Linksextremismus in Deutschland – Eine Geschichte von Relativierung, Unkenntnis und Überzeugung

Lesedauer: 9 Minuten

Vor einigen Wochen debattierte der Bundestag über die Errichtung eines Mahnmals der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in der DDR. Viele Reaktionen waren vorhersehbar, andere erschreckend. Offensichtlich wurde das Problem der Linkspartei, sich von DDR und Kommunismus zu distanzieren. Doch nicht nur die Linken haben Schwierigkeiten mit diesem Thema. Auch der Durchschnittsbürger kommt beim Thema Linksextremismus ins Schlingern. Ein Mahnmal scheint überfällig.

Ein Glücksfall der Geschichte

Vor gut 30 Jahren brachten mutige Bürgerinnen und Bürger die Berliner Mauer zum Einsturz. Damit lehnten sie sich gegen eine repressive Diktatur auf – wohlgemerkt die zweite auf deutschem Boden im vergangenen Jahrhundert. Nach 40 Jahren war Schluss für Kommunismus, Bespitzelung und Stasi. Die Menschen der DDR träumten von Freiheit, von Einheit und von Demokratie. Es ist ein Glücksfall der deutschen Geschichte, dass mit den Demonstrationen im Herbst 1989 der Einheitsprozess von Deutschland in Gang gesetzt wurde – und dass sie nicht mit beispielloser Gewalt niedergeschlagen wurden wie in anderen Teilen der Welt.

Nach 40 Jahren Planwirtschaft und Ein-Parteien – Staat war das Ausmaß dieser Diktatur verheerend, nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht. Kritiker und Gegner des Sozialismus reden oft und gerne davon, dass diese Wirtschaftsordnung noch niemals einen Erfolg verzeichnen konnte. Aber die Bilanz der DDR umfasste mehr als eine desolate Wirtschaftssituation. Über Jahrzehnte bespitzelte die Stasi unzählige Menschen in ihren privaten Wohnungen, sofern man in diesem System von Privateigentum sprechen kann. Unliebsame Kritiker wurden im besten Falle ausgebürgert und im schlimmsten Fall ermordet. Nicht nur im Grenzstreifen fanden viele ihr trauriges Ende.

Die alte Laier

Höchste Zeit also, dass auch den Opfern dieses brutalen Systems gedacht wird, anstatt immer nur das Versagen oder die Verbrechen führender Köpfe der DDR zu beklagen. Die Bundesregierung sah das kürzlich genau so und so brachten die Unionsfraktion und die SPD-Fraktion im vergangenen Dezember einen wichtigen Antrag in den Bundestag ein. Sie forderten darin die Errichtung eines Mahnmals, um der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland zu gedenken.

Selbstredend fielen in der nachfolgenden Debatte die längst totgedroschenen Phrasen zur DDR-Mangelwirtschaft und natürlich wurde auch die Linksfraktion mal wieder unreflektiert als SED 2.0 diffamiert. Deswegen lagen die Erwartungen hoch, was wohl die Rednerin aus den Reihen der Linken zu dem Antrag zu sagen hatte. Wer allerdings glaubte, die sonst so besonnene Abgeordnete Simone Barrientos würde sich sachlich mit dem Antrag der Regierungsfraktionen auseinandersetzen, der wurde schon bald eines besseren belehrt. Die Rede der Abgeordneten machte viel eher ein altes Problem erneut offensichtlich. Die Partei Die Linke hat in weiten Teilen ein Problem mit dem Linksextremismus – und das anscheinend auch auf Bundesebene.

Ein System mit Fehlern oder Fehler mit System?

