehnt die CDU aus reiner Prinzipienreiterei ab. Die Neuwahlen fürchtet sie aus Angst vor dem Wähler. Nach dem kurzen rechtsextremen Intermezzo Anfang Februar befürchtet Mohrings Partei zurecht, dass ein neues Ergebnis noch desaströser ausfallen würde als das jetzige. Aber NATÜRLICH muss der Wähler nach einem solchen Debakel die Möglichkeit haben, seine Entscheidung zu revidieren. Im Strafrecht spricht man von tätiger Reue.

Doch von Reue und Verantwortungsgefühl will die CDU gerade in Thüringen nichts wissen. Ihr heiliges Ziel, weitere fünf Jahre mit Rot-Rot-Grün zu verhindern, ist ihnen wichtiger als schlichter politischer Anstand. Anstatt sich mit ihrer Rolle als Wahldritter zufriedenzugeben und das Votum des Wählers demütig zu akzeptieren, reißt die CDU in Thüringen lieber sperrangelweit das Tor nach rechts auf.

Bloß nicht die Linken!

Und sie hätte das auch in einer ähnlichen Konstellation bereits 2014 gemacht. Zu dieser Zeit allerdings hatte Ramelows Bündnis noch eine Mehrheit. Die ist jetzt weg. Die Wahl und viele Umfragen zeigen aber eindeutig, dass die Abstimmung im vergangenen Herbst ein klarer Auftrag an Bodo Ramelow war, Ministerpräsident des Freistaats zu bleiben.

Um Rot-Rot-Grün zu stürzen, muss nicht mit Rechtsextremen paktiert werden. Es reicht vollkommen aus, die Wähler von der eigenen Kompetenz zu überzeugen. Die CDU in Thüringen hatte fünf Jahre lang Zeit, ihr konservatives und anti-linkes Profil zu schärfen. Sie konnte die Wähler nicht überzeugen. Sie wurde Dritte. Doch alles jenseits des zweiten Platzes existiert für die CDU nicht. Sie will Macht. Und sie will rechthaben. Einen eigenen Kandidaten für die Ministerpräsidentenwahl aufzustellen, dazu war die CDU zu feige. Lieber soll die FDP dran glauben.

In ihrer schier ekelerregenden Rechthaberei wirft die CDU eine politische Tugend nach der anderen über Bord. Zuerst die Achtung vor dem Wähler und als nächstes die Achtung vor dem Rechtsstaat. Hauptsache die bösen Linken regieren nicht mehr. Es ist ein offenes Geheimnis, dass es die Thüringer CDU mehr schmerzt, hinter der Linken gelandet zu sein als hinter der AfD.

Die Spielregeln einer repräsentativen Demokratie

Diese beinahe pathologische Abneigung gegenüber den Linken ist bei der CDU bundesweit zu beobachten. Okay, die beiden Parteien sind grundverschieden. Aufgrund ihrer Parteiprogramme und ihrer Visionen für das Land haben sie jedes Recht, wie Hund und Katze zu sein. Doch vor allem die Union begreift nicht, dass die eine nicht ohne die andere kann.

Als Gregor Gysi 2015 seine letzte Bundestagsrede als Fraktionsvorsitzender hielt, da machte er auf ein grundsätzliches Problem aufmerksam. Er behauptete, es gäbe noch zu viele in der Union, die sich einen Bundestag ohne Linke vorstellen könnten. Dafür erntete er von Unionsseite Applaus. Offensichtlicher kann der Wählerwille nicht übergangen werden. Sowohl bei der AfD heute als auch bei der PDS damals hat die CDU nie kritisch hinterfragt, weswegen diese Parteien so erstarkt sind. Stattdessen verlor sie sich in der Bekämpfung und Schlechtredung des Ergebnisses, anstatt selbst die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Veränderung tut weh

Aber das hätte in beiden Fällen ja eine Veränderung der Union, vielleicht sogar eine totale Kehrtwende bedeutet. Denn immerhin hätte man die Bevölkerung dann erst von den neuen Konzepten überzeugen müssen. Und in Überzeugungsarbeit fällt die CDU seit Jahren durch. Viel zu bequem ist die große Koalition, die bisher noch immer ein Garant für den Machterhalt war. Ein weiterer Vorteil der GroKo: Der Widerspruch ist am leisesten, weil die Opposition künstlich kleingehalten wird. Spätestens seit dem Einzug der AfD in den Bundestag und durch das kontinuierliche Zusammenschrumpfen der Großen Koalition hat sich das allerdings geändert.

