Vorschau zur Elefantenrunde 2021

Lesedauer: 7 Minuten

Guten Abend, meine Damen und Herren. Selten war eine Wahl so spannend wie die des heutigen Abends. Gleich drei potentielle Kandidatinnen und Kandidaten konkurrierten um den Einzug ins Kanzleramt. Für mindestens eine der dreien dürfte der Traum von der Kanzlerschaft mit dem heutigen Abend allerdings ausgeträumt sein.
Wir möchten heute Abend sprechen mit den Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der im nächsten Deutschen Bundestag vertretenen Parteien.
Frau Merkel, Sie sehen uns ein wenig verdutzt, dass Sie hier sitzen und nicht Ihr Spitzenkandidat Armin Laschet. Wie kam es dazu?

Merkel: Nun, zu allererst möchte ich betonen, dass wir uns als Union natürlich trotz der starken Verluste sehr darüber freuen, dass wir wieder stärkste Kraft wurden. Trotzdem kann uns dieses Ergebnis nicht zufrieden stimmen und in Angesicht dieser Tatsache bitte ich doch um Verständnis dafür, dass heute Abend nicht Herr Laschet hier sitzt, sondern ich.

Aber Sie nehmen zur Kenntnis, dass die Union das schlechteste Ergebnis in der Parteiengeschichte eingefahren hat?

Merkel:  In erster Linie sind CDU und CSU die Wahlsieger des heutigen Abends und darum haben wir erneut einen klaren Regierungsauftrag.

Herr Scholz, Ihre Partei konnte gut zulegen. Sehen Sie die Union auch als die Wahlsiegerin des heutigen Abends?

Scholz: Selbstverständlich sehe ich das nicht so. Die sozialdemokratische Partei belegt zwar nur Platz 2, aber ich bin gespannt darauf, wie Frau Merkel oder Herr Laschet oder wer auch immer unter diesen Voraussetzungen eine stabile Mehrheit zustandebekommen möchte.

Weidel: Vielleicht ja mit einer Großen Koalition, dafür haben Sie doch ein Faible, Herr Scholz.

Frau Weidel, Sie haben das Wort ergriffen, deswegen kommen wir ohne Umschweife zu Ihnen. Schmerzt Sie das Ergebnis des heutigen Abends eigentlich?

Weidel: Sicher müssen wir eingestehen, dass wir nach derzeitigem Stand Stimmen verloren haben. Man sollte aber auch nicht außer Acht lassen, dass die Briefwahl zu Manipulationen geradezu einlädt und gegen die Alternative für Deutschland eine regelrechte Hetzkampagne in diesem Land geführt wurde, besonders vonseiten der Medien.

Habeck: Ach, Frau Weidel, das war wieder vorprogrammiert, dass sie sich als die armen Opfer hinstellen.

Herr Habeck, auch an Sie die Frage: Warum sitzen heute Abend Sie hier und nicht Frau Baerbock?

Habeck: Annalena ist nach diesem wirklich nicht zufriedenstellenden Ergebnis zu dem Schluss gekommen, dass ich die Interessen der Bündnisgrünen in dieser Runde weitaus besser vertreten kann.

Weidel: Die Leute haben sich von Ihrer Verbotspolitik eben nicht beeindrucken lassen.

Herr Lindner, nach ersten Hochrechnungen konnten Sie viele Wähler von der AfD für sich gewinnen. Betrachten Sie das das als Pyrrhussieg?

Lindner: Auf keinen Fall, ich freue mich über jeden Wähler, der zur bürgerlichen Politik zurückkehrt.

Weidel: Mein Gott, ist das alles wieder dümmlich hier…

Lindner: Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass die Digitalisierung in diesem Land vorankommt. Mit Rot-Rot-Grün hätte es diesen Schub nicht gegeben. Unser starkes Abschneiden hat diesen Staatssozialismus Gott sei Dank verhindert.

Weidel: Staatssozialismus verhindert?! Entschuldigen Sie, Herr Lindner, aber Sie befürworten die Diskriminierung von Ungeimpften genau so wie alle anderen in dieser absurden Runde.

