Das Extrem ist bequem

Beitragsbild: MarkusMoerth, Pixabay.

Lesedauer: 10 Minuten

Ich kenne Diktaturen nur aus dem Geschichtsbuch. Ich wurde nach dem Mauerfall und nach der deutschen Einheit geboren. Die DDR habe ich weder aktiv noch passiv erlebt. Die Nazizeit noch viel weniger. Ich bin froh, in einem freiheitlichen, demokratischen Staat aufgewachsen zu sein. Groß geworden bin ich in Baden-Württemberg. Neben Bayern vielleicht das Bundesland, das am wenigsten Grund zum Klagen hat. Doch nicht jeder ist so überzeugt von der Überlegenheit einer rechtsstaatlichen Ordnung wie ich es bin. Manche Menschen sehnen sich gar nach einer Diktatur. Ich kann es nicht ertragen.

Protestwähler wählen blau

Die AfD befindet sich weiter im Umfragehoch. Darin sind sich die meisten Meinungsforschungsinstitute einig. Sie sehen die Partei zwischen 13 und 15 Prozent. In einigen Umfragen überholen die Rechtspopulisten damit erneut die Sozialdemokraten. Doch spätestens seit man Björn Höcke, den Fraktionsvorsitzenden der Thüringer AfD, rechtmäßig als „Faschisten“ bezeichnen darf, ist völlig klar: Wer die AfD wählt, der wählt eine Partei, die mindestens in Teilen rechtsextrem ist. Das Urteil der Meininger Richter kann man sehen, wie man will. Offensichtlich ist allerdings, dass es für diesen Urteilsspruch Gründe gibt. Wer von „Bevölkerungsaustausch“ oder einem „Mahnmal der Schande“ redet, der kann nicht in der Mitte einer angeblich rechtsstaatlichen Partei stehen, wie es der scheidende AfD-Parteichef Gauland kürzlich formuliert hat.

Doch nicht nur Höcke sorgt mit seinen Äußerungen seit Jahren für Wirbel. Der AfD-Sprech von linksgrün-versifften Altparteien, von Schießbefehlen und von nutzlosen Kopftuchmädchen vergiftet die politische Debatte schon lange wie ein wucherndes Geschwür.

Noch bis vor kurzem war der Begriff des „Protestwählers“ geläufig. Diese Menschen wählten die AfD angeblich, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Gebracht hat es ihnen nicht viel: die gleiche Regierung fand in Neuauflage für eine weitere Legislatur zusammen. Die erschreckend hohen Wahlergebnisse der AfD in den ostdeutschen Bundesländern, ließ viele Menschen allerdings am Begriff der Protestwähler zweifeln. War es nicht viel mehr so, dass die Menschen die AfD nicht trotz ihrer Nähe zum rechten Rand wählten, sondern gerade wegen ihrer Nähe zum Rechtsextremismus?

Faschismus 2.0

Und was heißt überhaupt Rechtsextremismus? Viele AfD-Sympathisanten verdrehen genervt die Augen, wenn sie mit Phrasen wie „Wehret den Anfängen“ oder „aus der Geschichte lernen“ konfrontiert werden. Intuitiv verbitten sie sich jedweden Vergleich mit den Faschisten aus der NS-Zeit. Und mit einem haben sie dabei recht: Faschismus funktioniert heute tatsächlich anders als er noch vor 80 Jahren funktionierte.

Zum einen haben wir heute eine wesentlich stärkere und wehrhaftere Demokratie als das in den 1920er-Jahren der Fall war. Die Demokratie wird heute nach wie vor von der Mehrheit der Bürger gestützt. Zu Weimarer Zeiten war das anders. Die wenigen echten Demokraten wurden zwischen linksaußen mit ihren kommunistischen Träumereien und von rechtsaußen mit ihren Führer-Fantasien zerrieben. Der Abschied vom Kaiserreich fiel vielen schwer. Hier hat man aus der Geschichte tatsächlich gelernt: Die Fünf-Prozent – Klausel macht es extremistischen Strömungen heute schwerer, im Parlament Fuß zu fassen als es vor rund 100 Jahren der Fall war.

