Rückgratlos überzeugt

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Pegida-Demonstranten, Klimawandelleugner, Querdenker – Bei den Krisen der letzten Jahre trat eine dieser Minderheiten regelmäßig besonders laut auf. Sie beanspruchen für sich, die Wahrheit erkannt zu haben und lassen sich durch rationale Argumente selten beeindrucken. Zahlen und Daten missbrauchen sie, um ihre teilweise kruden Theorien auf ein halbwegs stabiles Fundament zu setzen. Sie tun dies auch, um vor sich und der Welt ihre wahren Beweggründe zu verschleiern. Wie Fähnchen im Wind lassen sie sich dabei von der extremen Rechten vor den Karren spannen. Und die Etablierten spielen munter mit.

Munteres Faktenpotpourri

“Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber…“ Wenn ein Gespräch so beginnt, ist klar, dass mit Niveau nicht mehr zu rechnen ist. Mit den Flüchtlingsströmen seit 2015 hat sich diese hohle Phrase in unseren alltäglichen Sprachgebrauch gemogelt und sich dort inzwischen fest etabliert. Der Satzanfang gilt mittlerweile als todsicherer Indikator dafür, dass hier jemand spricht, der einerseits gegen Asylantinnen und Asylanten wettern will und andererseits keine Ahnung hat.

An dieser Tatsache ändert auch nichts, dass auf den einfältigen Einstieg scheinbare Fakten folgen. Wahlweise handelt es sich dabei um horrende Unterstützungssummen, luxuriöse Ausstattungen von Flüchtlingsunterkünften oder seit neuestem auch furchteinflößende Todesopferzahlen von Impfkomplikationen. Mit den Zahlen und Daten wird so lange fröhlich jongliert und herumgewirbelt, bis sie irgendwann Sinn zu ergeben scheinen.

Der Zweck dieser Übung liegt auf der Hand: Fakten haben die Menschen schon immer überzeugt. Warum also nicht selbst einmal Fakten schaffen? Mit einem Schutzpanzer aus augenscheinlichen Tatsachen und wissenschaftlichen Erkenntnissen ziehen Querdenker und andere auf die Manege des offenen Meinungsstreits. Lügen und Hetze sind als wissenschaftliche Offensichtlichkeiten getarnt und sollen den angeblichen Verfechtern der Wahrheit Gehör verschaffen. Die Daten und Fakten verkommen dabei zum Vehikel von obskuren Theorien und narzisstischem Geltungsdrang.

Rückgratlose Schlechtmenschen

Würden sich die Spaziergänger, Querdenker und Frustrierten ehrlichmachen, müssten sie ihre Ergüsse eigentlich so beginnen: „Ich habe etwas gegen Flüchtlinge, weil…“. Auch an diesen Satzanfang könnten sie ihre zusammengebastelten Fakten grundsätzlich anhängen. Dann wiederum hätten sie das Problem, dass jeder ihre wahre Gesinnung sofort durchschauen würde. Sie wären als Schlechtmenschen bloßgestellt und müssten sich für ihre Anliegen rechtfertigen. Gepaart mit dem passenden Einstieg allerdings, stehen die Rückgratlosen mit ihren selbstkreierten Gründen gut vor sich und anderen da.

Die lauten Proteste und die pöbelhaften Parolen sind das Lebenselixier solcher Äußerungen. Wer auf diese Weise argumentiert, der braucht die routinemäßigen Aufmärsche, weil sie ihm die Bestätigung geben, gehört zu werden. Wären diese Menschen auf sich gestellt, würden sie zwar ähnliche Ansichten vertreten, sie aber niemals laut äußern. In einer solchen Konstellation würden sie sich sehr wahrscheinlich sogar der übergroßen Mehrheit beugen und Maßnahmen wie Maskenpflicht und Abstandhalten zumindest einhalten. Auch mit zusammengeschusterter Propaganda gegen die Impfung wäre dann Schluss.

Diese Menschen sind stark in der Gruppe, aber schwach in der direkten Konfrontation. Sucht man die Diskussion, ist mit der vielgerühmten Sachlichkeit und Faktenbasiertheit schnell Schluss. Wesentlich bequemer finden sie dann die Opferrolle, die ihnen auf den Leib zugeschrieben ist. Auch persönliche Herabsetzungen und die Heraufbeschwörung einer Diskriminierungskampagne durch den Mainstream dürfen bei solchen Aufeinandertreffen auf keinen Fall fehlen.

