Politischer Neustart gesucht

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Die Demos gegen Rechts reißen nicht ab. Woche für Woche gehen zigtausende Menschen auf die Straße, um klare Kante zu zeigen gegen rechte Hetze, Radikalismus und Deportationsfantasien. Die Demos stellen eindrucksvoll unter Beweis, wie stark sich weite Teile der Bevölkerung mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit identifizieren. Die Umfragewerte der AfD berührt das bisher nur peripher. Trotz der bekanntgewordenen Pläne zur sogenannten „Remigration“ von Menschen halten viele der AfD weiterhin die Stange. Hoffnung setzen viele in das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Ob die neue Partei die extreme Rechte wirklich schwächen kann, hängt davon ab, wie überzeugend sie ihr Programm und ihren neuen politischen Stil insbesondere gegenüber den Nichtwählern vertritt.

Die AfD halbieren?

Seit Monaten wird darüber spekuliert, was das neue BSW politisch in Deutschland bewirken kann. Wird es einen Politikwechsel geben? Schließt sich die Repräsentationslücke? Halbiert das Bündnis die AfD? Besonders ans letzterer Frage scheiden sich die Geister. Während manche in der Wagenknechtpartei nichts weiter sehen als neuen populistischen Ballast, glauben manche in der einstigen Linken-Ikone eine politische Heilsbringerin zu erkennen.

Die Umfragewerte der neuen Partei können sich jedenfalls sehen lassen. Schon seit letztem Sommer kursieren Stimmungswerte, die dem Bündnis teilweise mehr als 20 Prozent an Wählerzustimmung attestieren. Das ist insoweit fraglich, da vor einem guten halben Jahr noch nicht einmal feststand, ob die neue Partei überhaupt kommt. Klar wurde dadurch nur: Es gibt Bedarf an einer neuen politischen Akteurin.

Ein realistisches Bild

Seit Gründung des Vorgängervereins und schließlich der Partei ist die Lage nicht mehr so klar. Zwar gibt es immer noch Umfragen, die der Partei eine Zustimmung im deutlich zweistelligen Bereich bescheinigen, andererseits setzt allmählich eine Ernüchterung ein. Für die Thüringen-Wahl im nächsten Herbst beispielsweise klaffen die Prognosen besonders weit auseinander. Während manche Umfragen auf BSW-Werte von 17 Prozent kommen, schafft es die neue Partei in anderen Befragungen nicht einmal über die 5-Prozent – Hürde.

Auch auf Bundesebene scheint sich die Einstelligkeit zu verfestigen. Die Erfolgsaussichten des BSW schmälert das nur bedingt. Die Ergebnisse sind nach dem Gründungsparteitag und dem Bekanntwerden konkreter programmatischer Punkte lediglich realistischer geworden. Dass eine Partei aus dem Stand ein Fünftel der Wähler anspricht, wäre unglaubwürdig und wenig demokratisch gewesen. Für die Umfragewerte gilt vermutlich das gleiche wie für die Partei selbst: Sie wachsen langsam.

Abgestempelt

Obwohl viele von den EU-Wahlen im Juni sprechen, ist es bis dahin noch mehr als drei Monate hin. Sobald die Wahlen noch näherrücken und der Wahlkampf so richtig an Fahrt aufgenommen hat, wird es wahrscheinlich spürbare Veränderungen bei den Zustimmungswerten geben. Bislang zumindest ist von einer Halbierung der AfD durch das BSW wenig zu spüren. Viele sprechen von einer Stammwählerschaft, die für demokratische Alternativen nicht mehr zu gewinnen ist.

Auch hier wird die Zeit zeigen, was in der neuen Partei und vor allem in den bisherigen AfD-Wählern steckt. Denn durch brillante Ideen und großartige Inhalte hat sich die AfD bisweilen nicht hervorgetan. Stattdessen bietet sie ein Forum für verständliche Unzufriedenheit und Verärgerung auf die etablierten Parteien. Ihre Wähler als unrettbar verloren und ewig rechts zu geißeln, ist vermessen und viel zu kurzsichtig. Es ist diese Vorverurteilung, die sie von der selbsterklärten demokratischen Mitte immer weiter wegtreibt.