Ich möchte hier keinem Abgeordneten des Bundestags gezielt unterstellen, ein Feind der Verfassung zu sein. Und ganz bestimmt wäre es unhaltbar, Abgeordnete der Linksfraktion dem linksextremen Spektrum zuzuordnen. Barrientos‘ Rede machte hingegen offensichtlich, dass es der Linken weiterhin schwerfällt, sich eindeutig von linksextremem Gedankengut zu distanzieren. So bezweifelte die Würzburger Abgeordnete doch allen Ernstes, dass es mit der DDR eine kommunistische Gewaltherrschaft gegeben hätte. Stattdessen stilisiert sie diesen Staat zu einem System mit vielen Fehlern. Ihrer Meinung nach überwogen die Fehler in diesem System wohl. Sie übersieht dabei getrost, dass das System der Fehler war.

Das Ansinnen der Menschen sei gewesen „eine bessere DDR“ herbeizuführen. Einverstanden. Eine andere DDR. Eine bessere DDR. Wie auch immer. Hauptsache ohne Mauer und Gesinnungshaft. Dann allerdings bezweifelt sie, dass eine friedliche Revolution eine Gewaltherrschaft hätte stürzen können. Einerseits verneint sie hier eindeutig die Existenz einer Gewaltherrschaft. Andererseits, und das mit Sicherheit unbewusst, verbreitet sie die These, dass Gewalt ein legitimes Mittel sei, um ein Regime zu stürzen. Beides wird dem Mut der ehemaligen DDR-Bürger nicht gerecht.

Extremismus im Selbstversuch

Barrientos‘ Äußerungen reihen sich nahtlos in die Äußerungen anderer Vertreter der Linkspartei ein. So bezeichnete die ehemalige NRW-Landtagsabgeordnete Bärbel Beuermann die DDR als einen legitimen Versuch, den Kapitalismus endgültig zu überwinden, natürlich nur „[a]us der Sicht der Menschen, die diesen Staat damals gegründet haben“. Für Sahra Wagenknecht handelte es sich bei den Ausschreitungen im Umfeld des G20-Gipfels in Hamburg vor knapp drei Jahren nicht um Linksradikale, sondern lediglich um krawallmachende Chaoten. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke übernimmt die Moderation einer Podiumsdiskussion über die Wege zum Kommunismus. Besonders brisant: An der Diskussion beteiligt sich auch die verurteilte RAF-Terroristin Inge Viett, die den tosenden Beifall, der ihr entgegenschwemmt, sichtlich genießt.

Die Linke spielt also gerne mit dem Feuer. Anstatt sich eindeutig vom äußersten linken Rand zu distanzieren, scheuen manche Mitglieder dieser Partei die Nähe zu Extremisten nicht. Wie soll man sich aber auch effektiv von etwas distanzieren, was bei vielen Menschen hilfloses Gedruckse verursacht?

Ich selbst habe den Selbstversuch gewagt. Ich habe Freunde und Bekannte gefragt, was für sie Rechtsextremismus bedeutete und warum sie ihn verurteilten. Die Antworten waren eindeutig. Mir wurden brennende Asylantenheime genannt, homophobe und rassistische Beleidigungen und die NS-Diktatur. Anschließend wiederholte ich die Frage in Bezug auf Linksextremismus. Die wenigsten konnten mir eine zufriedenstellende Antwort geben. Manche nannten als Beispiel noch die RAF, kaum jemand erkannte in der DDR eine linksextreme Apparatur.

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Und was sagt die Straße?
Ein Meister der Tarnung

Ist der Linksextremismus also möglicherweise gar nicht so gefährlich wie viele uns das weismachen wollen? Mitnichten. Nur weil eine Gefahr nicht eindeutig als solche wahrgenommen wird, macht sie das nicht automatisch ungefährlicher. Das Gegenteil ist richtig. Gerade die Fähigkeit des Linksextremismus besonders gut im verborgenen agieren zu können, macht ihn so gefährlich.

Die Motivation rechtsradikaler Straftäter ist für viele offensichtlich: Sie glauben nicht, dass alle Menschen gleich viel wert sind, dass andere es womöglich verdient haben, angezündet und getötet zu werden. Viele von ihnen sehen sich von einer schieren Flutwelle an Migranten überrollt und wollen sich ihr heißgeliebtes Heimatland zurückerobern. Das klingt ziemlich hirnverbrannt. Und das ist es mit Sicherheit auch.

