Im Osten nichts Neues

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Deutschland ist seit 30 Jahren ein geeintes Land – zumindest auf der Landkarte. Politisch und ökonomisch klaffen noch immer oder wieder tiefe Gräben zwischen Ost und West. Die Gründe dafür sind vielfältig. Trotzdem versuchen viele, die schwierigen Verhältnisse im Osten mit eindimensionalen Erklärungsmustern zu vermitteln. Die Planwirtschaft mag der Grund für eine komplizierte Ausgangslage sein. Sie ist aber immer weniger für deren Fortbestehen verantwortlich.

Ein Leben mit dem System

Am 2. Oktober debattierte der Bundestag bereits zum 30. mal über die deutsche Einheit. Die Politikerinnen und Politiker sprachen von den Erfolgen und den Errungenschaften, die gerade im Osten erzielt worden waren. Sie redeten aber auch über Probleme beim Einheitsprozess und über Herausforderungen, die es nach wie vor zu meistern gilt. So beklagten viele Rednerinnen und Redner das Lohngefälle zwischen Ost und West, das zwar näher zusammengerückt ist, aber immer noch zu wünschen übriglässt. Diese Differenz zwischen den Reallöhnen sorgt letztendlich für deutliche Unterschiede bei der Altersrente.

Für diese Schwierigkeiten haben die verschiedenen Parteien ihre eigenen Erklärungen parat. Die Union moniert beispielsweise, dass die geringere Wirtschaftskraft der ostdeutschen Bundesländer vom Versagen des Sozialismus und seiner Planwirtschaft herrührt. Die Führung der DDR hat es meisterlich verstanden, eine Volkswirtschaft im Laufe der Jahre zu Grunde zu richten. Als die Bürgerinnen und Bürger der DDR die Mauer überwanden, hinterließ die Staatsführung einen ökonomischen Scherbenhaufen.

Laut Union ist es überhaupt kein Wunder, dass dieses wirtschaftliche Schlachtfeld nicht innerhalb weniger Jahre zusammengekehrt werden konnte. In den Augen der Regierungspartei sind die Menschen aus der DDR die Opfer falscher politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen. Dem ist nichts entgegenzusetzen. Die DDR war eine Diktatur und die allermeisten Menschen dort hatten keine andere Wahl, als sich den Verhältnissen um sie herum zu fügen. In 40 Jahren DDR arrangierten sich die meisten mit dem System. Anders als in den zwölf Jahren Nazi-Diktatur brachte der ostdeutsche Staat mehr als eine Generation hervor.

Freispruch in allen Punkten?

Die sozialistische Planwirtschaft war der sozialen Marktwirtschaft schon immer unterlegen. Unverschuldet bekamen das Millionen Menschen in der DDR viele Jahre lang zu spüren. An den Verfehlungen und Missständen der Planwirtschaft haben viele bis heute zu knabbern. Die Lebensumstände in den neuen Bundesländern auf rein wirtschaftliche Gegebenheiten zu reduzieren, greift allerdings zu kurz. Die DDR war mehr als wirtschaftliches Versagen auf ganzer Linie. In vier Jahrzehnten haben sich die Menschen Existenzen aufgebaut, die weit über das ökonomische Bestehen hinausgingen. Viele Existenzen wurden durch einen harten Bruch zur Wendezeit zerstört. Das mit ausschließlich wirtschaftlichen Faktoren zu begründen, überzeugt die Menschen nicht.

Es überzeugt die Menschen vor allem deshalb nicht, weil Reden und Handeln der Regierung in krassem Gegensatz zueinander stehen. Der Lohnunterschied zwischen West und Ost ist weiterhin immens und auch zwischen den Renten klafft eine Lücke, die da nicht sein müsste. Man billigt den Menschen zu, für die schwierige wirtschaftliche Ausgangslage in den neuen Bundesländern nichts zu können. Gleichzeitig verweigert man ihnen aber nach 30 Jahren im goldenen Westen weiterhin eine vergleichbare Vergütung für die gleiche Arbeit wie in westdeutschen Bundesländern. Natürlich hinterlässt man bei diesen Erwerbstätigen das Gefühl, dass sie an der prekären Wirtschaftslage doch mitschuld sind. Wäre es nicht so, dann spräche nichts dagegen, dass sie im geeinten Deutschland in der gleichen Arbeitszeit für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhielten.

