Hauptsache regieren

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Momentan laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP auf vollen Touren. Das gesteckte Ziel ist eindeutig: Noch vor Weihnachten soll eine Regierung stehen. Das veröffentlichte Sondierungspapier versprach bereits Einigungen in wesentlichen Punkten. Diese betont locker-flockige Harmonie täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass besonders die Grünen zurückstecken mussten. Beim Klimawandel bleibt das Papier chronisch unkonkret, die Finanzierung ist fragwürdig und die kleinen Leute fallen hinten runter. Ein echter Neustart bleibt aus.

Weniger als vier Wochen nach der Bundestagswahl haben sich SPD, Grüne und FDP zu Koalitionsverhandlungen bereiterklärt. Dieser Fortschritt bei der Bildung einer neuen Regierung ist beachtlich, dauerte es in der Ära Merkel doch regelmäßig deutlich länger, bis sich in neues Kabinett zusammenfand. Wie es aussieht, können die drei Parteien ihr Versprechen vom Wahlabend halten: Noch vor Weihnachten wird eine neue Regierung stehen.

Koalition nach Drehbuch

Niemanden dürfte es ernsthaft überraschen, dass sich die Ampel-Parteien in so kurzer Zeit in vielen Punkten einig wurden. Bereits vor der Wahl vom 26. September zeichnete sich ein Ampelbündnis ab. Rot-Grün-Rot war auch wie bei den letzten Wahlen bereits im Wahlkampf kein echtes Thema mehr, Jamaika scheiterte maßgeblich an der Personalie Armin Laschet. Nicht einmal Christian Lindner war bereit, mit dieser tragisch-komischen Witzfigur zu koalieren.

Annalena Baerbock war in den Wochen vor der Wahl eher Dekoration als ernsthafte Konkurrentin. Ihre Aufgabe bei den Kanzlertriellen beschränkte sich darauf, den beiden anderen Kandidaten zu demonstrieren, welche Vizekanzlerin sie sich womöglich ans Bein binden würden. Zwischenzeitlich gilt selbst Baerbocks Vizekanzlerschaft nicht mehr als gesetzt.

Keine Lust auf Weiter-so

Auch die Medien erkannten schnell, welches Potenzial in der Ampel steckt. Nach sechzehn Jahren Merkel wäre es für keinen Unionskandidaten leicht gewesen, den Scherbenhaufen zusammenzukehren und das Machtvakuum der scheidenden Kanzlerin zu besetzen. Armin Laschet hat es den Journalisten und Nachrichtensendungen allerdings schon beachtlich leichtgegemacht, ihm von vornherein den Stempel des geborenen Verlierers aufzudrücken.

Die Lust auf eine Regierung ohne die Union war jedenfalls lange Zeit spürbar. Spätestens am Wahlabend stand fest, dass die alte Kanzlerpartei abzutreten habe. In absoluten Zahlen gemessen, verlor an diesem Abend keine Partei so stark wie die CDU. Die Wahlgewinner des Abends waren SPD, Grüne und FDP. Alle drei Parteien konnten teilweise deutlich zulegen. Eine gemeinsame Regierungskoalition ist allerdings nicht die zwangsläufige Folge daraus.

Vorbei sind die Zeiten der Lagerkoalitionen, in denen ausschließlich Parteien zusammenarbeiteten, die sich politisch besonders nahestanden. Schwarz-Gelb ist schon lange passé und auch eine Mehrheit des linken Lagers dürfte sich nach dem desaströsen Abschneiden der Linkspartei auf absehbare Zeit erledigt haben. Neue Bündnisse sind gefragt und es erstaunt schon, wie schnell sich die drei Akteure grundsätzlich geeinigt haben. Immerhin wurden alle drei Parteien von unterschiedlichen Wählerschichten aus unterschiedlichen Gründen gewählt.

Keine halben Sachen

Auf den ersten Blick scheint das Sondierungspapier eine breitgefächerte Sammlung guter Ideen zu sein. Es ist tatsächlich für jeden was dabei. Schaut man aber genauer hin, so entzaubert sich dieses heißerwartete Dokument des Aufbruchs von selbst. An vielen Stellen bleibt das Papier blass und unkonkret. Besonders die Frage der Finanzierung ist nach wie vor nicht geklärt.

Fakt ist: Die Ergebnisse aus Sondierungsgesprächen sind noch kein Regierungsprogramm. Diesen Anspruch sollte man an die Gesprächsergebnisse der drei Parteien nicht stellen. Trotzdem bleibt der erhoffte Neustart aus, sollten es die wesentlichen Punkte in den Koalitionsvertrag schaffen. Besonders enttäuschend sind dabei die vereinbarten Ziele beim Kampf gegen den Klimawandel. Der vorgesehene Ausbau der erneuerbaren Energien wird nicht ausreichen, um den Energiebedarf des gesamten Landes zu decken. Die Pflicht zum Solardach ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Der Ausstieg aus der Kohleenergie bis 2030 ist lediglich ein idealer Wert. Von grünem Mut fehlt in diesem Sondierungspapier jede Spur.

