Die Fehltritte des Jens S.

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Mit Schmackes ins Fettnäpfchen, mit Voll-Karacho in den Skandal: Selten war ein Mitglied der Bundesregierung so skandalumwoben wie der amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn. Eine flapsige Bemerkung zu Hartz-IV hier, ein korruptes Spendendinner dort. Auch in den letzten Wochen hat der CDU-Politiker durch eine dubiose Verteilungspraktik von Masken von sich reden gemacht. Immer klarer zeichnet sich das Bild eines machtgierigen und überheblichen Politikers.

Die neuesten Vorwürfe gegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wiegen schwer: Er soll geplant haben, minderwertig verarbeitete FFP2-Masken an Obdachlose, Behinderte und Hartz-IV – Empfänger zu verteilen. Sollte das tatsächlich der Fall sein, so wäre das ein Skandal erster Güteklasse. Auf Biegen und Brechen will sich der Minister aus der Affäre ziehen – es habe nie mangelhafte Masken gegeben.

Eine Skandalnudel auf dem Weg nach oben

Es ist nicht das erste Mal, dass dem CDU-Politiker das Wasser bis zum Hals steht. Seit seinem Amtsantritt als Gesundheitsminister im Frühjahr 2018 reihte sich bei dem ambitionierten Frühvierziger ein Fehltritt an den nächsten. Wer könnte Spahns legendäre Behauptung vergessen, von Hartz-IV könne man leben? Fast direkt nach seiner Berufung in Angela Merkels viertes Kabinett machte er damit von sich reden. Er trat damals eine Debatte los, die als Gesundheitspolitiker überhaupt nicht in sein Ressort fiel. Trotzdem ließ er sich medienwirksam von der Sozialhilfeempfängerin Sandra S. einladen, die ihm zeigte, was ein Leben mit Hartz-IV bedeutet.

Es ist noch gar nicht lange her, da stand Jens Spahn auch wegen dubioser Parteispendepraktiken in der Kritik. Zuvor hatte er eine Reihe anonymer Unternehmer zu einem exklusiven Gala-Dinner geladen – und seine Gäste dann dazu aufgerufen, möglichst viel Geld an seine Partei zu spenden. Er legte den spendablen Lobbyisten auch einen ganz konkreten Betrag nahe, um nicht ins Visier der Bundestagsverwaltung zu geraten.

Auf der langen Liste von Spahns Verfehlungen darf natürlich auch seine Verwicklung in undurchsichtige Immobiliengeschäfte nicht fehlen. So hatte der Minister eine Villa von genau dem Mann gekauft, den er danach an die Spitze eines teilweise bundeseigenen Pharmakonzerns setzte.

Die Krise als Chance?

Dann kam die Corona-Pandemie und viele glaubten vielleicht zunächst, nun habe die Stunde dieses skandalträchtigen Ministers geschlagen. Doch auch bei dieser Bewährungsprobe glänzte Spahn vor allem durch Schlampereien, Versäumnisse und Missmanagement. Natürlich waren alle Menschen im Land Anfang 2020 mit einer völlig neuen Situation konfrontiert. Selbstverständlich fordern solche neuen Umstände Fehler geradezu heraus. Doch der Gesundheitsminister zeigte sich bislang völlig resistent gegen jedweden Lerneffekt. Eine Teststrategie ließ lange auf sich warten, die Impfkampagne kleckert weiter vor sich hin. Um das aufgebrachte Volk zu beruhigen, kippte Spahn kürzlich die Priorisierung bei den Impfungen, obwohl noch nicht alle Risikopatienten geimpft sind. Und um das ganze noch zu toppen, setzte er trotz anhaltenden Impfstoffmangels mit der Impfkampagne für Kinder noch eins drauf.

