Ein vielversprechendes Projekt

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Das 9-Euro – Ticket wird kommen. Allen Unkenrufen und Boykottierungssuchen seitens der Opposition zum Trotz können die Bürgerinnen und Bürger ab Juni für weniger als zehn Euro pro Monat deutschlandweit den öffentlichen Personennahverkehr nutzen. Die Maßnahme entlastet vor allem Menschen, die andernfalls unter den steigenden Spritpreisen zu leiden hätten. Das Ticket ist außerdem ein sinnvolles Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel. Auch wenn das Ampelprojekt nach drei Monate wieder ausläuft, ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Euphorie hat es dennoch nicht ausgelöst.

Zwei Fliegen mit einer Klappe

Seit Monaten steigen die Preise an deutschen Zapfsäulen auf schwindelerregende Höhen. Auch wer in der letzten Zeit Heizöl bestellt hat, erlebte bei einem Blick auf die Rechnung ein böses Erwachen. Autofahren und Heizen sind so teuer wie nie. Der Krieg in der Ukraine und die verhängten Sanktionen gegen Russland treiben die Preise weiter an. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Viel eher befürchten Experten, dass es besonders in der kalten Jahreszeit noch einmal zu deutlichen Preissprüngen kommen kann.

An den meisten Menschen im Land geht diese Preisexplosion nicht spurlos vorbei. Sie müssen immer knapper haushalten, um die gestiegenen Kosten zu kompensieren. Für viele ist das inzwischen nicht mehr möglich. Die Bundesregierung begegnet dem rasanten Preisanstieg mit einer Reihe von Hilfsmaßnahmen, welche die Bürger entlasten sollen. Teil des Pakets ist auch das 9-Euro – Ticket, mit dem jeder Bundesbürger in den Sommermonaten deutschlandweit den öffentlichen Personennahverkehr nutzen kann.

Das Ticket wird seit Wochen heiß diskutiert, weil es ein nie dagewesenes Projekt ist. Es schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Es bedeutet große Mobilität für kleines Geld und schont dadurch den Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger. Auf der anderen Seite ist es ein Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. Der zeitlich begrenzte Umstieg vom Auto auf die Schiene ist gerade in den Metropolen Balsam für die Umwelt. Manche hätten sich noch etwas mehr gewünscht, aber: Das 9-Euro – Ticket ist die richtige Maßnahme zur richtigen Zeit.

Ernsthafte Bedenken

Das Vorhaben der Regierung wurde in der Bevölkerung ausgesprochen gut aufgenommen. Obwohl manche Menschen leer ausgehen, weil sie beispielsweise eine Monatskarte besitzen, stößt das Ticket durchaus auf große Sympathie.

Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten, und so gibt es auch beim 9-Euro – Ticket den ein oder anderen ernsthaften Kritikpunkt. Befürchtet wird vor allem eine Überlastung des Nahverkehrs, weil der Fuhrpark der meisten Verkehrsunternehmen dem zu erwartenden Andrang nicht standhalten wird. Angesichts eines weiterhin grassierenden Virus sind diese Bedenken nicht von der Hand zu weisen.

Indische Verhältnisse?

Alle drei Regierungsparteien waren in den letzten zwanzig Jahren mit unterschiedlicher Durchschlagskraft an der Demontage des Schienennetzes beteiligt. Es ist gut, dass SPD, Grüne und FDP angesichts großer Herausforderungen nun einlenken und eine so sinnvolle Maßnahme auf den Weg bringen.

Besonders kritische Töne zum 9-Euro – Ticket kommen nun aber vom Oppositionsführer Union. Sie werfen der Regierung vor, kopflos an die Sache heranzugehen. Ihrer Meinung nach habe die Ampelkoalition nicht ausreichend im Blick, dass das Ticket zu einem großen Ansturm auf den öffentlichen Nahverkehr führen würde. Wenn nicht gleichzeitig mit einem Ausbau des Schienennetzes und engeren Takten regiert würde, drohten uns Verhältnisse wie in Indien.