Und natürlich operieren die AfDler nicht so wie die Nazis unter Hitler. Selbstverständlich gehen sie nicht gleich von 0 auf 100. Sie haben heute nämlich einen folgenschweren Nachteil: Ihre Worte werden stets an denen der damaligen Nazis gemessen. Gerade weil es in der deutschen Geschichte schon einmal eine Entfesselung des Faschismus gab, müssen sie heute wesentlich behutsamer und subtiler vorgehen. Und selbst Hitler ging nicht gleich von 0 auf 100. Vielleicht erst mal auf 70. Und die AfD geht heute vielleicht auf 50.

Doch selbst das bewahrt sie selten vor der mächtigen Nazikeule, die sie gerne auch für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert. Den Nachteil, dass es den Faschismus in Deutschland schon einmal gab, münzen die Rechtspopulisten dabei geschickt in einen Vorteil um. Frei nach der Logik „Wenn wir uns nicht so wild aufführen, wie die von damals, kann uns keiner was.“ Stoßen sie auf Widerstand, schwingen sie selbst die Nazikeule und stilisieren sich zu Opfern. Weiterhin gilt, was Brecht einst schrieb: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

30 Jahre für die Tonne?

Vor kurzem jährte sich der Mauerfall zum 30. Mal. Zeit für eine schiere Flutwelle an Dokus und Polit-Talks zu genau diesem Thema. Diskutiert wird bevorzugt, ob Ossis Bürger zweiter Klasse sind. Politiker überschütten sich förmlich mit Vorwürfen, was damals alles schiefging und wie es hätte besser laufen können. Kurzum, an diesen Beiträgen führt kein Weg vorbei.

Auch das rbb trug dem Jubiläum Rechnung und schaute sich die Lage 30 Jahre nach dem Fall der Mauer etwas genauer an. In dem Format „Wir müssen reden!“ vom 7. November kamen allerdings auch Bürger zu Wort, die sich die DDR zurückwünschten. Einer von ihnen meinte sogar, man könne die letzten 30 Jahre in die Tonne treten.

Über Jahrzehnte trennte die Mauer Ost und West. Trotzdem sehnen sich manche nach dieser Zeit zurück.
Bild: Noir, Berlinermauer, CC BY-SA 3.0.

Das ist schon mehr als gesunde Ostalgie. Generell ist der Umgang mit der DDR ein ganz anderer als mit der deutschen NS-Vergangenheit. Dabei waren doch beide Systeme Diktaturen. Trotzdem wird man für Mauerträume nur belächelt. Oftmals werden sie sogar toleriert. Solche Meinungen sind immerhin kein Einzelfall. Weder bei Ossis noch bei Wessis. Gerade in Westdeutschland gibt es eine Menge Leute, die die Mauer heute nicht zum Einsturz bringen würden, sondern am liebsten noch einmal drei Steine obendrauf legen würden.

Doch woher kommt dieser grundlegend andere Umgang mit der DDR? Nazi-Deutschland ist und bleibt das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte. Sehnt man sich nach dieser Zeit zurück, ist man eine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Das ist weiterhin Konsens. Eine spezifische Nostalgie gegenüber dieser Zeit gibt es nicht. Bei der DDR ist das nicht so leicht zu unterdrücken. Immerhin existierte dieser Staat ganze 40 Jahre. Zeit genug, in dieses System hineingeboren zu werden und auch darin zu sterben. Vor allen Dingen aber Zeit genug, mit diesem System zu leben.

Das richtige Leben im falschen?

Es verbietet sich also fast automatisch, alles an der DDR schlechtzureden. Viele Menschen haben einen Großteil ihres Lebens darin verbracht. Um sie nicht komplett abspenstig zu machen, braucht es ein Phänomen wie das der Ostalgie. Die Ampelmännchen und der Sandmann geben ihnen zumindest zeitweise das Gefühl, nicht vollständig in einer Lüge gelebt zu haben.