Mit dieser großzügigen Erweiterung der Impfkampagne versuchte Jens Spahn offenbar, sich bei der Bevölkerung wieder liebkindzumachen. Besonders seine lobbyistischen Fehltritte der jüngeren Vergangenheit täuschen aber nicht darüber hinweg, dass es sich bei diesem Mann um einen arroganten und machtgierigen Politiker handelt, dem die Bedürfnisse des gemeinen Bürgers am Allerwertesten vorbeigehen. Geradezu entlarvend war da das Spendendinner, welches es unbeabsichtigt in die Schlagzeilen geschafft hat.

Corona-Party à la Spahn

Diese Zusammenkunft mit allerlei Lobbyisten war gleich aus mehreren Gründen verwerflich. Erstens wäre eine solche Veranstaltung tabu gewesen, hätte sich der Minister an die Verordnungen gehalten, die er selbst erlassen hatte. Es grenzt an kosmische Ironie, dass Spahn kurze Zeit darauf positiv auf das Coronavirus getestet wurde.

Fast noch heftiger ist aber der Anlass, weswegen sich Spahn mit den Unternehmensvertretern getroffen hat. So schwor er seine Gäste darauf ein, einen Betrag an seine Partei zu spenden, welcher gerade so am maximal tolerierten Betrag für Parteispenden kratzte. Mit der symbolischen Summe von 9.999 Euro ließ Jens Spahn seine Maske endgültig fallen. Der Aufruf zu diesen knapp legalen Spenden brachte seine Missachtung der Regelungen für Parteispenden besonders explizit zum Ausdruck. Mit der Gerade-so – Unterschreitung des zulässigen Höchstbetrags führte er diese äußerst sinnvolle Maßgabe ad absurdum und zog den Kampf gegen ausufernden Lobbyismus damit ins Lächerliche.

Die Maske fällt

Es reicht eine durchschnittliche Menschenkenntnis aus, um zu erahnen, welche Interessen der Minister dabei im Blick hatte. Nun könnte man ihm noch zugutehalten, dass ein Ignorieren bestimmter Bedürfnisse noch lange nicht gleichzusetzen ist mit einer generellen Verachtung für einen erheblichen Teil der Bevölkerung. Doch auch mit diesen Zweifeln räumte Jens Spahn schnell auf.

Seine Verachtung gegenüber den einkommensschwächeren und hilfsbedürftigen Bürgerinnen und Bürgern hätte der Gesundheitsminister kaum deutlicher machen können als durch die Verteilung von minderwertigen FFP2-Masken an Wohnungslose, Pflegebedürftige und Sozialhilfeempfänger.  Noch offensichtlicher als in der Hartz-IV – Affäre drei Jahre zuvor trieb Jens Spahn seine Einteilung in gute und in schlechte Menschen mit seinem fragwürdigen Masken-Management auf die Spitze.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten für Kritik

Verständlicherweise ist der Koalitionspartner SPD über ein solches Verhalten empört. Spahns Fehltritte nehmen allmählich tatsächlich staatsschädigende Ausmaße an. Er bringt damit nicht nur den Namen seiner eigenen Partei in Verruf, sondern auch den der gesamten Bundesregierung und möglicherweise sogar das Ansehen der Politik insgesamt. Die erneute Maskenaffäre bedarf einer schonungslosen Aufklärung, sonst wird das nichts mehr mit der Glaubwürdigkeit.

Genau damit ist es bei der SPD aber schon lange nicht mehr weit her. Es mag vereinzelte Köpfe geben, bei denen die Entrüstung über Spahns Skandale authentisch ist. Es ist aber schon fraglich, warum die SPD bei früheren Verfehlungen des Ministers nicht so laute Töne von sich gegeben hat. Natürlich sorgten auch Spahns Äußerungen zu Hartz-IV und sein ominöses Spendendinner für Irritationen, aber in diesen Fällen fiel die Kritik deutlich leiser aus.