Reine Willensfrage

Die Einwürfe aus der Opposition sind fadenscheinig und durchschaubar. Als regierungsführende Fraktion hat die Union schließlich ordentlich bei den Missständen mitgemischt, die sie nun kritisiert. Das Muster wiederholt sich immer wieder: Kaum hinter den Oppositionsbänken, da entdecken manche Parteien plötzlich ihre soziale Ader.

Trotzdem ist noch nicht bei allen Abgeordneten von CDU und CSU angekommen, dass sie keine regierungstragende Partei mehr sind. Ihre Aufgabe als Oppositionspartei besteht nicht darin, möglichst alle Vorhaben der Regierung zu kritisieren, sondern sinnvolle Alternativen aufzuzeigen. Mit ihrem Geplärre wegen des 9-Euro – Tickets sendet die Union aber ein fatales Signal an die Bürgerinnen und Bürger.

So berechtigt einige Kritikpunkte auch sein mögen – wenn man den Menschen im Land nun auch noch dieses Bonbon wieder wegnimmt, dann wird dabei weiteres Vertrauen flöten gehen. Seit vielen Jahren verweigert sich die Regierung einer bürgerfreundlichen Politik, welche die Zeichen der Zeit erkennt. Auf die Forderungen nach besser ausgestatteten Krankenhäusern, mehr Pflegepersonal oder qualifizierten Lehrkräften an Schulen folgt von manchen Politikern routiniert die Frage nach der Finanzierung. 100 Milliarden für den Verteidigungshaushalt erscheinen aber wie aus dem Nichts. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass vieles keine Finanzierungs- sondern eine Willensfrage ist. Die Aussetzung des 9-Euro – Tickets bei dieser Vorentwicklung wäre aus demokratischer Sicht unverzeihlich.

Oppositionsfrust

Es ist eine Schande, dass viele Medien in diesen Chor aus schiefen Tönen und Disharmonien einstimmen. Sie schlachten die wenigen Ausnahmen über Gebühr aus und prophezeien schier anarchische Zustände in deutschen Bussen und Bahnen. Voller Dankbarkeit klammern sich manche Journalisten an diesen von der Union gereichten Strohhalm aus Frustration und Miesepeterei. Sie werden zu willigen Helfern in dem Unterfangen, ein Projekt madig zu machen, welches in Wirklichkeit das Potenzial hat, viel verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Endlich beschließt die Regierung eine Maßnahme, die viele Bürgerinnen und Bürger spürbar entlastet, wenn auch nur für kurze Zeit. Ganz offensichtlich gibt es aber ein Kommunikationsproblem, denn die Euphorie über dieses Projekt blieb bislang aus. Manche haben es zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen, als großer Wurf wird es aber nicht vermarktet.

Man merkt deutlich, dass die kritischen Töne in diesem Land inzwischen von einer Partei kommen, die zu lange regiert hat und jetzt ein ernsthaftes Problem damit hat, dass andere Parteien den Finger in die Wunde legen. Anstatt sich konstruktiv an der Beseitigung des selbstverursachten Scherbenhaufens zu beteiligen, krakelen die Abgeordneten in Söder’scher Manier lieber wild drauf los und tun die respektablen Vorhaben der Regierung als naive Tagträumereien ab.

Regierung ohne Wumms

Zugegeben: Die Ampelregierung macht es der Neuopposition mitunter ziemlich leicht, das Kartenhaus ins Wanken zu bringen. Eine selbstbewusste Regierung sieht anders aus. Das könnte aber an der Führungsschwäche des neuen Kanzlers liegen, der einige Gestalten in sein Kabinett aufgenommen hat, deren Stuhl schon wenige Monate nach Regierungsantritt wackelt.

Ein Kanzler mit Wumms müsste auf den Tisch hauen und die Erfolge einer angeblichen Fortschrittkoalition klar benennen. Gepaart mit dem erhöhten Mindestlohn ab Herbst ist das 9-Euro – Ticket ein Projekt, das sich zur Abwechslung endlich in Bürgernähe übt. Doch diese Botschaft kommt bei den Menschen nur unzureichend an. Bisher haben es die Entlastungspakete der Regierung nicht geschafft, die Menschen aus der politischen Passivität herauszuziehen.

