Die Lückenschließerin

Lesedauer: 7 Minuten

Traut sie sich, oder lieber nicht? Seit Monaten wird die Gründung einer Wagenknecht-Partei rauf- und runterdiskutiert. Wie ein penetrantes Schreckgespenst geistert diese Idee durch die Medien, die Zeitungen, die Talkshows. Konkret ist davon bisher wenig, auch wenn verschiedene Headlines im gerade zurückliegenden Sommer anderes vermuten ließen. Immer interessanter wird aber die Frage: Was passiert, wenn die neue Partei nicht kommt? Das Ende der Ikone Wagenknecht? Ein weiterer Push für die AfD? Dem Land fehlt eine durchsetzungsstarke linke Alternative. Die neue Partei, wer immer sie gründet, muss daher ein Erfolg werden.

Routiniert unkonkret

Das Sommerloch hat wieder zugeschlagen. Nachdem sich die Gerüchte um eine mögliche Wagenknecht-Partei seit mehreren Monaten hartnäckig hielten – und von der Hauptperson mitunter kräftig befeuert wurden – hatte die Presse ausreichend Zeit, sich damit zu befassen. Nun sorgten ausgerechnet exklusive Informationen der BILD-Zeitung für ein weiteres Medienbeben. Angeblich sei alles längst beschlossen, die Bekanntgabe sei nur noch eine Frage der Zeit.

Keiner der Beiträge hielt, was er versprach. Nicht einer von ihnen enthielt nennenswerte neue Informationen. Alle bereiteten sie seit Monaten bekanntes clever wieder auf. Dabei reichen die Gerüchte um einen politischen Neustart von Sarah Wagenknecht deutlich weiter zurück als zum Jahresanfang. Schon ihr Bestseller „Die Selbstgerechten“ aus dem Frühjahr 2021 machte mit erschreckender Offenheit deutlich, dass Wagenknecht mit ihrer Partei gebrochen hatte. Ihr „Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ war die Blaupause für neue politische Projekte.

Die Gründung einer neuen Partei ist daher nur die logische Konsequenz. Irgendwann begriffen das auch die Medien und so nahm man ihre zunächst sehr zurückhaltenden Äußerungen eines Tages zum Anlass, sie nach der Gründung einer eigenen Partei zu fragen. Der Geist war damit aus der Flasche. Seitdem werden die Hinweise immer konkreter, bleiben aber vage. Mittlerweile hat der Begriff „Wagenknecht-Partei“ das Potenzial, zum (Un-)Wort des Jahres gekürt zu werden.

Die Geister, die sie rief…

Fakt ist: Aus der Nummer kommt Sarah Wagenknecht nicht mehr raus. Zunächst machte alles den Anschein, als wartete die Linken-Ikone nur darauf, dass sich irgendwer anders fände, der die Gründung für sie übernehmen könnte. Sicher nicht zufällig zierte sie sich zunächst, einen entsprechenden Schritt anzukündigen. Lange sprach sie im Konjunktiv: Es gibt eine politische Leerstelle – es müsste eine neue Kraft entstehen.

Andere waren da kognitiv schneller und ließen alsbald Taten folgen. Der Vorstand der Linken erklärte öffentlich, dass Wagenknecht nichts mehr in der Partei verloren hätte. Die Journalisten nötigten Wagenknecht sodann regelrecht dazu, sich zu ihrer Idee zu bekennen.

Sie alle haben ihr Ziel gewissermaßen erreicht: Wagenknecht hat längst erklärt, dass sie für Die Linke nicht noch einmal in den Ring steigen wird, die Entscheidung über eine Parteigründung wird im Herbst fallen. Dabei ist die Sache völlig klar: Sahra Wagenknecht muss liefern, sonst ist sie selbst geliefert. Inzwischen hängt ihre Glaubwürdigkeit von der Gründung einer neuen Partei ab. Niemand würde es ihr durchgehen lassen, stellte sie sich nach den Landtagswahlen im Oktober vor die Kameras und sagte: „Ich habe leider keine Mitstreiter gefunden.“ Eher noch würde man ihr verzeihen, würde das Parteiprojekt nicht die erwünschte Durchschlagskraft entfalten.

