Fortschritt hui, Veränderung pfui

Lesedauer: 8 Minuten

Gestern hat die Regierung zu wenig getan, heute macht sie zu viel. Der Protest auf deutschen Straßen könnte unterschiedlicher nicht sein. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise fürchtete man sich vor einer drohenden Islamisierung Deutschlands. Die Regierung wehre die Flüchtlinge nicht ab, sondern hole sie sogar ins Land. Fünf Jahre später ist es genau andersrum: Die Maßnahmen der Bundesregierung sind übertrieben, die Bedrohung durch das Virus mit einer Grippewelle vergleichbar. Die Akteure sind beide Male jedoch die gleichen. Und beide Male bedeuten die Herausforderungen enorme Veränderungen. Und wer steht schon darauf?

Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.

Albert Einstein zugeschrieben
Merkel muss weg

Deutschland im Herbst 2015: Karl W. geht auf eine Demo. Er hat Angst um das Leben wie er es kennt. Er möchte nicht morgens vom Muezzin geweckt werden und er möchte auch nicht, dass seine Frau ihre wunderschönen Haare unter einem Kopftuch verstecken muss. Auf regelmäßiges Beten auf einem kleinen Teppich hat er auch keine Lust. Vor allen Dingen möchte er nicht der nächste sein, der in einem Park hinterrücks als Gotteslästerer erstochen wird. Er hat nicht nur Angst um sich und seine Liebsten – er hat Angst um sein Land. Er möchte weiterhin in einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft leben, in der jeder seine Meinung sagen darf. Er will nicht gleich eingekerkert werden, bloß weil ihm eine kritische Bemerkung zu Allah oder sonstwem über die Lippen kommt.

Seine Angst hat einen Hintergrund. Vor einigen Wochen hat Bundeskanzlerin Merkel einen unkontrollierten Strom von Flüchtlingen, hauptsächlich aus Syrien, ins Land gelassen. Hunderttausende unbegleitete junge Männer haben seither sein Land okkupiert, manche reden gar von Millionen. Karl W. will sich nicht damit abfinden, dass künftig diese Fremden, diese völlig andersartigen Menschen das Sagen haben werden. Er weiß, dass es ein gewaltiges Politikversagen gab. Er schließt sich der wütenden Menge an. Die Konsequenz ist völlig klar: Die Kanzlerin muss zurücktreten. Sie hatte geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Mit den Flüchtlingen hat sie den Schaden sogar ins Land gebracht. Sie hat ihren Amtseid mit Füßen getreten. Dafür darf sie dieses Land nicht mehr regieren.

Merkel muss immer noch weg

Die Jahre ziehen ins Land. Der Flüchtlingsstrom hat längst nachgelassen. Viele Menschen versuchen sich mit der Situation zu arrangieren. Andere Probleme holen sie ein. Dann schlägt sie zu: Die Corona-Pandemie erreicht auch Deutschland. Immer mehr Menschen werden krank. Angela Merkel ist noch immer Bundeskanzlerin. Sie weiß, dass sie handeln muss. Ihr Volk ist in Gefahr. Noch einmal will sie sich nicht als Volksverräterin beschimpfen lassen. Sie ist fest entschlossen, an ihrem Amtseid festzuhalten. Als Naturwissenschaftlerin weiß sie, dass eine Übertragung der Krankheit so schwer wie möglich gemacht werden muss bis ein wirksames Medikament oder ein Impfstoff erfunden wurde. Sie ruft die Bevölkerung dazu auf, zu Hause zu bleiben, verordnet eine Maskenpflicht, schließt Restaurants und Gaststätten. Sie legt dem Virus einen Stein nach dem anderen in den Weg – alles, um ihr Volk zu schützen.