Die Landtagswahl in NRW ist ein Indiz für die politische Stimmung im Land. Als einzige Ampelpartei konnten die Grünen dazugewinnen, SPD und FDP sind abgeschmiert. Sicher, im Saarland holten die Sozen vor kurzem die absolute Mehrheit und die AfD muss in mehreren Bundesländern um den Fraktionsstatus bangen. Das alles zeigt, dass sich die etablierten Parteien weiter durchsetzen. Es zeigt aber nicht, dass die Menschen mit der Politik zufrieden sind. Die Wählerwanderung, gerade von der AfD ausgehend, zeigt deutlich, dass sich viele zu den Nichtwählern gesellt haben.


Das 9-Euro – Ticket ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es darf ab September nicht wieder Schluss sein mit Bürgernähe. Im nächsten Schritt muss die Schiene wiederbelebt werden, damit viele auch in Zeiten ohne das günstige Ticket eine Alternative zum Auto haben und von den explodierenden Spritkosten verschont bleiben. Vertrauen gewinnt man nicht durch einzelne Maßnahmen zurück. Der Gesamtkurs muss stimmen. Die Regierung muss standhaft bleiben und darf sich nicht bei Gegenwind aus der Opposition wegducken. Gute Politik macht man nicht für die Opposition, sondern für die Menschen im Land.

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Hauptsache regieren

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Momentan laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP auf vollen Touren. Das gesteckte Ziel ist eindeutig: Noch vor Weihnachten soll eine Regierung stehen. Das veröffentlichte Sondierungspapier versprach bereits Einigungen in wesentlichen Punkten. Diese betont locker-flockige Harmonie täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass besonders die Grünen zurückstecken mussten. Beim Klimawandel bleibt das Papier chronisch unkonkret, die Finanzierung ist fragwürdig und die kleinen Leute fallen hinten runter. Ein echter Neustart bleibt aus.

Weniger als vier Wochen nach der Bundestagswahl haben sich SPD, Grüne und FDP zu Koalitionsverhandlungen bereiterklärt. Dieser Fortschritt bei der Bildung einer neuen Regierung ist beachtlich, dauerte es in der Ära Merkel doch regelmäßig deutlich länger, bis sich in neues Kabinett zusammenfand. Wie es aussieht, können die drei Parteien ihr Versprechen vom Wahlabend halten: Noch vor Weihnachten wird eine neue Regierung stehen.

Koalition nach Drehbuch

Niemanden dürfte es ernsthaft überraschen, dass sich die Ampel-Parteien in so kurzer Zeit in vielen Punkten einig wurden. Bereits vor der Wahl vom 26. September zeichnete sich ein Ampelbündnis ab. Rot-Grün-Rot war auch wie bei den letzten Wahlen bereits im Wahlkampf kein echtes Thema mehr, Jamaika scheiterte maßgeblich an der Personalie Armin Laschet. Nicht einmal Christian Lindner war bereit, mit dieser tragisch-komischen Witzfigur zu koalieren.

Annalena Baerbock war in den Wochen vor der Wahl eher Dekoration als ernsthafte Konkurrentin. Ihre Aufgabe bei den Kanzlertriellen beschränkte sich darauf, den beiden anderen Kandidaten zu demonstrieren, welche Vizekanzlerin sie sich womöglich ans Bein binden würden. Zwischenzeitlich gilt selbst Baerbocks Vizekanzlerschaft nicht mehr als gesetzt.

Keine Lust auf Weiter-so

Auch die Medien erkannten schnell, welches Potenzial in der Ampel steckt. Nach sechzehn Jahren Merkel wäre es für keinen Unionskandidaten leicht gewesen, den Scherbenhaufen zusammenzukehren und das Machtvakuum der scheidenden Kanzlerin zu besetzen. Armin Laschet hat es den Journalisten und Nachrichtensendungen allerdings schon beachtlich leichtgegemacht, ihm von vornherein den Stempel des geborenen Verlierers aufzudrücken.

Die Lust auf eine Regierung ohne die Union war jedenfalls lange Zeit spürbar. Spätestens am Wahlabend stand fest, dass die alte Kanzlerpartei abzutreten habe. In absoluten Zahlen gemessen, verlor an diesem Abend keine Partei so stark wie die CDU. Die Wahlgewinner des Abends waren SPD, Grüne und FDP. Alle drei Parteien konnten teilweise deutlich zulegen. Eine gemeinsame Regierungskoalition ist allerdings nicht die zwangsläufige Folge daraus.

