Rückgratlos überzeugt

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Pegida-Demonstranten, Klimawandelleugner, Querdenker – Bei den Krisen der letzten Jahre trat eine dieser Minderheiten regelmäßig besonders laut auf. Sie beanspruchen für sich, die Wahrheit erkannt zu haben und lassen sich durch rationale Argumente selten beeindrucken. Zahlen und Daten missbrauchen sie, um ihre teilweise kruden Theorien auf ein halbwegs stabiles Fundament zu setzen. Sie tun dies auch, um vor sich und der Welt ihre wahren Beweggründe zu verschleiern. Wie Fähnchen im Wind lassen sie sich dabei von der extremen Rechten vor den Karren spannen. Und die Etablierten spielen munter mit.

Munteres Faktenpotpourri

“Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber…“ Wenn ein Gespräch so beginnt, ist klar, dass mit Niveau nicht mehr zu rechnen ist. Mit den Flüchtlingsströmen seit 2015 hat sich diese hohle Phrase in unseren alltäglichen Sprachgebrauch gemogelt und sich dort inzwischen fest etabliert. Der Satzanfang gilt mittlerweile als todsicherer Indikator dafür, dass hier jemand spricht, der einerseits gegen Asylantinnen und Asylanten wettern will und andererseits keine Ahnung hat.

An dieser Tatsache ändert auch nichts, dass auf den einfältigen Einstieg scheinbare Fakten folgen. Wahlweise handelt es sich dabei um horrende Unterstützungssummen, luxuriöse Ausstattungen von Flüchtlingsunterkünften oder seit neuestem auch furchteinflößende Todesopferzahlen von Impfkomplikationen. Mit den Zahlen und Daten wird so lange fröhlich jongliert und herumgewirbelt, bis sie irgendwann Sinn zu ergeben scheinen.

Der Zweck dieser Übung liegt auf der Hand: Fakten haben die Menschen schon immer überzeugt. Warum also nicht selbst einmal Fakten schaffen? Mit einem Schutzpanzer aus augenscheinlichen Tatsachen und wissenschaftlichen Erkenntnissen ziehen Querdenker und andere auf die Manege des offenen Meinungsstreits. Lügen und Hetze sind als wissenschaftliche Offensichtlichkeiten getarnt und sollen den angeblichen Verfechtern der Wahrheit Gehör verschaffen. Die Daten und Fakten verkommen dabei zum Vehikel von obskuren Theorien und narzisstischem Geltungsdrang.

Rückgratlose Schlechtmenschen

Würden sich die Spaziergänger, Querdenker und Frustrierten ehrlichmachen, müssten sie ihre Ergüsse eigentlich so beginnen: „Ich habe etwas gegen Flüchtlinge, weil…“. Auch an diesen Satzanfang könnten sie ihre zusammengebastelten Fakten grundsätzlich anhängen. Dann wiederum hätten sie das Problem, dass jeder ihre wahre Gesinnung sofort durchschauen würde. Sie wären als Schlechtmenschen bloßgestellt und müssten sich für ihre Anliegen rechtfertigen. Gepaart mit dem passenden Einstieg allerdings, stehen die Rückgratlosen mit ihren selbstkreierten Gründen gut vor sich und anderen da.

Die lauten Proteste und die pöbelhaften Parolen sind das Lebenselixier solcher Äußerungen. Wer auf diese Weise argumentiert, der braucht die routinemäßigen Aufmärsche, weil sie ihm die Bestätigung geben, gehört zu werden. Wären diese Menschen auf sich gestellt, würden sie zwar ähnliche Ansichten vertreten, sie aber niemals laut äußern. In einer solchen Konstellation würden sie sich sehr wahrscheinlich sogar der übergroßen Mehrheit beugen und Maßnahmen wie Maskenpflicht und Abstandhalten zumindest einhalten. Auch mit zusammengeschusterter Propaganda gegen die Impfung wäre dann Schluss.

Diese Menschen sind stark in der Gruppe, aber schwach in der direkten Konfrontation. Sucht man die Diskussion, ist mit der vielgerühmten Sachlichkeit und Faktenbasiertheit schnell Schluss. Wesentlich bequemer finden sie dann die Opferrolle, die ihnen auf den Leib zugeschrieben ist. Auch persönliche Herabsetzungen und die Heraufbeschwörung einer Diskriminierungskampagne durch den Mainstream dürfen bei solchen Aufeinandertreffen auf keinen Fall fehlen.