Eine demokratische Tragödie

Darum ändern auch die zahlreichen Demos gegen Rechts kaum etwas an den Umfragewerten für die AfD.  Wer heute AfD wählt, fühlt sich von den Protesten nicht angesprochen, weil solche Wähler natürlich nicht für die Deportation von Menschen stehen. Es ist eine demokratische Tragödie, dass sie so viele Jahre der AfD überlassen wurden und der einzige Weg zurück zu einem völligen Gesichtsverlust führt, weil man sich eingestehen muss, dass man einer Partei gefolgt ist, die Menschen in Lager stecken will.

Die meisten heutigen AfD-Wähler werden sich bestimmt nicht die Blöße geben, nun doch wieder etabliert zu wählen. Eher noch gehen sie dahin zurück, wo sie herkamen: zu den Nichtwählern. Und tatsächlich befinden wir uns in Deutschland mittlerweile in einer Situation, wo man um jeden dankbar sein muss, der lieber nicht wählt, statt zur AfD überzulaufen. Mehr Politikversagen geht kaum.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Die hohen Umfragewerte der AfD entsetzen viele deshalb, weil sie lange Zeit einem gewaltigen Irrtum aufsaßen. Wenn die SPD bei der letzten Bundestagswahl rund 26 Prozent erzielt, dann steht dieses Ergebnis immer in Relation zu allen abgegebenen Stimmen. Nichtwähler werden nicht berücksichtigt. Und ebenso wie sie bei den Wahlen aus dem Raster fallen, so hat man sie auch gesellschaftlich viel zu lange aus dem Blick verloren. Keinen scherte es, dass teilweise deutlich über 20 Prozent der Wahlberechtigten zu Hause blieb. Dieses enorme demokratische Potenzial ist von den etablierten Parteien kaum noch zu erreichen – dafür aber von Protestparteien wie der AfD.

Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, die Menschen von der AfD zurückzugewinnen als jetzt. Wenn allen Ernstes über die Deportation von Migranten diskutiert wird, ist eine Grenze erreicht. Die etablierten Parteien bringen’s nicht, darum könnte das BSW als neue politische Kraft gute Chancen haben, Enttäuschte und Frustrierte wieder in den demokratischen Diskurs einzubinden. Das bisherige Gebaren der neuen Partei lässt zumindest hoffen, dass sie für einen grundsätzlich anderen Politikstil steht.

Aber das BSW ist mehr als nur eine Anhäufung von Versprechen, die den Nichtwählern schon so oft gemacht wurden. Der Gründungsparteitag am 27. Januar hat gezeigt, dass die neue Partei alles andere ist als ein Sammelbecken gescheiterter Politiker. Im BSW engagieren sich erstaunlich viele Quereinsteiger, die mit Politik bislang wenig am Hut hatten. Das sendet ein wichtiges Signal an solche Menschen, die den Wahlen sonst fernblieben. Anders als die AfD verharrt das BSW nicht in der Empörung. Es steht viel mehr für einen politischen Neustart und weckt Hoffnung in den Menschen, dass auch sie die Kraft haben, etwas zu verändern.

Ein Schritt nach dem anderen

Das BSW ist noch keine zwei Monate alt, da beherrschen schon Koalitionsfragen die Debatte. Überraschend ist das nicht: 2024 stehen wichtige Wahlen an. Im Juni wird das EU-Parlament gewählt und im Herbst finden gleich drei Landtagswahlen in Ostdeutschland statt. Natürlich ist es interessant, welche Ambitionen die neue Partei bei diesen Wahlen hat.

Die Signale aus den anderen Parteien sind jedoch alles andere als hoffnungsvoll. Es wird also erst einmal auf die Oppositionsrolle hinauslaufen. Je stärker das BSW in der Opposition abschneidet umso besser. Denn insbesondere eine starke Opposition kann den Diskurs im Land verändern – die AfD ist ein beeindruckendes Negativbeispiel dafür.

Und auch wenn die Medienberichte anderes vermuten lassen: Sahra Wagenknecht steht nicht für jede beliebige Koalition zur Verfügung. Gedankenspiele zur Zusammenarbeit mit der CDU sind rein hypothetischer Natur und belegen stattdessen: Nur Inhalte übereinander legen reicht nicht aus. Viel wichtiger ist es, dass in den etablierten Parteien ein Sinneswandel zustandekommt. Wenn sie ihre Positionen und Ideen wieder so ausrichten, dass sie der Breite der Bevölkerung zugutekommen, ist der Zeitpunkt gekommen, um über Koalitionen zu sprechen.