Herr Lindner, bevor Sie darauf eingehen, würden wir gerne Frau Hennig-Wellsow in die Runde holen. Frau Hennig-Wellsow, Rot-Rot-Grün wurde gerade angesprochen. Diese Mehrheit wird es wohl nicht geben. Wie gehen Sie damit um?

Hennig-Wellsow: Das kann ich Ihnen heute Abend noch nicht sagen. Fakt ist, dass wir an der nächsten Bundesregierung nicht beteiligt sein werden und sehr genau intern klären müssen, wie das heutige Ergebnis zustandekommen konnte.

Lag es vielleicht an den Agitationen gegen Ihre Parteigenossin Wagenknecht?

Hennig-Wellsow: Das kann ich mir nicht vorstellen, die gesamte Partei steht hinter Sahra Wagenknecht.

Erst vor kurzem gab es ein Parteiausschlussverfahren gegen die ehemalige Fraktionsvorsitzende.

Hennig-Wellsow: Das ist richtig, aber wie Sie sicher wissen, wurde Frau Wagenknecht nicht aus der Partei ausgeschlossen. Sie war auch fest in unseren Wahlkampf integriert.

Herr Dobrindt, auch Sie hatten mit Problemkindern in den eigenen Reihen zu kämpfen. Wie sehr ist Herr Scheuer für das schlechte Abschneiden Ihrer Partei verantwortlich?

Dobrindt: Das ist viel zu kurz gegriffen, Herr Scheuer hat als Verkehrsminister sehr gute Arbeit geleistet und die Untersuchungen zu anderen Fragen sind noch nicht abschließend geklärt. Mir ist auf jeden Fall sehr wichtig, dass Rot-Rot-Grün keine Mehrheit erhalten hat und der notwendige Klimaschutz nicht zulasten der Arbeitsplätze in diesem Land geht.

Hennig-Wellsow: Sicher, Herr Dobrindt, Sie haben Ihre Schäfchen aus den Chefetagen bereits in Sicherheit gebracht.

Frau Hennig-Wellsow hat es gerade angedeutet – Herr Habeck, wie gedenkt Ihre Partei gegen Lobbyismus vorzugehen? Immerhin könnten Sie an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein.

Habeck: Natürlich ist der Lobbyismus in diesem Land ein großes Problem, aber ich finde, wir reden schon wieder viel zu sehr am drängendsten Problem vorbei und das ist und bleibt der Klimawandel. Wir müssen alles dafür tun, dass wir spätestens 2035 klimaneutral sind.

Lindner: Aber Sie sind den Leuten bis heute eine Antwort schuldig geblieben, wie Sie das finanzieren wollen.

Krisenfinanzierung ist ein gutes Stichwort. Die Bürgerinnen und Bürger interessiert natürlich auch, wer die Kosten der Coronakrise zu tragen hat.

Habeck: Wenn ich das zum Klimaschutz gerade noch zu Ende führen darf. Diese Menschheitsaufgabe wird uns allen enorm viel abverlangen, keine Frage, aber…

Hennig-Wellsow: Sie lösen diese Aufgabe aber sicher nicht durch eine CO2-Bepreisung.

Herr Scholz, Klimakrise und Coronapandemie – wer zahlt am Ende die Zeche?

Scholz: Wir müssen jetzt erst einmal sicherstellen, dass wir nach der Krise keine neuen Schulden machen. Deswegen bin ich stark dafür, die Aussetzung der Schuldenbremse dringend zu überprüfen und…

Hennig-Wellsow: Die Ampel kommt.

Lindner: Nein, Frau Hennig-Wellsow, die wird mit Herrn Habeck sicher nicht kommen.

Hennig-Wellsow: Mit Ihnen kommt auf jeden Fall die soziale Kälte.

Lindner: Sie brauchen an mir jetzt nicht Ihre schlechte Laune über Ihr desaströses Wahlergebnis auszulassen.

Frau Hennig-Wellsow hat da aber einen wichtigen Punkt angeschnitten. Wie wollen Sie für soziale Gerechtigkeit sorgen? Frau Weidel?

Weidel: Naja, bevor wir uns hier in sozialistischen Umverteilungsfantasien verlieren, sollten wir erst einmal dafür sorgen, dass die Menschen in diesem Land gerecht behandelt werden. Wenn ich mir jetzt schon die systematische Diskriminierung von Ungeimpften ansehe…

Das war zunächst gar nicht die Frage, Frau Weidel. Wir wollten wissen, wie Sie für sozialen Ausgleich sorgen wollen.