Vorbei sind die Zeiten der Lagerkoalitionen, in denen ausschließlich Parteien zusammenarbeiteten, die sich politisch besonders nahestanden. Schwarz-Gelb ist schon lange passé und auch eine Mehrheit des linken Lagers dürfte sich nach dem desaströsen Abschneiden der Linkspartei auf absehbare Zeit erledigt haben. Neue Bündnisse sind gefragt und es erstaunt schon, wie schnell sich die drei Akteure grundsätzlich geeinigt haben. Immerhin wurden alle drei Parteien von unterschiedlichen Wählerschichten aus unterschiedlichen Gründen gewählt.

Keine halben Sachen

Auf den ersten Blick scheint das Sondierungspapier eine breitgefächerte Sammlung guter Ideen zu sein. Es ist tatsächlich für jeden was dabei. Schaut man aber genauer hin, so entzaubert sich dieses heißerwartete Dokument des Aufbruchs von selbst. An vielen Stellen bleibt das Papier blass und unkonkret. Besonders die Frage der Finanzierung ist nach wie vor nicht geklärt.

Fakt ist: Die Ergebnisse aus Sondierungsgesprächen sind noch kein Regierungsprogramm. Diesen Anspruch sollte man an die Gesprächsergebnisse der drei Parteien nicht stellen. Trotzdem bleibt der erhoffte Neustart aus, sollten es die wesentlichen Punkte in den Koalitionsvertrag schaffen. Besonders enttäuschend sind dabei die vereinbarten Ziele beim Kampf gegen den Klimawandel. Der vorgesehene Ausbau der erneuerbaren Energien wird nicht ausreichen, um den Energiebedarf des gesamten Landes zu decken. Die Pflicht zum Solardach ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Der Ausstieg aus der Kohleenergie bis 2030 ist lediglich ein idealer Wert. Von grünem Mut fehlt in diesem Sondierungspapier jede Spur.

Ähnlich sehen es auch die Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Sondierungsergebnisse protestierten sie lautstark gegen dieses Weiter-so beim Klimaversagen. Bei einer Protestkundgebung vor der SPD-Parteizentrale machten sie deutlich, dass es für sie keine halben Sachen gäbe. Der Frust der jungen Generation ist umso bedauerlicher, waren es doch vorrangig die Erstwähler, die Grünen und FDP das Vertrauen aussprachen.

Hauptsache regieren

Viele Medien sprachen davon, dass die Sondierungsergebnisse die Handschrift der FDP trügen. Es stimmt: An keiner Stelle wird das so deutlich wie beim Verzicht auf ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Durchgesetzt haben sich nicht Verkehrssicherheit und Klimaschutz, sondern die testosterongesteuerte Bequemlichkeit der Liberalen. Es ist beinahe zynisch, dass die FDP dafür eine andere für sie schmerzhafte Konzession gemacht hat: Der Mindestlohn soll in einem Schritt auf 12 Euro steigen.

Das Sondierungspapier offenbart aber auch den unbedingten Willen der Grünen, an der nächsten Bundesregierung beteiligt zu sein. Nur durch sie könne ein echter Aufbruch beim Kampf gegen den Klimawandel kommen. Allerdings attestierten Experten dem grünen Wahlprogramm schon vor der Bundestagswahl, dass viele Forderungen nicht weit genug gingen, um dieser Menschheitsaufgabe zu begegnen. Beinahe logisch ist es daher, dass die Grünen selbst ihre Mini-Forderung mit dem Tempolimit einstampften, um die FDP nicht zu verschrecken.

Wer zahlt?

Egal, ob das Sondierungspapier die Handschrift von FDP, Grünen oder sonstwem trägt – es ist kein Regierungsprogramm für die kleinen Leute. Es vernachlässigt Menschen mit geringem Einkommen und solche, die in prekären Verhältnissen beschäftigt sind. Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro scheint zunächst ein großer Wurf zu sein. Aber nicht einmal die FDP kann vor der rasant steigenden Inflationsrate die Augen verschließen, die eine so deutliche Steigerung überfällig macht.