Natürlich steht Sarah Wagenknecht unter enormem Druck. Schon einmal ist sie ein ähnliches Wagnis eigegangen und hat mit Getreuen die Sammlungsbewegung aufstehen gegründet. Nach viel Tamtam und Bohei ist der soziale Protest sogleich wieder im Keim erstickt. Wagenknecht selbst führt das heute auf ihr mangelndes Organisationstalent zurück. Nicht gerade rosige Aussichten für eine neue Partei…

Kampf der sozialen Ignoranz

Man kann von Sarah Wagenknecht halten was man will. Mit einem hat sie aber definitiv recht: Es gibt eine Repräsentationslücke in der deutschen Parteienlandschaft. Bestimmte Meinungen und Interessen sind in der heutigen Politik bestenfalls unterrepräsentiert. Um das zu ändern, dafür braucht es eine neue Partei.

Schon das Kanzlertriell 2021 hat gezeigt, dass viele Menschen mittlerweile dazu neigen, sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Olaf Scholz konnte auf den letzten Metern nur deshalb so gut aufholen, weil seine beiden Herausforderer noch viel schlechter für das Land waren – und keine Gelegenheit ausließen, das zu zeigen. Heute ist von den Siegern von damals nicht mehr viel übrig: Mickrige 23 Prozent sind mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden.

Besonders Vorhaben wie das Heizungsgesetz und die Gasumlage haben den Unmut in der Bevölkerung geschürt und der Regierung nachhaltig Vertrauen gekostet. Gerade in diesen Zeiten der sozialen Ignoranz und der entfesselten grünen Fantastereien wäre eine kraftvolle linke Opposition bitter nötig. Die Linke wird nicht müde, sich zu dieser Aufgabe zu bekennen – und vermasselt sie gehörig. Aus Angst, AfD-Wähler könnten mitlaufen, schafft es diese ausrangierte Protestpartei nicht einmal, Demonstrationen gegen die existenzgefährdende Politik der Ampel zu organisieren.

Politische Amnesie

Dabei wären doch vor allem die verführten AfD-Wähler erstes Ziel solcher Protestaufrufe. Sie haben sich aus genau den Gründen von der Politik abgewandt, gegen die sich der Protest richtet. Für eine selbstbewusste linke Opposition wäre es kein Problem, einen großen Teil dieser Wähler zurückzugewinnen und ihnen eine neue politische Heimat zu bieten. Auch Nichtwähler könnten auf diese Weise angesprochen und wieder eingebunden werden.

Stattdessen macht man es den Wählern der AfD zum Vorwurf, die Politik der demokratischen Parteien nicht zu verstehen. Getreu dem Motto „Der Wähler muss zur Partei passen“ ist man entsetzt darüber, dass viele die AfD der angeblich so offensichtlich besseren Option vorziehen. Im schlimmsten Fall geißelt man diese Wähler pauschal als rechtsextrem. Nach zehn Jahren neuem Rechtspopulismus hat leider noch immer kein Lerneffekt eingesetzt.

Es setzt sich stattdessen immer mehr der Trend durch, reflexhaft mit unhaltbaren Vorwürfen zu reagieren, wenn neue Ideen zu sehr vom Mainstream abweichen. Anders als mit fortschreitender Amnesie ist es zumindest nicht zu erklären, warum man sogar Sarah Wagenknecht ob ihrer Äußerungen in die rechte Ecke stellt. Es ist noch gar nicht so lange her, da warf man der ewig Unbequemen noch vor, sie stünde zu weit links. Ein Königreich für diese Zeiten…

Mut zum Linkssein

Die etablierten Parteien haben verlernt, die Sorgen und Ängste der Menschen ernstzunehmen. Ihnen geht es heute in erster Linie darum, ihre Ideologien und Programmatiken durchzusetzen. Früher versuchten die Parteien zumindest, ihre Parteiprogramme auf die realen Nöte der Wähler anzupassen. Momentan macht das fast ausschließlich die AfD – ihr Erfolg in den Umfragen ist das beste Zeugnis dafür.

