Ein Pakt mit dem Teufel?

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Die politische Lage in Thüringen ist verzwickt. Nach der Landtagswahl im vergangenen Herbst ist keine der herkömmlichen Regierungen mehrheitsfähig. Was nun? Auf dem Zettel steht längst auch eine Kooperation von Linken und CDU. Hat das eine Zukunft? Wenn es nach der CDU-Chefin geht, auf gar keinen Fall. Ihr thüringischer Kollege Mike Mohring ist da offener. Eine Koalition mit der Linkspartei schließt zwar auch er kategorisch aus, in Einzelfällen hält er ein Entgegenkommen aber für denkbar. In Zeiten einer erstarkenden Rechten sind neue Konzepte tatsächlich gefragter denn je.

Gregor Gysi meinte einst: „…zur Abwendung einer faschistischen Gefahr würden wir selbstwahrscheinlich diesen Kompromiss eingehen…“. Das war im Jahr 1999, als Maybrit Illner sowohl ihn als auch die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel auf Koalitionsmöglichkeiten zwischen Linkspartei (damals noch PDS) und CDU ansprach. Mit ihrer provokanten Frage war Maybrit Illner ihrer Zeit mit Sicherheit weit voraus. Die Frage nach einer etwaigen Zusammenarbeit zwischen den Linken und den Christdemokraten stellte sich vor über zwanzig Jahren im Grunde nicht. Heute ist das anders. Seit Monaten wird über eine solche Zusammenkunft in Thüringen heiß diskutiert. Vor allem die Haltung vieler CDUler hat sich dazu kaum geändert.

Keine Regierung ohne die Ränder

Eines ist völlig klar: Die Regierungsbildung nach den Landtagswahlen in Thüringen ist gelinde gesagt schwierig. Sowohl Die Linke als auch die AfD sind in dem Freistaat zwischenzeitlich so stark, dass keine Regierung mehr gegen beide Parteien gebildet werden kann. Egal wie man es dreht und wendet – eine der Parteien MUSS an der Regierung beteiligt sein. Es muss jeden mit großer Sorge erfüllen, dass das Spektrum zwischen Linker und AfD keine eigene Mehrheit mehr zusammenbekommt. Selbst eine völlig abstruse Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP kommt nicht gegen das Wählervotum für Linkspartei und der selbsternannten blauen Alternative an.

Im Prinzip stehen die Zeichen auf Minderheitsregierung. Und natürlich wird das eine Rot-Rot-Grüne sein. Die bisherige Mehrheitsregierung wird ihre Macht nicht an eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung abtreten. Ebenso wenig kann eine Minderheitskoalition der „Mitte“ auf Stimmen von links oder von rechts hoffen. Eine Koalition mit der FDP und der AfD ist für die Union in mehrfacher Hinsicht ein Schuss ins eigene Bein. In einer solchen Konstellation wären sie zwar an der Regierung direkt beteiligt, aber nicht regierungsführend. Diesen Job würde dann die AfD übernehmen. Das wäre dann wohl gleichbedeutend mit einem Ministerpräsidenten Höcke. Selbst erzkonservative Mitglieder der Thüringer CDU können das nicht wollen.

Verantwortungsvolles Novum

Um ihrer landespolitischen Verantwortung gerecht zu werden, müssten sich die Abgeordneten der CDU bei der Wahl zum Ministerpräsidenten also wohl oder übel enthalten. Spätestens im dritten Wahlgang wäre Bodo Ramelow dann erneut zum Landeschef gewählt. Was das mit politischem Verantwortungsbewusstsein zu tun hat? Wie alle anderen Parteien ist die CDU zur Landtagswahl angetreten. Sie wurde drittstärkste Kraft. Folglich kann die CDU auch nur die dritte Geige spielen. Damit nehmen sie den Willen der Wähler ernst. Das ist landespolitische Verantwortung.