Generelle Steuerhöhungen und eine Wiedereinführung einer Vermögensabgabe haben die drei Partner bereits ausgeschlossen. Gleichzeitig möchten sie aber diszipliniert zur Schuldenbremse zurückkehren. Diese Entscheidung trifft die Schwächsten in der Gesellschaft am meisten. Es dürfte vorprogrammiert sein, wo das viele Geld dann herkommen soll: Der Rotstift wird vorrangig bei Sozialausgaben angesetzt. Die Einhaltung der Schuldenbremse blockiert außerdem wichtige Investitionen in elementare Bereiche der Infrastruktur. Die Straßen, Schulen und Krankenhäuser werden auch in den kommenden vier Jahren zunehmend verfallen, wenn es zu dieser Regierungskonstellation kommt.

Hartz-IV reloaded

Den Gipfel an Wählertäuschung erreicht das neue Regierungstrio allerdings bei einem anderen Herzensprojekt: dem Bürgergeld. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein umgetauftes Hartz-IV. Diese fragwürdige Umbenennung wird nichts ändern an Bevormundung, Gängelei und Perspektivlosigkeit. Stattdessen taugt der neue Name eher dazu, bereits vorhandene Fehlannahmen zu verfestigen. Ein Bürgergeld suggeriert, dass darauf jeder Bürger zu jeder Zeit Anspruch hat. Dieses bedingungslose Grundeinkommen light wirft auch in Zukunft ein falsches Bild auf seine Bezieher. Mehr als zuvor werden sie als faule Dauerarbeitslose gelten, die sich für jede Arbeit zu fein sind. An der gesellschaftlichen Spaltung ändert das nichts.

Viel Hoffnung steckten viele Wählerinnen und Wähler in diese neuartige Regierungskoalition. Weiterhin bleibt eine Mehrheit der Menschen im Land der Ampel wohlgesonnen. An den bislang gelieferten Inhalten kann das kaum liegen. Die Alternative wäre eine Jamaika-Koalition, aber die Union tut wirklich alles, um die Wählerinnen und Wähler in ihrer Entscheidung vom 26. September zu bestätigen. Nicht alles in Deutschland wird durch die Ampelkoalition schlechter. Wesentlich besser wird es nach vier Jahren Scholz aber nur den wenigsten gehen.

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Sozial ist, wer Männchen macht

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Der Paketbote klingelt verschwitzt an der Tür, die Kassiererin zieht gehetzt die Waren über den Scanner, die Altenpflegerin hechtet von einem Zimmer zum nächsten. Arbeit scheint für alle da zu sein, aber ist sie auch sozial? Gerade die Unionsparteien sind der festen Überzeugung, dass jeder geschaffene Arbeitsplatz ein guter Arbeitsplatz ist. Ob man sich unter widrigen Bedingungen für etwas über 9 Euro dabei krummackert und den großen Bossen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, stört sie nicht. Wer arbeiten will, der muss eben auch in den sauren Apfel beißen. Deutlicher kann man seine Geringschätzung vor Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht zum Ausdruck bringen.

Umstrittener Wahlspruch

“Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Mit diesem Slogan versuchte die Union bereits vor knapp zwanzig Jahren voll durchzustarten und der Zwangspause hinter den Oppositionsrängen zu entkommen. Geklappt hat das erst drei Jahre später, der Spruch ist seitdem nicht richtiger geworden. Im übrigen war er schon seinerzeit alles andere als unumstritten. Trotz eindringlicher Warnungen, man könnte einen Bezug zum Dritten Reich herstellen, verharrten die Konservativen auf ihrem neuen Leitspruch. Denn bereits in den 1930ern hat Alfred Hugenberg von den Deutschnationalen diesen Spruch für Wahlen verwendet. Letztendlich verhalf seine Partei Hitler an die Macht. Allein aus diesem Grund hätte man bei der Auswahl seiner Wahlsprüche ein wenig mehr Feingefühl an den Tag legen können.