Darum ist auch der Begriff „Unrechtsstaat“ gegenüber der DDR so umstritten. Ein Unrechtsstaat fußt einzig und allein auf dem Unrecht. Er ist durch und durch schlecht. Dieses Argumentationsmuster mag bei einem Staat funktionieren, der ein Dutzend Jahre gehalten hat. Aber bei einem Staat, der mehrere Generationen hervorgebracht hat? Man kann so vielen Menschen und so vielen Generationen nicht glaubwürdig vorhalten, die meiste Zeit ihres Lebens falsch gelebt zu haben.

Von Sicherheit und Autobahn

Trotzdem war die DDR eine Diktatur. Eine ziemlich brutale sogar. Mauertote, Gesinnungshaft und Zwangsadoptionen waren die Regel. Und trotzdem gibt es Menschen, die selbst im Fernsehen öffentlich dazu stehen, dass sie sich die DDR zurückwünschen. Ihr Totschlagargument ist häufig die soziale Sicherheit. Eine Sicherheit, die sie in der Bundesrepublik so nie empfunden haben. Wie überzeugend dieses Argument ist, bleibt jedem selbst überlassen. Doch eine Frage bleibt: Reicht es aus, um eine Diktatur regelrecht zu glorifizieren?

Ich sage: Nein. Eine Diktatur ist durch nichts zu rechtfertigen. Auch nicht von angeblichen sozialen Sicherungssystemen. Hier schließt sich übrigens auch der Kreis mit den AfD-Wählern. Wählen sie die AfD denn jetzt trotz oder wegen der rechtsextremen Tendenzen? Für mich ist klar: Trotz. Genau wie die Hardcore-Ostalgiker verteidigen sie ein System nicht wegen der Mauertoten oder wegen des rechtsextremen Personals, sondern trotz dieser Offensichtlichkeiten. Weniger gefährlich macht das solche Entwicklungen allerdings nicht.

Ich halte es sogar für gut möglich, dass viele derer, die sich die DDR zurücksehnen, der AfD ihre Stimme geben. Sie träumen von der Zeit einer linksextremen Diktatur und wählen gleichzeitig Rechtsextreme. Was zunächst wie vollständiger politischer Analphabetismus anmutet, ist auf den zweiten Blick doch nachvollziehbar. Das Vorzeichen des Extremismus ist wurschd, es zählt einzig und allein das Ergebnis. Diese Menschen wollen keine Diktatur, sie vermissen soziale Sicherheiten. Das Argument der sozialen Sicherheit hinkt allerdings mindestens genau so stark, wie die Aussage, Hitler hätte Autobahnen gebaut. Beide sind vom gleichen Schlag. Sie verschleiern, dass das negative in diesen Systemen eindeutig überwogen hat.

Das Konzept der schwierigen Antworten

Und trotzdem wenden sich immer mehr Menschen von der Demokratie ab. Sie verlangen nach einfachen Lösungen. Genau das kann ihnen die Demokratie aber nicht bieten. Eine Demokratie beruht immer auf Kompromissen. Es muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Am Ende steht eventuell eine Lösung. Aber die ist häufig schwierig und komplex.

Sich in einer Diktatur über Wasser zu halten, kann einfach sein. Viele ehemalige DDRler sind lebendiger Beweis dafür. Wer die Obrigkeit nicht hinterfragt und sich mit den Gegebenheiten arrangiert, konnte auch dort ein fast gutes Leben führen. In einer Demokratie geht das nicht. Wer 2005 alles auf Merkel setzte, steht heute praktisch mit leeren Händen da.