Der Motivation linksradikaler Straftaten hingegen können die wenigsten folgen. Auch wenn sie die Attacken von rechts scharf verurteilen, sie begreifen die Beweggründe dahinter viel eher ohne sie gutzuheißen. Wie oft las man von „unbelehrbaren Terroristen“, wenn bis vor einigen Jahren über die Freilassung der letzten inhaftierten RAF-Mitglieder diskutiert wurde? Diese Menschen sind nicht unbelehrbar oder gar wirr im Kopf. Es sind Überzeugungstäter. Einige von ihnen sind diesen Überzeugungen bis heute treugeblieben.

Ein immer wiederkehrender Traum

Soll das jetzt heißen, dass der Rechtsextremismus in der Gesellschaft eher akzeptiert wird als der Linksextremismus? Ganz bestimmt nicht. Das Manko der linken Revoluzzer ist schlicht und ergreifend, dass links schon immer viel abstrakter war als rechts. Die Rechten sprechen immerhin ein urmenschliches Bedürfnis an: die Bequemlichkeit.

Denn kein Mensch will sich verändern. Der Mensch hasst Veränderung. Rechtsextreme auch. Die AfD hat es doch nur deshalb so leicht, weil sie sich gegen jedwede Veränderung sperrt und sich nach der guten alten Zeit sehnt, wo sich niemand Sorgen machen musste. Diese Welt hat so allerdings noch nie existiert und wird auch niemals existieren.

Gerade heute wird immer mehr die Aktualität und Richtigkeit von Brechts Zitat mit dem Schoß und der Fruchtbarkeit offensichtlich. In Bezug auf den linken Extremismus versagt das Zitat allerdings. Der Grund dafür ist einfach erklärt: Während die Deutschen in den 1930ern mehrheitlich für die Nazis stimmten, wurde ihnen das sowjetische System im Folgejahrzehnt ungefragt übergestülpt.

Es wird höchste Zeit

Nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland wurden manche Menschen als Mitläufer klassifiziert. Sie sind ein typisches Beispiel dafür, wie sich rechtsextremes Gedankengut in den Menschen hineinfressen kann, der davor vielleicht kein überzeugter Nazi war. Nach dem Zusammenbruch der DDR war eine solche Einteilung schwieriger. Die Aufarbeitung war freilich eine andere, wenn es sie überhaupt gab. Jemanden als typischen Mitläufer in der DDR zu bezeichnen ist fast unmöglich. Die meisten Menschen arrangierten sich über viele Jahre mit dem bestehenden System mit all seinen Nachteilen. Sie unterwarfen sich dabei wahren Überzeugungstätern.

Die Aufgabe eines Mahnmals für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft ist daher eine andere als eines solchen, das an den Holocaust erinnert. Ein Mahnmal für die Opfer des Kommunismus müsste vorrangig die Frage beantworten, warum eine Gesellschaft, in der alle gleich sind, keine erstrebenswerte Daseinsform ist.

Beim Rechtsextremismus sind sich die meisten einig: nicht nur der Genozid als letzte Konsequenz dieses Regimes ist verurteilungswürdig, sondern auch die menschenverachtende Ideologie dahinter. Beim Linksextremismus sind viele von einer solchen Einsicht noch weit entfernt. Sie beklagen die Auswüchse eines solchen Systems und sprechen von Mauertoten, Zwangsadoptionen und Gesinnungshaft. Dass auch hinter einer solchen Herrschaft eine völlig falsche und verbrecherische Ideologie steht, ist vielen nicht bewusst. Es wird höchste Zeit für ein Mahnmal.

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Das Extrem ist bequem

Beitragsbild: MarkusMoerth, Pixabay.