Karl W. geht zu dieser Zeit wieder zu einer Demo. Er ist erzürnt. Nachdem die Kanzlerin vor Jahren mit der Flüchtlingswelle die innere Sicherheit des Landes schwer erschüttert hat, wagt sie es nun ein weiteres Mal, ihren Amtseid zu brechen. Ganz offensichtlich arbeitet diese Frau daran, ihre heißgeliebte DDR wiederzubeleben. Unliebsame Meinungen werden heute ganz banal mit einem Mundschutz unterdrückt. Demos und sonstige Veranstaltungen finden nur nach eingehender Prüfung statt, auf sein Feierabendbier in der Kneipe um die Ecke musste Karl W. wochenlang verzichten. Er hat genug. Er will seine Freiheit zurück. Das angeblich so gefährliche Virus dient der Kanzlerin einzig dazu, ihre Diktatur voranzubringen.

Politisches Aprilwetter

Karl W. ist kein Einzelfall. Er weiß eine gewaltige Menge hinter sich, die genug hat. Die Stimmung im Land ist schlecht. Und das nicht nur wegen der Flüchtlinge oder der Maskenpflicht. Auch die Natur geht sichtlich vor die Hunde. Ein Dürresommer folgt auf den nächsten. Missernten und viel zu niedrige Wasserstände sind die Folge. Gerade ältere Menschen haben schwer mit der Hitze zu kämpfen. Die Menschen wissen, dass sich etwas ändern muss. Sie wollen, dass sich auch ihre Kinder und Enkel an den faszinierenden Wundern der Natur erfreuen können.

Forscher und Experten sind sich einig: Der Klimawandel ist größtenteils menschengemacht. Er kann also auch vom Menschen aufgehalten werden. Die Forscher wissen, dass klimaschädliche Gase einen ganz besonders großen Anteil am beschleunigten Treibhauseffekt haben. Sie zu reduzieren ist das Gebot der Stunde. Die Umsetzung ist Sache der Politik. Die kommt dann mit obskuren und realitätsfernen Forderungen um die Ecke, wie zum Beispiel ein Verbot von Dieselfahrzeugen. Wer sich gestern noch lauthals über das schwer auszuhaltende Wetter beschwert hat, tut das auch heute noch. Ein Verzicht auf das heißgeliebte Auto ist aber nicht drin, selbst dann nicht, wenn der Staat die Anschaffung eines klimafreundlicheren Modells bezuschusst.

Die Politiker wollen dem Volk entgegenkommen. Wenn schon kein neues Auto, dann wenigstens keine übertriebene Raserei mit dem alten. Wer langsamer fährt, stößt schließlich auch weniger schädliche Gase aus. Wieder eine Blockade. Viele Leute wollen es sich nicht nehmen lassen, mit 200 Sachen über die Autobahn zu brettern. Die Forderung aber bleibt bestehen: Es kann so nicht weitergehen, wie es jetzt ist. Veränderung muss her. Aber bitte ohne Anstrengung. Das muss sich auch anders regeln lassen.

Was würde es denn bedeuten, wenn die Dieselfahrer auf alternative Modelle umsteigen würden? Sie müssten ihren bisherigen Lebensstil hinterfragen. Die Konsequenz daraus ist völlig klar: Sie müssten sich verändern, sie müssten etwas leisten. Darauf haben die meisten keine Lust. Sie haben ihre Schuldigkeit bereits getan, als sie auf die Missstände hinwiesen. Beseitigen kann sie jemand anderes. Aber dann bitte möglichst so, dass man selbst am besten keinen Finger krummmachen muss. Die nächste Demo findet sonst bestimmt statt.

Fortschritt ohne Veränderung?

Die meisten sehen tatsächlich nur die Veränderung. Die Aussicht darauf reicht aus, um eine Abwehrhaltung hervorzurufen. Oftmals denken die selbsternannten Querdenker gar nicht weiter. Der drohende Verlust der Komfortzone reicht aus, um sie auf die Barrikaden zu bringen. Dabei gibt es tatsächlich ernstzunehmende sozialpolitische Gründe, um so manche Maßnahme kritisch zu sehen. Doch all diese Argumente interessieren diese Menschen nicht. Es ist viel einfacher, sich von populistischen Rattenfängern vor den Karren spannen zu lassen, anstatt selbst nachzudenken. Dann besteht nämlich das Risiko, die Dimension des Problems zu begreifen und noch mehr unter Zugzwang zu stehen.

