Sozial ist, wer Männchen macht

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Der Paketbote klingelt verschwitzt an der Tür, die Kassiererin zieht gehetzt die Waren über den Scanner, die Altenpflegerin hechtet von einem Zimmer zum nächsten. Arbeit scheint für alle da zu sein, aber ist sie auch sozial? Gerade die Unionsparteien sind der festen Überzeugung, dass jeder geschaffene Arbeitsplatz ein guter Arbeitsplatz ist. Ob man sich unter widrigen Bedingungen für etwas über 9 Euro dabei krummackert und den großen Bossen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, stört sie nicht. Wer arbeiten will, der muss eben auch in den sauren Apfel beißen. Deutlicher kann man seine Geringschätzung vor Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht zum Ausdruck bringen.

Umstrittener Wahlspruch

“Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Mit diesem Slogan versuchte die Union bereits vor knapp zwanzig Jahren voll durchzustarten und der Zwangspause hinter den Oppositionsrängen zu entkommen. Geklappt hat das erst drei Jahre später, der Spruch ist seitdem nicht richtiger geworden. Im übrigen war er schon seinerzeit alles andere als unumstritten. Trotz eindringlicher Warnungen, man könnte einen Bezug zum Dritten Reich herstellen, verharrten die Konservativen auf ihrem neuen Leitspruch. Denn bereits in den 1930ern hat Alfred Hugenberg von den Deutschnationalen diesen Spruch für Wahlen verwendet. Letztendlich verhalf seine Partei Hitler an die Macht. Allein aus diesem Grund hätte man bei der Auswahl seiner Wahlsprüche ein wenig mehr Feingefühl an den Tag legen können.

Die Erfüllung dieses Wahlversprechens ist die Union seitdem übrigens schuldig geblieben. Auch unmittelbar vor Corona lag die Arbeitslosigkeit in Deutschland viel zu hoch, als dass man ernsthaft von Vollbeschäftigung hätte reden können. Dabei hat es die Union mit abwechselnden Koalitionspartnern tatsächlich geschafft, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dass das nicht immer mehr soziale Sicherheit bedeutet, hat die Partei dabei deutlich gezeigt. Mit 1-Euro – Jobs, ausufernder Leiharbeit und Kettenbefristungen strafte die Union ihren heißgeliebten Slogan selbst lügen.

Es ist eben nicht alles sozial, was neue Arbeit schafft. Wenn eine alleinstehende Frau oder ein Familienvater neben der Hauptbeschäftigung noch einen Nebenjob annehmen muss, um irgendwie über die Runden zu kommen, dann ist das das Gegenteil von sozial. In grotesk abgehobener Manier feiert sich die Bundesregierung allerdings stets für die sinkenden Arbeitslosenzahlen. Sie übersieht dabei getrost, dass die freien Stellen von bereits arbeitenden Menschen bekleidet werden und eben nicht von solchen, die bereits seit Jahren auf neue Arbeit hoffen.

Arbeitslose Gelegenheitsjobber

Die Hörigkeit vor der schöngerechnet Arbeitslosenstatistik mutiert indessen immer mehr zum Wahn. Ungeniert werden selbst solche Menschen aus der Statistik herausgerechnet, die einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung nachgehen. Gemeint sind damit die sogenannten 1-Euro – Jobber, obwohl selbst die Agentur für Arbeit klarstellt, dass diese Menschen in eben keinem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis stehen . Folglich sind diese Menschen ohne wirkliche Beschäftigung und damit arbeitslos.

Das juckt die Damen und Herren von der Regierung allerdings herzlich wenig. Ihnen geht es allein darum, eine gute Quote vorzuweisen, um möglichst gut dazustehen. Auch die Bundeskanzlerin wird nicht müde zu behaupten, den Deutschen ginge es gut. Kunststück bei solch schamlos manipulierten Zahlen. Sozial ist nur das, was gute Arbeitsbedingungen schafft und nicht eine große Menge an Leuten kategorisch vom Arbeitsmarkt ausschließt.

Alles für die Arbeitsplätze

Immer offensichtlicher wird, welche Interessen die Regierung tatsächlich im Blick hat. Fast alle arbeitspolitischen Maßnahmen der letzten Jahre kam den Arbeitgebern, sehr selten aber den Arbeitnehmern zugute. Bei vielen Vorhaben scheute man sich nicht, das ganze dennoch in ein möglichst arbeitnehmerfreundliches Gewand zu zwängen. Der Mindestlohn beispielsweise ist ein Armutslohn. Aber es ist Geld, welches direkt an die Arbeitnehmer geht. Nach der Logik der Bundesregierung ist es somit ganz besonders arbeitnehmerfreundlich. Gute Löhne für gute Arbeit sind jedoch keine Almosen. Sie sind eine Selbstverständlichkeit.

Die Regierung hat die Instrumente, um den Arbeitsmarkt von Grund auf zu reformieren und zu sozialisieren. Gebrauch davon macht sie in den seltensten Fällen. Stattdessen sieht sie dabei zu, wie sich Subsubsubunternehmen auf dem Arbeitsmarkt breitmachen, wie Schlupflöcher genutzt werden, um selbst den mickrigen Mindestlohn zu unterlaufen und wie fleißige Menschen sich kaputtrackern, um irgendwie bestehen zu können.