Und keiner kann danach ernsthaft erwarten, dass die Christdemokraten all zu große Zugeständnisse an Linksaußen macht. Im Gegenteil, als Teil einer Mehrheitsopposition können sie sogar noch besser Einfluss auf die politischen Geschicke in Thüringen nehmen als in den letzten fünf Jahren. Die geschrumpfte Regierung müsste das Veto aus der Opposition wesentlich ernster nehmen. Auch die Damen und Herren aus der Regierung müssten sich ihrer Verantwortung stellen.

Eine Zusammenarbeit zwischen der Linken und der CDU ist im Grunde lange nicht mehr so außergewöhnlich wie sie den Gästen bei Maybrit Illner Ende des letzten Jahrtausends erschien. Auf kommunaler Ebene gibt es in der Zwischenzeit durchaus Kooperationen zwischen den beiden Parteien. Aber Kommune ist eben Kommune. Und Land ist nun mal Land.

Wer mit wem?

Es ist aber beileibe nicht das erste Mal in der demokratischen Geschichte Deutschlands, dass es Koalitionen gab, die zunächst so grotesk und falsch anmuteten. Jamaika mag vor gut zwei Jahren gescheitert sein bevor es losging, andere Zusammenschlüsse hielten länger. Die Große Koalition beispielsweise bündelt die Interessen zweier eigentlich gegensätzlichen Lager. Dass das schon lange nicht mehr so ist, hat verschiedene Gründe. Und auch eine Zusammenarbeit von Sozialdemokratie und Wirtschaftsliberalismus scheint zunächst absurd. Die rot-gelbe Koalition der 1970er hatte dafür aber beachtlich lange Bestand. All diese Konstellationen zeigten, worauf es in einer Demokratie ankommt: Kompromisse und Entgegenkommen.

So vehement wie die Thüringer CDU dieser Tage eine Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD ausschließt, so lauthals wehrten sich in den 1980ern weite Teile des Bundestags gegen eine Kollaboration mit den Grünen. Die grüne Partei war tabu weil unbequem. Das hat sich im Laufe der Jahre geändert. Mehrere Jahre übernahmen die Bündnisgrünen Regierungsverantwortung auf Bundesebene. Die anderen Parteien gaben ihre Abwehrhaltung weitgehend auf. Die Grünen mutieren indes immer mehr zur bürgerlichen Partei.

Solch gravierende Veränderungen sind weder bei Linkspartei noch bei der CDU ernsthaft zu erwarten. Aber was würde denn passieren, wenn die CDU tatsächlich in Einzelfragen mit den Linken stimmen würde? Die Frage ist bestimmt nicht leicht zu beantworten. Aber fest steht schon jetzt: Es ist bereits eine Menge passiert. Immerhin ist in Thüringen eine Koalition ohne die politischen Ränder nicht mehr möglich. Dabei ist natürlich fraglich, ob man Bodo Ramelows Linkspartei ernsthaft noch als linken Rand bezeichnen kann. Die sitzen halt eben nun mal ganz links. Vor der Wiedervereinigung hat auch niemand SPD oder CDU als linken oder rechten Rand bezeichnet.

Auf verschiedenen Seiten

Eine programmatische Annäherung zwischen CDU und Linker wäre wohl nicht zu erwarten. Dafür sind die Parteien in ihrem Weltverständnis zu verschieden. Passieren könnte das schon eher in einer formellen Koalition, wenn sie denn lange halten würde.

Man darf auch nicht vergessen: Bei einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung würden Linke und CDU weiterhin auf verschiedenen Seiten stehen. Die Linke wäre in der Regierung, die Union in der Opposition. Wer sich jetzt fragt, ob sich die beiden Parteien durch einzelne kleine Schlachten annähern könnte, der muss sich nur die Entwicklung der Thüringer CDU der letzten Jahre ansehen. In dieser Zeit befand sich die Partei Seite an Seite mit der AfD in der Opposition. Mit Sicherheit haben diese beiden Parteien auch Anträge gemeinsam abgelehnt. Sind sie sich deswegen wirklich nähergekommen? Ich glaube nicht.

Kooperation um keinen Preis?