Die Menschen im Land haben Angst vor der horrenden Inflation. Sie möchten preiswert ihre Wohnungen beheizen und für ihre Arbeit fair bezahlt werden. Das alles sind Tatsachen. Die meisten Parteien bleiben überzeugende Antworten darauf schuldig. Mit ihren Überlegungen einer Parteineugründung greift Sarah Wagenknecht exakt diese Fragen auf und stellt den plumpen Parolen der AfD eine vernünftige Alternative gegenüber.

Wenig überraschend bringt Wagenknecht dabei auch linke Konzepte ins Spiel. Das ist vielen nicht geheuer, hat man sich doch mittlerweile daran gewöhnt, dass unbequeme Töne nur noch von rechts kommen. Auf der linken Seite stehen stattdessen woke Gutmenschen, die vielen anderen zum Feindbild gereichen. Dass links davon früher auch eine Menge passiert ist, haben die meisten heute vergessen. Linke Politik ist kein Alleinstellungsmerkmal von woken Weltverbesserern und Umweltaktivisten, sondern ein Angebot an die Breite der Gesellschaft. Aber das muss Deutschland erst wieder lernen…


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Der Tragödie nächster Teil

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Die Ampel ist kaum vier Monate im Amt, schon gibt es den ersten Rücktritt. Weitere Minister stehen bereits auf der Kippe. Der vielbeschworene Wumms von Kanzler Scholz blieb bislang aus. Seine Kabinettstruppe ist eher eine Ansammlung hoffnungsloser Fälle. Durch Führungsstärke hat sich der neue Bundeskanzler jedenfalls bisher nicht hervorgetan. Auch der Flickenteppich in der Coronapolitik ist seit Amtsantritt der Regierung nicht kleiner, sondern größer geworden. Die Debatten um Lockerungen, Impfpflicht und Isolierung gleicht einem Kasperlestheater.

Einheitlichkeit statt Flickenteppich

“Mehr Fortschritt wagen” – so steht es über dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Die neue Regierung will den Mindestlohn erhöhen, den Umstieg auf erneuerbare Energien kräftig beschleunigen und endlich mit der Digitalisierung in Deutschland beginnen. Die Ampel ging aber auch mit einem weiteren großen Anspruch ins Rennen: Schluss mit dem Corona-Flickenteppich. Denn seit den ersten Lockerungen im Frühsommer 2020 bastelt sich jedes Bundesland und jeder Landkreis gefühlt seine eigenen Regeln, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.

Es war mitunter ziemlich schwierig, die unterschiedlichen Maßnahmen nachzuvollziehen. Während in Bayern zeitweise auch im Außenbereich eine Maskenpflicht bestand, musste in anderen Bundesländern nicht einmal in der Innengastronomie eine Maske getragen werden. Es kam teilweise zu obskuren Szenen in Fernverkehrszügen, wenn für einen Streckenabschnitt Mund und Nase bedeckt werden musste, für die restliche Fahrt aber nicht.

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt

Als die Ampel Ende 2021 flächendeckend 3G einführte, da wollte sie damit den Flickenteppich wohl für immer beseitigen. Im gesamten Bundesgebiet musste man fortan in Bus und Bahn, im Restaurant und im Kino nachweisen, dass man entweder geimpft, genesen oder aktuell negativ getestet war. Die Zusammenführung der Regeln war ein guter Ansatz, wurde aber kopflos geplant und umgesetzt.

Denn zu diesem Zeitpunkt waren die Schnelltests bereits seit Wochen kostenpflichtig, die Teststationen dementsprechend schon abgebaut. Das unüberlegte 3G-Manöver führte zu langen Schlangen vor den wenigen verbliebenen Testzentren und zu Unmut in der Bevölkerung, bevor die neue Regierung vereidigt war.

Besser ist die Lage im Land seit Antritt des Kabinetts Scholz im Hinblick auf die Coronamaßnahmen jedenfalls nicht geworden. Mit den Lockerungsschritten der letzten Wochen wurde die Narrenfreiheit bei den Regeln sogar bis auf die Hausrechtsebene erweitert. Künftig dürfen sämtliche Betreiber öffentlicher Einrichtungen sowie Geschäfte des Einzelhandels bestimmen, ob in ihren Betrieben eine Maske getragen werden muss. Die meisten Bundesländer haben die Kompetenzen sodann auch großzügig an die Betreiber delegiert. Nur Mecklenburg-Vorpommern will landesweit an strengen Regeln festhalten. Selbst beim Ausgestalten des neuen bunten Flickenteppichs gibt es also Abweichler.