Im gemachten Nest

Erstmals aufgetreten sind empörte Aufmärsche wie Pegida, Hygienedemos und Spaziergänge fast zeitgleich mit Entstehung der AfD. Fast ist man geneigt, allein die AfD für den Frust verantwortlich zu machen. Damit würde man die Macht der Rechtspopulisten aber grundsätzlich falsch einordnen. Die AfD hat zweifellos die Verrohung der Debatte geprägt und das sagbare Meinungsspektrum weit jenseits des Anständigen erweitert. Die AfD ist aber lediglich Treiber des Hasses und der Entfremdung, nicht deren Ursache.

Die Rechtsaußen-Partei bietet allen Enttäuschten ein politisches Forum, wo sie ihren Frust ungezügelt loswerden können. Die große Unzufriedenheit ist die Grundlage für die Existenz der Partei, deswegen haben ihre Funktionsträger natürlich überhaupt kein Interesse daran, die Lage der Menschen nachhaltig zu verbessern. Durch die Teilnahme an den sogenannten Spaziergängen, den Montagsdemonstrationen neuer Lesart und den Aktionen der AfD im Rahmen des heißen Herbsts verhelfen die ewig Missverstandenen dem Rechtsruck zur Unsterblichkeit. Für einen Moment fühlen sie sich wie ernstgenommene Demokraten und gehen für diesen erhabenen Augenblick eine Symbiose mit der extremen Rechten ein, die für die Demokratie alles andere als gesund ist. Letztendlich bleiben sie jedoch das, was sie für die anderen Parteien viel zu lange waren: naives Wahlvieh, das sich bereitwillig vor den Karren spannen lässt.

Die AfD braucht sich dafür nur ins gemachte Nest zu setzen. Die Parteien, die sie als Altparteien beschimpfen, haben gründliche Vorarbeit geleistet. Durch lobbyistische Verstrickungen und bürgerferne Politik haben sie in den vergangenen Jahrzehnten einen Großteil des Vertrauens vieler Wähler verspielt. Gründe gegen die Rechtspopulisten helfen da nicht weiter. Diese überzeugen bestenfalls Menschen, die sowieso nicht im Verdacht stehen, jemals AfD zu wählen. Es braucht einen grundlegenden politischen Kurswechsel, der den Menschen wieder Gründe für die Wahl demokratischer Parteien gibt. Anders lässt sich der Sumpf aus Empörung, Frust und chronischer Unzufriedenheit nicht trockenlegen.


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Protest aus Routine

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Hauptargument Moral

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Die Stimmen, die nach Einschränkungen für Nicht-Geimpfte rufen, werden aktuell wieder lauter. Man möchte nicht tatenlos dabei zusehen, wie sich ein Teil der Bevölkerung der Impfung verweigert und dabei andere Menschen gefährdet. Immer seltener geht es bei den folgenden Debatten aber um den Schutz von Menschenleben. Gesprächsziel ist immer häufiger, Andersdenken ein schlechtes Gewissen zu machen und sie zu schlechten Menschen zu degradieren. Diese Diskussionskultur treibt die Menschen auseinander in einer Zeit, in der sie eigentlich zusammenstehen sollten.

“Schon geimpft?” – Keine Frage bekommt man dieser Tage häufiger gestellt als die Frage nach dem Impfstatus. Man begegnet ihr in nahezu jeder Lebenslage – auf der Arbeit, in der Schule, im Gespräch mit Freunden, im Kreise der Familie und selbstverständlich beim Arzt. Seit nahezu jedem erwachsenen Menschen in Deutschland ein Impfangebot gemacht werden kann, ist das neue „Wie geht’s?“ aus keinem Gespräch mehr wegzudenken. Und wehe dem, der diese Frage mit „Nein“ beantwortet.

Keine schöne Diskussion

Die Verneinung dieser Frage zieht nämlich fast zwangsläufig eine zähe und wenig ergiebige Diskussion nach sich. Nachdem klipp und klar feststeht, dass die fehlende Impfung nicht auf Terminfindungsschwierigkeiten, sondern auf eine generelle Ablehnung der Corona-Impfung zurückzuführen ist, beginnt eine tretmühlenartige Tortur, die für beide Seiten ausgesprochen unangenehm ist.