Aber vielleicht ist der Verzicht auf das Auto in der heutigen Zeit ja wirklich undenkbar. Immerhin gibt es viele Orte und Gemeinden in Deutschland, die ohne fahrbaren Untersatz schlicht unerreichbar sind. Der letzte Bus wurde hier vor zwanzig Jahren gesehen und die Bahnstrecke wurde schon vor dem Zweiten Weltkrieg stillgelegt. Natürlich redet man dann nicht gerne über Veränderung. Denn in einem solchen Fall ist sie mit echten Strapazen verbunden.

Aber selbst wenn der öffentliche Nahverkehr regelmäßig Hintertupfingen ansteuern würde, könnten sich wahrscheinlich viele einen Verzicht auf das Auto nur schwer vorstellen. Wie sollte es auch anders sein? Selbst etwas so entbehrliches wie Silvesterböller würden viele bereits schmerzlichst vermissen. Jahr für Jahr werden lächerliche Summen für den kurzweiligen Spaß ausgegeben. Jahr für Jahr brennen die Dachstühle. Und Jahr für Jahr die gleichen heuchlerischen Vorsätze: Beim nächsten Mal wird weniger geböllert. Als letztes Neujahr das Affenhaus in Krefeld lichterloh in Flammen stand, da wurde mit Tränen nicht gegeizt. Und trotzdem ist der Trend klar: Auch nächstes Silvester wird das Laienfeuerwerk starten. Veränderung wird wohl niemals im Trend sein.


Mehr zum Thema

Generation Anti

Das Heer der Unaufgeklärten

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Im Namen des Volkes

Lesezeit: 5 Minuten

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte ist schuldig der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, gemäß dem Paragraphen 89a, Absatz 1, Absatz 2 und Absatz 2a. Er wird daher zu einer Freiheitsstrafe von einem 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt. Er trägt die Kosten des Verfahrens.

Sie haben ganz richtig gehört: keine Bewährung. Das Gericht ist nämlich nicht der Ansicht, dass die Gründe für eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung gegeben sind, aber dazu später mehr. Nun erst einmal zu den Gründen, weswegen wir Sie schuldig gesprochen haben.

Die meisten Bürgerinnen und Bürger werden den Straftatbestand, weswegen Sie verurteilt wurden, überhaupt nicht kennen. Und das ist auch gut so. Immerhin sprechen deutsche Gerichte selten ein solches Urteil. In Ihrem Fall ist das aber leider dringend notwendig.

Ich bin mir auch sicher, dass die meisten Menschen wenig mit diesem Straftatbestand anzufangen wissen: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Was soll das sein? Die meisten werden jetzt einen schwerbewaffneten Terroristen vor Augen haben, der sich irgendwo hinstellt und eine Explosion herbeiführt. Natürlich ist das auch eine schwere Gewalttat, aber sie ist selten staatsgefährdend – zumindest ist sie nicht dazu geeignet, wenn es bei einem einzelnen Täter bleibt.

Was Sie getan haben, eignet sich allerdings viel zu gut dazu, die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik zu untergraben oder sogar außer Kraft zu setzen. Denn durch Ihr Verhalten provozieren Sie ja geradezu einen zweiten Lockdown und eventuell sogar Ausgangssperren. Das mag dann zwar durch das Infektionsschutzgesetz gedeckt sein, aber die Notwendigkeit für diese Maßnahme, die haben Sie erzeugt. Allerdings nicht alleine, denn Sie haben ja, wissentlich oder unwissentlich, eine ganze Reihe an Mittätern. Und mit diesen Mitstreitern zwingen Sie den Staat förmlich dazu, die Bewegungsfreiheit seiner Bürger massiv einzuschränken. Mit freier persönlicher Entfaltung wie sie im Grundgesetz verbrieft ist, hat das dann nur noch bedingt zu tun.