Glaubwürdigkeit und Beständigkeit kann die neue Regierung nicht. Schon vier Monate nach Vereidigung des Kabinetts Scholz gibt es den ersten Rücktritt. Familienministerin Anne Spiegel muss gehen, weil sie kurz nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal mit ihrer Familie in den Urlaub gegangen war und die Öffentlichkeit darüber belog. Schon stürzen sich die Medien auf weitere Wackelkandidaten der neuen Regierung, die den Experimentiercharakter einfach nicht loswird.

Einmal Querdenker und zurück

Der tragischste Clown in dem Drei-Parteien – Gespann ist mit Abstand Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Viele wird es verwundern, dass auch er erst seit dem 8. Dezember 2021 Bundesminister ist. Seine überlauten Kommentierungen zum Regierungskurs in der Coronapandemie, seine besserwisserischen Belehrungen zum Umgang mit dem Virus und sein fanatisches Festhalten an einer allgemeinen Impfpflicht hat viele schon auf die Palme gebracht, bevor er das Ministeramt übernommen hat. Zuverlässig übertönte er in den Jahren 2020 und 2021 die Meinungen von Regierungsmitgliedern, Wissenschaftlern und anderen Experten. Noch während der Koalitionsverhandlungen im vergangenen Herbst galt er als sicherste Besetzung des Gesundheitsressorts.

Inzwischen ist Herr Lauterbach tatsächlich Gesundheitsminister und als ausgebildeter Arzt grundsätzlich keine Fehlbesetzung. Doch wer hoffte, mit ihm zögen Sachverstand und Vernunft ins Gesundheitsministerium ein, der wurde schnell eines besseren belehrt. Karl Lauterbach macht eine enttäuschende Figur als Minister. Er gilt als Hardliner bei der Frage nach einer allgemeinen Impfpflicht und verspielte damit bereits vor Monaten einen Großteil seiner Glaubwürdigkeit. Immerhin hieß es noch im letzten Sommer, dass es eine wie auch immer geartete Impfpflicht nicht geben würde. Auch nach dem Scheitern eines entsprechenden Gesetzentwurfs im Bundestag Anfang April hält der Minister verbissen an einer Idee fest, die von der Realität längst überholt wurde.

Doch auch ein Karl Lauterbach kann sich selbst überbieten. Während er am 4. April noch ankündigte, Isolierungen infolge einer Coronainfektion sollten ab Mai nur noch freiwillig sein, kassierte er sein eigenes Vorhaben schon am Folgetag wieder ein. Der neue Gesundheitsminister hat geschafft, was vor ihm noch niemandem gelungen ist: vom manischen Befürworter sämtlicher Coronaregeln zum latenten Querdenker und wieder zurück zum hartnäckigen Unterstützer einer Impfpflicht.

Wortbruch und Chaos

Die Frage einer Impfpflicht ist genau so alt wie die Impfstoffe selbst. Sie waren gerade erst zugelassen, da gab es schon erste Rufe nach Privilegien für Geimpfte. Die Debatte über eine Pflichtimpfung ließ somit nicht lange auf sich warten. Bis zum Herbst 2021 schlossen jedoch alle Politiker mit Rang und Namen dieses ultimative Mittel kategorisch aus. Gebetsmühlenartig versicherten sie, dass sich der Staat nicht in die Impfentscheidung der Bevölkerung einmischen werde.

Wie selbstverständlich war die Forderung nach einer ebensolchen Pflicht kurz nach der Bundestagswahl trotzdem da. Die gleichen Politiker, die davon vorher nichts wissen wollten, spielten sich plötzlich als die ärgsten Befürworter der Impfpflicht auf und taten so, als wäre das schon immer ihre Meinung gewesen. Wenigstens in diesem Punkt ist man geneigt, ihnen zu glauben. Ihnen fehlte schlicht das Rückgrat, die Forderung bereits im Sommer 2021 zu artikulieren.