Wiederholungstäter

Durch die frisch aufgelegte Maskenaffäre versucht die SPD nun, sich ziemlich billig zu profilieren. Erneut versuchen sich die Sozen aus einer beinahe überheblichen Haltung als bessere Menschen darzustellen. Wenige nehmen ihnen das ab. Immerhin hinterfragt die SPD noch immer viel zu zaghaft, wie es zu solchen Verstrickungen kommen kann. Was wir mit Jens Spahn nun wieder erlebt haben, sind doch keine Verfehlungen von Einzelpersonen. Den Maskendeals und Spendenaufrufen liegt ein dreckiges System aus Lobbyismus und Korruption zugrunde, von dem sich auch die SPD nicht völlig reinwaschen kann, würde sie sich ehrlichmachen.

Anstatt immer nur dann aufzuheulen, wenn der Koalitionspartner mal wieder Mist verzapft hat, wäre eine SPD gefragt, die sich auch in anderen Punkten deutlich von der Union abhebt. Der Verweis auf eine angeblich weiße Weste reicht nicht aus, um die Wählerinnen und Wähler von sich zu überzeugen. Doch wie bereits vor vier Jahren betätigt sich die SPD auch im Wahlkampf 2021 als Wiederholungstäter. Schon 2017 nahm der einstigen Volkspartei niemand das Gebaren gegen den alten und neuen Koalitionspartner ab.

Damals begrüßte die SPD das Wahlverhalten des ehemaligen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt bei der Abstimmung über den Umweltkiller Glyphosat außerordentlich. Durch sein Ja bei der Zulassungsverlängerung des Ackergifts verstieß der CSU-Mann eindeutig gegen gute politische Sitten und lieferte der SPD so Munition gegen die damals schon am Boden liegende Große Koalition.

Alles auf neu

Mit der Hoffnung auf dadurch entstehende Stimmengewinne hatte sich die SPD damals genau so verrechnet wie wenige Monate zuvor, als sie sich mit der Opposition zusammentat und dem Koalitionspartner in Sachen Ehe für Alle in den Rücken fiel. Das Ziel mag edel gewesen sein, die Mittel verhalfen der SPD aber trotzdem nicht zum Wahlsieg. Stattdessen stürzte die SPD bei der folgenden Bundestagswahl weiter kräftig ab.

Die SPD, das einstige Bollwerk gegen Korruption und Bestechung, die Verfechterin von Arbeitnehmerrechten und Sprachrohr der Gewerkschaften muss sich endgültig aus der tödlichen Symbiose mit der Union lösen. Viele Chancen hat sie bereits verstreichen lassen. Die anstehende Bundestagswahl im September ist eine weitere Möglichkeit für die Partei, zu ihrer alten Stärke zurückzufinden. Eine Regierungsbeteiligung nach der Wahl ist eher unwahrscheinlich, auch wenn die SPD mit der Aufstellung eines Kanzlerkandidaten durchaus andere Akzente gesetzt hat. Die Sozialdemokraten sollten das Votum aus der Bevölkerung bei nächster Gelegenheit endlich ernstnehmen und sich bereitwillig in die Opposition verbannen lassen. Schaufensterdebatten gegen korrupte Minister werden der SPD eher schaden, solange sie in dieser ewigen Regierung gefangen ist. Manchmal hilft nur ein Neustart.

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Auf dem Weg zur Transparenz?

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Ende des vergangenen Monats ging ein Aufatmen durch die Reihen der Lobbykritiker in der Republik. Der Bundestag hat endlich ein Lobbyregister verabschiedet, welches die Anstrengungen und Unternehmungen von Interessensvertretern zumindest teilweise ersichtlich macht. Teile der Opposition bemängeln zwar, dass dem neuen Register einiges an Biss fehlt, sie müssen aber auch zugeben, dass das Engagement der Großen Koalition nun endlich in die richtige Richtung geht. Viel zu lange war vielen nicht klar, welch ernsthaftes Problem ein eskalierender Lobbyismus in unserer Gesellschaft darstellt und dass es längst geeignete Mittel gibt, ihn in Grenzen zu halten.