Die CDU war im Überzeugen so aus der Übung, dass Jamaika nicht zustandekam. Die gesündeste Lösung, eine Minderheitsregierung, kam für die Union auch nicht in Frage. Eine Minderheitsregierung erfordert nämlich noch größere Zugeständnisse als eine Mehrheitsregierung. Und Zugeständnisse gefährden nun einmal die Rechthaberposition. Außerdem ist es natürlich nicht besonders höflich, solch große Kompromisse von einer Partei einzufordern, die sich über Jahre so lächerlich leerregiert hat wie die CDU. So etwas erfordert nämlich die Bereitschaft, seine eigene Haltung kritisch zu überdenken. Und es erfordert Kampfgeist. Beides hat die CDU derzeit nicht.


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Alles oder nichts – Wählen mit 16

Beitragsbild: jette55, pixabay.

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Wer in Deutschland unter 18 ist, hat bei Wahlen häufig schlechte Karten. Nur in einigen Bundesländern dürfen Jugendliche bei Kommunal- und Landtagswahlen ihre Stimme abgeben. „Richtig so“, meinen die einen. „Unfair“, protestieren die anderen. Viele Skeptiker lassen sich von plumpen Vorannahmen leiten, während einige Befürworter wichtige Spielregeln der Demokratie hinten anstellen. Dabei geht es bei dieser Frage doch um das Miteinander, und nicht um das Gegeneinander.

Wahlen FSK 18

“Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.“ Beim Wahlalter für die Bundestagswahl ist das Grundgesetz eindeutig. Wer nun noch glaubt, dass nur Volljährige in Deutschland wählen dürfen, der lese sich das Zitat aus der Verfassung noch einmal Wort für Wort durch. Denn nur das passive Wahlrecht, also das Recht, gewählt zu werden, ist an die Volljährigkeit gekoppelt. Das aktive Wahlrecht hingegen ist noch präziser an ein bestimmtes Alter gebunden. Dieses Alter ist momentan deckungsgleich mit der Volljährigkeit. Bei Verfassungsänderung könnte es also unkompliziert weiter gesenkt werden, ohne den Begriff der Volljährigkeit auszuhöhlen oder anzugreifen. Das ermöglichte es auch den Parlamentariern der Brandt-Ära das Wahlalter von damals 21 auf 18 Jahre abzusenken.

Doch für eine solche Grundgesetzänderung ist eine Zwei-Drittel – Mehrheit im Bundestag erforderlich. Die unionsgeführte Bundesregierung kann die Reform des Wahlrechts also kinderleicht blockieren. Denn auch wenn die Große Koalition geschrumpft sein mag – ihr sind weiterhin über die Hälfte der Sitze im Bundestag sicher. Auf Bundesebene wird sich ein Wahlrecht für 16-jährige also weiterhin nicht durchsetzen lassen.

Der Mythos von den komplexen politischen Zusammenhängen

Auf Landesebene sieht es da schon ganz anders aus. Artikel 38 des Grundgesetzes beschäftigt sich mit den Wahlen zum Bundestag, nicht aber mit denen zu den Landtagen. Für ihr jeweiliges Wahlrecht sind die Bundesländer selbst verantwortlich. Inzwischen dürfen 16-jährige in vier Bundesländern an den Landtagswahlen teilnehmen (und zwar in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein). In sechs weiteren Ländern sind die 16- und 17-jährigen zumindest nicht von den Kommunalwahlen ausgeschlossen. In Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt haben die jungen Menschen ein umfassenderes Wahlrecht als in den übrigen sechs Bundesländern.

In über der Hälfte der Republik dürfen 16-jährige also weiterhin nicht wählen. Viele der Kritiker einer entsprechenden Wahlrechtsreform berufen sich immer wieder auf die gleichen Argumente. So bezweifeln viele von ihnen, ob 16-jährige bereits in der Lage sind, die komplexen politischen Zusammenhänge zu verstehen. Ich aber frage: Wer, wenn nicht diese Altersgruppe? Genau dann werden Schüler nämlich im Gemeinschaftskundeunterricht an das Wahlsystem der Bundesrepublik herangeführt. Was ein Ausgleichsmandat ist und wie es zustandekommt, kann so mancher 16-jähriger sicher besser erklären als jemand, der schon mehrere Bundestagswahlen hinter sich hat.