Die Demokratie steht also vorrangig für zähe Diskussionen und langwierige Verhandlungen. Wirklich recht kann man es in ihr keinem machen. Wenn die Mehrheit entscheidet, wird ein Teil immer der Unterlegene sein. Sie muss also Wege finden, über dieses Defizit hinwegzutrösten. Werden die Lebensbedingungen einer Diktatur als besser empfunden, dann läuft etwas gehörig schief. Kann eine Demokratie nichts mehr bieten, was die Lebensrealitäten einer Diktatur blass aussehen lässt, bleiben nur die schwierigen Antworten. Und der Mensch, sucht eben nach einfachen Antworten…

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!

Eigentlich war Hitler ein Versager

Vorschaubild: Gerd Altmann, Pixabay.

Lesedauer: 12 Minuten

Es gibt in unserem Land Menschen, die lange den Mund hielten. Heute sprechen Sie von Gesinnungshaft, Volksaustausch und Schießbefehl. In der AfD haben Sie ein Forum gefunden, sich Gehör zu verschaffen. Viele bewundern und bejubeln diese Partei, von anderen wird sie scharf kritisiert. Immer häufiger werden ihr faschistoide Tendenzen bescheinigt. Ja, es gibt Menschen, die lange den Mund hielten – und das aus gutem Grund.

Eine aufgeklärte Gesellschaft

Vor etwas mehr als zehn Jahren verkündete meine damalige Deutschlehrerin, dass sie ihren Unterricht etwas anders gestalten wollte. Die Zeit des langatmigen Bücherwälzens und Aufsatzschreibens sollte ein Ende haben. Stattdessen wollte sie uns literarisch wertvolles möglichst zeitgemäß vermitteln. Konkret bedeutete das: ein Ausflug ins Kino. Mit Sicherheit gibt es bessere Filmbegleitungen als eine überdreht-enthusiastische Deutschlehrerin und einer Horde pubertierender Jugendlicher, von denen man auf die meisten verzichten konnte. Andererseits war der Kinobesuch eine willkommene Abwechslung vom drögen Schulalltag eines Neuntklässlers.

Auch die Filmauswahl hätte schiefer gehen können. Frau Küschder (Name bis zur Unkenntlichkeit verändert) hatte sich für den Film „Die Welle“ mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle entschieden. Zu dem Streifen ist viele Jahre zuvor auch ein gleichnamiger Roman erschienen, doch den wollte uns unsere Deutschlehrerin anscheinend nicht zumuten. Ehrlich gesagt, hat mir der Film tatsächlich gereicht. Kurzes Wrap-Up: In dem Film geht es um einen übermotivierten Lehrer (Parallelen zur Wirklichkeit rein zufällig), der seinen Schülern was über den Faschismus in Deutschland erzählen soll. Die meisten der Kids winken gelangweilt ab: das könnte heute gar nicht mehr passieren, viel zu aufgeklärt wäre die heutige Gesellschaft. Der Lehrer wagt also ein Experiment. Innerhalb kürzester Zeit bildet er seine Schützlinge zu einer Art Schülerarmee (SA?) aus, die „ganz Deutschland überrollen“ soll. Die meisten Jugendlichen lassen sich fasziniert mitreißen bis ihnen Jürgen Vogel klarmacht, dass sie gerade all ihre Beschwörungen einer aufgeklärten Gesellschaft selbst zugrunderichten.

Keine leichte Kost

Ich bin mir bis heute unsicher, ob mich dieser Film faszinierte oder einfach nur verstörte. Vielleicht von beidem etwas. Fakt ist, dass er darauf abzielte, Menschen wachzurütteln. Nur weil einmal etwas schiefging und es uns heute gut geht, heißt das noch lange nicht, dass es nicht wieder zur Katastrophe kommen kann. Die Zeit meinte sogar, der Film sei „der rechte Film zur rechten Zeit.“ Zugegeben leistete der Film eine Menge zu dieser angeblich so aufgeklärten Gesellschaft. Im Endeffekt machte er unsere Gesellschaft noch aufgeklärter.