Eines darf man nicht vergessen: Das BWS findet besonderen Anklang bei Menschen, die von der Politik enttäuscht sind oder sich schon abgewendet haben. Deren Interessen sind bei möglichen Koalitionen unbedingt zu beachten. Sollten sie die neue Partei wählen, ist ihr Vertrauen ein ganz besonders wertvolles Gut. Munteres Koalieren um jeden Preis wird solche Wähler wieder verprellen und sie noch weiter von der Parteiendemokratie entfremden. Nur den extremistischen Kräften wäre damit gedient.


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Auf dem demokratischen Abstellgleis

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Es gibt in Deutschland eine rechtsextreme Partei, die inzwischen bei jedem fünften Wähler Anklang findet. Was vor einigen Jahren noch völlig unvorstellbar schien, ist heute bittere Realität. Oft genug ist es der AfD gelungen, sich an die Spitze von Protestbewegungen zu stellen – die etablierten Parteien stattdessen hatten immer wieder Angst vor der eigenen Courage. Die 20 Prozent der potenziellen Rechtsaußen-Wähler vertrauen heute nur noch der AfD. Ein überzeugendes und authentisches Gegenangebot könnte sie aber in den demokratischen Diskurs zurückholen.

Rechts angekommen

20 Prozent. So viele Wählerinnen und Wähler können sich nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Meinungsforschungsinstitute mittlerweile vorstellen, AfD zu wählen – und das ungebrochen seit Wochen. Die hohen Zustimmungswerte müssen endlich als schrilles Alarmsignal wahrgenommen werden. Es reicht nicht mehr aus, die Aussagekraft solcher Umfragen zum kurzfristigen Stimmungsbild zu relativieren. Ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat die Absicht erklärt, bei einer anstehenden Wahl eine Partei zu wählen, in der sich inzwischen die rechtsextremen Kräfte in weiten Teilen durchgesetzt haben.

Die AfD selbst bekennt sich zwischenzeitlich zu dieser Einordnung. Treten Abgeordnete anderer Parteien im Bundestag ans Redepult und begrüßen die Kollegen aus den „demokratischen Fraktionen“, ist schon lange kein empörter Aufschrei mehr von der rechten Seite zu hören. Offenbar haben sich die die vielen Männer und die wenigen Frauen aus der Rechtsaußen-Fraktion endgültig mit der Tatsache abgefunden, einer rechtsextremen Partei anzugehören.

Zehn Jahre nach ihrer Gründung ist die AfD nämlich nicht mehr das, was sie einst war. Was heute bei anderen Gelegenheiten oft als „Rechtsoffenheit“ kritisiert wird, war bei der AfD von Anfang an vorhanden. Diese Öffnung nach rechts machte es möglich, dass inzwischen Personen wie Bernd Höcke den Ton angeben. Was einst als eurokritische Partei unter Bernd Lucke begonnen hatte und von Frauke Petry immer wieder als „demokratisches Korrektiv“ betitelt wurde, ist heute nichts anderes als ein Sammelbecken für empörte und frustrierte Menschen, die von den anderen Parteien im Stich gelassen wurden.

Fähnchen im Wind

Um die hohe Gunst der Wähler aufrechtzuerhalten, erwies sich die AfD als überaus flexibel in der Positionierung zu bestimmten Themen. Dass sie sich an einigen Stellen sogar selbst widerspricht, ist zweitrangig. Die Menschen sind weniger an Tatsachen interessiert, sondern eher daran, dass ihnen zugehört wird. Dabei wird sich durch die AfD nichts für die meisten ihrer Wähler ändern – zumindest nicht zum Positiven. Denn obwohl sie sich gerne als die Partei für die kleinen Leute geriert, würde sie das Bürgergeld am liebsten gleich wieder abschaffen und Erwerblose schlimmer drangsalieren als Hartz IV es ermöglicht hat. Armut per Gesetz – für die AfD offenbar kein Problem.

Auch in ihrer Außenpolitik zeichnet Rechtsaußen alles andere als ein kohärentes Bild. So verurteilt sie einerseits die militärische Unterstützung für die Ukraine, bemängelt an anderer Stelle aber die unzureichende Ausrüstung der deutschen Bundeswehr. Pazifismus und Diplomatie spielen für die AfD wohl nur dann eine Rolle, wenn die deutschen Bürger wirtschaftliche Nachteile von Aufrüstung und Krieg zu befürchten haben. Standhafte Friedensliebe sieht wahrlich anders aus.

