Mehr Pflichten, mehr Rechte

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Der Impfstoff steht noch lange nicht allen Menschen zur Verfügung, da wird schon darüber diskutiert, was eine Impfung bedeutet – und was mit Nicht-Geimpften passieren soll. Die Palette reicht von dringenden Aufrufen über Sonderrechte für Geimpfte bis hin zu einer staatlich verordneten Impfpflicht. Viele dieser Debatten kommen viel zu früh und werden zudem völlig unreflektiert und kopflos geführt. Besonders etwaige Sonderrechte für Geimpfte öffnen die Hintertür für eine inoffizielle Impfpflicht.

Verfrühte Debatten

Eigentlich kann es zwischenzeitlich keiner mehr hören: Corona, Corona, Corona. Und doch gibt es immer jemanden, der noch eins draufsetzt. Vor wenigen Wochen war das noch der Bundesaußenminister Heiko Maas, der als völlig Fachfremder in den Kanon der Gastronomie einstieg und Sonderrechte für Geimpfte erwog. Diesen Vorfall konnte man vielleicht noch leicht abtun und schnell wieder zu den Akten legen. Die Entscheidung über solche Sonderrechte fiel schließlich nicht ins Ressort des Außenministers. Nun aber hat auch die Bundeskanzlerin sehr ähnliche Töne angeschlagen. In einem Interview mit der ARD gab sie unumwunden zu, dass auch sie Sonderrechte für bereits Geimpfte befürwortete.

Längst hat sich auch der Deutsche Ethikrat in diese Debatte eingeschaltet. Er betonte, dass er einer solchen Diskussion generell sehr skeptisch gegenübersteht. Außerdem verwiesen die Abgesandten darauf, dass solche Überlegungen viel zu früh kämen. Solange die Wirksamkeit und auch die Langzeitfolgen der neuartigen Impfstoffe nicht hinreichend erforscht wären, würde man der Pandemiebekämpfung eher schaden als nützen. Nach wie vor steht die Effektivität der Präparate in Zweifel. Es verdichten sich die Hinweise, dass die Wirkstoffe lediglich den Verlauf der Krankheit beeinflussen und auch die Weitergabe der Viren nicht effektiv eindämmen. Erst wenn alle diese Fragen geklärt wären, könnte man Sonderrechte zur Debatte stellen. Bereits im Vorfeld hatte sich der Rat gegen eine Impfpflicht positioniert.

Widerlegen statt rechtfertigen

Mit seiner Einschätzung hat der Ethikrat natürlich recht. Das Problem liegt allerdings noch tiefer. Die gesamte Diskussion über den Impfstoff läuft falschherum. Immer wieder wird die Wirksamkeit des neuen Stoffs spielend leicht in Frage gestellt. Es gibt in diesem Land vermutlich nur noch wenige Menschen, die ernsthaft davon ausgehen, dass der Impfstoff auch vor Infektionen schützt. Eigentlich müsste es doch so sein, dass die Forschung einen oder mehrere Präparate vorstellt und sich glaubhaft für deren Wirksamkeit verbürgt. Natürlich gäbe es auch dann den ein oder anderen Skeptiker, der seine Zweifel öffentlich kundtut. Die Wissenschaft könnte aber dann mit Argumenten und fundierten Erkenntnissen dagegenhalten. Momentan kann die Wissenschaft die Zweifel nicht entkräften. Sie ist in einer Rechtfertigungsposition, nicht in einer Widerlegungsposition.

Dazu kommt, dass die neuen Impfstoffe sehr zügig auf den Markt kamen. Schneller als jemals zuvor ist es Forschern gelungen, ein Vakzin zu entwickeln, dass nach Abschluss der ersten Forschungsphasen einen guten Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf bietet. Es ist wenig verwunderlich, dass die Forscher dabei so schnell waren, schließlich ist die Pandemie eine ernstzunehmende Gefahr. Die Langzeitfolgen des Impfstoffs konnten in dieser Zeit aber nicht erforscht werden. Es scheint beinahe so, als würden wir uns weiterhin in einer Forschungsphase befinden.