Im gemachten Nest

Erstmals aufgetreten sind empörte Aufmärsche wie Pegida, Hygienedemos und Spaziergänge fast zeitgleich mit Entstehung der AfD. Fast ist man geneigt, allein die AfD für den Frust verantwortlich zu machen. Damit würde man die Macht der Rechtspopulisten aber grundsätzlich falsch einordnen. Die AfD hat zweifellos die Verrohung der Debatte geprägt und das sagbare Meinungsspektrum weit jenseits des Anständigen erweitert. Die AfD ist aber lediglich Treiber des Hasses und der Entfremdung, nicht deren Ursache.

Die Rechtsaußen-Partei bietet allen Enttäuschten ein politisches Forum, wo sie ihren Frust ungezügelt loswerden können. Die große Unzufriedenheit ist die Grundlage für die Existenz der Partei, deswegen haben ihre Funktionsträger natürlich überhaupt kein Interesse daran, die Lage der Menschen nachhaltig zu verbessern. Durch die Teilnahme an den sogenannten Spaziergängen, den Montagsdemonstrationen neuer Lesart und den Aktionen der AfD im Rahmen des heißen Herbsts verhelfen die ewig Missverstandenen dem Rechtsruck zur Unsterblichkeit. Für einen Moment fühlen sie sich wie ernstgenommene Demokraten und gehen für diesen erhabenen Augenblick eine Symbiose mit der extremen Rechten ein, die für die Demokratie alles andere als gesund ist. Letztendlich bleiben sie jedoch das, was sie für die anderen Parteien viel zu lange waren: naives Wahlvieh, das sich bereitwillig vor den Karren spannen lässt.

Die AfD braucht sich dafür nur ins gemachte Nest zu setzen. Die Parteien, die sie als Altparteien beschimpfen, haben gründliche Vorarbeit geleistet. Durch lobbyistische Verstrickungen und bürgerferne Politik haben sie in den vergangenen Jahrzehnten einen Großteil des Vertrauens vieler Wähler verspielt. Gründe gegen die Rechtspopulisten helfen da nicht weiter. Diese überzeugen bestenfalls Menschen, die sowieso nicht im Verdacht stehen, jemals AfD zu wählen. Es braucht einen grundlegenden politischen Kurswechsel, der den Menschen wieder Gründe für die Wahl demokratischer Parteien gibt. Anders lässt sich der Sumpf aus Empörung, Frust und chronischer Unzufriedenheit nicht trockenlegen.


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Protest aus Routine

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Protest aus Routine

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Die große Errungenschaft der Demokratie ist, dass man sich immer dann zu Wort melden kann, wenn man mit bestimmten Entwicklungen nicht einverstanden ist. Findet man dann noch Mitstreiter, die gleiche Ansichten vertreten, kann man besonders effektiv auf seine Sache aufmerksam machen. Dieser Protest war über Jahrzehnte ein wichtiger Bestandteil der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik. In den letzten Jahren spüren wir aber, dass sich legitimer Protest gewandelt hat. Immer lautstärker tritt eine Gruppe in den Vordergrund, denen es nicht um Veränderung geht, sondern einzig darum, ihren Unmut kundzutun. Für die Demokratie ist dieser inhaltslose Protest auf Dauer eine Zumutung.

Protest als Erfolgsrezept

„Opposition ist das Salz in der Suppe der Demokratie.“ – Mit diesem Satz bekundete der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel seine Loyalität gegenüber unserer Verfassung. Er wusste, dass eine Demokratie nur dann auf Dauer funktioniert, wenn man den Widerspruch nicht nur erträgt, sondern auch wertschätzt. In der Geschichte der Bundesrepublik gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass unsere Gesellschaft am Widerstand einiger gewachsen ist. Es war gut, dass die Studierenden Ende der 1960er gegen die Notstandsgesetze auf die Straße gingen. Sie befürchteten zurecht, dass ein ausgerufener Notstand viel zu leicht zur Abschaffung der Demokratie missbraucht werden könnte.