Ein Meisterstück an Opportunismus und Wendehalsigkeit hat die AfD jedoch im Frühjahr 2020 zum Besten gegeben. Während sie nach Bekanntwerden der ersten Coronafälle in Deutschland lautstark nach einem kompletten Shutdown verlangte, wollte sie einige Wochen später von diesem resoluten Vorgehen gegen das Virus nichts mehr wissen. Seitdem wird die Partei nicht müde, die Bundesregierung für ebendiese Maßnahme zu kritisieren und wirft ihr vor, sie hätte die Gesellschaft dadurch massiv wirtschaftlich geschädigt und die Bürger ihrer Freiheit beraubt. Jedes herkömmliche Fähnchen wäre bei solchen orkanartigen Umschwüngen längst gerissen.

Ganz vorne dabei

Es ist inzwischen zur politischen Gewissheit geworden: Lauert eine Krise, ist die AfD nicht weit. Die Partei hat mittlerweile einiges an Übung daran, sich an die Spitze von Protestbewegungen zu stellen. Geschickt nutzte sie die Sorge vieler Bürger aus und kaperte die Pegida-Bewegung. Sie trug nichts dazu bei, die selbsternannten Wutbürger wieder in den demokratischen Diskurs einzubinden, sondern stachelte deren Ängste systematisch weiter an, um daraus Profit in Form von Wählerstimmen zu gewinnen.

Ihr erster großer Coup gelang der AfD dann im Spätsommer 2015, als hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland strömten. Sie setzte dabei auf die desolate soziale Lage vieler Menschen und spielte sie gegen die Schutzsuchenden aus. Vielleicht wäre die AfD ohne die Flüchtlingskrise 2015 heute schon längst Geschichte.

Doch der Siegeszug der Rechtsextremen setzte sich fort. Als die ersten Menschen auf den damaligen Hygienedemos gegen die harten Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus aufbegehrten, erschlossen sich die Rechten auch diesen Protest. Dies gipfelte schließlich in der Querdenkerbewegung, auf welche die AfD leider ein Patent hält.

Immer wieder gelang es der AfD, ohne Programmatik und ohne echte Vision politische Lücken zu füllen. Sie bewies zuverlässig ein gutes Gespür dafür, welche Ängste die Menschen umtrieben und war als erstes zur Stelle, um den Unmut politisch abzubilden. Selten steckten dahinter geniale Einfälle und strategische Meisterleistungen: Die übrigen Parteien hatten inzwischen derart große Angst vor dem Frust der Bürger, dass sie sich stets von solchen Erhebungen fernhielten. Sicher spielte dabei in manchen Fällen auch das schlechte Gewissen eine Rolle, waren die etablierten Parteien doch häufig für die Misere der Bürger mitverantwortlich.

Prinzip „AfD“

In Wahlergebnissen erreicht die AfD ungeahnte Höhen. Als Partei hat sie längst aufgehört zu existieren, sollte es sie jemals in dieser Form gegeben haben. Viel eher ähnelt sie einem Schwamm, der sich zwangsläufig mit Wasser vollsaugt, wenn man ihm Gelegenheit dazu gibt. Ein System steckt nicht dahinter. Die AfD ist stattdessen Spielball der extremen Rechten, der sie einst so generös Zutritt gewährt hat. Bei der Positionierung zu bestimmten Themen ist die AfD außerordentlich dynamisch, als Partei ist sie erstaunlich statisch.

Gerade deshalb ist der Vorwurf, manche Positionen seien AfD-nah, in den meisten Fällen völlig haltlos. Es gibt keine AfD-nahen Positionen. Die AfD nähert sich stattdessen solchen Positionen, welche die anderen Parteien bereitwillig außer Acht lassen. AfD-nah sind Politiker nur, wenn sie bei diesem perfiden Spiel mitmachen. Sie lassen sich von den Rechtsextremen einen Politikstil aufzwingen, der so gar nicht förderlich ist für unsere Demokratie.