Wenn die Masken fallen

Nach der Aufdeckung der jüngsten Lobbyskandale kommt das politische Berlin weiter nicht zur Ruhe. Die fragwürdigen Lobbytätigkeiten einzelner Abgeordneter sind sicher nicht das einzige Problem, dass die Politiker in der Bundeshauptstadt umtreibt. Die schleichend langsame Impfkampagne, der nun auch noch ein Impfstoff teilweise weggefallen ist, setzt die Abgeordneten zusätzlich unter Druck. Die Machenschaften von Nüßlein & Co. haben ganz bestimmt nicht zur Beliebtheit und erst recht nicht zur Glaubwürdigkeit der Mandatsträger beigetragen. Mit den halbseidenen Maskendeals und geheimen Absprachen wird einmal mehr klar, dass die Politik in Deutschland mit einem strukturellen Problem zu kämpfen hat.

Denn so kritikwürdig das Verhalten von Georg Nüßlein, Nikolas Löbel und anderen auch sein mag: Es ist letztendlich nur die Spitze des Eisbergs. Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu fragwürdigen Verstrickungen von Politikern. Da waren die falschen Doktortitel eines Herrn zu Guttenberg und einer Frau Schavan, die riskanten Spekulationen mit Steuergeldern im Zuge des Mautdebakels von Andy Scheuer und nicht zuletzt die Zahnlosigkeit der Politik beim Wirecard–Skandal. Über alle diese Vorkommnisse regt sich die Öffentlichkeit völlig zurecht auf. Sie kann sich aber nur deshalb darüber aufregen, weil es diese Fälle überhaupt an die Öffentlichkeit geschafft haben. Es ging nicht selten um jede Menge Geld und natürlich ruft das die Medien auf den Plan. Bedenklich sind aber nicht die einzelnen Verfehlungen von Abgeordneten, sondern die Umstände, die solche Fehltritte geradezu begünstigen.

Fragwürdige Altersvorsorge

Georg Nüßlein und seine Mannen sind doch nur der extremste Auswuchs eines außer Kontrolle geratenen Lobbyismus in der Politik. Seit vielen Jahren gehen Lobbyvertreter ein und aus in wichtigen Gremien, Ausschüssen und Ministerien. Nun ist das Geschrei wieder groß und die Union stimmt beinahe freudig in diesen Klagechor mit ein. Sie ist um Schadenbegrenzung bemüht und will ihr Image wieder aufpolieren. Die Sündenböcke des jüngsten Skandals kommen ihr da gerade recht. Auf keinen Fall will diese Partei es zulassen, dass sich irgendetwas an den günstigen Umständen für Lobbyismus ändert.

Machen wir uns nichts vor, viele Politikerinnen und Politiker haben sich längst damit abgefunden, dass mit Rückgrat und altruistischen Werten im heutigen Politikbetrieb kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Viel zu sehr sind sie mit ihrem persönlichen Aufstieg beschäftigt. Ehrlichkeit und treue Verbundenheit mit den Wählern kommt da nicht allzu gut. Schließlich wissen die Abgeordneten, dass ihre Zeit im Bundestag begrenzt ist. Die Wiederwahl ist nicht immer automatisch in trockenen Tüchern. Da will für die Zeit danach gründlich vorgesorgt sein. Und so hat sich im Laufe der Jahre eine Praxis etabliert, die sich treffend mit dem Motto zusammenfassen lässt – „Bezahlt wird später“.

Auf baldiges Wiedersehen

Um nicht wie Nüßlein oder Löbel auf der Schlachtbank der öffentlichen Empörung zu landen, vermeiden es die meisten Politiker tunlichst, während ihrer Amtszeit mit Lobbytätigkeiten in Verbindung gebracht zu werden. Kungeleien mit Lobbyisten stehen dennoch auf der Tagesordnung. Rein vorsorglich erweisen sie mächtigen Konzerninteressen den ein oder anderen Gefallen, denn man weiß ja nie, was einen nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik erwartet. Nicht selten wechseln manche dieser Damen und Herren völlig unverblümt in ebenjene Branchen, denen sie als Mandatsträger im Bundestag noch so wohlgesonnen gegenüberstanden. Durch versprochene Posten in Aufsichtsräten oder in den Führungsetagen erkaufen sich manche Konzerne fast ganz legal die Unterstützung aus der Politik.