Weidel: Wenn Sie mir jetzt schon wieder ständig ins Wort fallen, dann kann ich mir die ganze Sache hier auch sparen. Schönen Abend.

Frau Weidel hat unsere Runde verlassen, deswegen geht die Frage an Sie, Herr Scholz: Mindestlohn 12 Euro, ja oder nein?

Scholz: Wir sollten nicht so tun, als wären durch einen höheren Mindestlohn alle Probleme in diesem Land gelöst. Wir setzen uns für stärkere Tarifpartner ein, damit ein deutlich höherer Mindestlohn erreicht werden kann.

Hennig-Wellsow: Die Ampel wird kommen.

Habeck: Meine Güte, ich krieg‘ gleich schon wieder zu viel! Jetzt reden wir den ganzen Abend schon wieder nur über Koalitionen und persönliche Befindlichkeiten. Stattdessen müssen wir dringend endlich etwas gegen den Klimawandel unternehmen. Es kann doch nicht sein, dass in diesem Land niemand…

Es kann tatsächlich nicht sein, dass in diesem Land niemand weiß, wie es mit unserer scheidenden Frau Bundeskanzlerin weitergeht. Frau Merkel, was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Merkel: Ach wissen Sie, es tut auch mal richtig gut, wenn man Dinge einfach auf sich zukommen lässt. Im Moment habe ich da noch keine so genau Vorstellung.

Damit sind wir am Ende unserer heutigen Runde. Wir verabschieden uns und wünschen Ihnen noch einen schönen Abend.

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Eine Partei für’s Gewissen

Lesedauer: 8 Minuten

Am vergangenen Sonntag verabschiedeten die Grünen ihr neues Grundsatzprogramm. Grün geblieben ist dabei bestenfalls das Cover. Von vielen Forderungen und Positionen der ersten Stunde hat sich die Partei mit dem neuen Programm endgültig verabschiedet. Die Grünen lassen keinen Zweifel daran, dass ein politischer Neuanfang mit ihnen nicht zu machen ist. Aber wenigstens kündigen sie es vorher an…

Eine Partei auf dem Weg nach oben

Die Grünen sind weiter im Umfragehoch. Die Zustimmung zu ihrer Politik ist ungebrochen stark. Vorbei sind die Zeiten, als sich die Partei ein Kopf-an-Kopf – Rennen mit den Linken leisten musste, der Gegner spielt heute in einer anderen Liga. Vor zwanzig Jahren hätte noch keiner zu ahnen gewagt, dass die Grünen heute selbst die einstige Volkspartei SPD hinter sich lassen. Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, kämen die Grünen auf rekordverdächtige 20 Prozent der Zweitstimmen. Würde sich dann auch noch die Union dazu herabbegeben, mit den Grünen zu koalieren – eine neue GroKo wäre geschmiedet.

Aber wie kam es dazu, dass die einst belächelte und dann verschriene Partei heute so übertrieben gute Ergebnisse einfährt? Selbst in den ostdeutschen Bundesländern – schon immer ein heikles Pflaster für die Grünen – wächst die Zustimmung. Die Grünen sitzen dort in fünf Landesparlamenten und regieren in allen diesen mit.

Haben die Menschen also umgedacht? Sind die Grünen gar nicht so schrecklich, wie das die Politiker der 1980er weismachen wollten? Bei der Bundestagswahl 1983 schaffte es die eben erst gegründete Partei mit 5,6 Prozent der Stimmen gerade so ins Bundesparlament. Da war sicher Luft nach oben. Der Aufschwung folgte in den folgenden Jahren. In späteren Bundestagswahlen schafften es die Grünen teilweise sogar bis in den zweistelligen Bereich. Das bisher beste Ergebnis ihrer Geschichte fuhren sie 2009 mit knapp über 10 Prozent ein.

Kurzer Trend oder Dauerbrenner?