In einer gemeinsamen Mehrheitsopposition wäre eine Annäherung zwischen CDU und AfD sogar wahrscheinlicher. Die beiden Parteien könnten sich schließlich noch effektiver zusammentun, um unliebsame rot-rot-grüne Spinnereien abzuschmettern. Die Frage „Heute mit den Linken, was kommt morgen?“ ist daher durchaus legitim. Natürlich würden Teile der CDU dann erst recht eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten befürworten, zumal ein Zusammenschluss gegen Links leichter wäre.

Wie laut dieser Aufschrei besonders konservativer Christdemokraten werden wird, ist allerdings fraglich. Mit Bernd Höcke hat sich die Thüringer AfD schließlich immer weiter vom rechtsstaatlichen Diskurs entfernt. Aber selbst wenn die Thüringer CDU brav Männchen macht – die Frage einer Kooperation mit den Rechtspopulisten wird in andere Bundesländer überschwappen, vermutlich sogar auf Bundesebene.

Andererseits ist der Beschluss des CDU-Parteitags eindeutig: Es wird keine Zusammenarbeit mit Linken und AfD geben. Doch weshalb ist ein solch endgültiger Beschluss überhaupt nötig? Wenn es sich nach CDU-Logik bei beiden Parteien um einen Haufen Verfassungsfeinde handelt, verbietet sich eine Zusammenarbeit dann nicht automatisch? Schließlich gibt es auch keinen Parteitagsbeschluss, der eine Zusammenarbeit mit der NPD ausschließt.

Völlig abwegig

Vielleicht gab es in den vergangenen Jahren ja doch einen Wandel innerhalb der CDU. Vielleicht sehen die Konservativen die Linkspartei heute nicht mehr pauschal als Feindin der Verfassung. Viel eher berufen sie sich auf die gravierenden programmatischen Unterschiede – die wirklich nicht von der Hand zu weisen sind. Und da in der bundesdeutschen Geschichte schon die wildesten Koalitionen trotz Unterschiede zusammentraten, ist der Beschluss auch legitim.

Und der Beschluss ist in der Sache auch richtig. Eine Koalition von Linken und CDU ist und bleibt absurd. Da kann Ramelow seine Genossen noch so sozialdemokratisiert haben. Bei einer solchen Zusammenarbeit würden beide Seiten ihre Seele verkaufen. Besonders konservative CDUler würden flugs zur AfD überlaufen und auch innerhalb der Linkspartei wäre mit enormem Widerstand zu rechnen.

Das Wahlergebnis in Thüringen ist wie es ist. Es liegt an den demokratischen Kräften im Freistaat, wie sie damit umgehen. Pauschale Absagen halte ich in einer solch prekären Situation für grob fahrlässig. Trotzdem will jeder Schritt gut überlegt sein. Spätestens mit einer Höcke-AfD ist der Fall eingetreten, den Angela Merkel 1999 bei Maybritt Illner noch als „abwegig“ bezeichnete: Das Land Thüringen sieht sich mit einer echten faschistischen Gefahr bedroht. Es wird Zeit, umzudenken.


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Wider die Demokratie – Der Fehler GroKo

Beitragsbild: Times, Deutscher Bundestag Plenarsaal Seitenansicht, Ausschnitt von Sven Rottner, CC BY-SA 3.0

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Die Demokratie lebt vom Wettstreit der Meinungen. Seit Gründung der Bundesrepublik versuchen unterschiedliche Parteien und Politiker, ihre Ideen als die besten zu vermarkten. Doch immer öfter ist von einem politischem Einheitsbrei die Rede. Ein Unterschied zwischen den verschiedenen Strömungen ist immer schwerer erkennbar. Maßgeblichen Anteil daran trägt die Große Koalition. Sie hält Angela Merkel seit nunmehr vierzehn Jahren fast ununterbrochen an der Macht, erweist sich aber auch als lähmendes Gift in der inzwischen viel zu faden Suppe der Demokratie.

GroKo – Wtf?!