Wem gehört der Impfstoff?

Trotzdem ist es richtig, den Impfstoff bereits jetzt an solche Menschen zu verimpfen, die ein hohes Risiko haben, schwer an Corona zu erkranken. Das ändert allerdings nichts an den teilweise schrillen Tönen der Skeptiker und Impfgegner. Einige von ihnen mögen total wirr im Kopf sein, bei anderen ist die Skepsis wenig verwunderlich. Immerhin hat die Politik ihnen in den letzten Jahren reichlich Grund für Misstrauen gegeben.

Immer wieder mussten die Menschen erleben, dass gerade in Gesundheitsfragen selten das Wohlergehen der Patienten das Handeln bestimmte. Da ist die Privatisierung des Gesundheitswesens, die viele Krankenhäuser bankrottgehen ließ. Besonders privat versicherte Patienten erhalten Behandlungen, die medizinisch überhaupt nicht notwendig sind. Alles, um die Bilanz aufzupolieren. Und dann ist da noch der unsägliche Streit über die Patente der Impfstoffe. Wenn es der Pharmaindustrie wirklich um die Gesundheit der Menschen ginge, dann würde sie sich bei der Veröffentlichung der Patente nicht so beknien lassen. Natürlich ruft ein solches Verhalten Argwohn hervor. Wo liegen die wirklichen Interessen der Pharmakonzerne? Absolut legitim ist auch die Frage, warum nicht mit der gleichen Inbrunst an Medikamenten gegen schwere Covid-Verläufe geforscht wurde. Ein Schelm, wer hier Profitinteresse vermutet.

(K)ein Herz für Gastronomen

Die Debatte um Sonderrechte für Geimpfte entspringt übrigens nicht originär der Regierung oder der Politik. Angestoßen wurde sie von der Gastronomie und Kultureinrichtungen, die von der Krise schwer gebeutelt sind. Härter als viele andere Wirtschaftsbereiche hat die Krise sie getroffen. Über Wochen und Monate waren und sind sie gezwungen, den Betrieb einzustellen und auf Umsätze zu verzichten. Das fehlende Geld wird von den staatlichen Hilfen entweder nur teilweise kompensiert oder es kommt viel zu spät an. Man kann es diesen Branchen nicht verübeln, dass sie nach anderen Wegen suchen, Umsatz zu generieren.

Anstatt aber bei den versprochenen Coronahilfen kräftig nachzubessern und wirklich die zu unterstützen, die Hilfe am dringendsten nötig haben, springt manch ein übermotivierter Außenminister, und jetzt auch noch die Kanzlerin, auf den Zug der Sonderrechte mit auf. Mit keiner Silbe erwägen diese Politiker, dass der Lockdown in der jetzigen Form vielleicht sein Ziel verfehlt. Wir haben Winter und es ist kalt. Die Zahlen sprangen aber besonders am Ende des letzten Jahres so explosionsartig in die Höhe, dass man sich schon fragt, wie das bei geschlossenen Restaurants und Kinos überhaupt möglich ist.

Impfpflicht durch die Hintertür

Auf jeden Fall gibt es genügend Gastronomen, die nun Einlassbeschränkungen abhängig vom Impfstatus der Gäste erwägen. Sie begründen das mit dem Schutz ihrer Beschäftigten. Dieses Argument ist aber ebenso scheinheilig wie entlarvend. Eine solche Praxis würde doch zwangsläufig zu einer großflächigen Impfpflicht führen – nicht nur für die Gäste solcher Einrichtungen. Die jetzt freigegeben Impfstoffe schützen nämlich nicht vor einer Weitergabe der Viren. Auch Geimpfte können ansteckend sein. Um auch das Personal vor schweren Erkrankungen zu schützen, ist also auch eine Impfung der Mitarbeiter notwendig. Was für Gäste gilt, gilt also auch für die Belegschaft: Bist du nicht geimpft, dann kommst du nicht rein.