Dann passiert das unbegreifliche: Eine Bank oder ein Unternehmen gerät in Schieflage. Tatü-tata, die Bundesregierung ist da! Aberwitzige Summen werden teilweise in Unternehmen gepumpt, deren Geschäftsmodel schon vorgestern das Verfallsdatum überschritten hat. Die Verantwortlichen ziehen dann immer gerne das riesige Damoklesschwert, dass es doch in erster Linie darum ginge, Arbeitsplätze zu bewahren. Genau mit dem gleichen edlen Ziel argumentieren sie, wenn sie begründen, warum eben kein höherer Mindestlohn drin ist. Will man denn ernsthaft riskieren, dass die ganzen guten Unternehmen abwandern und sich ihre Arbeitskräfte woanders suchen?! Dann doch lieber unsoziale Arbeit. Aber immerhin Arbeit.

Eine Luftnummer

Und so verdingt sich die Regierung in immer mehr Unternehmen, um sie vor der Pleite zu bewahren. Jüngstes Beispiel in dieser Serie an Unternehmensrettungen ist sicherlich die Lufthansa. Die Geschäftspraktiken der Fluggesellschaft waren schon immer eher fragwürdig. Lange vor Corona legten viele Beschäftigte immer wieder ihre Arbeit nieder, um für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken. Eine zufriedenstellende Lösung gab es selten. Und eines ist gewiss: Von Lufthansa hängen eine Menge Arbeitsplätze ab. Dem Unternehmen unter die Arme greifen, nachdem es durch die drastischen Coronamaßnahmen in Not geraten ist – an sich keine schlechte Idee.

Doch auch hier zeigt sich, dass es der Regierung eher darum geht, die Arbeitgeber möglichst weich landen zu lassen, während Arbeitnehmer in der Luft hängengelassen werden. Denn die Rettung von Lufthansa mit 9 Milliarden Euro ist lange keine Garantie dafür, dass auch nur ein einziger bedrohter Arbeitsplatz erhalten bleibt. Im Gegenteil, die Regierung hat sich in ihrer arbeitgeberhörigen Politik allen Ernstes so weit runterhandeln lassen, dass sie nun weniger als ein Viertel der Lufthansa-Aktien hält. An wichtigen Unternehmensentscheidungen kann sie de facto nicht mitwirken. Selbst wenn es zu keinen Massenentlassungen bei der Lufthansa kommt – bessere Arbeitsbedingungen sind weiterhin nicht in greifbarer Nähe.

Moderner Menschenhandel

Bei der Rettung von Arbeitsplätzen gilt für Politik wie Unternehmen immer mehr das Leitmotiv „Der Zweck heiligt die Mittel“. Kollateralschäden in Form von einzelnen Entlassungen werden billigend in Kauf genommen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur von Lufthansa werden zu beliebigen Ziffern degradiert, deren Arbeitsplätze hin- und herverschoben werden – oder im schlimmsten Falle entsorgt. In vielen Branchen kommt die Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag immer häufiger dem Verkauf der eigenen Seele gleich. Die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt bleibt für viele Beschäftigte ein Ammenmärchen. Oder kann es den Mitarbeitern der Warenhauskette real wirklich so egal sein, dass sie in Zukunft Kittel von Edeka oder Kaufland tragen müssen?

Das monatelange Geschachere um die angeschlagene Warenhauskette war zuletzt weniger als ein schlechter Treppenwitz. Letztendlich riss sich ein russischer Finanzinvestor die Filialen unter den Nagel. Weil der aber kein Interesse am Einzelhandel hat, verpachtet er viele der Filialen an die Konkurrenz von real. Viele der Mitarbeiter werden froh sein, dass sie ihren Arbeitsplatz doch behalten dürfen, aber ein Pyrrhussieg ist es für sie allemal. Ihnen wurde ultimativ vor Augen geführt, dass ihre Arbeitskraft austauschbar ist, ein echtes Mitspracherecht bei solch weitreichenden Entscheidungen hatten viele kaum.

Immer wieder müssen Mitarbeiter die falschen Entscheidungen aus Politik und Unternehmensführung ausbaden. Gestern haben Galeria Kaufhof und Karstadt fusioniert, heute arbeiten die Mitarbeiter dort unter äußerst prekären Bedingungen und morgen sitzen sie im schlimmsten Fall auf der Straße. Man rühmt sich damit, dass nun doch nicht so viele Arbeitsplätze wie befürchtet abgebaut werden müssen. Dieses mikroskopische Trostpflaster wird jene, die von den Kündigungen betroffen sind, kaum beschwichtigen. Einige werden in Grundsicherung und Hartz IV abrutschen, werden sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob hangeln müssen. Am allerschlimmsten ist allerdings, dass sie dafür auch noch dankbar sein sollen. Denn immerhin wurden diese Arbeitsplätze speziell für sie geschaffen. Und was Arbeit schafft, muss auch sozial sein.


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