Stattdessen speist man sie mit Löhnen und Gehältern ab, die hinter dem westdeutschen Durchschnitt zurückbleiben. Zwar hat sich die durchschnittliche Arbeitsvergütung in den letzten Jahren angehnähert, ein Unterschied ist aber nach wie vor nicht von der Hand zu weisen. Das begünstigt ein Unterlegenheitsgefühl des Ostens gegenüber dem Westen, welches viele sicher an die wirtschaftlich prekäre Lage im Sozialismus erinnert. Der Vergleich mag zwar an der ein oder anderen Stelle hinken, aber der viel zu langsame Abbau des Lohngefälles erschüttert das Vertrauen in den Staat und letztendlich in die Demokratie. Es kann kein Zufall sein, dass die AfD gerade in den ostdeutschen Bundesländern großen Zulauf erfährt, wenn sie von einer Rückkehr zur DDR und einer Wiedereinführung des Sozialismus spricht.

(K)eine Leistungsgesellschaft

Das ist natürlich Quatsch. Wir befinden uns in keiner Diktatur und sind auch nicht auf dem Weg dorthin. Die versprochenen blühenden Landschaften waren aber trotzdem von Anfang an eine Lüge. Es war eine Illusion anzunehmen, dass die wirtschaftspolitische Erfolgsgeschichte des Westens 1:1 auf den Osten anwendbar ist. Die Voraussetzungen waren nämlich grundsätzlich anders. Die Wirtschaftspolitik der alten Bundesländer war außerdem auf ein Szenario ausgerichtet, in dem wirtschaftliche Not kein großes Thema war. Nach den zahlreichen Fabrikschließungen und dem Treuhandskandal in den ostdeutschen Bundesländern war die wirtschaftliche Lage dort aber äußerst prekär.

Die getroffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen waren schlicht und ergreifend nicht passgenau und konnten ihre volle Wirkung nie entfalten. Diese Politik geht nämlich davon aus, dass Leistung stets belohnt wird. Wer sich genug anstrengt, der wird aufsteigen und ein schönes Leben führen. So zumindest das Versprechen. In der Realität ist es aber mehrheitlich anders. Viele können sich noch so abrackern und bleiben trotzdem unten. Die zahlreichen Betriebsschließungen und der erschwerte Zugang zu Kultur und Kunst taten ihr übriges. Obwohl politisch vieles besser wurde, die Menschen konnten offen ihre Meinung sagen und sich parteilich und gewerkschaftlich organisieren, hatten viele eher das Gefühl, ihr Leben war nicht besser, sondern viel mehr schwerer geworden.

Der Westen ist spät dran

Lange Jahre blieben diese Menschen unerhört. Nach Jahren der politischen Isolation gab ihnen die AfD erstmals wieder das Gefühl, ernstgenommen zu werden. Zum ersten Mal nach langer Zeit konnten sie sich politisch wieder Gehör verschaffen. Doch die AfD ist kein ostdeutsches Phänomen geblieben. Auch in den alten Bundesländern erfreut sie sich weiterhin hoher Beliebtheit. Und das ganz ohne Stasi-Vergangenheit.

Immer offener tritt zutage: Der Weg, den die Politik im Bereich Wirtschaft eingeschlagen ist, ist ein falscher. Im Osten der Republik wurde das nur deshalb schneller und dramatischer sichtbar, weil die Ausgangslage viel ungünstiger war. Dort zumindest hatte die Politik immer die Möglichkeit, auf das wirtschaftliche Fiasko der Planwirtschaft zu verweisen. Im Westen hat sie das nicht.  Und trotzdem bekommen auch im vielgepriesenen goldenen Westen immer mehr Menschen zu spüren, was es heißt, auf der Seite der Verlierer zu stehen. Denn auch Pfandflaschensammler sind kein ostdeutsches Phänomen. Die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik ist sicher nicht schuld am ökonomischen Hirntod der DDR. Sie kann aber auch nur wenig hilfreiche Konzepte anbieten, dieses Trauma zu bewältigen.


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Auf ewig Opposition?