Doch selbst bei der todsicheren Angelegenheit einer Impfpflicht gab die neue Regierung ein trauriges Bild ab. Monatelang stritt sie mit Koalitionspartnern und Parlament über die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Gesundheitswesen. Als diese endlich da war, fiel den Damen und Herren hinter den Regierungsbänken auf, dass sie nicht über die personelle Kapazität verfügten, um das neue Gesetz zu kontrollieren und durchzusetzen.

Impfpflicht ins Blaue

Unbeirrt dessen setzten sich die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht ein weiteres Mal durch. Obwohl Omikron längst bewiesen hatte, dass der Fremdschutz einer Impfung gegen Null ging, hielten einige Spezialisten fast psychotisch an ihrem Vorhaben fest. Immer wieder warnten sie davor, dass die Krankenhäuser und Intensivstationen ohne eine jetzt eingeführte Impfpflicht im nächsten Herbst wieder volllaufen würden. Ihnen gibt das enorm hohe Mutationspotenzial des Virus offenbar nicht zu denken. Mit welchen Virusvarianten wir es in ein paar Monaten zu tun haben und ob die jetzigen Impfstoffe überhaupt dagegen schützen, ist völlig unklar. Viele der Argumente von Heike Baehrens und Co. verkaufen die Menschen für blöd.

Als die Abgeordneten Mitte März über die zahlreichen Gruppenanträge berieten, da keimte die Hoffnung auf, die Parlamentarier würden nie zu einer Lösung finden. Die unterschiedlichen Ideen zur Impfpflicht reichten von der grundsätzlichen Ablehnung über ein Impfregister bis hin zu einer Impfpflicht ab 18. Das alles unter einen Hut zu bringen, schien einfach unmöglich. Doch auch dies weckte den Ehrgeiz einiger besonders kreativer Abgeordneter. Der Kompromiss aus den Anträgen zu einer Impfpflicht ab 18 und ab 50 war eine Gesetzesvorlage für eine Impfpflicht ab 60. Logik und Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

Nachhaltiger Vertrauensverlust

Die Erfahrungen mit der Parlamentsarbeit in der Pandemie lassen nichts Gutes hoffen. Die Ablehnung einer Impfpflicht für Senioren schließt nicht aus, dass es in Zukunft eine Impfpflicht für alle Erwachsenen geben wird. Karl Lauterbach und seine Verbündeten haben ihre bizarren Pläne noch lange nicht ad acta gelegt.

Die Art und Weise, wie in Deutschland über eine Impfpflicht diskutiert wurde, hat der Demokratie geschadet. Der Bundestag hat dadurch mehr Glaubwürdigkeit verloren als nach allen anderen politischen Absurditäten in der Pandemie zusammen. Noch immer gehen regelmäßig tausende Menschen gegen die Coronapolitik auf die Straße. Sie haben kein Vertrauen mehr in die Politik. Sie schlagen auch dann noch Alarm, wenn alle Zeichen längst auf Lockerung stehen. Vertrieben wurden sie durch einen unglaubwürdigen Regierungskurs. Die Ampel hat es bislang nicht geschafft, diese Menschen wieder ins Boot zu holen.


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Gegen das Restrisiko

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Politik und Wissenschaft blicken weiterhin mit Sorge auf das dynamische Infektionsgeschehen infolge der Coronapandemie. Die größte Herausforderung liegt einhellig in der Überlastung des Gesundheitssystems, das den steigenden Fallzahlen immer schwerer beikommt. Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat darum jüngst eine Reihe ambitionierter Maßnahmen angekündigt, um der Lage wieder Herr zu werden. Seine Pläne gehen weit über die derzeitige Krisenlage hinaus und sollen das Gesundheitssystem auch in gewöhnlichen Zeiten spürbar entlasten.