Fragen wie „Willst du etwa, dass alle Geschäfte geschlossen bleiben?“ oder „Du weißt aber schon, dass so ein Verhalten zu mehr Toten führt?“ beenden eine argumentative Auseinandersetzung, bevor sie begonnen hat. Solche infamen Unterstellungen drängen den Nicht-Geimpften sogleich in eine Ecke, in die er in vielen Fällen nicht gehört. Der Verweigerer wird gleichgesetzt mit Querdenkern und Verschwörungstheoretikern, die die Wirksamkeit von Impfungen generell in Zweifel ziehen. Der Skeptiker gilt fortan als schlechter Mensch, als Unheilsbringer, der seine Entscheidung gegen eine Impfung leichtfertig aus dem Handgelenk geschüttelt hat.

Verhärtete Fronten

In den meisten Fällen stimmt das nicht. In Deutschland nehmen derzeit viele Menschen jenseits der Risikogruppen das umfassende Impfangebot wahr. Es gibt aber weiterhin eine beträchtliche Zahl an Personen, die sich nicht impfen lassen. Sie tun das aus unterschiedlichen Gründen. Manche davon sind unbelehrbare Schwurbler, viele andere hingegen mündige Bürger, die sich die Entscheidung alles andere als leicht gemacht haben. Beim Outing als Nicht-Geimpfte finden sich die Betroffenen in der Rolle des schlechten Menschen wieder.

Diese Einordung ist verkürzt, ungerecht und führt bei den Betroffenen selten zu einer Änderung ihrer Sichtweise. Denn kein Mensch möchte schlecht sein. Menschen lieben das Gefühl, das richtige zu tun und im Recht zu sein. Würde ein Nicht-Geimpfter einlenken und sich doch zu einer Impfung durchringen, müsste er im gleichen Moment zugeben, dass er zuvor tatsächlich ein schlechter Mensch war. Auf sein Konto gingen dann ewige Lockdowns, Schulschließungen und Todesfälle. Diese Last will niemand tragen. Konfrontiert der Befürworter den Gegner mit solchen Vorwürfen, bleibt die Impfentscheidung negativ.

Beide Seiten verharren dabei auf ihren Positionen. Keiner von beiden ist bereit, auf den anderen zuzugehen. Sie verheddern sich in dem Konstrukt, das sie für sich errichtet haben, um Andersdenkenden zu begegnen. Wenn der latente Vorwurf und der erhobene Zeigefinger die Diskussion anführt, werden beide Seiten für vernünftige Argumente immer unzugänglicher.

Freifahrtschein Impfung

Man darf bei der ganzen Debatte auch nicht vergessen, dass sich bereits ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung gegen das Coronavirus hat impfen lassen. Für eine Herdenimmunität reicht es noch nicht aus, zu wenig wirken die zugelassenen Vakzine gegen Infektionen, zu gering ist die Impfbereitschaft der Menschen. Verprellt fühlen sich viele der Ungeimpften durch eine Kampagne, die darauf ausgerichtet ist, Geimpften mehr Rechte einzuräumen als Nicht-Geimpften. Der Tenor ist stets, dass man darauf hinarbeitet, Einschränkungen für Geimpfte fallenzulassen und sie somit maßgeblich aus dem anstrengenden Kampf gegen die Pandemie zu entlassen. Völlig zurecht empfindet das die Gegenseite als ungerecht und vorschnell.

Diese Art der Diskussion verfehlt ihren eigentlichen Zweck, die Pandemie zu bekämpfen, gleich doppelt. Sie suggeriert einerseits, dass Geimpfte sprichwörtlich Narrenfreiheit haben und ihren Dienst getan haben. Beispielhaft dafür ist die Austragung der Fußball-EM im englischen Wembley-Stadion, wo sich 45.000 Menschen, zum großen Teil geimpft, dicht an dicht und ohne Maske zusammenfanden und dem Virus so enormen Vorschub leisteten. Diese großzügigen Lockerungen verleiten erst recht dazu, sich impfen zu lassen, auch wenn der Preis dafür hoch sein kann. Die Impfentscheidung ist dann hauptsächlich auf eine Sehnsucht nach dem Normalen, nach alltäglichen Bequemlichkeiten zurückzuführen. Sie ist in vielen Fällen unehrlich, was das verantwortungslose Verhalten vieler Betroffener drastisch untermauert.

Falscher Protest

Andererseits züchtet die Diskussion um mögliche Einschränkungen für Nicht-Geimpfte eine Generation an Märtyrern heran. Impfverweigerer fühlen sich in ihren Positionen immer weniger ernstgenommen, selbst wenn sie vernünftige und nachvollziehbare Argumente für ihre Entscheidung vorbringen können. Immer stärker verzichten sie nicht aufgrund von sachlichen Argumenten auf die Impfung, sondern weil sie die Nicht-Impfung als Akt des Protests empfinden.