Lesedauer: 10 Minuten

Ich kenne Diktaturen nur aus dem Geschichtsbuch. Ich wurde nach dem Mauerfall und nach der deutschen Einheit geboren. Die DDR habe ich weder aktiv noch passiv erlebt. Die Nazizeit noch viel weniger. Ich bin froh, in einem freiheitlichen, demokratischen Staat aufgewachsen zu sein. Groß geworden bin ich in Baden-Württemberg. Neben Bayern vielleicht das Bundesland, das am wenigsten Grund zum Klagen hat. Doch nicht jeder ist so überzeugt von der Überlegenheit einer rechtsstaatlichen Ordnung wie ich es bin. Manche Menschen sehnen sich gar nach einer Diktatur. Ich kann es nicht ertragen.

Protestwähler wählen blau

Die AfD befindet sich weiter im Umfragehoch. Darin sind sich die meisten Meinungsforschungsinstitute einig. Sie sehen die Partei zwischen 13 und 15 Prozent. In einigen Umfragen überholen die Rechtspopulisten damit erneut die Sozialdemokraten. Doch spätestens seit man Björn Höcke, den Fraktionsvorsitzenden der Thüringer AfD, rechtmäßig als „Faschisten“ bezeichnen darf, ist völlig klar: Wer die AfD wählt, der wählt eine Partei, die mindestens in Teilen rechtsextrem ist. Das Urteil der Meininger Richter kann man sehen, wie man will. Offensichtlich ist allerdings, dass es für diesen Urteilsspruch Gründe gibt. Wer von „Bevölkerungsaustausch“ oder einem „Mahnmal der Schande“ redet, der kann nicht in der Mitte einer angeblich rechtsstaatlichen Partei stehen, wie es der scheidende AfD-Parteichef Gauland kürzlich formuliert hat.

Doch nicht nur Höcke sorgt mit seinen Äußerungen seit Jahren für Wirbel. Der AfD-Sprech von linksgrün-versifften Altparteien, von Schießbefehlen und von nutzlosen Kopftuchmädchen vergiftet die politische Debatte schon lange wie ein wucherndes Geschwür.

Noch bis vor kurzem war der Begriff des „Protestwählers“ geläufig. Diese Menschen wählten die AfD angeblich, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Gebracht hat es ihnen nicht viel: die gleiche Regierung fand in Neuauflage für eine weitere Legislatur zusammen. Die erschreckend hohen Wahlergebnisse der AfD in den ostdeutschen Bundesländern, ließ viele Menschen allerdings am Begriff der Protestwähler zweifeln. War es nicht viel mehr so, dass die Menschen die AfD nicht trotz ihrer Nähe zum rechten Rand wählten, sondern gerade wegen ihrer Nähe zum Rechtsextremismus?

Faschismus 2.0

Und was heißt überhaupt Rechtsextremismus? Viele AfD-Sympathisanten verdrehen genervt die Augen, wenn sie mit Phrasen wie „Wehret den Anfängen“ oder „aus der Geschichte lernen“ konfrontiert werden. Intuitiv verbitten sie sich jedweden Vergleich mit den Faschisten aus der NS-Zeit. Und mit einem haben sie dabei recht: Faschismus funktioniert heute tatsächlich anders als er noch vor 80 Jahren funktionierte.

Zum einen haben wir heute eine wesentlich stärkere und wehrhaftere Demokratie als das in den 1920er-Jahren der Fall war. Die Demokratie wird heute nach wie vor von der Mehrheit der Bürger gestützt. Zu Weimarer Zeiten war das anders. Die wenigen echten Demokraten wurden zwischen linksaußen mit ihren kommunistischen Träumereien und von rechtsaußen mit ihren Führer-Fantasien zerrieben. Der Abschied vom Kaiserreich fiel vielen schwer. Hier hat man aus der Geschichte tatsächlich gelernt: Die Fünf-Prozent – Klausel macht es extremistischen Strömungen heute schwerer, im Parlament Fuß zu fassen als es vor rund 100 Jahren der Fall war.