Wenig überraschend kommt ein solches Argument häufig von der Partei um Christian Lindner. Der tiefgelbe Partei- und Fraktionschef machte vor nicht allzu langer Zeit gehörig von sich reden, als er das politische Verständnis jugendlicher Klimaaktivisten bezweifelte. Und das kommt ausgerechnet von einem Mann, der einst selbst als – Achtung, Pointe! –16-jähriger in seine Partei eintrat. Im übrigen ist eine Mitgliedschaft bei den Julis (Jungen Liberalen) bereits im zarten Alter von gerade einmal 14 Jahren möglich.

Lappen ja, Wahlschein nein

Womit wir auch schon beim nächsten Argument der Skeptiker wären. In solch jungen Jahren hat man andere Dinge im Kopf als Politik. Stimmt. Die nächste Mathearbeit zum Beispiel. Oder den ersten Freund. Oder die Führerscheinprüfung. Denn Fahrstunden dürfen 16-jährige in Deutschland problemlos absolvieren. Von vielen Wahlen bleiben sie allerdings ausgeschlossen.

Außerdem ist dieses Argument leicht umkehrbar. Es suggeriert nämlich beinahe, dass ältere Menschen an nichts anderes als an Politik denken. Wenn ich nicht gerade einen neuen Beitrag für diesen Blog schreibe, denke ich zum Beispiel oft an Essen. Oder an meine Freunde. Oder an Geld. Und nicht jeder denkt so oft über politische Zusammenhänge nach wie ein Bundestagsabgeordneter. Weder 16-jährige noch 40-jährige.

Die Jugend macht Druck

Vielleicht mag es stimmen, dass politisches Desinteresse verstärkt unter jungen Leuten auftritt. Doch hier werden grandios Ursache und Wirkung vertauscht. Würde man das Wahlrecht für Unter-18 – jährige öffnen, so würden sich viele Teenager ganz anders mit Politik und Gesellschaft auseinandersetzen. Das Phänomen „interessiert mich nicht“ würde in dieser Alterskohorte dann nicht mehr signifikant öfter auftreten als bei deutlich älteren Menschen.

Übrigens hat nicht nur die FDP eine Jugendorganisation. In vielen weiteren Parteien treten zahlreiche Jugendliche für ihre politischen Überzeugungen ein. Dieses Engagement geht dabei oft über Parteigrenzen hinaus. In jüngster Zeit bewies die Fridays-for-Future – Bewegung, welch enormes politisches Potenzial, und vor allem Interesse, in der Jugend steckt.

Die Gegner des Ab-16 – Wählens kommen dann mit der Keule, Jugendliche seien leichter durch Extrempositionen verführbar. Dazu sei folgendes gesagt: Der Ausschluss von 16- und 17-jährigen bei Wahlen hat in der deutschen Geschichte noch nie dazu geführt, dass das Volk besser vor Extremen geschützt war. Das Gegenteil ist richtig: Sowohl 1968 als auch 1989 und heute sind es in großer Zahl junge Menschen, die für die Demokratie und gegen Gewalt und Extreme auf die Straße gehen.

Keine Experimente mit dem Rechtsstaat!

Trotzdem ist genau so wahr, dass viele 16-jährige tatsächlich in höherem Maße manipulierbar sind als ältere Gruppen. Da sie nach geltendem Recht noch nicht volljährig sind, stehen sie weiterhin in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen; zum Beispiel von den Eltern. Auch das muss beim Wahlrecht ab 16 bedacht werden. Ein solches „Experiment“ darf auf keinen Fall auf dem Rücken des Rechtsstaats durchgeführt werden.

Neue Wege sollten aber dennoch beschritten werden. Das Argument, Jugendliche hätten ja keine Erfahrung mit Wahlen halte ich für unlauter. Über eine solche Erfahrung verfügten unsere Vorfahren nach dem Ersten Weltkrieg schließlich auch nicht und trotzdem machten sie sich auf den mutigen Weg in die erste deutsche Republik.

Die herkömmlichen Gründe, warum 16-jährige auf ihr Wahlrecht verzichten sollen, hinken also größtenteils. Manche von ihnen sind willkürlich oder austauschbar. Viele andere sind leicht zu widerlegen. Wenn eine demokratisch verfasste Gesellschaft funktionieren soll, dann geht das nur, wenn möglichst wenige Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Demokratie gelingt nämlich nur gemeinsam. In den meisten Debatten zu diesem Thema vermisse ich allerdings oft ein zentrales Thema. Alle reden immer davon, warum es so eine gute Idee ist, Jugendliche wählen zu lassen oder warum das unter gar keinen Umständen erlaubt sein sollte. Kaum einem fällt allerdings die Ungerechtigkeit auf, wenn man Jugendliche einerseits wählen lässt, ihnen eine eigene Kandidatur, also das passive Wahlrecht, andererseits weiter vorenthält.