Es ist immerhin nicht verboten, dass ehemalige Abgeordnete in die Wirtschaft wechseln. Im Laufe der Jahre hat man zwar sogenannte Karenzzeiten eingeführt, um Interessenkonflikte zu vermeiden, doch sind diese Zwangspausen für viele Betroffene durchaus hinnehmbar. Um den Einfluss mächtiger Wirtschaftsakteure auf die Politik effektiv einzudämmen, braucht es deutlich längere und schärfere Karenzregeln. Wenn man es Politikerinnen und Politikern beispielsweise generell untersagt, nach ihrer politischen Karriere in die Branchen einzutreten, mit denen sie vorher von Amts wegen zu tun hatten, wäre das sicherlich ein großer Gewinn für unsere Demokratie.

Wenn ein Job nicht reicht

Aber ob mit oder ohne Karenzzeiten lassen sich manche Politiker bereits als Abgeordnete von Lobbyvertretern und Unternehmen bezahlen. Einerseits wären da die Parteispenden, die bei manchen Parteien wirklich jeden feierlichen Rahmen sprengen. Aber auch unter der Hand verdient sich der eine oder die andere neben der Abgeordnetentätigkeit ein nettes Zubrot. Sie scheinen dabei völlig zu vergessen, dass die Abgeordnetendiäten ebendiesen Einkommensverlust kompensieren sollen. Man spricht in diesem Zusammenhang schließlich nicht umsonst von Entschädigungen.

Müssten alle Abgeordneten ihre Nebeneinkünfte, welcher Natur auch immer, offenlegen – man kann die öffentliche Entrüstung förmlich spüren. Dann würde nämlich klarwerden, dass sich mancheiner neben seiner Tätigkeit als Berufspolitiker eine goldene Nase verdient. Auch diese Vorgehensweise wird momentan nicht durch zielführende Regelungen eingedämmt.

Hartz-IV für Politiker

Für viele ist es völlig unverständlich, warum eine Kassiererin wegen eines eingesteckten Leergutbons fristlos entlassen wird und praktisch vor dem Nichts steht, während sich Investmentbanker oder auch Politiker nach wesentlich größeren Skandalen auf Staatskosten sanieren lassen. Die meisten Hartz-IV – Empfänger haben kein Verständnis dafür, dass bei ihnen immer dreimal hingeschaut wird und Politiker mit ihren Nebeneinkünften völlig unbehelligt satte Gewinne einfahren. Diese Empörung ist vollkommen berechtigt. Und zwar nicht, weil die Kassiererin oder der Sozialhilfeempfänger einen Persilschein verdient haben, sondern weil sich auch „die da oben“ gefälligst an Recht und Ordnung zu halten haben.

Was wäre denn, wenn man den Nebeneinkünften von Politikern die gleichen Regelungen zugrundelegen würde, mit denen auch die Einkommensschwächeren zurandekommen müssen? Wenn die teilweise üppigen Nebenverdienste der selbsternannten Volksvertreter 1:1 von deren Diäten abgezogen werden würden? Immerhin soll dieses Geld genau diese Nichteinkünfte ausgleichen. Fließt doch Geld auf das Konto, dann sind diese Entschädigungsleistungen doch zumindest teilweise unbegründet.

Und selbst wenn manche Politiker es nötig haben, nebenher einer anderen Tätigkeit nachzugehen, muss immer gewährleistet sein, dass dieses Engagement nicht in Konkurrenz zu ihrer Abgeordnetentätigkeit steht. Deswegen ist es bestimmt auch sinnvoll, wenn die Nebenverdienste von Politikern stets weniger als die Hälfte ihrer Diäten betragen müssen. Nur so kann effektiv sichergestellt werden, dass sie hauptberuflich die Interessen der Wählerinnen und Wähler und nicht die von irgendwelchen Arbeitgebern vertreten.