Aus den Protesten gegen die Atomenergie erwuchs sogar eine Partei, die zwischenzeitlich mehrfach an der Bundesregierung beteiligt war. Und auch die heutige Linkspartei ging aus einer Protestbewegung gegen die unsozialen Hartz-Gesetze hervor. Bis vor einigen Jahren gingen die Menschen immer dann auf die Straße, wenn sie ein besonderes Anliegen hatten. In Demonstrationszügen und Aufmärschen zeigten sie den Regierenden, dass sie mit deren Politik nicht einverstanden waren. Die Politik richtete ihren Kurs danach aus – mal mehr, mal weniger.

1001 Gründe zum Demonstrieren

Mittlerweile hat sich allerdings eine Protestkultur entwickelt, bei der die konkrete Zielsetzung nicht mehr erkennbar ist. Schon bei den Pegida-Demonstrationen war die Zusammensetzung der Proteste einigermaßen diffus. Bei den Hygienedemos des Jahres 2020 und den heutigen Querdenkerveranstaltungen tummeln sich aber Menschen verschiedener Altersgruppen, aus unterschiedlichen sozialen Schichten und mit vielfältigen nationalen Hintergründen.

Während der genaue Zweck der Demo bis vor einiger Zeit eindeutig war, sind die Aufmärsche auch in diesem Punkt mittlerweile absolut heterogen. Im Laufe der Pandemie gingen viele Menschen zunächst gegen die Maskenpflicht auf die Straße. Monate später argwöhnten sie die Einschränkungen gegen Ungeimpfte und schließlich positionierten sie sich gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Bewegung wuchs mit der Zeit stetig an. Anfang des Jahres zählten die Demonstrationszüge teilweise mehrere Tausend Teilnehmer. Ein beträchtlicher Teil von ihnen waren völlig normale Bürger ohne nennenswerten Hang zu Verschwörungstheorien.

Nach dem russischen Einfall in die Ukraine brachen dann jedoch auch bei den Demonstrationen sämtliche Dämme. Plötzlich fanden auch ukrainische Flaggen Einzug in die Protestmärsche. Völlig unklar war dabei, was die Demonstrierenden an der deutschen Ukrainepolitik störte. Finden sie den Kurs der Bundesregierung zu lasch oder lehnen sie Waffenlieferungen ab? Sind die Flaggen eine Aufforderung zum Handeln oder bekunden sie grundsätzliches Mitgefühl für ein Land, das momentan völkerrechtswidrig überrannt wird?

Auch die gestiegenen Energiepreise treiben viele Menschen auf die Straße. Sie machen sich Sorgen darum, wie sie die nächste Heizkostennachzahlung stemmen sollen. Die Politik liefert darauf bislang kaum vernünftige Antworten. Es fällt dem Konglomerat aus Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen und Hobbyprotestlern darum umso leichter, die Menschen zu ködern.

Von der Realität zur Verschwörungstheorie

Schon zu Pegida-Zeiten stellte man schnell fest, dass viele der Demonstrierenden für logische Argumente überhaupt nicht mehr zugänglich waren. Sie hatten sich in eine fixe Idee verrannt. Ihnen ging es hauptsächlich darum, ihre Wut und ihren Frust zum Ausdruck zu bringen und nicht im klassischen Sinne nach Veränderung zu streben. Weil sie lange nicht gehört wurden, verwiesen sie immer wieder auf eine angeblich eingeschränkte Meinungs- und Versammlungsfreiheit, obwohl ihre personenstarken Aufmärsche das Gegenteil offensichtlich machten.

Sie gingen auf die Straße, weil viele von ihnen das Vertrauen in die Politik vollends verloren hatten. Sie spürten, dass sich ihre Lage kaum nennenswert zum Positiven veränderte, obwohl verschiedene Parteien an der Regierung beteiligt waren. Immer hatten sie das Gefühl, die Regierenden würden Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg machen. Tatsächlich hat sich während der Coronapandemie und insbesondere mit Anlaufen der ersten Impfkampagne gezeigt, dass Politik und Wissenschaft verlernt hatten, ihre Entscheidungen zu erklären und populär zu machen.