YouTube

YouTube schaut derzeit noch in die Röhre. Laden Sie das Video, akzeptieren Sie gleichzeitig die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Das war vor zehn Jahren. Wie würden die Reaktionen auf einen solchen Film wohl heute ausfallen? Ich wage zu vermuten: völlig anders. Heute würde sich eine beachtliche Gruppe an Menschen darüber echauffieren, dass mal wieder viel zu aggressiv auf eine faschistische Gefahr in unserem Land hingewiesen werden würde. Man kann sich lebhaft Kommentare vorstellen wie: „Alimentierte Messermörder vom IS sind also keine Gefahr?“ oder „Mal wieder typisch, auf dem linken Auge blind.“ Aber wozu solch offensichtliche Reaktionen herausfordern? Der Film hat vor einem Jahrzehnt gut funktioniert. Heute brauchen wir ihn nicht mehr. Es reicht ein Blick in die Realität.

Jeder kann ein Faschist sein

Eines ist völlig gewiss: Viele Reaktionen auf einen solchen Film würden heute auf reine Geschichtsvergessenheit abzielen. Jürgen Vogel will seinen Schülern den Begriff „Faschismus“ näherbringen. Lange Zeit galt dieses Wort als das Böse in Reinform. Und vom Bösen soll man sich fernhalten. Tatsächlich hat das lange Zeit gut geklappt. Der Terminus war eindeutig dem akademischen Milieu zuzuordnen. Geschichtsprofessoren verwendeten diesen Begriff, um über das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte zu sprechen. Möglicherweise kannten viele den Begriff noch nicht einmal oder konnten mit ihm nichts anfangen. Und heute? Ein Blick in die Social Media reicht aus, um eines zu erkennen: „Faschismus“ wird heute beinahe inflationär verwendet. So ist häufig zu lesen, Greta Thunberg sei eine Faschistin, generell alle Klimaschützer seien doch Faschisten. Angela Merkel führe das Land in eine Diktatur.

Was hier geschieht ist schlicht und ergreifend die völlige Entwertung und Neubesetzung dieser Begrifflichkeiten. Ein Kind (!) wird allen Ernstes mit dem Faschismus gleichgesetzt. Einen härteren Schlag ins Gesicht der wenigen noch lebenden Opfer von echtem Faschismus ist kaum möglich.

Der Bundeskanzlerin wird diktatorisches Vorgehen bescheinigt. Es ist beinahe traurig, dass eine Vielzahl derer, die am lautesten schreien, Diktatur am eigenen Leib erlebt haben. Allen Ernstes wird das heutige Deutschland mit der DDR verglichen. Dabei könnten wir heute von Planwirtschaft, Ein-Parteien – Herrschaft und Gesinnungshaft nicht weiter entfernt sein.

Diese groteske Neudefinition von Begriffen resultiert schließlich in einer völligen Enthemmung von Sprache. Frauke Petry möchte das Wort „völkisch“ wieder in den bürgerlichen Diskurs integrieren, Alexander Gauland kündigt an, man werde die Regierungschefin „jagen“. Gestern völkisch, heute jagen. Was wird wohl morgen sagbar sein?

Die Sache mit den Flüchtlingskindern

Die Emotionen in solchen neuen Debatten werden auf ein Minimum reduziert. Mitgefühl, Anteilnahme und Verständnis werden Schritt für Schritt abgeschafft. Zurück bleiben lediglich Wut und Angst. Vor nicht all zu langer Zeit trieb es Alexander Gauland damit auf die Spitze: Man dürfe sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen. Was für eine perverse Umkehr vom Opfer zum Täter! Ähnlich wie bei Greta Thunberg wird den Flüchtlingskindern hier eine schädliche Intention unterstellt. Sie würden ihre Kindlichkeit gezielt dazu nutzen, um uns zu erpressen. Scheiß‘ auf deine Urinstinkte. Zur Not kann man schließlich auch auf Kinder schießen. #sweettrixi

Das erschreckende ist: es funktioniert. „Die Welle“ sollte vor gut zehn Jahren vor allem eines hervorrufen: blankes Entsetzen. Bis auf eine traurige Ausnahme sahen alle Schüler ein, dass sie auf einem völligen Holzweg waren. Nur ein Schüler wollte die Bewegung nicht aufgeben. Er rastete komplett aus und erschoss sich schließlich selbst. Unter den Schülern war er ein Einzelfall. Zuvor war er bereits Einzelgänger. Er wurde höchstens belächelt.