Hier wird also gezielt eine Impfpflicht durch die Hintertür installiert. Wer seinen Job behalten möchte, der sollte besser zur Impfung gehen. Den Beschäftigten wird dazu in vielen Fällen ein schlechtes Gewissen eingeredet. Man stellt sie als verantwortungslose Virenschleudern hin, die der Ausbreitung des Virus angeblich enormen Vorschub leisten. In vielen Pflegeeinrichtungen ist diese Vorgehensweise inzwischen Gang und Gäbe.

Nie wieder Kneipe?

Und was passiert eigentlich mit Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können? Wenn sie beispielsweise den Wirkstoff nicht vertragen? Dürfen solche Menschen dann nie wieder in die Kneipe? Erhalten sie dann ein lebenslanges Berufsverbot? Das gesamte System hinkt hinten und vorne, weil es nur dann Sinn machen würde, wenn der Impfstoff zuverlässig vor Infektionen schützen würde und klare Regeln für Ausnahmefälle vorliegen würden.

In ihrer derzeitigen Form sind sämtliche Corona-Impfstoffe lediglich vorbeugende Medikamente, die vor schweren Krankheitsverläufen schützen. Das macht das Virus zwar kurzzeitig beherrschbarer, dämmt eine Ausbreitung aber nicht effektiv ein. Die jetzige Taktik kann das Gesundheitssystem entlasten, führt aber unter Umständen zu noch mehr gefährlichen Mutationen, vor denen die jetzigen Impfstoffe nicht mehr schützen könnten. Vielleicht ist es ein Fehler, so viel Hoffnungen in die Impfungen zu stecken. Vielleicht wäre es besser, gezielt Medikamente zu entwickeln, auf die alle die zugreifen können, die wider Erwarten schwer an Corona erkranken.


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K(l)eine Lobby

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Die Maßnahmen gegen die Pandemie sind hart – nicht nur für Verbraucher. Auch viele Gastronomen, Hotelbetreiber und Krankenpfleger haben in der Pandemie ein schweres Los gezogen. Und obwohl diese Gruppen am härtesten von der Coronakrise gezeichnet sind, werden sie teilweise in der Luft hängengelassen. Immer offensichtlicher wird: Wer Macht und Einfluss hat, kann seine Schäfchen ins trockene bringen. Wer über keine Lobby verfügt, der muss schauen, wie er zurechtkommt. Und immer klarer wird, dass sich die Regierung mit diesem lobbygeführten Kurs keinen Gefallen tut.

Lockdown 2.0

Mehr als 20.000 Neuinfektionen an einem Tag – Nach dieser Horrormeldung vom vergangenen Herbst sah sich die Bundesregierung gezwungen, die Maßnahmen gegen das Virus drastisch zu verschärfen. Obwohl er lange kategorisch ausgeschlossen wurde, kam der zweite flächendeckende Lockdown dann doch. Wie bereits im Frühjahr versprach die Regierung reflexartig schnelle und unkomplizierte Hilfen für kleine Betriebe und Selbstständige. Die vielgepriesenen Novemberhilfen waren aber selbst im Januar bei vielen Betroffenen noch nicht auf dem Konto. Einige große Konzerne hingegen durften die Staatshilfen mit offenen Armen empfangen. Viele von ihnen gaukelten den Steuerzahlern eine herannahende Unternehmenspleite  vor, um dem Staat das Geld aus den Rippen zu leiern. An den Arbeitsverhältnissen der Beschäftigten änderte das wenig.

Die Rechnung ist einfach: Die Vorstände und Aktionäre sind Dauergast in Ministerien und bei Entscheidungsträgern. Mit einer Heerschar an Lobbyisten können sie die Politik so beeinflussen, dass ihnen Gesetze bloß nicht auf die Füße fallen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben können das nicht. Ansonsten hätten sich viele prekäre Arbeitsverhältnisse während der Coronakrise sicher nicht noch verschlimmert.