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Seit die SPD großspurig ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz ins Rennen geschickt hat, scheint eine Option zumindest wieder denkbar: Rot-Rot-Grün. Doch nicht nur eine fehlende Mehrheit macht es vielen schwer, sich diese Konstellation ernsthaft vorzustellen. Viele Menschen zweifeln zudem an der Regierungsfähigkeit der darin wenig erprobten Linken. Ihre Bedenken stützen sich dabei immer wieder auf kurzsichtige Vorverurteilungen. Doch diese Partei hat noch andere Probleme, die es vor einer eventuellen Regierungsübernahme zu regeln gilt.

Chronisch regierungsunfähig?

Die wollen aus der NATO raus. Die wollen mit Putin kuscheln. Sie hassen die USA. Die schwimmen im beiseitegeschafften DDR-Vermögen. Wer soll das bezahlen? Diese Argumente und noch einige mehr werden regelmäßig ins Feld geführt, wenn man den Linken die Regierungsfähigkeit absprechen will. Viele dieser angeblichen Gründe sind wenig stichhaltig, manche sogar widerlegbar, andere stimmen hingegen. Die Auflösung der NATO zum Beispiel. In den Augen der Linken ist dieses Bündnis seit langem obsolet. In Zeiten des Kalten Kriegs gegründet, sollte es die westliche Welt vor der feindlichen Sowjetmacht schützen. Nun gibt es Stalin, die Mauer und die UdSSR heute nicht mehr. Die Idee der Linken, die NATO durch ein Bündnis zu ersetzen, das nicht auf Konfrontation gebürstet ist, sondern Dialog und Zusammenarbeit vorsieht, ist in dieser Hinsicht bestimmt nicht falsch. Dass das mit Russland ein hartes Stück Arbeit ist – keine Frage.

Unkonventionelle und unbequeme Forderungen machen eine Partei eben nicht automatisch regierungsunfähig. Allein der allgemeine Mythos, die Linkspartei sei partout nicht dazu in der Lage, konstruktive Regierungsarbeit zu leisten, ist von der Realität längst eingeholt. Die ausgesprochen erfolgreiche Regierungsbeteiligung in mehreren Bundesländern ist Zeugnis genug. In Thüringen stellt die Partei links der SPD seit 2014 sogar den Ministerpräsidenten. Nach fünf Jahren Ramelow konnte die Linke in Thüringen sogar noch zulegen und selbst die CDU vom Thron der stärksten politischen Kraft im Freistaat stoßen. Wenn das nicht Ausdruck von Beliebtheit und Regierungsfähigkeit ist, was dann?

Das reichste Prozent

Trotzdem kann keiner ernsthaft bestreiten, dass die Linke immer wieder mit der Vision einer Regierungsbeteiligung hadert. Und dieses Problem ist nicht vorrangig mit dem Programm der Partei zu begründen. Viel eher ist es ein personelles Problem. Genau so wie Ramelow die Regierungsfähigkeit seiner Fraktion in Thüringen verkörpert, so gibt es auf Bundesebene Vertreter, die ebendieser Fähigkeit zum Regieren diametral entgegenstehen. Das fängt schon bei der Parteispitze an. Bernd Riexinger ist nicht eingeschritten, als eine Parteikollegin davon sprach, das reichste Prozent der Bevölkerung zu erschießen. Erst auf Nachfrage witzelte er, man wollte diese Menschen lediglich zu Arbeit verpflichten. Ob man daraus schließen kann, dass er sie im Arbeitslager internieren will, sei mal dahingestellt. Fakt ist allerdings, dass diesem Mann das Gespür dafür fehlt, welche Äußerungen wann angebracht sind und welche politische Tragweite sie entwickeln können. Anstatt sich im Bundestag persönlich klipp und klar von solchem Gedankengut zu distanzieren, schickte er seine Co-Vorsitzende Kipping ins Feld, die ihn als mustergültigen Demokraten über den grünen Klee lobte.

Riexinger selbst saß währenddessen wie ein getadelter Schuljunge zwischen seinen Fraktionskollegen und wünschte sich wohl nichts sehnlicher, als unter der Fraktionsbank zu verschwinden. Als Parteivorsitzender ist er scheinbar völlig ungeeignet und wird seine Partei wohl niemals in eine Regierung führen können. Anlass dazu, seine demokratische Grundüberzeugung anzuzweifeln, gibt es wohl eher nicht. Das sieht bei einigen seiner Genossen allerdings anders aus.