Auf dem Weg in die Lobbykratie

Nun hört man in der Debatte um ein Lobbyregister häufig Totschlagargumente, die das freie Mandat in Gefahr sehen. Natürlich muss es in einer Demokratie eine gesunde Portion Lobbyismus geben. In der parlamentarischen Demokratie geht es in erster Linie nun einmal um Interessensvertretung. Es ist daher sinnvoll, wenn sich Interessensverbände zusammenschließen und die Interessen von vielen Menschen gebündelt vortragen. Es fällt aber schon auf, dass die Interessen aus der Wirtschaft, vorsichtig formuliert, überproportional vertreten sind.

Das hat mit dem freien Mandat dann nichts mehr zu tun. Denn die Privilegien, die Abgeordnete genießen, gehen auch mit ernstzunehmenden Pflichten einher. Die oberste Pflicht ist es, den Wählerwillen zu vertreten. Ein Lobbyregister legt dar, welche Interessen welchen Einfluss bei bestimmten Vorhaben und Gesetzen hatten. Die Verweigerung einer solchen transparenten Dokumentation zeugt von fehlender Demut gegenüber dem Wählerwillen. Ein solches Verhalten steht dem Wählerwillen sogar entgegen.

Außerdem ist es eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie insgesamt, wenn man aufhört, Politik für die Wähler zu machen. Es ist Gift für unsere Gesellschaft, wenn Politiker in die eigene Tasche wirtschaften und meinen, dass sie über Moral und Anstand erhaben sind. Das vermittelt den Eindruck, dass ehrliche und rechtschaffene Politik eine Sackgasse ist. Die Menschen werden sich dann auch in Zukunft berechtigterweise über Schmiergeld- und Lobbyskandale aufregen, aber immer weniger ehrliche Menschen werden sich in den Plenarsaal im Reichstagsgebäude verirren. Mit jeder neuen Enthüllung wird klarer, wie nah wir einer reinen Lobbykratie bereits gekommen sind. Dass Philipp Amthor jüngst auf Listenplatz 1 in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wurde, ist der beste Beweis dafür.


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Vertrauensbildende Maßnahmen

Lesedauer: 8 Minuten

Es helfen keine Lippenbekenntnisse, keine Ultimaten und anscheinend auch keine Rücktritte und Parteiaustritte. Die Union wird das Gespenst der Korruption nicht los. Mit den Herren Nüßlein und Löbe haben CDU und CSU erneut eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das vielen in ihren Parteien nicht zu trauen ist. Das strukturelle Problem in der Union lässt sich kaum noch wegreden. Wie die Parteien und die Fraktion mit diesem Problem umgeht, ist eine Sache. Eine andere ist, welchen enormen Schaden Skandale wie die Maskenaffäre tatsächlich verursachen.

Einen Schritt voraus

Eigentlich sollte dieser Beitrag mit den Verfehlungen der beiden Bundestagsabgeordneten Nüßlein und Löbel beginnen. Doch wie es im Leben nun einmal so ist, holen die Ereignisse selbst den fleißigsten Blogschreiber gerne einmal ein. Pünktlich zur Einführung des neuen Lobbyregisters gab nun auch der thüringische CDU-Abgeordnete Mark Hauptmann sein Mandat auf. Neben einer Verwicklung in die Maskenaffäre seiner Fraktionskollegen war er wohl in Lobbytätigkeiten für Aserbaidschan verstrickt.

Die dubiosen Nebentätigkeiten von Unionspolitikern haben ein wenig was von Zeitschleife. Immerhin sind die drei jüngsten aufgedeckten Skandale nur das vorläufige Ende einer langen Kette von Ungereimtheiten, Schattenkonten und Korruption. Auffallend ist dabei jedoch, dass bei den meisten dieser Enthüllungen Politikerinnen und Politiker von CDU und CSU im Brennpunkt standen.