Denn seit fast einem Jahr ist das medizinische Personal in den Krankenhäusern noch mehr am Limit als zuvor. Zwar genossen sie besonders im Frühjahr eine deutlich höhere gesellschaftliche Wertschätzung für ihre Arbeit, echte Verbesserungen in ihren Jobs blieben aber aus. Warum? Weil der Deutsche Bundestag es vorzog, in den Applaus auf den Balkons und in den Wohnzimmern einzustimmen, anstatt echte Lösungen anzubieten. Währenddessen mussten Krankenpflegerinnen und -pfleger mit teilweise mangelhafter Schutzausrüstung dem Virus die Stirn bieten. Statt mehr Geld bekamen manche Pflegekräfte die Kündigung, weil sie einer Impfung zum jetzigen Zeitpunkt ablehnend gegenüberstehen.

Viel Geld für kleines Risiko

Ähnliches gilt für die Arbeiterinnen und Arbeiter in Fleischereibetrieben. Nach der Masseninfektion beim Schlachtbetrieb Tönnies im Juni 2020 war der Aufschrei gegen die unmenschlichen Arbeitsverhältnisse in den Betrieben groß. Nachdem die Erkrankung bei den meisten Beschäftigten abgeklungen war, ebbte allerdings auch die öffentliche Empörung ab. Es ist unwahrscheinlich, dass sich an den Arbeitsverhältnissen in den Schlachtereibetrieben seither grundlegend etwas geändert hat. Die Überzeugungskraft der Mitarbeiter gegenüber der Politik war leider nicht groß genug. Anders sah es da bei den direkt Verantwortlichen der Masseninfektionen aus. Es gab zwar den ein oder anderen Rücktritt, nachhaltige Konsequenzen hatte der Skandal aber für keinen von ihnen.

Natürlich kann man in der derzeitigen unberechenbaren Situation auch große Konzerne nicht in der Luft hängenlassen. Wer in Not ist, dem muss geholfen werden. Es fällt aber schwer, das zu glauben, wenn die gleichen Unternehmen, die mit zig Millionen Euro an Steuergeld überhäuft wurden, im Jahr der Krise ähnliche Summen an ihre Aktionäre und Vorstände auszahlen. Befürworter dieser perversen Praxis betonen immer wieder, dass diese Krisengewinner schließlich ein weitaus höheres Risiko trügen, für das sie entlohnt werden müssten. Das Risiko schwindet allerdings, wenn man weiß, dass in jeder schwierigen Lage sofort der Staat aushilft.

Auch die Arbeitsplätze in den Unternehmen werden in diesem Zusammenhang häufig in fast erpresserischer Art und Weise ins Feld geführt. Wer keine Unternehmen rettet, der zerstört Arbeitsplätze, heißt es dann immer. Es wäre ja schön, wenn die Hilfsgelder an die Beschäftigten gingen, aber das ist fernab jeglicher Realität. Stattdessen setzen Unternehmen wie die Lufthansa tausende Menschen auf die Straße, obwohl sie vorher noch horrende Summen erhielten, um genau das zu verhindern.

Schulgipfel, und keiner kommt

Immer offener tritt zutage, dass die Hilfen tatsächlich Unternehmensrettungen sind, aber als Rettung gefährdeter Arbeitsplätze versagen. Begünstigt werden juristische Personen und einige wenige Nutznießer in den oberen Etagen der Konzerne. Am Tisch sitzen meist die Vertreter der Vorstände, viel zu selten die Vertreter der Belegschaft. So wird ein Autogipfel nach dem anderen abgehalten, weil diese Industrie über eine mächtige Lobby verfügt. Schulgipfel stehen dagegen selten auf der Agenda. Finden solche Gesprächsrunden doch einmal statt, dann meist in exklusiver Runde der zuständigen Minister. Was die Lehrkräfte und Schüler tagtäglich leisten, wird auch dort nicht abgebildet.