Die Herrschaft der Dummen

Vor einigen Monaten beklagte sich ein Freund von mir darüber, dass die AfD nur deshalb solchen Aufwind erführe, weil man den Dummen freie Hand ließe. Dieser Aufstieg der Dummen wäre mit dem Aufstieg der Nazis vor 80 Jahren vergleichbar. Zunächst konnte ich mit dieser Meinung nicht viel anfangen. Ich empfand es als Verharmlosung, Personen wie Gauland, Meuthen oder Höcke zu Dummen zu degradieren. Denn das sind sie mit Sicherheit nicht.

Doch man versuche einmal, sich vorzustellen, jemand hätte eine Äußerung á la Höcke vor zehn Jahren von sich gegeben. Die wenigsten hätten ihm zugehört, die meisten ihn bestenfalls belächelt. Er wäre einer von den Dummen gewesen. Eine Witzfigur.

Und genau das sind doch die Damen und Herren, die seit 2017 rechts der FDP sitzen. Witzfiguren. Bemitleidenswerte Kreaturen, die auf immer dem Gestern nachweinen. Geleitet werden sie von einer schier ekelerregenden kleinbürgerlichen Bequemlichkeit gepaart mit einer völligen menschlichen Inkompetenz. Sie sind Verlierer. Alle. Doch irgendwer hat sie zu Gewinnern gemacht.

Nehmen wir beispielsweise den AfD-Mann Markus Frohnmaier. Seit 2017 sitzt er im Bundestag. Bekannt ist er vor allem durch einen Auftritt in Erfurt 2015, wo er die jubelnde Masse beschwört, es werde bald „ausgemistet“. Ohne zu sehr ins persönliche abdriften zu wollen: der Mann erinnert mich an ein kleines Schweinchen. Als ich ihn das erste Mal sah, war meine prompte Reaktion ein aufmunterndes Lächeln. Als wäre es mir ein dringendes Bedürfnis, ihm zu sagen, dass es auf diesem Planeten bestimmt irgendwo irgendwen gäbe, der ihn liebhat, irgendwie.

Von Anfang an sträubten sich mir die Nackenhaare, dass eine an sich so ulkige Figur ein solches Forum erhielt. Frohnmaier ist tatsächlich die fleischgewordene Herrschaft der Dummen. Mit seinen wahnwitzigen Ideen über ein Abschiebeministerium und einer anschließenden Volkssäuberung hätte er vor einem Jahrzehnt bestenfalls eine Maus in seiner schwäbischen Stammkneipe hervorlocken können. Heute begeistert er tausende.

Über Zugklos, Fernseher und talentfreie Bartträger

Frohnmaier ist beileibe kein Einzelfall. Die Liste der Clowns in der AfD ließe sich beliebig fortsetzen. Doch so waren die Akteure vom rechten Rand schon immer drauf. Gescheiterte Existenzen, die Veränderung um keinen Preis dulden können. Im Prinzip war selbst Hitler eine Lachnummer. Im Ersten Weltkrieg hat er nennenswerte militärische Erfolge verfehlt, auch wenn er später gerne etwas anderes erzählte. Nach dem Krieg hat er es mangels Talents nicht auf die Kunstschule geschafft. Erfolg mit Frauen blieb ebenso aus. Arbeitslos, mittellos, ein Vollversager eben. Mit den AfD-Leuten von heute eint ihn eines: ein nicht zu unterschätzendes rhetorisches Geschick.