Seit Amtsantritt von Angela Merkel als Bundeskanzlerin im Jahre 2005 wandelte sich die Option „Große Koalition“ immer mehr von der Ausnahmeerscheinung zum Normalzustand in der Republik. Tatsächlich gab es diesen Typus der Regierungskonstellation vor Angela Merkel nur ein einziges Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Wenig geliebt und kaum erfolgreich beendeten die damals noch großen Volksparteien das Projekt nach gerade einmal drei Jahren. Es dauerte fast vierzig Jahre bis diese Möglichkeit einer Regierungsbildung wieder ernsthaft in Betracht gezogen wurde. Seitdem reiht sich eine GroKo fast nahtlos an die nächste.

Zur Begriffserklärung: Unter einer großen Koalition versteht man in der Regel eine Koalition aus den beiden stärksten Fraktionen eines Parlaments. Gerade nach den jüngsten Wahlen in Ostdeutschland zeichnet sich allerdings ab, dass selbst ein Regierungsbündnis aus den beiden stärksten Parteien immer knapper eine Mehrheit zustandebringt. In Baden-Württemberg ist ein ganz anderer Trend ersichtlich: Seit 2016 regiert dort faktisch eine große Koalition – allerdings nicht mit der SPD. Die beiden stärksten Fraktionen in diesem Bundesland stellen die Grünen und die CDU. Wieder einmal mehr ist bewiesen: Demokratie lebt vom Wandel. Doch genau dieser Wandel wird von großen Koalitionen oftmals unterdrückt.

KKK – Kröten, Kontrolle, Kiesinger

Nach der Wahl ist vor der Regierungsbildung. Außer in Bayern schafft es dabei eine einzelne Partei selten auf eine absolute Mehrheit. Verhandlungen und Gespräche sind notwendig, um eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen. Dabei wird mitunter auch die ein oder andere Kröte geschluckt. Eine besonders große Kröte ist die große Koalition. Wenn sich die beiden stärksten Fraktionen zusammentun, bleibt nicht mehr viel Raum für die Opposition. Eine funktionierende und kritische Oppositionsarbeit ist dann nicht mehr gewährleistet. Die Opposition kann ihrer zentralen Aufgabe, der Kontrolle der Regierung, nicht mehr ausreichend nachkommen. Die Folge? Die beiden politischen Ränder gewinnen an Einfluss. Oftmals wird das begleitet von einer Radikalisierung auf der Straße.

Als besonders fatal erwies sich die Große Koalition unter Kanzler Kiesinger. Er vereinigte von 1966 bis 1969 deutlich mehr als drei Viertel des Parlaments in seiner Regierung. Die einzige Oppositionspartei, die FDP, konnte bei der vorausgegangenen Bundestagswahl nur knapp 10 Prozent der Stimmen einheimsen.

Alles hat seinen Preis – Das Experiment GroKo

Als ehemaliges Mitglied der Nazipartei war Kiesinger von Anfang an umstritten. Spätestens als er die Notstandsgesetze durch den Bundestag winkte, war für viele allerdings Schluss. Der Widerstand gegen eine solche Regierungsführung wurde immer lauter und unübersehbarer. Die 68er-Studentenbewegung brachte ihren Protest von den Hörsälen auf die Straße. Es kam zu gewaltvollen Auseinandersetzungen, von beiden Seiten. Die Ermordung Benno Ohnesorgs mündete schließlich in der Gründung der linksradikalen Bewegung 2. Juni. Die noch bekanntere RAF sollte später folgen. Offensichtlich erkannten auch die Regierungsfraktionen in Bonn, dass sie mit dem Konzept „GroKo“ keinen Blumentopf gewinnen konnten. Bereits 1969 löste Willy Brandt mit seiner sozialliberalen Koalition die verheerende Regierung ab.