Für viele Querdenker gilt die Pandemie weiterhin als staatseigene Schikane, welche die Bürgerinnen und Bürger nur kleinhalten soll. Die Existenz des Virus bestreiten diese Menschen. Wissenschaft und Politik haben den Draht zu ihnen verloren. Immerhin ziehen es diese Menschen ernsthaft in Erwägung, die politisch Verantwortlichen könnten eine medizinische Krise konstruieren, um ihre Macht zu festigen.

Politisch heimatlos

Mit Ausnahme der AfD schafft es bislang keine bedeutende Partei, den Frust der Bürgerinnen und Bürger zu kanalisieren. Während die Linke krampfhaft versucht, bei den Protesten zum heißen Herbst die Oberhand zu gewinnen, haben sich die übrigen Parteien damit abgefunden, dass Protest und Widerstand längst Sache der AfD ist – und treiben damit unweigerlich noch mehr Menschen in die Fänge der Rechtspopulisten.

Die Querdenkerszene bietet damit ein Sammelbecken für alle Menschen, die in unterschiedlichem Ausmaß von der Politik enttäuscht sind. Die Initiatoren solcher Demonstrationszüge schaffen eine parallele Gesellschaft, die Platz bietet für all jene, die in der Realität abgehängt wurden. Willkommen ist jeder, den an der aktuellen Politik etwas stört. Das ist besonders gut daran zu erkennen, dass die Themenpalette der Märsche immer bunter wird.

Blinder Frust und routinierter Protest

Ohne die Ziele der Demonstrationen zu hinterfragen, beteiligen sich heute viele Bürgerinnen und Bürger an den sogenannten Spaziergängen. Die Motive der Initiatoren sind ihnen weitgehend egal, es zählen einzig ihre eigenen Beweggründe, auf die Straße zu gehen. Sie sind überzeugt davon, dass sie besonders erfolgreich protestieren – und tun genau das nicht. Sie protestieren nicht, sie leben ihren Frust aus.

Dieser inhaltslose vom Frust getragene Protest ist auf Dauer schädlich für die Demokratie. Viele der Themen, welche die Menschen auf die Straße treiben, sind ernstzunehmende Probleme, die einer weitaus differenzierteren und professionelleren Betrachtung und Organisation bedürfen als die Querdenkerszene es jemals leisten kann. Die Demos treten jedoch seit vielen Monaten auf der Stelle, ohne politisch etwas zu bewirken. Sollte eine Änderung der Verhältnisse jemals das Ziel der Querdenker gewesen sein, haben sie sich lange von dieser Vision verabschiedet. Die Samstagsaufmärsche sind mittlerweile zu einem routinierten Protest geworden und Routine hat keine Durchschlagskraft.


Es ist noch nicht zu spät: Die regierenden Parteien und Teile der Opposition dürfen auf den Frust und den Protest der Bürger nicht ebenso routiniert mit Unverständnis und Ablehnung reagieren. Die Menschen machen zuhauf darauf aufmerksam, dass sie ein Anliegen haben. Es wäre ein unverzeihlicher Fehler, sie der Straße zu überlassen, wo sie Teil eines Durcheinanders aus Frust und Enttäuschung werden und verlernen, wie echte Demokratie funktioniert.

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Ein heuchlerisches Geschäftsmodell

Lesedauer: 8 Minuten

Peter Altmaier möchte gerade in den Aufzug steigen, da kommt eine Frau auf ihn zugeschnellt. Sie beleidigt und bepöbelt den Bundeswirtschaftsminister. Das ganze hält sie auf Kamera fest. Zutritt zum Reichstagsgebäude hatte die Dame dank einiger AfD-Abgeordneter. Offiziell bedauert die rechtspopulistische Partei diesen Vorfall. Doch immer berechtigter stellt sich die Frage: „Hätte man das nicht kommen sehen?“

Nach dem unglaublichen Vorfall auf der Treppe des Reichstagsgebäudes, haben sich AfD-Sympathisanten nun Zutritt ins Herz der deutschen Demokratie verschafft. Vier Gäste von AfD-Abgeordneten pöbelten verschiedene Abgeordnete an, bedrängten und beleidigten sie. Das Präsidium des Bundestags lässt derweil rechtliche Konsequenzen prüfen – auch gegen die AfD-Abgeordneten Hemmelgarn, Bystron und Müller, die als Türöffner für die Störenfriede fungiert haben. Eventuell ist hier der Paragraph 106 des Strafgesetzbuches erfüllt, der eine Nötigung oder Bedrängung von Abgeordneten explizit unter Strafe stellt.