Jetzt muss für eine Verurteilung noch ein weiterer Aspekt erfüllt sein: Die Straftat muss sich gegen das Leben anderer richten – und zwar gemäß den Paragraphen 211 oder 212 im Strafgesetzbuch. Das heißt konkret: Mord und Totschlag. Letzteres sehen wir hier nicht, aber ein Mordmerkmal ist hier allemal erfüllt. Tausende Menschen sind bereits am Coronavirus gestorben und das maßgeblich auch, weil Menschen wie Sie zu bequem waren, die Maske richtig aufzusetzen. Das kann man einerseits als Mord durch Unterlassen bewerten, aber eben auch als Bequemlichkeit. Und was, wenn nicht Bequemlichkeit, ist denn bitteschön ein niederer Beweggrund? Außerdem ist das Virus auf jeden Fall ein gemeingefährliches Mittel, mit dem die Tat begangen wird.

Da wären wir auch schon beim nächsten Thema: dem Virus. Wissen Sie, was das Problem ist? Das Virus lebt nicht, im Prinzip ist es ein Gegenstand. Als solches kann es problemlos als Waffe verwendet werden. Und dass es ein gesundheitsgefährdender Stoff ist, ich denke, darüber besteht Einvernehmen im Saal.

Sie waren in den letzten Wochen im Urlaub; auf Mallorca um genau zu sein. Solche Reisen sind glücklicherweise nicht verboten, aber was Sie dort gemacht haben, das schlägt dem Fass den Boden aus. Hemmungslos waren Sie viermal innerhalb einer Woche „hart Party machen“, wie Sie es nennen. Soll ich Ihnen verraten, was die deutsche Justiz dazu sagt? Beschaffung und Verwahrung der Waffe zur letztendlichen Tatbegehung. Selbstverständlich sind Sie daher auch nach Absatz 2a zu verurteilen, immerhin sind Sie trotz der aktuellen Gefahrenlage auf die Balearen gereist und haben dort trotz aller Widrigkeiten zügellos gefeiert. Es war Ihnen in diesem Moment mindestens egal, ob andere dabei zu Schaden kommen. Auch dafür kennt die Rechtsprechung einen Begriff: Eventualvorsatz.

Einen minderschweren Fall, wie er ja im Gesetz angedeutet wird, sieht die Kammer hier nicht, das ergibt sich aus der kopflosen Feierei, die Sie da drüben getrieben haben. Statt sich nach Ihrer Rückkehr in freiwillige Quarantäne zu begeben oder zumindest die Alltagsmaske richtig zu tragen, setzen Sie sich in den vollgestopften Bus und husten erst einmal, was das Zeug hält.

Dieses Urteil ist vielleicht auch gar nicht das letzte, was Sie von der Justiz zu hören bekommen. Denn der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich die Möglichkeit vorbehalten, gegen Täter wie Sie Führungsaufsicht anzuordnen. Das heißt im günstigsten Fall regelmäßige Termine beim Bewährungshelfer und im schlimmsten Fall eine elektronische Fußfessel. Darüber hat aber im Falle des Falles ein anderes Gericht zu entscheiden. Sie sollen aber wenigsten schon mal davon gehört haben.

Und nun kommen wir noch einmal auf unsere Entscheidung zu sprechen, die Strafe nicht zur Bewährung auszusetzen. Wir glauben, dass von ihnen weiterhin eine hohe Gefahr ausgeht, weitere ähnliche Straftaten zu verüben. Durch ihre konsequente Weigerung während dieser Verhandlung, die Maske über die Nase zu ziehen haben Sie das erneut unter Beweis gestellt. Auch wenn Sie nicht vorbestraft sind, ist das keine Garantie dafür, dass Sie Bewährung erhalten. Eine Milderung der Strafe nach Absatz 6 des Gesetzes kommt ebenfalls nicht in Betracht, immerhin haben Sie durch Ihr anhaltendes Falschtragen nicht dazu beigetragen, die Ausbreitung des Virus zu verhindern.

Gegen dieses Urteil kann noch innerhalb einer Woche ab heute Revision eingelegt werden. Die Verhandlung ist geschlossen.