Bäumchen-wechsle-dich

Die neue Ampelkoalition hatte einen denkbar ungünstigen Start. Die Koalitionsverhandlungen dauerten länger als gedacht, die vierte Welle der Pandemie katapultiert die Infektionszahlen in nicht gekannte Höhen, die Spaltung im Land geht immer tiefer. Die neue Regierung zeigt sich dennoch optimistisch und möchte getreu dem Titel ihres Koalitionsvertrags mehr Fortschritt wagen. Dabei war die Besetzung des Kabinetts keine unumstrittene Angelegenheit. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) holte mehrere Politiker in seine Regierung, die viele sicher nicht auf dem Zettel hatten. Am meisten rieben sich die Medien an der neuen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Ähnlich wie bei ihrer Kandidatur ums Kanzleramt spricht man ihr auch für dieses Ressort jegliche Kompetenz ab.

In einer weitaus komfortableren Lage befindet sich da schon der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Auch wenn viele seine Ernennung ob seiner bisherigen Politik eher skeptisch sehen, müssen sie doch eingestehen, dass er als Arzt grundsätzlich keine schlechte Wahl für den Posten ist. Sein Vorgänger hat ihm einen regelrechten Scherbenhaufen hinterlassen; das Vertrauen in die Coronapolitik der Bundesregierung ist zerrüttet. Nun wird offenbar auch noch der Impfstoff knapp. Trotzdem hält der neue Minister an einer allgemeinen Impfpflicht fest. Er sieht es als seine dringendste Aufgabe, eine Überlastung des Gesundheitswesens unbedingt zu verhindern.

Süße Sünde

Die Teilimpfpflicht im Gesundheitswesen ist dabei nur der erste Schritt. Mit einer allgemeinen Impfpflicht sollen nicht nur die vulnerablen Gruppen im Krankenhaus geschützt werden, sondern möglichst alle Bürgerinnen und Bürger. Doch auch der Gesundheitsminister sieht, dass Corona dadurch nicht ganz verschwinden wird. Um die Überlastung der Krankenhäuser zurückzudrängen, braucht es weitere einschneidende Maßnahmen.

Karl Lauterbach will sich dabei an einer Methode orientieren, die sich bereits vergangenes Silvester bewährt hat. Durch das Böllerverbot, das auch in diesem Jahr wieder greift, konnten viele schwerwiegende Verletzungen und Unfälle vermieden werden, die zum Jahreswechsel sonst immer die Notaufnahmen fluten. Der Minister möchte diese Maßnahme daher auf andere Lebensbereiche ausweiten. Er hat begriffen, dass die Prävention gesundheitsschädlichen Verhaltens Balsam für die Lage in deutschen Krankenhäusern ist.

Sein Haus arbeitet deshalb zur Zeit an einem Schokoladenverbot für die Weihnachtszeit. Dieses Jahr wird damit wenig zu erreichen sein, aber bereits zu kommendem Weihnachten könnten Schoko-Nikoläuse, überzogene Lebkuchen und andere Leckereien aus den Supermarktregalen verschwinden. Das Ministerium verweist darauf, dass der übermäßige Verzehr dieser Süßigkeiten jedes Jahr mehrere Tausend Zuckerschocks auslöst. Die Betroffenen müssten in den meisten Fällen intensivmedizinisch behandelt werden. Knapp 80 Prozent der jährlich erfassten Fälle ereignen sich in der Adventszeit.

Weniger Risiko, mehr Sicherheit

Auch Fettleibigkeit (Adipositas) ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums seit Jahren auf dem Vormarsch. Eine vom Ministerium beauftragte Studie stellte einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und dem frühzeitigen Verkauf von Weihnachtsgebäck ab dem Spätsommer fest. Auch hier verspricht die drastische Maßnahme Entspannung. Adipositaspatienten seien anfälliger für Herzerkrankungen und landen auffällig oft auf der Intensivstation. Sie müssten dann aufgrund ihres Gewichts in Spezialbetten behandelt werden. Laut Ministerium und Ärztekammer seien genügend dieser Betten vorhanden. Sie erfordern aber einen erhöhten Personalbedarf, der bei der angespannten Lage im Gesundheitswesen in Zukunft nicht mehr gewährleistet werden könne.