Die Erfüllung dieses Wahlversprechens ist die Union seitdem übrigens schuldig geblieben. Auch unmittelbar vor Corona lag die Arbeitslosigkeit in Deutschland viel zu hoch, als dass man ernsthaft von Vollbeschäftigung hätte reden können. Dabei hat es die Union mit abwechselnden Koalitionspartnern tatsächlich geschafft, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dass das nicht immer mehr soziale Sicherheit bedeutet, hat die Partei dabei deutlich gezeigt. Mit 1-Euro – Jobs, ausufernder Leiharbeit und Kettenbefristungen strafte die Union ihren heißgeliebten Slogan selbst lügen.

Es ist eben nicht alles sozial, was neue Arbeit schafft. Wenn eine alleinstehende Frau oder ein Familienvater neben der Hauptbeschäftigung noch einen Nebenjob annehmen muss, um irgendwie über die Runden zu kommen, dann ist das das Gegenteil von sozial. In grotesk abgehobener Manier feiert sich die Bundesregierung allerdings stets für die sinkenden Arbeitslosenzahlen. Sie übersieht dabei getrost, dass die freien Stellen von bereits arbeitenden Menschen bekleidet werden und eben nicht von solchen, die bereits seit Jahren auf neue Arbeit hoffen.

Arbeitslose Gelegenheitsjobber

Die Hörigkeit vor der schöngerechnet Arbeitslosenstatistik mutiert indessen immer mehr zum Wahn. Ungeniert werden selbst solche Menschen aus der Statistik herausgerechnet, die einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung nachgehen. Gemeint sind damit die sogenannten 1-Euro – Jobber, obwohl selbst die Agentur für Arbeit klarstellt, dass diese Menschen in eben keinem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis stehen . Folglich sind diese Menschen ohne wirkliche Beschäftigung und damit arbeitslos.

Das juckt die Damen und Herren von der Regierung allerdings herzlich wenig. Ihnen geht es allein darum, eine gute Quote vorzuweisen, um möglichst gut dazustehen. Auch die Bundeskanzlerin wird nicht müde zu behaupten, den Deutschen ginge es gut. Kunststück bei solch schamlos manipulierten Zahlen. Sozial ist nur das, was gute Arbeitsbedingungen schafft und nicht eine große Menge an Leuten kategorisch vom Arbeitsmarkt ausschließt.

Alles für die Arbeitsplätze

Immer offensichtlicher wird, welche Interessen die Regierung tatsächlich im Blick hat. Fast alle arbeitspolitischen Maßnahmen der letzten Jahre kam den Arbeitgebern, sehr selten aber den Arbeitnehmern zugute. Bei vielen Vorhaben scheute man sich nicht, das ganze dennoch in ein möglichst arbeitnehmerfreundliches Gewand zu zwängen. Der Mindestlohn beispielsweise ist ein Armutslohn. Aber es ist Geld, welches direkt an die Arbeitnehmer geht. Nach der Logik der Bundesregierung ist es somit ganz besonders arbeitnehmerfreundlich. Gute Löhne für gute Arbeit sind jedoch keine Almosen. Sie sind eine Selbstverständlichkeit.

Die Regierung hat die Instrumente, um den Arbeitsmarkt von Grund auf zu reformieren und zu sozialisieren. Gebrauch davon macht sie in den seltensten Fällen. Stattdessen sieht sie dabei zu, wie sich Subsubsubunternehmen auf dem Arbeitsmarkt breitmachen, wie Schlupflöcher genutzt werden, um selbst den mickrigen Mindestlohn zu unterlaufen und wie fleißige Menschen sich kaputtrackern, um irgendwie bestehen zu können.

Dann passiert das unbegreifliche: Eine Bank oder ein Unternehmen gerät in Schieflage. Tatü-tata, die Bundesregierung ist da! Aberwitzige Summen werden teilweise in Unternehmen gepumpt, deren Geschäftsmodel schon vorgestern das Verfallsdatum überschritten hat. Die Verantwortlichen ziehen dann immer gerne das riesige Damoklesschwert, dass es doch in erster Linie darum ginge, Arbeitsplätze zu bewahren. Genau mit dem gleichen edlen Ziel argumentieren sie, wenn sie begründen, warum eben kein höherer Mindestlohn drin ist. Will man denn ernsthaft riskieren, dass die ganzen guten Unternehmen abwandern und sich ihre Arbeitskräfte woanders suchen?! Dann doch lieber unsoziale Arbeit. Aber immerhin Arbeit.