Mehr zum Thema:

Vorteile mit vielen Nachteilen

Sommer, Sonne, Sonnenschein

Kein Rückgrat

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Vorteile mit vielen Nachteilen

Lesedauer: 6 Minuten

Die Maske ist das offensichtlichste Symbol der Corona-Pandemie. Und sie ist eine der Hauptakteurinnen in der kontroversen Debatte um die Schutzmaßnahmen. Richtig angewendet, bietet sie einen guten Schutz vor einer Infektion mit dem Virus. Aber nicht jeder hält sich an die Maskenpflicht. Die Vorteile der Alltagsmaske sind viel zu wenig greifbar und treten hinter den unmittelbaren Nachteilen der Maßnahme zurück. Immer weniger Menschen scheinen in der Zwischenzeit dazu bereit zu sein, sich ernsthaft an dieser solidarischen Schutzmaßnahme zu beteiligen.

Nachteile auf hohem Niveau

Sie ist störend. Sie fühlt sich blöd an. Man bekommt schlechter Luft. Unter ihr wird es gerade im Sommer schnell stickig. Die Brille beschlägt. All diese Eigenschaften tragen mit Sicherheit nicht zur Beliebtheit der Alltagsmaske bei. Denn von Tag 1 an hat jeder diese Erfahrungen mit ihr gemacht. Und jeder, der etwas längere Haare hat, weiß auch: Sie ist nicht mit jeder Frisur kompatibel. Und beim Friseur ist sie gleich dreimal ungünstig. Trotz dieser Nachteile mit erstweltlichem Ausmaß ist sie DER Hit auf Plattformen wie Instagram & Co. Würde man die geteilten Bilder nach dem Kriterium „Maske“ filtern, man würde schier ertrinken in der Flut an Bildern, die einem inzwischen entgegenschwemmt.

Die Influencer in den sozialen Medien versuchen das beste aus der Krise herauszuholen. Sie funktionieren die Maske zu modischen Accessoires um, versehen sie mit glitzerndem Strass wie man es eigentlich nur von Lady Gaga erwarten würde. Wer sagt eigentlich, dass eine Schutzmaßnahme nicht auch gut aussehen darf? Doof anfühlen tut sie sich ja bereits.

Trotzdem sträuben sich immer mehr Menschen gegen die Maskenpflicht. Sie ziehen sie aus den oben genannten „Gründen“ entweder falsch auf oder verzichten ganz auf sie – als ob die Einschätzung der Infektiosität in ihren Händen läge. Viele Brillenträger unter ihnen machen sich dabei eine Art Behindertenbonus zunutze. Bei korrekt anliegender Maske könnten sie ja gar nichts sehen, die Brille würde ja aufgrund der warmen Atemluft sofort und dauerhaft beschlagen. Als Brillenträger kann ich euch nur sagen: ein Ammenmärchen. Aber gut, überlassen wir diesen Unbelehrbaren selbst die Entscheidung darüber, ob sie wegen eines angeblich übersehenen Laternenpfahls oder wegen einer Corona-Infektion auf der Intensivstation landen wollen.

Maskenmanko

Eine Brille ist übrigens keine legitime Befreiung von der allgemein gültigen Maskenpflicht. Aber nicht nur Brillenträger sehen die Maske inzwischen als nichts anderes als eine lästige Pflicht, die kaum Tragekomfort bietet und selbst mit Strasssteinen behämmert aussieht. Als solche kann sie praktisch nur Minuspunkte sammeln. Weil sie angeblich nur Nachteile mit sich bringt, lädt sie geradezu zur Umgehung ein. So rutscht die Maske gerne einmal unbemerkt unter die Nase und bedeckt mit viel Glück vielleicht noch die Unterlippe. Jeder Mensch weiß schließlich, wie hochinfektiös das menschliche Kinn ist.