Nüßlein, Amthor, Schäuble

Die Liste an unrühmlichen Vorgängern von Hauptmann, Löbel und Nüßlein ist ellenlang. Die neuesten lobbyistischen Entgleisungen kamen zu einer Zeit, als die Entdeckung der fragwürdigen Nebentätigkeiten des Youngsters Philipp Amthor noch lange nicht verdaut waren. Aber auch davor hat sich die Union häufig nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Es ist noch gar nicht so lange her, da stand die Unbestechlichkeit unseres Staatsoberhaupts in Frage. Geschickt zog sich der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff durch seinen Rücktritt aus der Affäre. Das Strafverfahren gegen ihn ging ohne einen Schuldspruch zu Ende. Davor hatten die schwarzen Konten von Wolfgang Schäuble und Helmuth Kohl das Vertrauen in die Volkspartei erschüttert.

Falsche Doktoren und schwarze Kassen

Aber nicht nur an der Lobbyfront ereignet sich ein Skandal nach dem nächsten. Auch in anderen Bereichen erweisen sich viele Unionspolitiker immer wieder als wenig vertrauenswürdig. Die erschlichenen Doktortitel von Herrn zu Guttenberg und Frau Schavan eskalierten beide Male in einer Lügerei, dass sich die Balken bogen. Wenigstens dieses würdelose Trauerspiele haben sich die wenigen anderen falschen Doktoren aus anderen Parteien gespart.

Immer deutlicher wird, dass es sich bei diesen ganzen Affären nicht um Einzelfälle handelt. Viel eher drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei der Union um ein strukturelles Problem handelt. Ganz offensichtlich ist einem Großteil der Politikerinnen und Politiker aus dieser Partei ein grundlegendes Gespür für Moral und Ehre verlorengegangen. Anders lässt sich das Verhalten einiger Entlarvten nicht deuten. So ließ sich Ex-Kanzler Kohl als Ehrenvorsitzender feiern, obwohl er den Karren längst in den Dreck gefahren hatte. Annette Schavan trat nach dem Plagiatsskandal erneut im Wahlkampf an – und erdreistete sich sogar, den aberkannten Doktortitel auf dem Wahlzettel beizubehalten. Auch Georg Nüßlein macht keine Anstalten, sich aus dem Bundestag zu verabschieden. Zukünftig bezieht er als fraktionsloser Abgeordneter die üppigen Diäten.

Finanzieller Vorteil

Seit sechzehn Jahren trägt die Union Regierungsverantwortung für Deutschland. Gepaart mit der inhärenten Wirtschaftsnähe dieser Partei entsteht ein äußert unguter Mix. Die Skandale um Abgeordnete und Politiker sind dabei nur der extremste Auswuchs dieser fatalen Symbiose. Schaut man sich die Summen an Spenden von Unternehmen und Konzernen an, wird man schnell feststellen, dass CDU und CSU mit Abstand Spitzenreiter in dieser Kategorie sind.

Die wirtschaftsnahen Positionen der Union werden zusätzlicher Anreiz für die Wirtschaftsakteure gewesen sein, ihr Geld in diese beiden Parteien zu investieren. Durch diese großzügige finanzielle Ausstattung hatte der Parteienverbund im Wahlkampf natürlich stets einen deutlichen Vorteil gegenüber der politischen Konkurrenz. Oder glaubt ernsthaft noch jemand, es ist ein Zufall, dass die Union nach Rezo und den zahlreichen Skandalen noch immer die Hosen im Land anhat?