Ungefähr da war das Wählerpotenzial grüner Politik auch erschöpft. Schaut man in frühere Grundsatzprogramme der Partei, wird klar, dass viel mehr als ein Zehntel der Wählerinnen und Wähler dafür nicht zu erwärmen ist. Natürlich spielen auch äußere Einflüsse eine Rolle bei der Beliebtheit einer Partei. Extremistische Parteien beispielsweise profitieren von wirtschaftlichen Krisenzeiten. Bei Umwelt- und Naturkatastrophen wandern viele Wähler eher zu den Grünen ab.

Selten sind diese Hochs aber von langer Dauer. Oft sind sie der Aktualität gewisser Vorkommnisse geschuldet und flauen mit der Zeit ab. Noch seltener beschäftigen sich die neugewonnenen Wähler ernsthaft mit dem Programm der Partei, die sie neuerdings wählen. Denn echte grüne Politik verlangt den Menschen eine Menge ab.

Geht man auf die Straße und fragt die Passanten, ob ihnen der Schutz der Umwelt wichtig ist, so werden die meisten mit einem enthusiastischen „Ja“ antworten. Sie aber für aktiven Umweltschutz zu gewinnen, sei es auch nur durch Spenden, ist schon weitaus schwieriger. Denn Ziele wie Klimaschutz, Umwelterhalt oder auch direkte Demokratie sind mit Anstrengung verbunden. Aber zumindest bei letzterem kommen die Grünen seit vergangenem Sonntag nicht mehr in die Quere.

Bürgerliche Partei mit grünem Anstrich

Trotz dieser Schwierigkeiten, Menschen für echte grüne Politik zu begeistern, feiern die Grünen einen Wahlerfolg nach dem nächsten. In Baden-Württemberg holten sie vor knapp fünf Jahren gar mehr als 30 Prozent. Ist das südwestdeutsche Bundesland also ein Sammelbecken von Umweltaktivisten, Radikaldemokraten und Alt-68ern? Sicherlich nicht. Die Grünen verstanden es gerade in Baden-Württemberg, sich in eine bürgerliche Partei mit grünem Anstrich zu wandeln. Denn ihr vor wenigen Tagen verabschiedetes Wahlprogramm würde ihre Stammwählerschaft von einst verprellen, wären viele der Wählerinnen und Wähler nicht schon in den letzten Jahren davongelaufen.

Immer häufiger können sich die Grünen dafür rühmen, Politik mit Realitätsbezug zu machen. Durch ihre eindeutigen Überschneidungen mit dem bürgerlichen Lager sind sie zu einer Kraft geworden, mit der man rechnen muss, immer mehr auch auf Bundesebene. Sie werden heute von Menschen gewählt, die die Grünen noch vor einigen Jahren nicht mit der Kneifzange angefasst hätten. Ebendiese Wählerschicht sprechen die Grünen mit ihrem neuen Grundsatzprogramm auch an. Sie setzen heute auf die Gewissenswähler, die zwar nicht ernsthaft glauben, die Grünen könnten grundsätzlich etwas verändern, die aber mit einem guten Gefühl aus der Wahlkabine kommen. Diese Menschen wählen die Grünen, weil sie ihre bürgerlichen Interessen vertreten und gleichzeitig lauthals eine Trendwende in der Klima- und Wirtschaftspolitik fordern. Balsam für’s Gewissen.

Ringelpiez mit Anfassen

Die Grünen sind also zu einer Wohlfühlpartei geworden. Sie sprechen heute vermehrt die Leute an, die Klimaschutz und nachhaltiges Wirtschaften zwar richtig klasse finden, aber niemals einen Finger dafür krummmachen würden. Oder solche Menschen, die sich den von den Grünen propagierten Lebensstil leisten können. Wie andere bürgerlichen Parteien sprechen sie gezielt die Bequemlichkeit der Menschen an. Mit der Wahl der Grünen gibt es sogar noch einen Gewissensbonus für das Nichtstun obendrauf.

Im Prinzip unterscheiden sich die Grünen in dieser Taktik nicht grundlegend von der AfD. Viele wählen die AfD, weil sie provozieren wollen und nichts bis wenig zu verlieren haben. Die Grünen drehen diese Denkweise um. Sie werden heute vorrangig von Menschen gewählt, die zwar auch aus dem Mainstream ausbrechen wollen, die aber wissen, dass sie mit der Wahl der Grünen nichts von dem verlieren werden, was sie haben.