Das besitzen sicherlich nicht alle von diesen „Dummen“. Trotzdem wird vielen von ihnen heute zugehört. Ich erinnere mich beispielsweise an eine Situation in der Regionalbahn. Auf dem Viererplatz hinter mir mokierte sich ein älterer Herr darüber, dass das Zugklo mal wieder defekt sei. Wie eigentlich immer. Aber Hauptsache, die Flüchtlinge könnten sich den neuesten Fernseher in ihre Bude stellen. Bei dieser kausalen Verirrung gluckste ich zunächst leise auf. Das Lachen blieb mir allerdings im Halse stecken, als ihm sogar die Leute im Vierersitz neben ihm bewundernd zustimmten. Sie erkannten nicht, dass dieser grantige alte Mann weder von Menschen noch von Fernsehern etwas verstand.

Pegida-Aufmarsch in Dresden im Januar 2015.
Bild: Kalispera Dell, PEGIDA Demo DRESEDEN 25 Jan 2015 116227104, CC BY 3.0

Dummheit scheint in Mode zu sein. Auch auf Social-Media – Plattformen wie facebook überbieten sich manche User geradezu mit ihrer evidenten Inkompetenz und heißgeliebten Bequemlichkeit. Die Flüchtlingskrise ab 2015 wirkte wie ein Katalysator auf all diejenigen, die sonst wussten, dass sie zu einer politischen Debatte nicht viel sinnvolles beitragen konnten. Urplötzlich brachten sie sich in zahllosen Kommentaren in die politische Debatte ein. Leute, die bis auf ein Teil-mich – Bild noch nie etwas auf facebook gepostet hatten, wussten auf einmal ganz genau Bescheid. Schuld waren natürlich die Flüchtlinge. Davor hatten sie, wie wir alle in Deutschland, in Saus und Braus gelebt. Es gab keine Arbeitslosen, keine Tafeln und kein Hartz IV.

Mein Auto gehört mir!

Befeuert wurde diese „Welle“ an Pöbelnden durch den Dieselskandal. Was bei VW und anderen namhaften Autoherstellern abgegangen ist, ist eine riesengroße Sauerei. Schon bald fanden sich massenweise Menschen zusammen, die durch Demonstrationen und Proteste drohende Fahrverbote abwenden wollten. Dabei war die Lösung zum Greifen nah: Die Betrüger haften und die Gelackmeierten werden fürstlich entschädigt. Doch die Bundesregierung zog den Schwanz ein. Das alles sehen viele der Demonstranten natürlich nicht. Vielen von ihnen geht es wieder einmal nur darum, sich die Bequemlichkeit zu erhalten. Feindbild ist immer weniger die Regierung – und erst recht nicht die kriminellen Autokonzerne. Verbockt haben’s natürlich die Umweltschützer und Klimaaktivisten. Es ist schon auffallend, dass viele der Anti-Fahrverbots – Demonstranten die Positionen der AfD teilen. Aber wen juckt das schon? Die Autokonzerne freut’s.

Mein Vater erzählte mir einst eine Geschichte: In seiner Kindheit in den 1960ern hat er des öfteren gehört, wie sich gerade ältere Menschen Herrn H. zurücksehnten, vor allem, als die Gastarbeiter ins Land geholt wurden. Das alles wurde natürlich nur unter vorgehaltener Hand gemunkelt. Aber Kinder kriegen ja bekanntlich fast alles mit. Ganz verschwunden war diese Idiotie wohl nie. Lange Zeit war man sich aber bewusst, dass man mit so mancher Äußerung besser hinter dem Berg hält. Dieser Zustand hielt bis vor einigen Jahren an. AfD und Pegida verstanden es allerdings meisterlich, die vollkommene Verblödung von ihren eisernen Fesseln zu befreien. Zehn Jahre nach dem Kassenschlager mit Jürgen Vogel fragt man sich zurecht, wer heute noch aufgeklärt ist…

Teile diesen Beitrag als erstes. Naaa looos!