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Man wird sie nicht mehr los: Querdenker, Gutmenschen, Spaziergänger – und seit neuestem Putinversteher. Einst geschätzte und respektierte Menschen mit teilweise unkonventionellen, aber erfrischenden Meinungen, sind heute das pure Böse. Sie führen nichts geringeres im Schilde als die Unterminierung und Zersetzung der bestehenden Gesellschaft. Gegen sie ist mit aller Härte vorzugehen, Verständnis ist Schwäche. Stück für Stück wird durch die Dämonisierung Andersdenkender die Fähigkeit zu Diplomatie und Dialog abgebaut. Das kommt außenpolitisch zum Tragen, ist aber auch weit in unsere Gesellschaft vorgedrungen.
Es gibt heute zwei Sorten von Pazifisten. Die einen möchten Frieden durch Waffengewalt herstellen, die anderen wollen Waffen lieber heute als morgen abschaffen. Die einen sind pragmatische Weltverbesserer, die anderen naive Putintrolle. Genau so gibt es heute zwei Sorten von Spaziergängern. Die einen erfreuen sich am Grün der Landschaft und der frischen Luft, die anderen ziehen pöbelnd und skandierend durch die Straßen. Und es gibt heute zwei Arten von Linken. Die einen heißen Anton Hofreiter, die anderen Sahra Wagenknecht.
Vom Exot zum Dämon
Die Spaltung der Gesellschaft ist weit vorangeschritten und drückt sich immer deutlicher durch Kampfbegriffe und politisch aufgeladene Vokabeln aus. In manchen Fällen gibt es dabei eindeutige Gewinner: Der früher zwar belächelte, aber dennoch respektable und erfrischende Querdenker ist heute nichts weiter als ein versponnener Schwurbler, der ohne Frage von der extremen Rechten unterwandert ist. All diese Entkernungen und Neudeutungen vormals unverfänglicher Begrifflichkeiten verfolgen ein Ziel. Sie ziehen eine dicke Linie zwischen sich und Andersdenkende und versuchen, diese möglichst komplett aus dem akzeptierten Diskurs auszuschließen.
Neuerster Clou in dieser Serie an Umdeutung und Verzerrung: der mittlerweile inflationär verwendete Begriff „Putinversteher“. Diese neuartige Wortschöpfung hat im Prinzip nur eine einzige Bedeutung. Sie ist ein Sammelbegriff für alle Menschen, die eine diplomatische Lösung des Kriegs in der Ukraine einem militärischen Ansatz vorziehen. Ihnen wird pauschal unterstellt, dass sie Verständnis für die Motive Putins haben oder sein aggressives Gebaren sogar unterstützen.
Moralische Opfer
Damit überhohen die Meinungsgeber aber einen Teilaspekt dieses Begriffs und lassen einen anderen völlig außer Acht. Sie beschränken sich in ihrer zwanghaft anmutenden Interpretation auf die emotionale Ebene des Begriffs. Ein „Versteher“ zeigt Verständnis für jemanden oder etwas und identifiziert sich mit den zugrundeliegenden Vorstellungen und Werten. Unbeleuchtet lassen sie hingegen die logische Ebene. Wer etwas versteht, vollbringt die intellektuelle Leistung, etwas zu begreifen und zu durchschauen.
Dem Begriff „Putinversteher“ bleibt damit nichts weiter als eine moralische Interpretation. Es geht nicht ums Begreifen, es geht um Verständnis und das Gutheißen angeblich größenwahnsinniger nationaler Expansionspläne. Jedem, der nur im Entferntesten daran denkt, der russischen Aggression mit Diplomatie und Besonnenheit zu begegnen, wird sogleich mit der moralischen Keule niedergerungen. So ging es dem Papst und so ging es Rolf Mützenich (SPD).
Wer recht hat, gewinnt
Das Ausblenden einer logischen und sachlichen Ebene macht derweil Schule. Längst steckt hinter der Umdeutung von Begriffen ein perfides System. Immer mehr und immer dreister wird jeglicher Dialog unterdrückt. Es geht immer weniger darum, ins Gespräch zu kommen und sich über konträre Meinungen auszutauschen. Das Rechthaben und Gewinnen steht an erster Stelle. Begriffe wie Querdenker, Putinversteher und linksgrüne Ökosozialisten machen die Gegenseite verächtlich und erhöhen die eigene moralische Position. Es fühlt sich ungemein gut an, auf der richtigen Seite zu stehen. Warum nicht also gleich alle anderen mit Dreck bewerfen und rhetorisch zerstören?
Es ist extrem schwierig, gegen dieses moralische Cheaten anzukommen. Viele haben das während der Pandemie gemerkt. Wer sich nicht impfen lassen wollte, wurde wie ein Aussätziger behandelt. Die medizinische Bedrohung, die angeblich von Ungeimpften ausging, war dabei nur ein Vehikel, um die Ausgrenzung Andersdenkender zu legitimieren. Eine sachliche Diskussion über unterschiedliche Meinungen war so gut wie unmöglich. Der Ungeimpfte war der Böse, egal wie logisch er seine Beweggründe darlegen konnte. Bestenfalls wurde er geduldet.
Wahre Putinversteher
Ähnlich verhält es sich heute mit denen, die nicht an den ukrainischen Endsieg glauben. Die Debatte um Taurus ist dabei eine Nebelkerze: Sie simuliert eine kritische Debatte über Waffenlieferungen, wobei die grundsätzliche Entscheidung längst feststeht. Strittig sind einzig Detailfragen. Verständnis für den Aggressor wird nicht geduldet. Das muss die Bundesregierung immer wieder betonen. Denn verstanden hat sie ihn schon lange.
Sie versteht ihn seit dem 24. Februar 2022. In dem Moment, als Putin die Ukraine angriff, war ihr alles klar. Augenblicklich wusste sie, was der russische Diktator im Schilde führt. Wozu also eine kritische Debatte, wenn einem die Wahrheit förmlich ins Gesicht springt? Die deutsche Regierung weiß genau, dass es Putin nicht nur um die Ukraine geht. Er will ganz Europa mit seinem Terror überziehen. Ihm schwebt ein russisches Europa vor und der unliebsame Nachbar ist sein erstes Opfer. Wenn wir ihm jetzt nicht mit aller Gewalt Einhalt gebieten, verleibt er sich bald Ungarn, Polen und Berlin ein.
Zum Glück ist ihm der Westen immer einen Schritt voraus. Es ist einzig dem strategischen Kalkül der NATO zu verdanken, dass sein Feldzug so schnell zum Stillstand kam. Dabei weiß das Bündnis die höheren Mächte auf seiner Seite. Diese haben den westlichen Regierungen nämlich eingeflüstert, dass der irre Putin auf keinen Fall verhandeln will. Durch dieses Wissen konnten sinnlose Gespräche und ein Gesichtsverlust des Westens bislang zuverlässig abgewendet werden. Es steht völlig außer Frage: Die größten Putinversteher sitzen in Washington, Berlin, Paris und London.
Sie wissen genau, dass es jedes Opfer wert ist, wenn man Russland ruinieren will. Es ist egal, wenn Russland als Reaktion auf diesen Kampf den Gashahn zudreht. Es ist unerheblich, wenn die Energiepreise ins Unermessliche steigen. Und es macht nichts, wenn US-amerikanisches Fracking-Gas eine Versündigung am Klima ist. Es muss unter allen Umständen eines verhindert werden: Unrecht zu haben.