So hielt seine Kollegin Gesine Lötzsch im Jahr 2011 die Eröffnungsrede bei einer Veranstaltung, die offen nach den Wegen zum Kommunismus fragte. Auch im Vorfeld war die damalige Parteichefin wegen umstrittener Äußerungen zu ebendiesem Thema bereits aufgefallen. Sie beteuerte bei der Rede allerdings ihre unbedingte Treue zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das kann man bei einer Kommunismus-Veranstaltung natürlich gerne tun. Ob man das dann glaubt, ist eine andere Frage.

Natürlich darf geschossen werden

Noch schlimmer trieb es allerdings die ebenfalls noch heute im Bundestag sitzende Ulla Jelpke. Bei genau der gleichen Veranstaltung moderierte sie eine Podiumsdiskussion, wie der Kommunismus denn am besten realisiert werden könnte. Sie diskutierte dort allen Ernstes mit prominenten Linksradikalen wie der verurteilten RAF-Terroristin Inge Viett. Diese Frau hat sich von den Entführungen, den Morden und den Anschlägen der Vereinigung nie distanziert. Auch bei besagter Diskussion rechtfertigte sie den Einsatz von Gewalt und Brandanschlägen, um die heiligen Ziele zu erreichen. Diese Einstellung deckt sich natürlich mit den Taten, die diese Frau zu ihren besten Zeiten begangen hat. Um einer Festnahme zu entgehen, schoss sie seinerzeit auf einen Polizisten, der Jahre später an den Folgen der Tat starb. Viett wurde für die Äußerungen auf der Kommunismus-Veranstaltung übrigens rechtskräftig verurteilt.

Wie weit darf die Linke gehen?
Bernd Kudanek alias bjk on Indymedia, IngeViettUllaJelpkeCC BY-SA 2.0 DE

Ulla Jelpke schien das herzlich wenig zu stören. Sie griff während der Gewaltverherrlichungen der Terroristin ebenso wenig ein, wie Riexinger bei den Eliminierungsfantasien in diesem Jahr. Stattdessen ließ sich Jelpke mit der linksradikalen Viett unter der Fahne der Linkspartei bei einer Demonstration fotografieren. Solange eine Partei solche Personen in ihren Reihen duldet und dafür auch noch die Parteifahne zur Verfügung stellt, sollte sie wirklich keine Regierungsverantwortung übernehmen.

Ein Unrechtsstaat?

Dass die Linke auch anders kann, stellte sie bereits mehrfach unter Beweis. Seit 2006 stellt sie mit Petra Pau eine Vizepräsidentin des Bundestags, die nun wirklich nicht unter Extremismusverdacht steht. Lange Zeit wurde die Bundestagsfraktion von einer Frau mitgeleitet, die noch vor einigen Jahren als untragbare Verfechterin der DDR und des Kommunismus verschrien war. Heute ist Sahra Wagenknecht glatt zur Vorzeigepolitikerin der Linken aufgestiegen. Gegner nehmen sie inzwischen nicht mehr als versponnene DDR-Nostalgikerin wahr, sondern immer mehr als ernstzunehmende Stimme aus der Opposition. Sie setzen sich mit ihr verstärkt inhaltlich auseinander, ohne ihr die Berechtigung abzusprechen, Politikerin zu sein.

Das wohl bekannteste Argument, warum die Linkspartei so abgöttisch regierungsfähig sei, ist mit Sicherheit der Umgang der Partei mit der DDR-Vergangenheit. So weigert sich ein Großteil der Partei bis heute, die DDR als Unrechtsstaat anzuerkennen. In den Augen vieler Parteimitglieder kann die DDR schon deshalb kein Unrechtsstaat gewesen sein, weil bereits das Dritte Reich mit diesem Begriff belegt ist. Kunststück. Aber folgt man dieser Ideologie, so sind die Begriffe „Unrechtsstaat“ und „Nazi-Deutschland“ untrennbar miteinander verwoben. Für viele Linke sind es Synonyme. Vor einer Wahrheit verschließen sie dabei jedoch die Augen: Es gibt schier unendlich viele Wege, Recht zu brechen und Unrecht zu verbreiten. Es gibt aber nur eine Möglichkeit, sich an Recht zu halten.