Ähnlich sehen es auch die Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Sondierungsergebnisse protestierten sie lautstark gegen dieses Weiter-so beim Klimaversagen. Bei einer Protestkundgebung vor der SPD-Parteizentrale machten sie deutlich, dass es für sie keine halben Sachen gäbe. Der Frust der jungen Generation ist umso bedauerlicher, waren es doch vorrangig die Erstwähler, die Grünen und FDP das Vertrauen aussprachen.

Hauptsache regieren

Viele Medien sprachen davon, dass die Sondierungsergebnisse die Handschrift der FDP trügen. Es stimmt: An keiner Stelle wird das so deutlich wie beim Verzicht auf ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Durchgesetzt haben sich nicht Verkehrssicherheit und Klimaschutz, sondern die testosterongesteuerte Bequemlichkeit der Liberalen. Es ist beinahe zynisch, dass die FDP dafür eine andere für sie schmerzhafte Konzession gemacht hat: Der Mindestlohn soll in einem Schritt auf 12 Euro steigen.

Das Sondierungspapier offenbart aber auch den unbedingten Willen der Grünen, an der nächsten Bundesregierung beteiligt zu sein. Nur durch sie könne ein echter Aufbruch beim Kampf gegen den Klimawandel kommen. Allerdings attestierten Experten dem grünen Wahlprogramm schon vor der Bundestagswahl, dass viele Forderungen nicht weit genug gingen, um dieser Menschheitsaufgabe zu begegnen. Beinahe logisch ist es daher, dass die Grünen selbst ihre Mini-Forderung mit dem Tempolimit einstampften, um die FDP nicht zu verschrecken.

Wer zahlt?

Egal, ob das Sondierungspapier die Handschrift von FDP, Grünen oder sonstwem trägt – es ist kein Regierungsprogramm für die kleinen Leute. Es vernachlässigt Menschen mit geringem Einkommen und solche, die in prekären Verhältnissen beschäftigt sind. Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro scheint zunächst ein großer Wurf zu sein. Aber nicht einmal die FDP kann vor der rasant steigenden Inflationsrate die Augen verschließen, die eine so deutliche Steigerung überfällig macht.

Generelle Steuerhöhungen und eine Wiedereinführung einer Vermögensabgabe haben die drei Partner bereits ausgeschlossen. Gleichzeitig möchten sie aber diszipliniert zur Schuldenbremse zurückkehren. Diese Entscheidung trifft die Schwächsten in der Gesellschaft am meisten. Es dürfte vorprogrammiert sein, wo das viele Geld dann herkommen soll: Der Rotstift wird vorrangig bei Sozialausgaben angesetzt. Die Einhaltung der Schuldenbremse blockiert außerdem wichtige Investitionen in elementare Bereiche der Infrastruktur. Die Straßen, Schulen und Krankenhäuser werden auch in den kommenden vier Jahren zunehmend verfallen, wenn es zu dieser Regierungskonstellation kommt.

Hartz-IV reloaded

Den Gipfel an Wählertäuschung erreicht das neue Regierungstrio allerdings bei einem anderen Herzensprojekt: dem Bürgergeld. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein umgetauftes Hartz-IV. Diese fragwürdige Umbenennung wird nichts ändern an Bevormundung, Gängelei und Perspektivlosigkeit. Stattdessen taugt der neue Name eher dazu, bereits vorhandene Fehlannahmen zu verfestigen. Ein Bürgergeld suggeriert, dass darauf jeder Bürger zu jeder Zeit Anspruch hat. Dieses bedingungslose Grundeinkommen light wirft auch in Zukunft ein falsches Bild auf seine Bezieher. Mehr als zuvor werden sie als faule Dauerarbeitslose gelten, die sich für jede Arbeit zu fein sind. An der gesellschaftlichen Spaltung ändert das nichts.

Viel Hoffnung steckten viele Wählerinnen und Wähler in diese neuartige Regierungskoalition. Weiterhin bleibt eine Mehrheit der Menschen im Land der Ampel wohlgesonnen. An den bislang gelieferten Inhalten kann das kaum liegen. Die Alternative wäre eine Jamaika-Koalition, aber die Union tut wirklich alles, um die Wählerinnen und Wähler in ihrer Entscheidung vom 26. September zu bestätigen. Nicht alles in Deutschland wird durch die Ampelkoalition schlechter. Wesentlich besser wird es nach vier Jahren Scholz aber nur den wenigsten gehen.

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