Fortschritt will Vorteil haben

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Die wichtigste Zutat für Fortschritt ist Veränderung. Der Mensch ist allerdings so gestrickt, dass er auf Veränderung keine Lust hat. Auf Veränderungen lässt er sich nur ein, wenn er sich einen erheblichen Vorteil davon verspricht. Ansonsten geht er nicht selten auf die Barrikaden und versucht alles, um die unliebsame Veränderung abzuwehren. So lassen sich die Unterwanderung von Klimaschutzgesetzen erklären, aber auch der Erfolg und Misserfolg mancher Politiker.

Das Duell der Gleichen

Vor wenigen Tagen standen sich Susanne Eisenmann von der CDU und der amtierende baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim TV-Duell gegenüber. In etwas mehr als 60 Minuten bezogen sie Stellung zu aktuellen landes- und bundespolitischen Themen. Echte Spannung gab es an diesem Abend keine und die meisten Zuschauer waren wohl froh, als die Schlussworte folgten. Viele Momente bei der Live-Konfrontation erinnerten in erschreckender Weise an so manches Kanzlerduell der letzten Jahre.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die beiden Kandidaten waren sich in zu vielen Punkten einig. Immer wieder waren sich Eisenmann und Kretschmann grün. Wie kommt es also, dass sich gerade diese beiden Pappaufsteller in ihren Parteien gegen alle anderen Kandidaten durchgesetzt haben? Warum haben andere Parteien keine Chance auf den Posten des Ministerpräsidenten?

Nötig dafür wäre ein echter Politikwechsel. Ein solcher Umschwung entsteht aber nicht aus netten Sonntagsreden, wie sie neulich wieder zu beobachten waren. Eine politische Kehrtwende erfordert immer den Mut zur Veränderung. Leider mangelt es bei den meisten hier aber bereits beim Willen dazu.

Fortschritt durch Nichtstun

Der Mensch ist ein Herdentier, das immerwährend nach Fortschritt strebt. Der Mensch ist aber auch extrem harmoniebedürftig. Veränderung passt ihm da gar nicht in den Kram. Ohne Veränderung gibt es aber auch keinen echten Fortschritt.

Einfaches Beispiel: Fragt man einen zufälligen Passanten, ob er für mehr direkte Demokratie ist, so fällt die Antwort zu 98 Prozent positiv aus. Bohrt man dann weiter nach, ob man denn bereit wäre, für dieses Ziel konkrete Maßnahmen zu ergreifen, so schwindet die Kooperationsbereitschaft zusehends. Ähnlich ist es beim Klimawandel. Jeder weiß, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern und jeder schreit danach, man möge die nötigen Schritte einleiten. Und trotzdem gibt es viel zu viele Menschen, die meinen, der Kampf gegen den Klimawandel sei die Angelegenheit von Experten. Viel zu wenige werden selbst tätig. Das ist einerseits ein Kommunikationsproblem, andererseits aber auch Bequemlichkeit.

Enorme Kraftanstrengung

Der Mensch lässt sich nur dann auf Veränderung ein, wenn sie ihm einen konkreten Nutzen bringt. Der Erfolg muss die Anstrengung deutlich übersteigen. Es reicht nicht aus, wenn der Gewinn am Ende zwar reichlich ist, die Opfer aber auch. Vielleicht ist dieses Verhalten evolutionär erklärbar. Immerhin steht der Mensch heute nicht umsonst an der Spitze der Nahrungskette. Mit ausgeklügelten Strategien erarbeitete er sich stets einen Vorteil gegenüber möglichen Fressfeinden. Das machte nur Sinn, wenn dieser Vorteil kein Zufallstreffer war, sondern nachhaltig die Existenz der eigenen Spezies gesichert hat.

Trotzdem liebt der Mensch den Weg des geringsten Widerstands. Kurzsichtige Menschen würden nun das Beispiel des Discounterschnitzels heranziehen. Wenn sich mancheiner sein Fleisch lieber im Regal von Aldi & Co. besorgt, anstatt den beschwerlichen Weg zum Metzger anzutreten, sehen das viele als unwiderlegbaren Beweis dafür, dass die reine Kostenfrage einem nachhaltigen Lebensstil im Wege steht. Sie übersehen dabei allerdings, dass sich diese Discountersünder das Schnitzel beim Metzger gar nicht leisten können und ihre Kaufentscheidung weniger mit Bequemlichkeit als mit politischen Rahmenbedingungen zu tun hat.