(K)ein legitimer Versuch

Selbstverständlich war die DDR ein Unrechtsstaat. Dieser Staat fußte darauf, einer beträchtlichen Zahl seiner Bürgerinnen und Bürger elementare Rechte abzuerkennen. Mit Stasi, Spitzeleien und allgegenwärtigem Druck sollte das Volk unter Kontrolle gehalten werden. Natürlich ist das Unrecht. Das heißt aber nicht, dass die DDR eine Unrechtsgesellschaft war, genau so wenig wie das Dritte Reich. Die meisten Menschen arrangierten sich lediglich mit den Zuständen, weil sie zu viel zu verlieren hatten. Ihnen im Nachhinein einzureden, ihre Leben wären Unrecht gewesen oder waren vergeudet, halte ich für grundfalsch. Vielleicht sträubt sich die Linke auch deshalb gegen den Begriff des Unrechtsstaats.

Aber selbst die meisten Linken sehen ein, dass die DDR natürlich kein Rechtsstaat war. Bis auf wenige Ausnahmen: Die damalige linke Spitzenkandidatin für NRW Bärbel Beuermann bezeichnete die DDR im Wahlkampf als legitimen Versuch, den Kommunismus zu etablieren, zumindest aus Sicht der Menschen damals. Und als ob das noch nicht genug wäre, zweifelte sie die Rechtmäßigkeit des Verfassungsschutzes an. Natürlich gibt es gewichtige Gründe, nach NSU, Lübcke und Hanau die Effektivität des Verfassungsschutzes anzuzweifeln. Aber ihn gleich für überflüssig zu erklären?

Die Demokratie kann’s besser

Ähnlich geschichtsvergessen zeigen sich viele Linke auch, wenn es daraus geht, die Lehren aus dem DDR-Unrecht zu ziehen. So wandte sich die Linken-Abgeordnete Simone Barrientos in ihrer Bundestagsrede am 13. Dezember 2019 strikt gegen ein Mahnmal der Gewaltherrschaft in der DDR. Stattdessen versteifen sich viele Linke darauf, die Vorzüge der DDR geradezu zu glorifizieren. Sie sprechen davon, dass es die sozialen Ungleichheiten wie wir sie heute erleben, in der DDR nicht gegeben hätte. Na und? Anstatt der DDR in diesem Punkt nachzueifern und sich die alten Zeiten im schlimmsten Falle sogar zurückzuwünschen, müssten solche Erkenntnisse jede funktionierende Demokratie doch dazu anspornen, es noch besser zu machen. Und zwar ohne staatsverordneten Terrorismus.

Ein anderer Blick auf die DDR ist nötig und bestimmt kein Zeugnis von Regierungsunfähigkeit. Dieses Misstrauen gegenüber den Linken muss endlich abgebaut werden – von der einen Seite wie auch von der anderen. Unangebrachte Stasi-Vergleiche stärken das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ebenso wenig wie obsessive DDR-Nostalgien und das Gerede von Erschießungen. Solange die Linke diese notwendigen Schritte nicht macht, wird sie für einen Großteil der Menschen immer regierungsunfähig bleiben.


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Vergessen ohne Erinnerung

Lesedauer: 8 Minuten

Jeder Täter, der bis zum Exzess gemordet hat, gibt anderen die Möglichkeit, sich abzugrenzen. Nein, SO böse kann man selbst gar nicht sein. Die Prozesse gegen führende Köpfe des NS-Regimes waren richtig und wichtig. Sie offenbarten viel von dem Schrecken, das im Namen des deutschen Volkes verbrochen wurde. Ein Vertuschen war nicht mehr möglich. Ein Distanzieren wurde nötig. Doch für Distanz braucht man Nähe. Erinnern kann sich nur, wer sich der Vergangenheit stellt. Doch was, wenn es in einer Gesellschaft nur Exzesstäter gibt? Was, wenn eine kritische Auseinandersetzung nicht geduldet wird? Gerade heute zeigt sich, wie wichtig eine Kultur des Erinnerns ist, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt. Eine Kultur, die in Teilen Deutschlands viel zu lange nicht erwünscht war…

Die Frage der Schuld

Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Weite Teile des Landes sind zerbombt, viele Menschen mussten ihr Leben lassen. Alliierte Truppen marschieren in die besiegte Nation ein. Eine Teilung zeichnet sich ab. Neben wirtschaftlichen und politischen Fragen sahen sich die Deutschen aber auch mit einer ganz anderen Herausforderung konfrontiert: die Frage der Schuld. In den Vernichtungslagern wie Auschwitz oder Sachsenhausen ermordeten die Nazis 6 Millionen Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma, Andersdenkende. Die Verantwortung war zu groß, als dass sie mit einer Besetzung des besiegten Staats ad acta gelegt werden konnte.