Versagen mit Ankündigung

Die Grünen sind wahrlich ein Phänomen. Gestern verlacht, heute im Aufschwung, morgen in der Bundesregierung und übermorgen vielleicht ein Kanzler Habeck? Die Entwicklung dieser einstigen Nischenpartei zur Volkspartei ist bemerkenswert. Ebenso bemerkenswert ist, dass sich die Grünen so kämpferisch geben, gleichzeitig aber keinen Zweifel daran lassen, wie mut- und kraftlos sie in Wahrheit sind.

Denn jede Partei, die nach der Macht strebte, hatte eine Vision. Die Menschen versprachen sich klare Vorteile davon, als sie 1998 für die SPD und damit für Gerhard Schröder als neuen Kanzler stimmten. Der Dicke musste einfach weg. Vielleicht hätte man Schröders wahre Ansinnen erkennen können, hätte man etwas genauer hingesehen. Trotzdem war die SPD stets bemüht, diese Unzulänglichkeiten zu verdecken. Das neue Grundsatzprogramm der Grünen kündigt allerdings unverfroren an, für nichts anderes als eine Neuauflage der herrschenden Politik zu stehen. Es geht ihnen in erster Linie nicht darum, Angela Merkel zu entmachten. Die hat ihren Rückzug längst selbst eingeleitet. Die Grünen wollen einfach nur an die Macht.

Und dorthin werden sie auch kommen. Und zwar in einer schwarz-grünen Koalition. Ihr neues Grundsatzprogramm lässt gar keinen anderen Schluss zu. Für Grün-Rot-Rot wird es voraussichtlich keine Mehrheit geben. Eine Ampelkoalition würde wieder einmal an der FDP scheitern. Was bleibt, ist die Zusammenarbeit mit CDU und CSU. Darauf bereiten sich die Grünen akribisch vor. Alle Spuren von Politikansätzen, die den Konservativen missfallen könnten, wurden flugs aus dem Grundsatzprogramm gestrichen. Direkte Demokratie durch bundesweite Volksentscheide? Mit der Union nicht zu machen, also weg damit.

Die Grünen verspielen damit eine Lenkungswirkung, die sie durch ein starkes Wahlergebnis sicherlich hätten. Aber wohin sollen sie denn lenken ohne unbequeme Forderungen? Die zu erwartenden Folgen des Klimawandels werden zwar sehr unbequem, aber das hat die Mehrheit inzwischen auch ohne Regierungsbeteiligung der Grünen zur Kenntnis genommen. Und selbst in diesem essentiellen Bereich haben die Grünen fleißig den Rotstift angelegt. Der Kohleausstieg bis 2030 ist für die Partei ebenso passé wie die strikte Ablehnung von Bundeswehreinsätzen ohne UN-Mandat. Deutlicher kann man seinen künftigen Koalitionspartner nicht in Watte packen. Der Machtanspruch der Grünen ist nichts weiter als ein Versagen mit Ankündigung.


Mehr zum Thema:

Protest aus der Komfortzone

Wie die Linken die Menschen rechts liegenlassen

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Prinzip „Merkel“

Lesedauer: 11 Minuten

Sie regiert das Land seit fünfzehn Jahren. Lange Zeit galt sie dabei als alternativlos. Nun ist das Rennen um Angela Merkels Nachfolge als Bundeskanzlerin endgültig entbrannt. Gleich mehrere Unionskandidaten bekundeten Interesse an Muttis Posten.  Egal wer sich durchsetzen wird – der nächste Kanzlerkandidat sieht großen Aufgaben entgegen. Wichtige politische Probleme sind weiterhin ungelöst. Angela Merkel hinterlässt zudem einen gewaltigen Scherbenhaufen, der einst unsere politische Landschaft war.