Das große Manko der Maske: Man kann ihren Erfolg kaum sehen, geschweige denn mit Händen greifen. Denn die Maske ist eine Schutzmaßnahme. Sie soll also etwas abwehren. Gelingt ihr das, so gibt es kein positives Ergebnis. Immer wieder wird die Fallschirm-Metapher bemüht. Wir haben durch die Maske und andere Maßnahmen bereits so viel erreicht, lasst uns den Fallschirm jetzt nicht mitten im Fall abschnallen! Das ist ein zutiefst logisches Bild, das hier gezeichnet wird. Es ist aber leider keines, das die Masse überzeugt.

Denn der Mensch glaubt nur das, was er sieht. Verhinderte Infektionen lassen sich zwar aus sinkenden Infektionszahlen herausinterpretieren, es gibt aber keinen Counter, der die genaue Zahl abgewehrter Krankheitsfälle mitzählt. Und selbst die Anzahl an Neuinfektionen steigt seit Wochen wieder an. Wir haben es einer Minderheit von Verweigerern zu verdanken, dass sich auch in Deutschland wieder deutlich mehr Menschen mit dem Virus infizieren. Und das kann man anhand der Zahlen sehen. Bei vielen kommt dann an: Wir haben steigende Fallzahlen trotz Maskenpflicht. Das ist so aber nur die halbe Wahrheit. Wir haben steigende Zahlen wegen rücksichtsloser Menschen.

Schutz für sich selbst, Arbeit für andere

Auch einen weiteren Faktor sollte man nicht übersehen: Bei korrekter Anwendung schützt die Alltagsmaske vor allem andere vor einer Infektion, nicht den Träger selbst. Wir sind also darauf angewiesen, dass andere sich ebenso an die Maskenpflicht halten. Der mittelbare Erfolg der Maske kommt also gar nicht dem Träger zugute, sondern der Allgemeinheit. Das ist vielen zu wenig. Und es bleiben zu viele übrig, auf die man die Verantwortung abwälzen kann. Wenn ich mich hier nicht an die Maskenpflicht halte, aber anscheinend alle anderen doch, dann ist das Risiko auch weiterhin minimal. Diese Milchmädchenrechnung machen viele. Viel zu viele.

Sie sind nicht bereit, den geringen Tragekomfort und alle anderen Widrigkeiten der Maske auf sich zu nehmen, um die Gemeinschaft zu schützen. Dass sie sich damit selbst in Gefahr bringen, begreifen diese Leute nicht. Sie sehen nur die anderen, die sie gefälligst vor einer Infektion mit dem Virus zu schützen haben – notfalls mit dem Leben. Sie nehmen den Schutz der anderen gerne in Anspruch, ohne selbst etwas dazu beizutragen. Der Duden kennt dafür ein eindeutiges Wort: unsolidarisch.

Die Größe macht’s

Solidarität hängt nämlich häufig mit der Größe der Gemeinschaft zusammen. Je größer eine Gruppe oder Gemeinschaft, desto geringer ist die Bereitschaft von einzelnen, sich solidarisch daran zu beteiligen. Im Gegensatz zu Steuerzahlungen kann der Staat die Maskenpflicht zwar verordnen, aber nur sehr viel schwerer effektiv überwachen. Im Gegensatz zu Steuern hat bei der Maske letztendlich jeder die freie Wahl, ob er sie aufsetzt oder nicht.

Je größer die Gruppe ist, desto geringer ist auch die allgemeine Überzeugung von solidarischen Maßnahmen wie der Maskenpflicht. Im Mittel wird sie auf Dauer weniger ernsthaft praktiziert, wenn sich der einzelne der Zugehörigkeit zu einer weitaus größeren Gruppe versichert weiß. Ob die Maske getragen wird oder nicht, macht für den Moment selten einen Unterschied. Es sind die längerfristigen, kaum zuordbaren Folgen, von denen der Erfolg oder der Misserfolg der Schutzmaßnahme abhängt. Verweigerer sind also genau jene Schlupflöcher, die das Virus braucht, um sich weiter auszubreiten.


Mehr zum Thema:

Wenn Verdrängen absichtlich passiert

Der politische Star der Pandemie

Smartphone und Verantwortung in einer Hand

Kein Rückgrat

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!