Provokationen als Geschäftsmodell

Der jüngste Zwischenfall war zugegeben mehr als eine Provokation oder ein Affront gegen die verfemten Altparteien. Es war ein direkter Angriff auf das deutsche Parlament. Seit Bestehen der Partei hält sich die AfD durch solche Eskapaden im Gespräch. Immer und immer wieder fällt sie inner- als auch außerhalb des Bundestags durch Tabubrüche und Grenzüberschreitungen auf. Die ehemalige Parteichefin Frauke Petry wollte ihrerzeit das Wort „völkisch“ wieder in den politischen Diskurs einführen und am besten positiv besetzen. Beatrix von Storch erwog in den sozialen Medien, man solle an der deutschen Grenze notfalls auch auf Frauen und Kinder schießen. Der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz inszenierte nach dem Mord an der 14-jährigen Susanna F. aus Mainz eine Schweigeminute und zog damit das Andenken an die getötete Teenagerin in den Dreck.

All diese Beispiele gibt es und alle wurden in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Die Medien scheuten sich teilweise nicht, sie zum Dreh- und Angelpunkt politischer Debatten zu erklären. Sie sprangen in vielen Fällen nur zu gerne über die Stöckchen, die ihnen die AfD hinhielt. Denn rein politisch wäre die AfD nach sechs Monaten abgefrühstückt gewesen. Nörgelnd, inhaltlos und verbohrt könnte sie ihre Anliegen ohne die ständigen Zwischenfälle überhaupt nicht vorbringen. Diese andauernden Provokationen gehören fest zum Geschäftsmodell der rechtspopulistischen Partei.

Auf der Maus abgerutscht

Hanebüchene Erklärungen und Entschuldigungen runden die Provokationen ab. Frauke Petry will das alles gar nicht so gemeint haben. Es sei eine rein theoretische Überlegung gewesen. Thomas Seitz und die übrigen Abgeordneten sind sich keiner Schuld bewusst und inszenieren sich stattdessen als Opfer einer angeblich rigiden Sitzungsleitung durch Claudia Roth. Absolutes Highlight an Absurditäten war aber Beatrix von Storchs Ausrede, sie sei leidglich auf der Maus abgerutscht. Auch diese chronische Zurückruderei verfehlt ihren Zweck nicht. Die Stänkereien der AfD bleiben damit sogar noch länger im Gespräch.

Ein tatsächliches Eindringen ins Reichstagsgebäude war dabei nur die logische nächste Eskalationsstufe. Nachdem vor einigen Wochen Demonstranten mit Reichskriegsflaggen die Treppe vor dem Reichstagsgebäude blockiert hatten, begegnete die AfD diesem Zwischenfall mit Verständnis und Sympathie. Sie verharmlosten diese glasklare Drohgebärde in Richtung Demokratie und Parlamentarismus. Dieses Verhalten war nichts anderes als eine indirekte Einladung der Aggressoren in das Gebäude hinein.

Denn schon häufig betätigten sich Abgeordnete der AfD als geistige Brandstifter für Ideen, die dann tatsächlich in die Tat umgesetzt wurden. Mit ihren Hetzreden gegen Andersdenkende und mit ihrer rhetorischen Aufrüstung bestärkte die AfD Täter wie solche in Halle, Hanau, Chemnitz und anderswo. Im aktuellen Fall machte die AfD sogar direkt vor, was nun geschah: Bereits am 17. Januar entgleiste der AfD-Abgeordnete Petr Bystron verbal und beschimpfte den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer am Rednerpult als Arschloch. Petr Bystron ist übrigens genau einer der AfDler, die die Störer ins Parlament einließen.

Von Chaoten und Einzelfällen

Alexander Gauland bezeichnete das Verhalten der Störer als unanständig und unzivilisiert. Tatsächlich haben sich die Störenfriede genau so verhalten. Doch die krampfhafte Distanzierung des Fraktionschefs von dem Vorfall sind an Heuchelei kaum zu überbieten. Immer wieder zeigen sich Mitglieder der AfD entsetzt über rechtsradikale Ausschreitungen und Anschläge. Wenn sie nicht sofort auf die Gefahren des Linksextremismus und des Islamismus hinweisen, so bestreiten sie doch alle reflexartig, überhaupt nichts mit solchen Zwischenfällen zu tun zu haben. Gerade in Zusammenhang mit Hygienedemos nennt die AfD am liebsten Begriffe wie „Chaoten“ oder „Einzelfälle“, um die eigene Schuld zu verschleiern.