Sie ist ein Phänomen. An Angela Merkel beißen sich viele die Zähne aus, nicht nur Politikwissenschaftler. Die Berichte über ihre Führungsschwäche und ihr Versagen auf verschiedenen Gebieten passen so gar nicht zu der Tatsache, dass diese Frau das Land seit anderthalb Jahrzehnten regiert. Wie bereits bei ihrem Amtsvorgänger Helmut Kohl kennt eine ganze Generation nur sie als Kanzlerin. Ihr politischer Ziehvater ist auch der einzige, der Deutschland länger regiert hat, aber nicht wesentlich. Es steht bereits jetzt fest: Wenn Angela Merkel nach der Bundestagswahl 2021 das Kanzleramt verlässt, regierte sie genau so lange wie „der Dicke“.

Die Schwäche der anderen

Trotzdem reiben sich viele Menschen an der Personalie Merkel. Sie reden von Planlosigkeit, grenzenloser Führungsschwäche und fehlender Standhaftigkeit. Doch eines muss man anerkennen: Als Kanzlerin saß Merkel immer fest im Sattel. Während ihrer gesamten Amtszeit gab es keinen einzigen, der ihr hätte gefährlich werden können. Etwaige Gefahren identifizierte sie frühzeitig und eliminierte sie. Doch Fakt ist auch: Merkel ist keine Kämpferin. Wahlkämpfe liegen ihr nicht. Erinnert sei hier nur an den Slogan der CDU zur letzten Bundestagswahl: „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben.“ Mit noch weniger Inhalt wären die Plakate weiß geblieben.

Es war für Merkel auch fast nie nötig, einen guten Wahlkampf zu führen. Oftmals profitierte sie von der Schwäche anderer. Geschickt nutzte sie die rot-grüne Handlungsunfähigkeit 2005, um endlich ins Kanzleramt aufzusteigen. Mit etwas über 35 Prozent fuhr sie für ihre Partei wahrlich kein herausragendes Ergebnis ein. Sie lag nur einen Prozentpunkt vor Schröders SPD. Doch dessen Mehrheit war futsch. Merkels Griff nach der Macht stand nichts mehr im Wege.

Anstatt sich mit ihrer Wahlniederlage zufriedenzugeben, ließen sich die Genossen auf das Abenteuer große Koalition mit der neuen Kanzlerin ein. Andere Bündnisse waren schlicht zu aufwändig. Doch die Sozialdemokraten zahlten einen hohen Preis für ihre Kompromissbereitschaft. Vier Jahre später strafte sie der Wähler an der Urne ab: Die SPD rutschte auf ihren tiefsten Wert in der bundesdeutschen Geschichte ab. Geschlagen zog sich die einstige Volkspartei nach dieser Wahl vorerst in die Opposition zurück.

Nun war Merkel erneut am Zug. Endlich hatte ihre Wunschkoalition mit der FDP wieder eine Mehrheit. Aber nicht, weil ihre CDU so graziös dastand. Im Vergleich zur vorausgegangenen Wahl hatte die Union sogar verloren. Die schwarz-gelbe Mehrheit war einzig auf das überraschend gute Abschneiden der FDP zurückzuführen. Mit einem deutlich zweistelligen Ergebnis konnten die Liberalen viele Sitze im Parlament dazugewinnen.

Tag der Abrechnung

Viel zu siegetrunken regierten die Gelben in den Folgejahren unter Kanzlerin Merkel. Sie realisierten nicht, dass sie eine politisch völlig orientierungslose Frau an der Macht hielten. Die Quittung folgte auch hier nach der nächsten Wahl. Nach vier Jahren unter Angela Merkel musste auch die FDP ihr bis dato schlechtestes Ergebnis verkraften. Besonders bitter: Die Partei schied vorerst aus dem Bundestag aus.

Dieser Trend setzte sich auch nach den folgenden Wahlen weiter fort. Während die Union mit Merkel in der Regel nur mäßig dazugewann oder verlor, regierte sie ihre Koalitionspartner regelmäßig in Grund und Boden. Besonders auffallend war hier die Bundestagswahl 2017. Während beide selbsternannten Volksparteien verloren, zeigten die Wähler vor allem der SPD den Mittelfinger – und verbannten sie erneut auf ein historisches Tief. Die Union konnte weiterregieren. Auf vier weitere Jahre mit Angie…

Hauptsache Volkspartei

2015 führte der Publizist Stephan Hebel ein sehr ausführliches Interview mit dem Linken-Politiker Gregor Gysi. In diesem sagte der ehemalige Fraktionschef sinngemäß, dass es für Angela Merkel nach der Wende keinen Unterschied gemacht hätte, ob sie in der Union oder in der SPD landete. Er traf den Nagel damit punktgenau auf den Kopf. Denn eines darf man nicht vergessen: Angela Merkel ist die typische Machtpolitikerin.