Diese politischen Rahmenbedingungen spielen auch dann eine zentrale Rolle, wenn es tatsächlich um den Weg des geringsten Widerstands geht. Denn wie durch Magie gelingt es besonders großen Verbänden und Unternehmen immer wieder, Schutzgesetze zu unterwandern. Sie ziehen eine kurzfristige Mobilisierung der Kräfte einem langfristigen Kraftakt stets vor. Eine beachtliche Menge an Energie wird dazu eingesetzt, Schlupflöcher in der neuen Gesetzeslage auszukundschaften und für den eigenen Vorteil zu nutzen. In vielen Fällen ist fast die gleiche Anstrengung nötig, die Schutzstandards dauerhaft einzuhalten. Für die Unterwanderung dieser Standards ist die Kraftaufbringung aber zeitlich begrenzter.

Glasklares Kommunikationsproblem

Diese himmlische Fügung für viele Unternehmen und Konzerne kann man vor allem bei den Themen Klimaschutz und Schutz der Arbeitnehmerschaft beobachten. Durch miese Tricks und durchsichtige Manöver werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um ihren Lohn geprellt. Maßnahmen zum Schutze der Umwelt und der Natur bedeuten für die Unternehmen ebenfalls enorme Mehrausgaben, die sie durch Anstrengung wieder reinholen müssten. Anstatt sich daran zu halten, suchen sie lieber nach Wegen, wie sie diese Anstrengung umgehen können.

Im Grunde basiert auf diesem Mechanismus ein beträchtlicher Teil des Erfolgs der AfD. Die rechtspopulistische Partei nutzt es gezielt für sich aus, dass es den anderen Parteien nicht gelingt, den erheblichen Nutzen ihrer Vorhaben zu kommunizieren. Dadurch fällt es den Rechten spielend leicht, die kurzfristigen negativen Auswirkungen solcher Pläne bis ins groteske zu übersteigern. Sie profitieren davon, dass es besonders den regierenden Parteien immer schwerer fällt, die Menschen abzuholen und mitzunehmen. Lieber soll alles beim Alten bleiben. Der Fortschritt wird sich schon von allein einstellen – hoffentlich zumindest.

Keine Chance

Ein ähnliches Denkmuster liegt den Wahlen ranghoher Politiker zugrunde. Gerade vergangenen Montag konnte man sehen, was die politische Stunde im Ländle geschlagen hat. Die Zeichen stehen eben nicht auf Veränderung. Auf Fortschritt wird trotzdem gehofft. Winfried Kretschmann musste sich nicht anstrengen, um seine Herausforderin Susanne Eisenmann alt aussehen zu lassen.

Kretschmann war dabei in einer ähnlichen Position wie Angela Merkel als sie auf ihre Herausforderer Steinmeier, Steinbrück und Schulz traf. Je krampfhafter die Kontrahenten versuchten, sich von der Gegenseite abzuheben, desto lächerlicher wurde es. Warum die Herren von der SPD und die Dame von der CDU so schlechte Karten hatten, hat zwei Gründe: Erstens unterschieden sie sich nur minimal von ihren politischen Gegnern und zweitens hat es keiner von ihnen vermocht, die Vorteile und den Fortschritt ihrer Politik deutlich zu machen.

Wie soll man Menschen die verhasste Veränderung denn schmackhaft machen, wenn sie sich nicht einmal einen Ansatz von Fortschritt von der neuen Politik erhoffen dürfen? Dann soll doch lieber alles beim Alten bleiben. Keiner will sich auf die Veränderung an der Spitze einlassen, wenn nicht das Bonbon Fortschritt und Vorankommen winkt. Gut, Frau Eisenmann hatte das zusätzliche Problem, dass sie sich mit jemandem aus der eigenen Partei zu duellieren versuchte. Eine Chance hatte sie mit ihren Argumenten aber von vornherein nicht.


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Fortschritt hui, Veränderung pfui

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Gestern hat die Regierung zu wenig getan, heute macht sie zu viel. Der Protest auf deutschen Straßen könnte unterschiedlicher nicht sein. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise fürchtete man sich vor einer drohenden Islamisierung Deutschlands. Die Regierung wehre die Flüchtlinge nicht ab, sondern hole sie sogar ins Land. Fünf Jahre später ist es genau andersrum: Die Maßnahmen der Bundesregierung sind übertrieben, die Bedrohung durch das Virus mit einer Grippewelle vergleichbar. Die Akteure sind beide Male jedoch die gleichen. Und beide Male bedeuten die Herausforderungen enorme Veränderungen. Und wer steht schon darauf?

Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.

Albert Einstein zugeschrieben
Merkel muss weg

Deutschland im Herbst 2015: Karl W. geht auf eine Demo. Er hat Angst um das Leben wie er es kennt. Er möchte nicht morgens vom Muezzin geweckt werden und er möchte auch nicht, dass seine Frau ihre wunderschönen Haare unter einem Kopftuch verstecken muss. Auf regelmäßiges Beten auf einem kleinen Teppich hat er auch keine Lust. Vor allen Dingen möchte er nicht der nächste sein, der in einem Park hinterrücks als Gotteslästerer erstochen wird. Er hat nicht nur Angst um sich und seine Liebsten – er hat Angst um sein Land. Er möchte weiterhin in einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft leben, in der jeder seine Meinung sagen darf. Er will nicht gleich eingekerkert werden, bloß weil ihm eine kritische Bemerkung zu Allah oder sonstwem über die Lippen kommt.

Seine Angst hat einen Hintergrund. Vor einigen Wochen hat Bundeskanzlerin Merkel einen unkontrollierten Strom von Flüchtlingen, hauptsächlich aus Syrien, ins Land gelassen. Hunderttausende unbegleitete junge Männer haben seither sein Land okkupiert, manche reden gar von Millionen. Karl W. will sich nicht damit abfinden, dass künftig diese Fremden, diese völlig andersartigen Menschen das Sagen haben werden. Er weiß, dass es ein gewaltiges Politikversagen gab. Er schließt sich der wütenden Menge an. Die Konsequenz ist völlig klar: Die Kanzlerin muss zurücktreten. Sie hatte geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Mit den Flüchtlingen hat sie den Schaden sogar ins Land gebracht. Sie hat ihren Amtseid mit Füßen getreten. Dafür darf sie dieses Land nicht mehr regieren.

Merkel muss immer noch weg

Die Jahre ziehen ins Land. Der Flüchtlingsstrom hat längst nachgelassen. Viele Menschen versuchen sich mit der Situation zu arrangieren. Andere Probleme holen sie ein. Dann schlägt sie zu: Die Corona-Pandemie erreicht auch Deutschland. Immer mehr Menschen werden krank. Angela Merkel ist noch immer Bundeskanzlerin. Sie weiß, dass sie handeln muss. Ihr Volk ist in Gefahr. Noch einmal will sie sich nicht als Volksverräterin beschimpfen lassen. Sie ist fest entschlossen, an ihrem Amtseid festzuhalten. Als Naturwissenschaftlerin weiß sie, dass eine Übertragung der Krankheit so schwer wie möglich gemacht werden muss bis ein wirksames Medikament oder ein Impfstoff erfunden wurde. Sie ruft die Bevölkerung dazu auf, zu Hause zu bleiben, verordnet eine Maskenpflicht, schließt Restaurants und Gaststätten. Sie legt dem Virus einen Stein nach dem anderen in den Weg – alles, um ihr Volk zu schützen.

Karl W. geht zu dieser Zeit wieder zu einer Demo. Er ist erzürnt. Nachdem die Kanzlerin vor Jahren mit der Flüchtlingswelle die innere Sicherheit des Landes schwer erschüttert hat, wagt sie es nun ein weiteres Mal, ihren Amtseid zu brechen. Ganz offensichtlich arbeitet diese Frau daran, ihre heißgeliebte DDR wiederzubeleben. Unliebsame Meinungen werden heute ganz banal mit einem Mundschutz unterdrückt. Demos und sonstige Veranstaltungen finden nur nach eingehender Prüfung statt, auf sein Feierabendbier in der Kneipe um die Ecke musste Karl W. wochenlang verzichten. Er hat genug. Er will seine Freiheit zurück. Das angeblich so gefährliche Virus dient der Kanzlerin einzig dazu, ihre Diktatur voranzubringen.

Politisches Aprilwetter

Karl W. ist kein Einzelfall. Er weiß eine gewaltige Menge hinter sich, die genug hat. Die Stimmung im Land ist schlecht. Und das nicht nur wegen der Flüchtlinge oder der Maskenpflicht. Auch die Natur geht sichtlich vor die Hunde. Ein Dürresommer folgt auf den nächsten. Missernten und viel zu niedrige Wasserstände sind die Folge. Gerade ältere Menschen haben schwer mit der Hitze zu kämpfen. Die Menschen wissen, dass sich etwas ändern muss. Sie wollen, dass sich auch ihre Kinder und Enkel an den faszinierenden Wundern der Natur erfreuen können.