Solche Vorkommnisse sind aber gerade keine Einzelfälle. Und die AfD darf sich hier nicht so ohne weiteres aus der Affäre ziehen. Am liebsten würde diese Partei wohl vergessen, wo sie herkommt. Sie wurde aus einer Protestbewegung heraus geboren. Selbsternannte Wutbürger waren besonders zu Beginn ihres Bestehens ihr Lebenselixier. Oder ist es wirklich Zufall, dass die AfD gerade dann in die ersten Landesparlamente einzog, als Pegida der heißeste Scheiß war?

Die Flüchtlingskrise ab 2015 leistete der Rechtsaußen-Partei weiter enormen Vorschub. Für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und das marode Sozialsystem hatte die Partei plötzlich eine Erklärung und einen greifbaren Sündenbock. Und nach diesem Sündenbock wurde in den letzten Jahren viel zu häufig gegriffen. Die AfD soll es nicht wagen, die Mitverantwortung für diese Entwicklungen nun scheinheilig von sich zu weisen.

Die Fraktion der Krokodilstränen

Vereinzelt lassen es Parteimitglieder nicht damit bewenden, diese Offensichtlichkeiten medienwirksam vor den Kameras zu bedauern. Manche gehen konsequentere Schritte und distanzieren sich von der Partei als ganzes. Frauke Petry beispielsweise ließ die Bombe kurz nach der Bundestagswahl 2017 platzen. Sie verließ die Partei, weil sie vor bestimmten Dingen nicht mehr die Augen verschließen konnte. Ihr folgten in der laufenden Legislaturperiode vier weitere Abgeordnete der AfD.

Bravo, mögen da einige rufen. Aber worüber wundern sich diese Abgeordneten denn bitteschön? Darüber, dass die AfD einen rechtsextremen Weg eingeschlagen hat? Der war doch schon immer vorprogrammiert, wenn nicht gar latent vorgesehen. Ein brennendes Streichholz in einen Benzinkanister fallenlassen und sich dann über das Schlamassel wundern – ist klar. Merkwürdig ist auch, dass all diesen Abgeordneten erst dann ein Licht aufging, nachdem sie dank ihres Engagements für die AfD in den Bundestag eingezogen waren. Man sollte ehrlich darüber nachdenken, auf der rechten Seite des Parlaments Taschentuchspender zu installieren.

Eine vorprogrammierte Entwicklung

Dankbarer Abnehmer davon wäre sicherlich Parteichef Jörg Meuthen. Man ist hin- und hergerissen, wie man seinen aussichtslosen Kampf gegen den rechtsextremen Flügel bewerten möchte. Ist dieser Mann einfach nur ein besonders verlogener Heuchler oder ein extrem hilfloser Naivling? Begreift er denn nicht, dass dieser angebliche Kampf längst entschieden ist? Dass seine Partei ohne die rechtsextremen Einflüsse nichts anderes wäre als eine besonders bockige FDP? Auch wenn sich die Liberalen zunächst gesträubt haben, im Bundestag neben der AfD zu sitzen – die Sitzordnung macht Sinn.

Trotzdem bleibt Meuthen optimistisch und würde am liebsten das Kapitel Rechtsextremismus in seiner Partei beenden. Deutlich wurde das auch bei der Elefantenrunde 2017, als er noch öffentlich bestritt, es gäbe Rechtsextreme in seiner Partei. Durch diese Taktik versucht die Partei natürlich, allen ihren Wählerinnen und Wählern, die teilweise völlig zurecht empört sind, die Schuld zu nehmen. Menschen wie Meuthen oder Petry gaukeln einem Teil der Wählerschaft vor, den rechten Flügel der Partei gut unter Kontrolle zu haben. Dabei muss jedem Mitglied und jedem Wähler klar sein, worauf sie sich einlassen: Jede Stimme für die AfD ist eine Stimme für den Extremismus von rechts.


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