Im Lockdown bleiben die Schulen dicht. Home Schooling ist angesagt, egal ob sich die Eltern das erlauben können oder nicht. Zu hoch ist die Gefahr von Corona-Massenausbrüchen an Schulen. Viele Arbeitnehmer tingeln währenddessen weiter zur Arbeit. Es ist richtig, dass die meisten Unternehmen weiter wirtschaften können, um noch schlimmere ökonomische Folgen der Krise zu vermeiden. Gut ist auch, dass es in vielen Betriebsstätten durchdachte Hygienekonzepte gibt. Dieses Szenario ist allerdings nicht der Vernunft zu verdanken, sondern rührt schlicht daher, dass Arbeitgeberverbände Präsenzarbeit in weiten Teilen durchgesetzt haben. Der Einfluss der Schulen reicht nicht aus, um flächendeckenden Präsenzunterricht zu ermöglichen.

Die Pandemie macht Schule

Natürlich gibt es ein Infektionsrisiko in gefüllten Klassenzimmern. Aber dieses Risiko besteht doch mindestens in gleicher Weise in deutschen Büros und anderen Stätten, wo die Arbeit kinderleicht aus dem Home Office verrichtet werden kann. Selbst wenn viele Arbeitnehmer zwischenzeitlich allein in ihrem Büro sitzen – viele pendeln mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die sich lange vor Corona gerade im Winter als Virentreiber erwiesen haben.

Pläne, wie mit der Pandemie im Schulbetrieb umgegangen werden kann, liegen massenweise vor. Der Ideenreichtum reicht hier von Luftfilteranlagen bis zu hybriden Konzepten, die einen ständigen Wechsel zwischen Präsenz- und Online-Lehre vorsehen, um die Klassenräume nicht zu überfüllen. Aber selbst wenn ein solches Konzept zum Tragen kommt: Die mangelhafte Ausstattung an den Schulen macht das nicht wett. Denn lange vor Corona bot sich in vielen Unterrichtsräumen ein ähnliches Bild: kaputte Fenster, ein tropfender Wasserhahn, Risse in den Wänden, eine vorbeiflitzende Maus und hinten in der Ecke steht der obligatorische Overhead-Projektor.

Gesundheitsschutz vs. Lobbyhörigkeit

Das Ziel Gesundheitsschutz tritt in der Pandemie immer wieder hinter den Lobbywünschen einiger einflussreicher Akteure zurück. Das führt schnell zu einer Ungenauigkeit der Maßnahmen und letztendlich zu einer Gesundheitsgefährdung. Restaurants und Bars haben im vergangenen Jahr strenge Hygienemaßnahmen erarbeitet und umgesetzt. Es hat nichts genutzt, im Herbst mussten sie erneut dichtmachen. Verschont von diesen harten Regelungen blieben dagegen Großkonzerne, die den Betrieb fast unbeeinträchtigt fortsetzten. Die Hygienekonzepte dort waren wohl sicherer als in der Gastronomie. Oder war es vielleicht doch der stärkere Einfluss auf die Politik?

Aus verschiedenen politischen und wissenschaftlichen Richtungen wird schon lange angezweifelt, dass gastronomische Betriebe und Hotels tatsächlich die schlimmsten Corona-Hotspots sind. Oppositionelle und Forscher betonen immer wieder, dass die Hygienekonzepte kleine lokale Ausbrüche schnell beherrschbar und nachverfolgbar machen.

Unnötiges Risiko

Jüngst verhängte die Regierung eine FFP2-Maskenpflicht. Die Menschen werden so besonders bei näherem Kontakt besser geschützt. An einem dichter getakteten ÖPNV-Netz scheiterte die Regierung aber bislang. Zu klein waren hierfür die Investitionen, zu gering der Einfluss auf Konzerne und Verkehrsbetriebe. Auch gegenüber der Arbeitgeberschaft knickt die Politik immer wieder ein. Zuckersüßes Bittebitte-Sagen reicht nicht aus, um Infektionen am Arbeitsplatz einzudämmen. Eine Home-Office – Pflicht muss her.