Die Notstandsgesetze stießen bei der Bevölkerung auf Ablehnung.
Bild: Holger.Ellgaard, TU Berlin 1968a, CC BY 3.0

In den nächsten Jahren folgten verschiedene Zweierbündnisse, meist unter Beteiligung der FDP. 2005 holte Angela Merkel die große Koalition wieder aus der politischen Mottenkiste. Mit Schröder wollte keiner mehr regieren, Jamaika war schon damals zum Scheitern verurteilt, für Rot-Rot-Grün war die SPD zu feige. Der Bundeskanzlerin in spe blieb sprichwörtlich gar nichts anderes übrig als den Schritt in eine große Koalition zu wagen. Dabei übersah sie allerdings einen offensichtlichen Trend: Die damalige PDS war 2005 deutlich gestärkt in den Bundestag zurückgekehrt. Mithilfe der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) war es der künftigen Linkspartei sogar gelungen, Wähler im Westen zu überzeugen. Nach vier Jahren GroKo kam Die Linke schließlich 2009 auf ein zweistelliges Ergebnis bei der Bundestagswahl.

Ungeachtet dessen folgte 2013 die nächste GroKo unter Kanzlerin Merkel. Wieder übersah sie einen besorgniserregenden Trend. Die neugegründete EU-skeptische Alternative für Deutschland (AfD) verfehlte nur knapp den Einzug ins Bundesparlament – obwohl sie erst wenige Monate alt war. In immer größerer Zahl wandten sich dieses Mal viele Protestwähler dem rechten Rand zu – und ermöglichten der AfD so den Einzug in alle Landesparlamente und schließlich auch in den Bundestag.

Faule Kompromisse vorprogrammiert

Eine große Koalition bedeutet allerdings Probleme auf beiden Seiten. Die Arbeit der Opposition wird schwieriger, doch auch die Regierung hat zu kämpfen. Die Regierung weiß zwar eine überwältigende Mehrheit hinter sich, doch macht das Entscheidungsfindungen nicht automatisch leichter. Traditionell treffen bei der GroKo zwei völlig unterschiedliche politische Lager aufeinander. Umso größer ist der Aufwand, sich auf einen Kompromiss zu einigen.

Erinnert sei hierbei an die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Jahre 2017. Vollmundig versprach die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), Leiharbeitnehmer seien zukünftig bessergestellt. Die traurige Wahrheit: die prekäre Situation der betroffenen wurde noch mieser. Das aktuellste Beispiel in dieser Reihe ist sicherlich die Grundrente. Monatelang rangen Union und SPD um eine Lösung. Schließlich einigten sich beide Seiten auf einen Kompromiss, dem deutlich der Gestank fauler Eier anhängt.

Who’s who?
Wer kennt diesen SPD-Politiker…oder war er von der CDU?
Bild: Stephanie Edwards, Pixabay

Das peinliche Bashing zwischen SPD und Union kurz vor der Wahl 2017 war an Lächerlichkeit kaum zu überbieten, besonders weil kurz darauf die nächste GroKo folgte. In den Reihen der einstigen Volksparteien hatten sich einige wohl zu früh über ein baldiges Ableben der unglücklichen Zwangsehe gefreut. Offenbar hatten viele erkannt, dass ein solches Bündnis unweigerlich mit einem Profilverlust einhergeht. Die Union ist heute nicht mehr als klar konservative Kraft erkennbar. Die SPD hingegen hat den Verrat an ihrer Stammwählerschaft bereits vor Merkels erster GroKo eingeleitet. Die ständigen Kompromisse hatten dazu geführt, dass sich Union und SPD viel zu weit angenähert hatten. Es muss einer göttlichen Fügung geschuldet sein, dass Merkel und Steinbrück beim TV-Duell 2013 nicht blankzogen und sich vor laufender Kamera liebkosten.

Leidtragende solch fauler Kompromisse sind immer die Bürgerinnen und Bürger. In Krisensituationen mag eine große Koalition bedingt funktionieren, vielleicht sogar nötig sein. Doch ein Dauerzustand führte bisher immer zu Unmut bei der Wählerschaft. Auf ganz unterschiedliche Weise machten die Deutschen diesem Frust Luft. Bei der Bundestagswahl 1969 forderten die Wählerinnen und Wähler gerade die SPD zur Schärfung ihres Profils auf. Anders ist der Stimmengewinn dieser Partei nicht zu erklären. Immerhin besannen sich die Sozialdemokraten alsbald zu einem Kurswechsel – und zu einer Koalition mit der kleinen FDP.