Von Wahlvieh, Amthor und der CDU

Für mich ist völlig klar: Aktives und passives Wahlrecht gehören untrennbar zusammen. Alles andere wäre zutiefst undemokratisch und würde der Demokratie eher schaden als nützen. Wenn Jugendliche zwar Parlamentarier wählen dürften, selbst aber keine Parlamentarier werden dürften, dann würde Politik über sie gemacht werden, bestenfalls noch für sie, aber niemals mit ihnen. Unter-18 – jährige würden auf diese Weise zum bloßen Wahlvieh degradiert werden, das zwar mitbestimmt, wie das Parlament zusammentritt, aber niemals aktiv daran teilnehmen könnte. Auf lange Sicht sehe ich hier die Gefahr von Politikverdrossenheit, weil sich Jugendliche trotz Wahlrecht nicht in der realen Politik wiederfinden.

Diese Gefahr steigt natürlich enorm, wenn man jungen Menschen generell das Recht zu wählen abspricht. Nachdem Rezo auf YouTube ordentlich Tacheles geredet hat, verbreitete sich der Hashtag NieMehrCDU wie ein Lauffeuer. Vor allem die Christdemokraten haben den Anschluss an die junge Generation verloren, sonst wäre eine solch ablehnende Haltung nicht denkbar, Amthor hin oder her.

Ein Spiegel der Gesellschaft

Um die Jugendlichen zu erreichen, müssten sich alle Parteien bewegen und ihre Programme zumindest in Teilen anpassen. Ich kann schon verstehen, warum einige Parteien darauf keine Lust haben. Denn durch ein solch einseitiges Wahlrecht – Wählen ja, aber Gewählt-werden nein – entstünde erst recht ein Ungleichgewicht in den Parlamenten. Die Parteien würden für Stimmen von Menschen werben, die selbst aber überhaupt nicht repräsentiert wären. Selbst wenn bereits heute die Realität anders aussieht, gilt weiterhin: Der Bundestag sollte ein möglichst umfassendes Gesamtbild der Bevölkerung widerspiegeln.

Doch, oh Schreck, solch eine Regelung würde ja fast zwangsläufig mit der Schulpflicht kollidieren. Außerdem hätten es Jugendliche schwerer, eine Ausbildungsstelle zu finden, wenn sie für ein Bundestagsmandat erst einmal beurlaubt werden müssten oder sich die Stellensuche dadurch um Jahre verzögern würde. In Bundesländern wie Baden-Württemberg hat man daher einen sehr geschickten Kompromiss gefunden. Jugendliche dürfen dort zwar nicht an den Wahlen zum Landtag teilnehmen, dafür aber an Bürgerbegehren und anderen plebiszitären Mitwirkungsformen.

Ein guter Kompromiss

Das gute am Plebiszit ist, dass dort stets sachbezogene Themen behandelt werden. Es geht nicht um die Wahl von Abgeordneten oder die Zusammensetzung eines Parlaments. Bei Volksbegehren geht es immer um konkrete politische Fragestellungen, etwa ob eine neue Schwimmhalle gebaut werden soll oder ob ein Bahnhof unter die Erde verlegt werden soll. Anders als bei abstrakten Parlamentswahlen gibt es hier immer etwas unmittelbar zu entscheiden. Man kann Jugendlichen nicht vorwerfen, und anderen natürlich auch nicht, sie würden die komplexen politischen Zusammenhänge nicht verstehen, wenn sie die Wahl haben zwischen Ja, Nein oder einer Stimmenthaltung.

Ich halte eine solche Praxis für sehr sinnvoll, weil sie Jugendliche zwar eindeutig miteinbezieht, ein einseitiges und undemokratisches Wahlrecht allerdings verhindert. Warum 16-jährige nicht mitbestimmen dürfen, was im Land vor sich geht, erschließt sich mir nicht. Den Argumenten, warum sie zu jung sind, ein tatsächliches Mandat auszuüben, stehe ich jedoch offen gegenüber. Und solange das eine nicht gewährleistet ist, darf auch das andere nicht stattfinden. Getreu dem Motto: Alles oder nichts.

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