Alles andere gefährdet möglicherweise die Gesundheit vieler Menschen. Wer mit Bus und Bahn zur Arbeit fährt, obwohl diese Arbeit bequem in den eigenen vier Wänden erledigt werden könnte, der setzt sich bereits auf dem Arbeitsweg einem unnötigen Risiko aus. Es stellt sich immer häufiger die Frage, ob die Politik die Lobbyisten an der langen Leine hält oder ob die Lobbyisten die Politik in Ketten legt.

Interessenspolitik darf in Zeiten der Pandemie keinen Platz haben. Nicht nur, dass dadurch unnötige Risiken provoziert werden – das Verständnis der Menschen für harte Maßnahmen schwindet ebenso. Dichtes Gedränge in Montagehallen und Büros ist erlaubt, aber ein Waldspaziergang zu zweit in einem Ort 20 Kilometer weit weg von zu Hause ist es unter Umständen nicht. Kein Mensch kann so etwas verstehen. Kein Virus wird so bekämpft. Keiner wird davon überzeugt.


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Vertrauter Feind

Lesezeit: 8 Minuten

Die neuen Anti-Corona – Maßnahmen treffen Gastronomie und Kultur bis ins Mark. Viele Betriebe stehen endgültig vor dem Ruin, wenn nicht bald gegengelenkt wird. Steif und fest behaupten viele, für die steigenden Fallzahlen nicht verantwortlich zu sein. Die Zahlen steigen trotzdem weiter. Immer offensichtlicher wird: Die Übeltäter sind an anderer Stelle zu suchen. Sie sind praktisch überall und verstehen es meisterlich, sich aus der Schusslinie zu bringen. Den Frust kriegen währenddessen andere ab…

Wer war’s?

Seit Montag gelten bundesweit verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Explosionsartig steigende Infektionszahlen zwingen die Verantwortlichen dazu, erneut solch drastische Maßnahmen zu treffen. Schulen und Kitas sollen so lange wie möglich geöffnet bleiben. Gaststätten, Hotels und fast sämtliche Einrichtungen des Kulturbetriebs müssen ihre Pforten allerdings für die nächsten vier Wochen schließen. Unmut darüber macht sich breit. Die wirtschaftlichen Folgen des ersten Lockdowns sind noch lange nicht überschaubar und erst recht nicht verdaut. Viele befürchten, dass es finanziell nun solchen Betrieben an den Kragen geht, die in der ersten Jahreshälfte relativ glimpflich davongekommen sind.

Das ist berechtigt und nachvollziehbar. Immer wieder zweifeln vor allem betroffene Betriebe an, dass die steigenden Fallzahlen aus ihrem Bereich herrühren. Gastronomen verweisen auf die strikte Maskenpflicht in ihren Häusern. Erst am Platz und zum Einnehmen der Speisen dürfen die Masken abgenommen werden. Ähnlich argumentieren Vertreter aus dem Kulturbereich. Abstandhalten und freie Plätze bei Kinovorstellungen und öffentlichen Darbietungen gehören längst zur Normalität der Branche. Auch der Tourismus versteift sich vehement darauf, dass von Reiserückkehrern kein erhöhtes Infektionsrisiko ausgehe. Nun kann man den Beteuerungen aus den verschiedenen Bereichen unterschiedliches Gewicht beimessen. Fakt ist allerdings: Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis die Zahl der Neuinfektionen die 20.000er-Marke knackt.