Und natürlich operieren die AfDler nicht so wie die Nazis unter Hitler. Selbstverständlich gehen sie nicht gleich von 0 auf 100. Sie haben heute nämlich einen folgenschweren Nachteil: Ihre Worte werden stets an denen der damaligen Nazis gemessen. Gerade weil es in der deutschen Geschichte schon einmal eine Entfesselung des Faschismus gab, müssen sie heute wesentlich behutsamer und subtiler vorgehen. Und selbst Hitler ging nicht gleich von 0 auf 100. Vielleicht erst mal auf 70. Und die AfD geht heute vielleicht auf 50.

Doch selbst das bewahrt sie selten vor der mächtigen Nazikeule, die sie gerne auch für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert. Den Nachteil, dass es den Faschismus in Deutschland schon einmal gab, münzen die Rechtspopulisten dabei geschickt in einen Vorteil um. Frei nach der Logik „Wenn wir uns nicht so wild aufführen, wie die von damals, kann uns keiner was.“ Stoßen sie auf Widerstand, schwingen sie selbst die Nazikeule und stilisieren sich zu Opfern. Weiterhin gilt, was Brecht einst schrieb: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

30 Jahre für die Tonne?

Vor kurzem jährte sich der Mauerfall zum 30. Mal. Zeit für eine schiere Flutwelle an Dokus und Polit-Talks zu genau diesem Thema. Diskutiert wird bevorzugt, ob Ossis Bürger zweiter Klasse sind. Politiker überschütten sich förmlich mit Vorwürfen, was damals alles schiefging und wie es hätte besser laufen können. Kurzum, an diesen Beiträgen führt kein Weg vorbei.

Auch das rbb trug dem Jubiläum Rechnung und schaute sich die Lage 30 Jahre nach dem Fall der Mauer etwas genauer an. In dem Format „Wir müssen reden!“ vom 7. November kamen allerdings auch Bürger zu Wort, die sich die DDR zurückwünschten. Einer von ihnen meinte sogar, man könne die letzten 30 Jahre in die Tonne treten.

Über Jahrzehnte trennte die Mauer Ost und West. Trotzdem sehnen sich manche nach dieser Zeit zurück.
Bild: Noir, Berlinermauer, CC BY-SA 3.0.

Das ist schon mehr als gesunde Ostalgie. Generell ist der Umgang mit der DDR ein ganz anderer als mit der deutschen NS-Vergangenheit. Dabei waren doch beide Systeme Diktaturen. Trotzdem wird man für Mauerträume nur belächelt. Oftmals werden sie sogar toleriert. Solche Meinungen sind immerhin kein Einzelfall. Weder bei Ossis noch bei Wessis. Gerade in Westdeutschland gibt es eine Menge Leute, die die Mauer heute nicht zum Einsturz bringen würden, sondern am liebsten noch einmal drei Steine obendrauf legen würden.

Doch woher kommt dieser grundlegend andere Umgang mit der DDR? Nazi-Deutschland ist und bleibt das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte. Sehnt man sich nach dieser Zeit zurück, ist man eine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Das ist weiterhin Konsens. Eine spezifische Nostalgie gegenüber dieser Zeit gibt es nicht. Bei der DDR ist das nicht so leicht zu unterdrücken. Immerhin existierte dieser Staat ganze 40 Jahre. Zeit genug, in dieses System hineingeboren zu werden und auch darin zu sterben. Vor allen Dingen aber Zeit genug, mit diesem System zu leben.

Das richtige Leben im falschen?

Es verbietet sich also fast automatisch, alles an der DDR schlechtzureden. Viele Menschen haben einen Großteil ihres Lebens darin verbracht. Um sie nicht komplett abspenstig zu machen, braucht es ein Phänomen wie das der Ostalgie. Die Ampelmännchen und der Sandmann geben ihnen zumindest zeitweise das Gefühl, nicht vollständig in einer Lüge gelebt zu haben.