Noch in den 1940ern folgten Prozesse. Die Nürnberger Prozesse gingen in die Geschichte ein. Zwei Dutzend Angeklagte mussten sich für ihre Rolle im NS-Regimes verantworten. Eine grotesk geringe Anzahl an Angeklagten führt man sich die Schrecken des Nationalsozialismus vor Augen. Der Wunsch, zu vergessen, war groß. Vor allem die Deutschen wollten am liebsten nicht mehr an die letzten Jahre denken. Eine zweite Welle an Prozessen lief erst knapp fünfzehn Jahre später an. Mit ihnen wurden weitere grausame Details aus den Vernichtungslagern publik.

Prozesse mit Symbolwirkung

Auch wenn die Prozesse von Frankfurt reichlich spät kamen – sie leisteten einen enormen Beitrag zur Aufarbeitung des NS-Unrechts. Viele Menschen wurden direkt oder indirekt mit dem konfrontiert, was sie durch ihr Wegsehen zuließen. Die Ausrede, man habe von alledem nichts gewusst, verlor an Glaubwürdigkeit.

Für viele hatten diese Prozesse aber auch eine heilsame Wirkung. Denn vor den Richtern mussten sich nur jene verantworten, die außerordentlich viel Schuld auf sich geladen hatten. Vor Gericht standen ehemalige KZ-Aufseher und andere hochrangige Nazis. Jeder Exzesstäter, dem der Prozess gemacht wurde, beschwichtigte den „normalen Bürger“. Die Frage, was man selbst mit dem Grauen zu tun hatte, wurde wieder weiter in den Hintergrund gerückt. Trotzdem fanden die Prozesse statt.

Dabei ist auffallend, dass beide großen Prozesse auf dem Gebiet der Bundesrepublik stattfanden. Die DDR machte es sich da leichter. Sie verweigerte sich jeglicher kritischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus und wälzte die Schuld an den Westen ab. Während man in der Bundesrepublik langsam einsah, dass fast jeder zum Erfolg des menschenverachtenden Regimes beigetragen hatte, verharrte die DDR auf dem Standpunkt, Hitlers Herrschaft war das Werk einzelner. Deswegen war es für die Kommunisten auch richtig, nur einzelne Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Schuld sonst beim kapitalistischen Nachbarn zu suchen.

Eine bessere Gesellschaft

Denn wer in der DDR als ehemaliger Nazi enttarnt wurde, hatte eine weitaus höhere Strafe zu erwarten als in der Bundesrepublik. Enttarnt wurden tatsächlich nur wenige, die verhängten Strafen waren dafür umso drakonischer. Die Sozialisten in der DDR gingen nämlich im Grunde davon aus, dass Faschismus in ihrer Gesellschaftsordnung überhaupt nicht möglich wäre. Der Wurm steckte ihrer Auffassung nach im verhassten kapitalistischen System des Westens. Sie drehten die Sache so, dass im Westen nur deshalb so viele Nazis vor Gericht standen, weil der Kapitalismus eine solche Gesinnung erst ermöglichte oder zwangsläufig dazu führte.

Selbst gestandene Kapitalismuskritiker können bei einer solchen Vereinfachung nur den Kopf schütteln. Eine solch vereinfachte Handhabung wie in der DDR nahm dem Volk als gesamtes nämlich die Verantwortung für das geschehene. Keiner in der DDR musste sich ernsthaft fragen, was er selbst denn zum Gelingen der NS-Herrschaft beigetragen hatte. Wichtig war nur, dass man sich mit einem sozialistischen System eines besseren besonnen hatte. Die DDR verstand den Sozialismus nicht nur als antifaschistisch, sondern als immun gegen den Faschismus.