Die AfD als der Tumor der GroKo

Die Hoffnung, durch eine Wiederwahl das Profil der großen Parteien zu stärken, hatten die Wähler in jüngerer Zeit nicht. Eher wurde kleinen Parteien das Vertrauen ausgesprochen. Alle Parteien jenseits der GroKo konnten bei der Bundestagswahl 2017 zulegen; die AfD verdreifachte das Vorgängerergebnis beinahe. Verlierer der letzten Bundestagswahlen waren fast immer die ehemaligen Volksparteien. Während sie nach der Wahl 2005 noch auf fast 70 Prozent der Stimmen kamen, erhielten sie 2017 nur etwas mehr als die Hälfte der Stimmen. In Brandenburg musste jüngst die klassische GroKo gar um die Grünen erweitert werden (Kenia-Koalition).

Wer kann mit wem? Und wer soll mit wem?
Bild: Wilfried Pohnke, Pixabay

Ihren Namen trägt die derzeit regierende Große Koalition also schon lange nicht mehr zurecht. Seit Angela Merkel diese Form des Bündnisses für sich entdeckt hat, schrumpfen die Ergebnisse der beiden Parteien kontinuierlich – und das nicht nur auf Bundesebene. Gerade die SPD droht auf Landesebene in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Man schwankt zwischen Mitleid und Häme nach den desaströsen 8 Prozent dieser Partei bei den Landtagswahlen in Thüringen im Oktober.

„Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren.“

Doch es gab und gibt realistische Alternativen zur ewigen GroKo. 2005 beispielsweise war der Bundestag gefüllt wie selten zuvor. Gleichzeitig bedeutete das eine schiere Mannigfaltigkeit an Regierungsoptionen. Jamaika, damals gerne „Schwampel“ genannt, war ebenso möglich wie eine Ampel-Koalition oder Rot-Rot-Grün. Die hohe Arbeitslosigkeit zu dieser Zeit machte eine Bündelung der politischen Kräfte allerdings zumindest nachvollziehbar.

2013 wurde schließlich der Kardinalfehler begangen. Die Union stand bei mehr als 40 Prozent, manche sprachen gar von einer möglichen absoluten Mehrheit. Doch es reichte nicht, die Union musste koalieren, um an der Macht zu bleiben. Anstelle die Opposition mittels GroKo erneut an den Rand der Bedeutungslosigkeit zu treiben, wären andere Bündnisse wesentlich besser für das Land gewesen. Unter Schwarz-Grün hätte es eine deutliche, linke Opposition gegeben. Rot-Rot-Grün hingegen hätte eine starke Union in den Oppositionsrängen bedeutet. Nebenbei hätte die Union ihr konservatives Profil wieder schärfen können. Rechtspopulistische Kräfte hätten es in der Folge schwerer gehabt, die Menschen zu ködern.

Zugegeben war die Regierungsbildung bereits 2013 schwieriger als zuvor. Getoppt wurde das allerdings durch den Einzug der AfD in den Bundestag. Jamaika erschien als die einzige halbwegs realistische Alternative zur allseits verhassten GroKo. Doch die Differenzen waren zu groß. Mit seinem berühmten Satz beendete Christian Lindner (FDP) die Sondierungsgespräche. Die SPD sah sich nun zu einer erneuten GroKo gedrängt. Für den Mythos der Einheitsparteien war das natürlich ein gefundenes Fressen. Was wäre denn so schlimm an einer Minderheitsregierung gewesen, zum Beispiel Schwarz-Gelb? Klar, man hätte wieder echte Überzeugungsarbeit leisten müssen, und zwar nicht nur zu Beginn der Legislatur, sondern die ganzen vier Jahre lang. Vorschläge wären stärker diskutiert worden, ein Wettstreit der Ideen hätte wieder Fahrt aufgenommen. Und genau darum geht es doch in einer lebendigen Demokratie.

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