Daher gibt es im Ministerium Überlegungen, das saisonale Schokoladenverbot auszuweiten. Es mehren sich die Stimmen, die für ein ganzjährige Verbot von Schokolade plädieren. Im Gespräch ist außerdem ein Gesundheitspass, der allen Bürgerinnen und Bürgern des Landes ausgestellt werden soll. Dieser Pass diene dazu, gesundheitsschädliches Verhalten aufzuzeigen und diesem vorzubeugen. Letztendlich soll das dazu führen, dass die Menschen ein medizinisch risikofreies Leben führen können. Sie haben sich dazu regelmäßigen Untersuchungen zu unterziehen, um Vorerkrankungen und Risikofaktoren zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind maßgeblich dafür, welche Produkte der Betroffene konsumieren und welchen Aktivitäten er nachgehen darf.

Alles unter Kontrolle

Um die Vorgaben möglichst niederschwellig zu halten, sollen die Verträglichkeitswerte zukünftig direkt auf die Lebensmittelverpackungen aufgedruckt werden. Die Konsumenten können daran ablesen, ob das Produkt für sie in Frage kommt. Eine Sicherheitsüberprüfung an der Kasse verhindert Verstöße gegen die Vorgaben. Um auch hier das Personal zu entlasten, werden bundesweit die Selbstbedienungskassen ausgebaut. Mittels QR-Code im Gesundheitspass erhalten die Kundinnen und Kunden dann nur noch für sie verträgliche Waren.

Zusätzlich behält man die Ausbreitung schwerwiegender Erkrankungen und Gebrechen genau im Blick. Behandlungspflichtige Fälle, die besonders häufig auftreten, werden einer Inzidenz unterworfen. Bei steigender Inzidenz sind strengere Regeln in diesem Bereich möglich. Nehmen beispielsweise die Fälle von Adipositas signifikant zu, dürfen auch nicht vorbelastete Kundinnen und Kunden nur noch geringere Mengen zuckerhaltiger Produkte kaufen.

Bei der Ermittlung des Gesundheitsstatus soll aber nicht nur die physische Verfassung der Menschen eine Rolle spielen. Besonders bei künstlerischen und kulturellen Veranstaltungen und Erzeugnissen ist die psychische Gesundheit ausschlaggebend. Zutritt zu Kino, Theater oder Oper sollen nur die erhalten, die die Darbietung seelisch verkraften können. Diese Maßnahme ergänzt die gängigen Altersbeschränkungen und entlastet die ebenfalls überforderten psychiatrischen Einrichtungen. Die Einschränkungen in diesem Bereich betreffen auch den Verkauf von Kunstwerken, Zeitschriften und Literatur.

Entlastung an allen Fronten

Der neue Gesundheitsminister ist sich sicher, dass die Maßnahmen auch über die Coronapandemie hinaus eine spürbare Entspannung in den Krankenhäuern bewirken. Er geht sogar davon aus, dass durch den Gesundheitspass weiteres Personal im Gesundheitswesen eingespart werden kann. Einerseits steige dadurch die Lebensqualität der Menschen im Land, weil sie seltener krank werden, andererseits sinken die Beiträge für Krankenkassen und andere Vorsorgeleistungen.

Die Opposition im Bundestag befürchtet währenddessen, dass das ausgeschiedene Gesundheitspersonal in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geraten könnte. Auch hier hält der Gesundheitsminister dagegen. Die freigewordenen Kapazitäten könnten dazu genutzt werden, den Fachkräftemangel in anderen Bereichen abzumildern. Durch groß angelegte Umschulungsmaßnahmen soll allen Betroffenen eine Brücke zurück in den Arbeitsmarkt gebaut werden. So könnten sich ehemalige Pflegerinnen und Pfleger innerhalb weniger Monate zu qualifizierten Lehrkräften ausbilden lassen. Das Ministerium verwies dabei auf den hohen Bedarf an geschultem pädagogischen Personal. Die Schülerinnen und Schüler hatten durch Lockdowns, Distanzunterricht und Schulschließungen am meisten unter der Pandemie zu leiden. Der geplante Gesundheitspass würde auch diese Situation entschärfen.

Das Kabinett berät momentan zu den Plänen des Gesundheitsministeriums. Sollte es zu einer Einigung kommen, möchte Minister Lauterbach das Vorhaben zügig umsetzen. Eine Beratung zu einer entsprechenden Gesetzesvorlage wird allerdings frühestens im Februar oder März erwartet.

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