Darum ist auch der Begriff „Unrechtsstaat“ gegenüber der DDR so umstritten. Ein Unrechtsstaat fußt einzig und allein auf dem Unrecht. Er ist durch und durch schlecht. Dieses Argumentationsmuster mag bei einem Staat funktionieren, der ein Dutzend Jahre gehalten hat. Aber bei einem Staat, der mehrere Generationen hervorgebracht hat? Man kann so vielen Menschen und so vielen Generationen nicht glaubwürdig vorhalten, die meiste Zeit ihres Lebens falsch gelebt zu haben.

Von Sicherheit und Autobahn

Trotzdem war die DDR eine Diktatur. Eine ziemlich brutale sogar. Mauertote, Gesinnungshaft und Zwangsadoptionen waren die Regel. Und trotzdem gibt es Menschen, die selbst im Fernsehen öffentlich dazu stehen, dass sie sich die DDR zurückwünschen. Ihr Totschlagargument ist häufig die soziale Sicherheit. Eine Sicherheit, die sie in der Bundesrepublik so nie empfunden haben. Wie überzeugend dieses Argument ist, bleibt jedem selbst überlassen. Doch eine Frage bleibt: Reicht es aus, um eine Diktatur regelrecht zu glorifizieren?

Ich sage: Nein. Eine Diktatur ist durch nichts zu rechtfertigen. Auch nicht von angeblichen sozialen Sicherungssystemen. Hier schließt sich übrigens auch der Kreis mit den AfD-Wählern. Wählen sie die AfD denn jetzt trotz oder wegen der rechtsextremen Tendenzen? Für mich ist klar: Trotz. Genau wie die Hardcore-Ostalgiker verteidigen sie ein System nicht wegen der Mauertoten oder wegen des rechtsextremen Personals, sondern trotz dieser Offensichtlichkeiten. Weniger gefährlich macht das solche Entwicklungen allerdings nicht.

Ich halte es sogar für gut möglich, dass viele derer, die sich die DDR zurücksehnen, der AfD ihre Stimme geben. Sie träumen von der Zeit einer linksextremen Diktatur und wählen gleichzeitig Rechtsextreme. Was zunächst wie vollständiger politischer Analphabetismus anmutet, ist auf den zweiten Blick doch nachvollziehbar. Das Vorzeichen des Extremismus ist wurschd, es zählt einzig und allein das Ergebnis. Diese Menschen wollen keine Diktatur, sie vermissen soziale Sicherheiten. Das Argument der sozialen Sicherheit hinkt allerdings mindestens genau so stark, wie die Aussage, Hitler hätte Autobahnen gebaut. Beide sind vom gleichen Schlag. Sie verschleiern, dass das negative in diesen Systemen eindeutig überwogen hat.

Das Konzept der schwierigen Antworten

Und trotzdem wenden sich immer mehr Menschen von der Demokratie ab. Sie verlangen nach einfachen Lösungen. Genau das kann ihnen die Demokratie aber nicht bieten. Eine Demokratie beruht immer auf Kompromissen. Es muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Am Ende steht eventuell eine Lösung. Aber die ist häufig schwierig und komplex.

Sich in einer Diktatur über Wasser zu halten, kann einfach sein. Viele ehemalige DDRler sind lebendiger Beweis dafür. Wer die Obrigkeit nicht hinterfragt und sich mit den Gegebenheiten arrangiert, konnte auch dort ein fast gutes Leben führen. In einer Demokratie geht das nicht. Wer 2005 alles auf Merkel setzte, steht heute praktisch mit leeren Händen da.

Die Demokratie steht also vorrangig für zähe Diskussionen und langwierige Verhandlungen. Wirklich recht kann man es in ihr keinem machen. Wenn die Mehrheit entscheidet, wird ein Teil immer der Unterlegene sein. Sie muss also Wege finden, über dieses Defizit hinwegzutrösten. Werden die Lebensbedingungen einer Diktatur als besser empfunden, dann läuft etwas gehörig schief. Kann eine Demokratie nichts mehr bieten, was die Lebensrealitäten einer Diktatur blass aussehen lässt, bleiben nur die schwierigen Antworten. Und der Mensch, sucht eben nach einfachen Antworten…

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