Um auch diese Abweichler zu einer Impfung zu bewegen, stellt man ihnen nicht nur weitreichende Vergünstigungen in Aussicht, sondern baut auch den finanziellen Druck auf sie weiter aus. Die FDP gerierte sich stets äußerst kritisch, was eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland betraf. Nun stellte allerdings selbst Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der Partei, bei Markus Lanz ein Konzept vor, das einer Impfpflicht durch die Hintertür beachtlich nahekommt. Nach ihren Vorstellungen soll künftig jeder Ungeimpfte nur noch Anspruch auf einen kostenlosen Test pro Woche haben. Sie rechtfertigt das mit dem hohen finanziellen Aufwand, der auf Dauer nicht gestemmt werden kann.

Natürlich würde es enorme finanzielle Anstrengungen bedeuten, würde man das umfassende Testangebot aufrechterhalten. Bei teleskopierten, also verkürzten Testverfahren zur Entwicklung der Impfstoffe, bleibt uns aber gar keine andere Möglichkeit, als weiterhin breit zu testen. Denn lange ist nicht geklärt, wie gut die Präparate vor Infektionen schützen und wie infektiös Geimpfte tatsächlich sind. Die Erfassung solcher Daten ist deutlich schwieriger, wenn die Stoffe unkontrolliert verimpft werden. Verzichtet man zusätzlich auf die weitere Testung von Geimpften, sind solche Erkenntnisse aber schier unmöglich.

Eklatante Wissenslücken

Auch nach anderthalb Jahren Pandemie ist weiterhin nicht umfassend geklärt, inwieweit bestimmte Personengruppen durch das Virus bedroht sind und wo die gravierendsten Infektionsherde entstehen. Man hat weiterhin nicht systematisch ermittelt, wie hoch die Infektionsgefahr beim Einkaufen ist und wie hoch sie in deutschen Klassenzimmern ist. Das alles ist hauptsächlich auf ein völlig kaputtgespartes Gesundheitssystem zurückzuführen, welches bereits bei leicht steigenden Infektionszahlen an die Grenzen seiner Belastbarkeit bei der Infektionsnachverfolgung kommt.

Diese eklatanten Wissenslücken, die bei einem neuartigen Virus zunächst wenig verwunderlich sind, nutzen immer mehr Einflussnehmer für ihre eigenen Zwecke aus. Weil weiterhin nicht ganz klar ist, wie bedeutend Kinder bei der Weitergabe des Virus sind, erwägen viele nun ernsthaft, auch möglichst viele Kinder gegen das Coronavirus zu impfen. Dabei ist die Verträglichkeit der neuen Impfstoffe bei Kindern ein einziges Fragezeichen.

Immer weiter entfernt man sich von dem Motto „Schützt die Risikogruppen“ hin zur neuen Mission, die gesamte Bevölkerung zu impfen. Immer dreister wird versucht, den Nicht-Geimpften die Schuld für Online-Unterricht und Maskentragen in die Schuhe zu schieben. Sie versuchen von den wahren Gründen für die fortgeltenden strengen Maßnahmen abzulenken, welche sie selbst zu verantworten haben: eine marode Infrastruktur, fehlende Investitionen in Luftfilter und eine völlig unterfinanzierte Forschung, die sich nach naturwissenschaftlichen und nicht nach profitorientierten Maßstäben richtet.

Fakten statt Angst

Auch mit Angst lässt sich Politik machen. Dieses Prinzip war vielen Politikern lange vor Corona bekannt. Um die aktuelle Krise in den Griff zu bekommen, brauchen wir allerdings Entschlossenheit und Fakten. Besonders bei fortschreitender Impfkampagne erwies sich der vielgenutzte Inzidenzwert als wenig aussagekräftig. Erfasst werden verstärkt mittelschwere und schwere Krankheitsverläufe. Angebracht wäre eine Kennzahl, die schwere Krankheitsverläufe, beispielsweise auf der Intensivstation, in Relation zum gesamten Infektionsgeschehen und zu den verfügbaren Kapazitäten in den Krankenhäusern setzt. Auf diese Weise könnte das Gefährdungspotenzial des Virus deutlich treffender ermittelt werden.

Beide Seiten bei der Impfkampagne könnten von dieser Versachlichung profitieren. Die Übergänge könnten wieder durchlässiger werden. Man könnte wieder Debatten führen, ohne der anderen Seite das Gefühl zu geben, ein schlechter Mensch zu sein. Wir kommen nur gemeinsam durch die Pandemie. Lagerkämpfe bringen uns da nicht weiter.


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