Gewöhnlich korrupt

Eine wichtige Rolle hat hierbei bestimmt auch der Gewöhnungseffekt gespielt. Die Bundesrepublik gibt es seit 72 Jahren. In 52 davon regierte die Union. Allein die derzeitige Regierungsperiode dauert seit sechzehn Jahren an. Natürlich möchten CDU und CSU ihre Macht nicht ohne weiteres aufgeben. Die Bereitschaft, sich durch Korruption an der Macht zu halten, wächst. Dass es ohne Bestechlichkeit bei der Union nicht geht, hat die lange Amtszeit von Helmut Kohl als Bundeskanzler gezeigt. Die Spendenaffäre wurde zwar erst 1999 aufgedeckt, die Konten bestanden aber wohl über die gesamte Amtszeit des eisernen Kanzlers hinweg.

Auch wenn sich viele Abgeordnete der Unionsparteien bestens in dieser korrupten Umgebung eingerichtet haben, dürfen sich echte Demokraten nicht an diesen Zustand gewöhnen. Die Verfehlungen in der CDU und CSU sind nicht nur eine Schande für unser Land, sie sind eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie. Denn die teilweise kriminellen Machenschaften einzelner Abgeordneter bringen das demokratische System weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus in Verruf. Solange es solche Skandale gibt, solange wird der Ruf des korrupten Halunken pauschal allen Politikern anhaften.

Aber nicht nur die politisch Aktiven geraten durch ein solches Verhalten in Misskredit. Auch rechtschaffende und fleißige Unternehmer sind von dieser Rufschädigung nicht ausgenommen. Es gibt bestimmt mehr als genug korrupte Geschäftsleute auf dieser Welt. Und der Kapitalismus darf nicht das Ende der Geschichte sein. Verstrickungen wie solche von Nüßlein und Löbel lassen aber an der Integrität ganzer Wirtschaftszweige Zweifel keimen.

Politik für’s Volk?

Als erklärter Gegner der Politik von CDU und CSU könnte man sich eigentlich darüber freuen, dass sich die Schwesternparteien gerade selbst demontieren. Als erklärter Demokrat kann man das aber nicht. Die teilweise illegalen Lobbytätigkeiten mancher Politiker zeigen deutlich, wessen Interessen für die Union am meisten zählen. Völlig offensichtlich wird, für wen hier eigentlich Politik gemacht wird. Tipp: Das Volk ist es nicht.

Zurecht zweifeln viele daher an der angeblichen Volkssouveränität im Land. Das Bild des korrupten und verlogenen Politikers verfestigt sich soweit, dass selbst CDU-Chef Armin Laschet von einer „Raffke-Mentalität“ in seiner Partei spricht. Milde Strafen oder sogar Freisprüche wie im Falle von Ex-Bundespräsident Christian Wulff erschüttern zusätzlich den Glauben an die Justiz.

Viel Politik, wenig Anstand

Das hinterlässt Spuren. Bei der Bundestagswahl 2013 entschieden sich über 18 Millionen der Wahlberechtigten dazu, nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Die Wahlbeteiligung lag auf einem beschämenden Tiefstand von rund 72 Prozent. Vier Jahre später verzichteten erneut 55 Prozent der vorigen Nichtwähler auf ihr Stimmrecht. Die Enttäuschung über die politische Entwicklung saß wohl noch zu tief. Doch auch bei den Erstwählern blieb eine satte Million den Wahlen fern.

Solche Zahlen lassen sich nicht damit erklären, dass die Wahlprogramme der Parteien die Wahlberechtigten nicht ansprachen. Mit sechs Fraktionen ist die Meinungspluralität im Bundestag so groß wie selten zuvor. Im Grunde gibt es sechs unterschiedliche Stoßrichtungen, wohin es mit Deutschland gehen soll. Das Problem muss tieferliegen. Viele haben das Vertrauen in den politischen Apparat an sich verloren. Schuld daran sind Menschen wie Georg Nüßlein und Nikolas Löbel. Sie sind schuld daran, wenn weniger Menschen zur Wahl gehen. Sie sind schuld daran, dass sich die Anständigen aus der Politik zurückziehen.


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