Die DDR reduzierte das gewesene auf etwas abartiges. Der Faschismus war gemäß der Staatsräson etwas einmaliges, was unter sozialistischen Verhältnissen nie wieder passieren könnte. Die Kommunisten verbreiteten den Irrglauben, der Faschismus wohne nur dem Kapitalismus inne. Die zahlreichen Prozesse in der BRD taten ihr übriges.

Freispruch von Lenins Gnaden

Eine kritische Aufarbeitung fand im sowjetisch kontrollierten Deutschland also nicht statt. Folglich konnten auch keine Präventivmaßnahmen ergriffen werden. In ihrer unerträglichen Selbstsicherheit suchte die DDR-Führung die Schuld einzig beim Westen und sprach sich selbst von jeglicher Schuld frei.

Dabei übersah sie aber getrost, dass auch ihrem Staat eine gewisse nationalistische Note nicht abzusprechen war. Denn die DDR verstand sich als geschlossene Gesellschaft. Nach außen hin wurde das durch die Mauer versinnbildlicht. Nach innen demonstrierten die hohen Tiere wie Walter Ulbricht und Ernst Honecker die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus. Als Gruppe mit einer Identität musste auch sie sich von anderen Gruppen abgrenzen. Und das funktioniert am besten mit Gegensätzen.

Eine unmögliche Aufholjagd

Die Riege der DDR-Führung versäumte es aber nicht nur, eine kritische Aufarbeitung der NS-Zeit zu ermöglichen, sie verhinderte auch jedwede Erinnerung an die Grauen des Deutschen Reichs. Die furchtbaren Verbrechen dort waren Sache des Westens. Unter den Kommunisten hätte es so etwas nicht gegeben und Punkt.

Faktisch gab es im Osten Deutschlands also keine Erinnerungskultur so wie sie sich spätestens seit den Auschwitz-Prozessen im Westen des Landes durchsetzte. Das ganze Thema wurde als Inbegriff menschlicher Verderbtheit abgehakt. Die simple Erklärung dafür war der Kapitalismus. Eine „Wende“ hin zu einer echten Aufarbeitung der Vergangenheit konnte erst nach dem Fall der Mauer und nach der Einheit Deutschlands ansetzen.

Der Westen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahrzehnte Vorsprung. In der DDR waren wichtige kritische Fragen stattdessen 40 Jahre lang totgeschwiegen worden. Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht mussten sich die „Ossis“ an die „Wessis“ anpassen. Es war für die Bürger der ehemaligen DDR schlicht unmöglich, eine Erinnerungskultur nachzuholen, die das Regime so viele Jahre unterdrückt hatte.

Auch wenn sich die alten und die neuen Bundesländer in vielerlei Hinsicht angenähert haben, konnte sich die Erinnerung an die deutsche Vergangenheit gerade in den ostdeutschen Bundesländern nicht festigen. Es verwundert daher kaum, dass gerade aus den östlichen Bundesländern der Ruf nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ laut wird.

Das Ende des aktiven Erinnerns

Die Ostdeutschen fühlen sich an vielen Stellen zurecht vom Westen überrumpelt; auch in dieser Frage. Unverschuldet sind sie von einem Extrem ins andere geraten. Fast nahtlos ging der rechtsextreme Terror unter Hitler über in einen linksextremen Fanatismus, der glaubte, seine bloße Existenz wäre ein geeignetes Mittel gegen die Vergangenheit. Als würde der Linksextremismus den Rechtsextremismus ausgleichen. Die Bürger der DDR mussten sich nie kritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Nach der Wende wurden sie förmlich dazu gezwungen. Eine Abwehrhaltung dagegen ist beinahe logisch. Wenn dann auch noch andere Faktoren dazwischenkommen, wie eine schlechtere wirtschaftliche Verfassung, gewinnen Parteien wie NPD und AfD leichter an Zustimmung.

Wie wichtig eine Erinnerungskultur ist, liegt auf der Hand. Sehr rechte Parteien hatten es in den westlichen Bundesländern schon immer schwerer, Fuß zu fassen. Doch auch in diesen Bundesländern kann die AfD ein gutes Ergebnis nach dem anderen feiern. Doch hier profitieren die Rechtspopulisten von einem anderen Phänomen. Fast 80 Jahre nach dem Ende der faschistischen Gewaltherrschaft sind immer weniger Zeitzeugen noch am Leben, die aus erster Hand von den Schrecken erzählen können. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie gut die Deutschen sich erinnern können.

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