Forscher und Experten sind sich einig: Der Klimawandel ist größtenteils menschengemacht. Er kann also auch vom Menschen aufgehalten werden. Die Forscher wissen, dass klimaschädliche Gase einen ganz besonders großen Anteil am beschleunigten Treibhauseffekt haben. Sie zu reduzieren ist das Gebot der Stunde. Die Umsetzung ist Sache der Politik. Die kommt dann mit obskuren und realitätsfernen Forderungen um die Ecke, wie zum Beispiel ein Verbot von Dieselfahrzeugen. Wer sich gestern noch lauthals über das schwer auszuhaltende Wetter beschwert hat, tut das auch heute noch. Ein Verzicht auf das heißgeliebte Auto ist aber nicht drin, selbst dann nicht, wenn der Staat die Anschaffung eines klimafreundlicheren Modells bezuschusst.

Die Politiker wollen dem Volk entgegenkommen. Wenn schon kein neues Auto, dann wenigstens keine übertriebene Raserei mit dem alten. Wer langsamer fährt, stößt schließlich auch weniger schädliche Gase aus. Wieder eine Blockade. Viele Leute wollen es sich nicht nehmen lassen, mit 200 Sachen über die Autobahn zu brettern. Die Forderung aber bleibt bestehen: Es kann so nicht weitergehen, wie es jetzt ist. Veränderung muss her. Aber bitte ohne Anstrengung. Das muss sich auch anders regeln lassen.

Was würde es denn bedeuten, wenn die Dieselfahrer auf alternative Modelle umsteigen würden? Sie müssten ihren bisherigen Lebensstil hinterfragen. Die Konsequenz daraus ist völlig klar: Sie müssten sich verändern, sie müssten etwas leisten. Darauf haben die meisten keine Lust. Sie haben ihre Schuldigkeit bereits getan, als sie auf die Missstände hinwiesen. Beseitigen kann sie jemand anderes. Aber dann bitte möglichst so, dass man selbst am besten keinen Finger krummmachen muss. Die nächste Demo findet sonst bestimmt statt.

Fortschritt ohne Veränderung?

Die meisten sehen tatsächlich nur die Veränderung. Die Aussicht darauf reicht aus, um eine Abwehrhaltung hervorzurufen. Oftmals denken die selbsternannten Querdenker gar nicht weiter. Der drohende Verlust der Komfortzone reicht aus, um sie auf die Barrikaden zu bringen. Dabei gibt es tatsächlich ernstzunehmende sozialpolitische Gründe, um so manche Maßnahme kritisch zu sehen. Doch all diese Argumente interessieren diese Menschen nicht. Es ist viel einfacher, sich von populistischen Rattenfängern vor den Karren spannen zu lassen, anstatt selbst nachzudenken. Dann besteht nämlich das Risiko, die Dimension des Problems zu begreifen und noch mehr unter Zugzwang zu stehen.

Aber vielleicht ist der Verzicht auf das Auto in der heutigen Zeit ja wirklich undenkbar. Immerhin gibt es viele Orte und Gemeinden in Deutschland, die ohne fahrbaren Untersatz schlicht unerreichbar sind. Der letzte Bus wurde hier vor zwanzig Jahren gesehen und die Bahnstrecke wurde schon vor dem Zweiten Weltkrieg stillgelegt. Natürlich redet man dann nicht gerne über Veränderung. Denn in einem solchen Fall ist sie mit echten Strapazen verbunden.

Aber selbst wenn der öffentliche Nahverkehr regelmäßig Hintertupfingen ansteuern würde, könnten sich wahrscheinlich viele einen Verzicht auf das Auto nur schwer vorstellen. Wie sollte es auch anders sein? Selbst etwas so entbehrliches wie Silvesterböller würden viele bereits schmerzlichst vermissen. Jahr für Jahr werden lächerliche Summen für den kurzweiligen Spaß ausgegeben. Jahr für Jahr brennen die Dachstühle. Und Jahr für Jahr die gleichen heuchlerischen Vorsätze: Beim nächsten Mal wird weniger geböllert. Als letztes Neujahr das Affenhaus in Krefeld lichterloh in Flammen stand, da wurde mit Tränen nicht gegeizt. Und trotzdem ist der Trend klar: Auch nächstes Silvester wird das Laienfeuerwerk starten. Veränderung wird wohl niemals im Trend sein.


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