Deswegen ist es auch kein Zufall, dass sie in einer Volkspartei gelandet ist. Denn eine Volkspartei deckt die meisten Ideen und Bedürfnisse des Volks ab. Die kleineren Parteien hingegen, von der FDP bis zur Linken, sprechen immer eine ganz bestimmte Gruppe in der Bevölkerung an und werben für  viel konkretere Ziele. In einer solchen Umgebung wäre Merkel schnell untergegangen.

Merkels politischer Gemischtwarenladen

In einer der beiden großen Parteien kann eine Person wie Angela Merkel allerdings viel mehr Ideen und Konzepte aufgreifen und als ihre eigenen verkaufen. Und genau das tut sie. Unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel wurden Dinge beschlossen, für die ein echter Unionspolitiker niemals stehen würde. Auch Merkel selbst stimmt mit den Ideologien einiger der umgesetzten Vorhaben sicherlich überhaupt nicht überein. Doch indem sie Anliegen wie die Grundrente oder die Ehe für Alle gegen unionsinternen Widerstand durchwinkte, konnte sie sich bei vielen Wählern liebkindmachen. Die anderen Parteien, aus denen diese Ideen entlehnt worden waren, standen als Pappaufsteller daneben und schlugen sich selbst anerkennend auf die Schulter. Es ist daher auch kein Zufall, dass das rot-rot-grüne Lager trotz Einführung der Ehe für Alle kurz darauf so schlecht bei den Wahlen abschnitt.

In gewisser Weise ist die Diffamierung als „sozialdemokratische Kanzlerin“ daher auch ein Stück weit gerechtfertigt. Angela Merkel ist sicher keine Sozialdemokratin. Doch viele ihrer Vorhaben hat sie der SPD schlicht geklaut und heimst die Lorbeeren dafür ein. Seit Jahren sind die Sozen politisch so angeschlagen, dass sie das Spektakel lieber wehrlos ertragen, anstatt echten politischen Widerstand aufzubauen. Denn Merkel sozialdemokratisiert ihre Partei nicht. Sie entsozialdemokratisiert andere.

Habitat „GroKo“

Immer offensichtlicher gilt: Einmal GroKo – immer GroKo. Unter Merkel hat man kaum eine andere Wahl. Würde man eine Tierdoku über die Wahl-Uckermärkerin drehen, so dürfte der folgende Satz nicht fehlen: „Hier sehen wir die Kanzlerin in ihrem natürlichen Umfeld – in einer großen Koalition.“ Dieser Politikstil hat bei Merkel tatsächlich Methode. In einer Koalition der beiden mandatsstärksten Fraktionen kann Merkel die meisten Umhaben aufgreifen, ohne sich ernsthaft für ihre Willkür rechtfertigen zu müssen. Immerhin soll die Koalition ja auch Bestand haben. Zusätzlich ist die Opposition in einer solchen Konstellation traditionell besonders klein. Der Widerspruch ist somit auch besonders leise.

Das kurze schwarz-gelbe Intermezzo ist schnell erklärt: Eigentlich hat Merkel gar keine Lust auf lange, zähe Verhandlungen mit einer widerspenstigen SPD. Man kann es ihr nicht verdenken. Um Teile der Union zu beschwichtigen, gab sie sich dem naheliegenden Regierungsbündnis mit der FDP hin. Da ein solches Kabinett eine lange Tradition in der bundesdeutschen Geschichte hatte, musste sich keine der beiden Seite sonderlich anstrengen; schon gar nicht die Kanzlerin.

Ein politisches Novum

Angela Merkel vermag es meisterlich, die unterschiedlichen Interessen zu bündeln. Drei GroKos während ihrer Amtszeit sprechen für sich. Sie vereint die unterschiedlichen Vorstellungen in ihrer heißgeliebten Mitte. Doch die Mitte schwächelt. Ihr Politikstil führte zwangsläufig dazu, dass sich gerade die Union um Kopf und Kragen siegte. Ein Profil ist schon lange nicht mehr sichtbar. Immer stärker wird die einstige Mitte von demokratiefeindlichen Strömungen in die Zange genommen.