Eine Luftnummer

Und so verdingt sich die Regierung in immer mehr Unternehmen, um sie vor der Pleite zu bewahren. Jüngstes Beispiel in dieser Serie an Unternehmensrettungen ist sicherlich die Lufthansa. Die Geschäftspraktiken der Fluggesellschaft waren schon immer eher fragwürdig. Lange vor Corona legten viele Beschäftigte immer wieder ihre Arbeit nieder, um für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken. Eine zufriedenstellende Lösung gab es selten. Und eines ist gewiss: Von Lufthansa hängen eine Menge Arbeitsplätze ab. Dem Unternehmen unter die Arme greifen, nachdem es durch die drastischen Coronamaßnahmen in Not geraten ist – an sich keine schlechte Idee.

Doch auch hier zeigt sich, dass es der Regierung eher darum geht, die Arbeitgeber möglichst weich landen zu lassen, während Arbeitnehmer in der Luft hängengelassen werden. Denn die Rettung von Lufthansa mit 9 Milliarden Euro ist lange keine Garantie dafür, dass auch nur ein einziger bedrohter Arbeitsplatz erhalten bleibt. Im Gegenteil, die Regierung hat sich in ihrer arbeitgeberhörigen Politik allen Ernstes so weit runterhandeln lassen, dass sie nun weniger als ein Viertel der Lufthansa-Aktien hält. An wichtigen Unternehmensentscheidungen kann sie de facto nicht mitwirken. Selbst wenn es zu keinen Massenentlassungen bei der Lufthansa kommt – bessere Arbeitsbedingungen sind weiterhin nicht in greifbarer Nähe.

Moderner Menschenhandel

Bei der Rettung von Arbeitsplätzen gilt für Politik wie Unternehmen immer mehr das Leitmotiv „Der Zweck heiligt die Mittel“. Kollateralschäden in Form von einzelnen Entlassungen werden billigend in Kauf genommen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur von Lufthansa werden zu beliebigen Ziffern degradiert, deren Arbeitsplätze hin- und herverschoben werden – oder im schlimmsten Falle entsorgt. In vielen Branchen kommt die Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag immer häufiger dem Verkauf der eigenen Seele gleich. Die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt bleibt für viele Beschäftigte ein Ammenmärchen. Oder kann es den Mitarbeitern der Warenhauskette real wirklich so egal sein, dass sie in Zukunft Kittel von Edeka oder Kaufland tragen müssen?

Das monatelange Geschachere um die angeschlagene Warenhauskette war zuletzt weniger als ein schlechter Treppenwitz. Letztendlich riss sich ein russischer Finanzinvestor die Filialen unter den Nagel. Weil der aber kein Interesse am Einzelhandel hat, verpachtet er viele der Filialen an die Konkurrenz von real. Viele der Mitarbeiter werden froh sein, dass sie ihren Arbeitsplatz doch behalten dürfen, aber ein Pyrrhussieg ist es für sie allemal. Ihnen wurde ultimativ vor Augen geführt, dass ihre Arbeitskraft austauschbar ist, ein echtes Mitspracherecht bei solch weitreichenden Entscheidungen hatten viele kaum.

Immer wieder müssen Mitarbeiter die falschen Entscheidungen aus Politik und Unternehmensführung ausbaden. Gestern haben Galeria Kaufhof und Karstadt fusioniert, heute arbeiten die Mitarbeiter dort unter äußerst prekären Bedingungen und morgen sitzen sie im schlimmsten Fall auf der Straße. Man rühmt sich damit, dass nun doch nicht so viele Arbeitsplätze wie befürchtet abgebaut werden müssen. Dieses mikroskopische Trostpflaster wird jene, die von den Kündigungen betroffen sind, kaum beschwichtigen. Einige werden in Grundsicherung und Hartz IV abrutschen, werden sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob hangeln müssen. Am allerschlimmsten ist allerdings, dass sie dafür auch noch dankbar sein sollen. Denn immerhin wurden diese Arbeitsplätze speziell für sie geschaffen. Und was Arbeit schafft, muss auch sozial sein.


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