Bekanntes Muster

Viele der Argumentationen in dieser Frage laufen den wissenschaftlichen Erkenntnissen in eklatant auffälliger Weise entgegen. Es mag fundierte und seriöse Auswertungen und Studien geben, die das unterschiedliche Infektionsrisiko aus den verschiedenen Bereichen belegen. Doch der Hinweis darauf, dass es gerade in diesem oder in jenem Bereich kaum zu Ansteckungen kommt, ist inzwischen längst zur ausgeleierten Floskel verkommen. Da wird auch schon das ein oder andere Mal auf „Studien“ verwiesen, die die eigene Argumentation untermauern. Viele dieser spontanen wissenschaftlichen Erkenntnisse basieren allerdings auf Hörensagen. Mit vermeintlichen Fakten versucht man eine Wahrheit zu generieren, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine Meinung.

Diese Meinung wird mit zusammengeklaubten Zahlen und Analysen zum unumstößlichen Fakt gestutzt. Das hat bereits in der Flüchtlingskrise bestens funktioniert. Hier dichtete man den Asylantinnen und Asylanten vier- oder fünfstellige Geldbeträge an, die sie angeblich an Sozialleistungen erhielten. Belege dazu? Fehlanzeige. Und so wurde die Meinung von eben zur dreisten Lüge. Ich halte es für brandgefährlich, in der Coronakrise auf den gleichen Zug aufzuspringen und wahllos mit vermeintlich wissenschaftlichen Fakten um sich zu werfen.

Das Phantom der Krise

Nun behauptet fast jede Branche, dass sie nicht für die steigenden Coronazahlen verantwortlich ist. Die Fallzahlen steigen indes ungehindert weiter. Es gibt daher mehrere Möglichkeiten: entweder die Betriebe und Einrichtungen sagen die Wahrheit und die Infektionen entstehen tatsächlich an anderer Stelle oder sie lügen. Vielleicht machen sie aber auch von beidem ein bisschen. Möglicherweise gibt es gar nicht „den“ Hotspot. Was wäre denn, wenn sich die Übeltäter branchenübergreifend bewegten? Und das nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum? Was, wenn nicht die Branchen an sich für die Neuinfektionen verantwortlich sind, sondern das Verhalten von einigen Gästen, Kunden und Besuchern?

Man sieht sie schließlich überall: in Bahnen, in Geschäften, in dicht gedrängten Einkaufsstraßen. Die obligatorischen Falschträger und Maskenverweigerer gehören fast so lange zum Bild wie es die Pandemie gibt. Wie Quotenmenschen schlängeln sie sich durch alle Bereiche des Lebens. Diese unverantwortlichen Mitbürger pfeifen auf die geltenden Hygienebestimmungen. Tagsüber tragen sie die Maske bestenfalls direkt unter der Nase. Erbarmt sich der Bahnfahrer dazu, die Heizung anzustellen, wandert der Stofffetzen gerne auch mal bis unter das Kinn. Zwischendurch beglücken sie zwei Aldi- und eine REWE-Filiale mit ihrem Besuch. Dort greifen sie beherzt in die Obst- und Gemüseauslage – keine Frucht kann ihrem Griff entkommen. An der Kasse fehlt ihnen die Bewegung. Sie merken, dass sie frieren und kuscheln sich vertraut an die wartende Person vor ihnen. Den Tag runden sie mit einer legendären Coronaparty ab, zu der neben den 270 facebook-Freunden auch sämtliche Follower von Instagram eingeladen sind.

Vertrauter Feind

Diese Menschen sind dafür verantwortlich, dass die Zahlen ins unermessliche steigen und Restaurants, Hotels und Fitnessstudios wieder dichtmachen mussten. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir erneut solch schwere Einschränkungen ertragen müssen. Und hier wird’s schwierig: Diese Unverantwortlichen sind ausgesprochen heterogen. Es sind nicht überwiegend Männer und auch nicht vorwiegend Frauen. Sie können jung und alt sein, groß und klein. Sie können einen Professorentitel tragen oder ihre schulische Karriere bereits nach der neunten Klasse Hauptschule beendet haben. Für Bequemlichkeit ist Intelligenz kein Hindernis. Das einzige, was diese Menschen gemeinsam haben, sind schöne Nasen. Diese wollen sie mit der ganzen Welt teilen. Keine Maske, kein Abstandsstrich, keine Kontaktbeschränkung und erst recht keine Sperrstunde kann sie davon abhalten.