Doch anscheinend ist das der noch amtierenden Bundeskanzlerin egal. Statt die Probleme im Land wirklich ernstzunehmen und anzupacken, verwaltet sie ihre GroKo ungestört weiter. Es kümmert sie offenbar nicht, dass sie die deutsche Demokratie in einem desolaten Zustand zurücklässt. Das muss sie auch nicht kümmern. Sie hat immerhin angekündigt, bei der nächsten Bundestagwahl nicht mehr als Kanzlerkandidatin anzutreten.

Robert Habeck machte am vergangenen Sonntag bei Anne Will auf diese völlig neue Situation aufmerksam. Noch nie in der bundesdeutschen Geschichte trat ein amtierender Kanzler nicht wieder für das Kanzleramt an. Alle bisherigen Kanzler der Republik sind irgendwann einfach an ihren Gegenkandidaten gescheitert. Nicht so Angela Merkel. Sie ist nicht gescheitert. Erfolg hatte sie vielleicht auch nicht, aber gescheitert ist sie nie.

Volle Kontrolle

Keine andere Person auf dem Kanzlerstuhl hatte ihre Karriere so im Griff wie die derzeitige Regierungschefin. Vom Anfang bis zum Ende schwebte Merkel über allen anderen. Angriffe von Möchtegern-Gegnern wehrte sie mit Leichtigkeit ab. Und auch den Merkel-muss-weg – Rufern der letzten Jahre gab sie nicht nach. Beinahe trotzig erklärte sie ihre beabsichtigte Wiederwahl für das Jahr 2017.

Mit ihren unrühmlichen Plakaten wollten die Merkel-Gegner die Kanzlerin von ihrem Platz verdrängen. Sie sehnten sich nach einer stärkeren Persönlichkeit auf dem Regierungssessel. Doch die gab es nicht. Indem sie jetzt selbstbestimmt ihren Rückzug von Kanzleramt und Politik ankündigte, nahm Merkel diesen Schreihälsen geschickt den Wind aus den Segeln. Wer schreit heute noch nach Merkels Abwahl, wenn sie ihr Verfallsdatum selbst bestimmt hat?

Auch den Rechtspopulisten feixte Merkel eins mit ihrer Entscheidung. Die AfD möchte bekanntlich die Amtszeit des Kanzlers auf zwei Wahlperioden beschränken. Das würde zwangsläufig zu einem Zustand führen, welcher nun eingetreten ist. Ein Kanzler kann nach der zweiten Wahl mehr oder weniger vor sich hinregieren. Die Geduld der Parlamentarier ist dann weitaus höher: ein Ende ist schließlich in Sicht.  Auch so kann man Rechtsaußen den Fahrtwind nehmen.

Merkel hat fertig

Mit ihrer Ankündigung zum politischen Rückzug hat Angela Merkel eine strategisch sinnvolle Entscheidung getroffen. Der Widerstand wurde spätestens mit dem Einzug der AfD ins Bundesparlament zu groß. Eine weitere Amtszeit würde sie nicht überleben. Es ist immerhin auch fraglich, ob Union und SPD nach der nächsten Wahl überhaupt noch eine eigene Mehrheit hinbekämen. Dem Bundestag wird die scheidende Kanzlerin auch nicht mehr angehören. Viel zu hoch ist die Wahrscheinlichkeit, als Drückebergerin dazustehen.

Außerdem ist Angela Merkel politisch gar nicht mehr von Nöten. Nach fast sechzehn Jahren Kanzlerschaft stellt sich schließlich die Frage: Was möchte man von dieser Frau noch wissen? Kontroverse Fragen hat sie Journalisten schon zu Amtszeiten abgewöhnt. Sie scheute öffentliche Auftritte und war selten zu Gast in Talkshows – und wenn, dann meist einzeln. Während andere Altkanzler nach ihrer Abwahl teilweise lebhaft an Debatten teilnahmen, schwindet das politische Interesse an Angela Merkel mit ihrem Rückzug. Sie hat tatsächlich fertig.

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!