Vielleicht gäbe es ja aber doch eine Möglichkeit, dem unverantwortlichen Treiben dieser Menschen Einhalt zu gebieten. Wenn sie ausreichend gesellschaftlichen Druck zu spüren bekämen, würden viele von ihnen möglicherweise einlenken. Stattdessen werden sie seit Monaten geduldet, um nicht zu sagen hofiert. Der Frust und der Zorn richtet sich gegen die Politik, insbesondere gegen die Bundesregierung. Sicher kann die Zielgenauigkeit und auch das Zustandekommen der beschlossenen Maßnahmen kritisiert werden. Ist es sinnvoll, sämtliche Restaurants zuzumachen? Hätte nicht vorher das Parlament befragt werden müssen? Sicher ist aber auch, dass die Regierung aufgrund der jüngsten Entwicklungen unter gewaltigem Zugzwang stand. Sie lenkt dagegen, weil sie es muss. Den Grund dafür haben andere geschaffen.

Gefährliche Dynamik

Eine kleine Minderheit in der Bevölkerung lässt keine Gelegenheit aus, die Hygienemaßnahmen zu unterwandern und mit Füßen zu treten. Immer wieder muss die Mehrheit das Fehlverhalten dieser Minderheit ausbaden – ob durch Hamsterkäufe, verschärfte Maskenpflicht oder gestrichene Theaterbesuche. Es ist falsch, andere dafür verantwortlich zu machen. Der Finger muss auf jeden deuten, der in der Bahn die Maske runterzieht, sobald der Kontrolleur sich umdreht. Stattdessen versteifen sich immer mehr auf die Politik als den Unheilbringer in der Coronakrise. Den absoluten Tiefpunkt an menschlichem Niveau erreichten kürzlich der Wirt einer Bar in Berlin: Er erteilte der Bundeskanzlerin kurzerhand Hausverbot. Als die Zustimmung dafür vorwiegend aus der rechten Ecke kam, ruderte er zurück. Den fragwürdigen Beifall hätte man leicht vorhersehen und vermeiden können. Aber es eben immer leichter, gegen eine weit entfernte Gruppe vorzugehen als sich mit den Offensichtlichkeiten auseinanderzusetzen.

Eine dieser Offensichtlichkeiten sind schlechte Vorbilder, die auch in der Politik vertreten sind. Die AfD gibt all denen Rückhalt, die zu feige sind, sich den Problemen zu stellen. Im Falle der Hygienemaßnahmen sind die Rechtspopulisten sogar aufgestiegen. Sie sind nun nicht mehr nur geistige Brandstifter, sondern aktive Vormacher. Immer wieder fallen die Abgeordneten der Fraktion im Bundestag durch eine sehr laxe Handhabung der allgemein gültigen Verordnungen auf. Wie soll die Pandemiebewältigung gelingen, wenn selbst im Bundestag Menschen sitzen, die mehr Probleme schaffen als welche zu lösen?

Solche Menschen setzen eine gefährliche Dynamik in Gang. Das Fehlverhalten weniger provoziert umfangreichere und härtere Maßnahmen, um der Lage Herr zu werden. Diejenigen, die den bisherigen Einschränkungen skeptisch gegenüberstanden, fühlen sich in ihren Ansichten bestätigt und torpedieren die härteren Maßnahmen. Die Querdenker und Querschießer der Nation haben Zulauf und machen ihrem Namen alle Ehre. Sie kommen der Sicherheit und der Gesundheit der Bevölkerung nämlich tatsächlich in die Quere. In ekelhafter Selbstgefälligkeit rühmen sie sich dafür, eine andere Meinung zu haben als die Mehrheit. Sie merken nicht, dass echte Kritik immer eine Verbesserung beabsichtigt. Sie aber zerstören.


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