Weil die AfD so erfolgreich ein Themenfeld nach dem anderen mit ihrem rechtsextremen Gedankengut kontaminiert, verengt sich der geduldete Meinungskorridor immer weiter. Die Rechten haben es auf diese Weise zunehmend leicht, die übrigen Parteien vor sich herzutreiben – oder zu „jagen“, wie es Alexander Gauland einst bezeichnete. Dieser Politikstil der erzwungenen Eindimensionalität wird besonders von den Grünen eifrig kopiert. Sie machen das inzwischen so routiniert und kaltschnäuzig, dass man sich ernsthaft fragt, wer hier Meister und wer hier Schüler ist.

Ein besseres Angebot?

Die gute Nachricht ist: Einmal AfD heißt nicht immer AfD. Nur wenige Menschen wählen die AfD trotz ihrer rechtsextremen Tendenzen. Wähler, die bereitwillig über diese Offensichtlichkeit hinwegsehen, haben andere Interessen als Menschen, welche die AfD aus Enttäuschung und Frust wählen. Wer die AfD aus rein wirtschaftsliberalen, konservativen oder eurokritischen Motiven wählt, gehört zu einer Minderheit in der Wählerschaft der Partei. Dieses Potenzial liegt bei maximal 5 bis 6 Prozent. Die übrigen 15 Prozent der potenziellen AfD-Wähler hat in der AfD keine neue politische Heimat gefunden. Sie verharren mit den Rechtsextremen, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sehen. Zu oft haben die demokratischen Parteien sie enttäuscht. Ihre Abkehr von diesen Parteien ist daher durchaus verständlich.

Außer der extremen Rechten gab es leider kein anderes Ventil für diese Wähler. Nun müssen sie sich seit Jahren anhören, dass es durch und durch schlecht ist, die AfD zu wählen. Kein einziger Wähler wird so zurückgewonnen. Überzeugende Argumente für die anderen Parteien hören diese Menschen nicht, dabei wären sie anderen Konzepten gegenüber sicher aufgeschlossen.

Ihr demokratisches Potenzial ist bei der AfD in gewisser Weise nur zwischengeparkt. Nur die AfD gibt ihnen momentan das Gefühl, ernstgenommen zu werden. Sobald irgendein anderer politischer Akteur ihnen ein besseres Angebot macht, wandern sie ab. Natürlich wird dieses Unterfangen mit voranschreitender Zeit schwieriger und wahrscheinlich haben die etablierten Parteien gar nicht mehr die Kraft, diese Anstrengung zu meistern. Neue politische Projekte sind daher gefragt, um solche Wähler abzubilden, die letzten Endes nur eines wollen: gehört werden.


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Ein heuchlerisches Geschäftsmodell

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Peter Altmaier möchte gerade in den Aufzug steigen, da kommt eine Frau auf ihn zugeschnellt. Sie beleidigt und bepöbelt den Bundeswirtschaftsminister. Das ganze hält sie auf Kamera fest. Zutritt zum Reichstagsgebäude hatte die Dame dank einiger AfD-Abgeordneter. Offiziell bedauert die rechtspopulistische Partei diesen Vorfall. Doch immer berechtigter stellt sich die Frage: „Hätte man das nicht kommen sehen?“

Nach dem unglaublichen Vorfall auf der Treppe des Reichstagsgebäudes, haben sich AfD-Sympathisanten nun Zutritt ins Herz der deutschen Demokratie verschafft. Vier Gäste von AfD-Abgeordneten pöbelten verschiedene Abgeordnete an, bedrängten und beleidigten sie. Das Präsidium des Bundestags lässt derweil rechtliche Konsequenzen prüfen – auch gegen die AfD-Abgeordneten Hemmelgarn, Bystron und Müller, die als Türöffner für die Störenfriede fungiert haben. Eventuell ist hier der Paragraph 106 des Strafgesetzbuches erfüllt, der eine Nötigung oder Bedrängung von Abgeordneten explizit unter Strafe stellt.

Provokationen als Geschäftsmodell

Der jüngste Zwischenfall war zugegeben mehr als eine Provokation oder ein Affront gegen die verfemten Altparteien. Es war ein direkter Angriff auf das deutsche Parlament. Seit Bestehen der Partei hält sich die AfD durch solche Eskapaden im Gespräch. Immer und immer wieder fällt sie inner- als auch außerhalb des Bundestags durch Tabubrüche und Grenzüberschreitungen auf. Die ehemalige Parteichefin Frauke Petry wollte ihrerzeit das Wort „völkisch“ wieder in den politischen Diskurs einführen und am besten positiv besetzen. Beatrix von Storch erwog in den sozialen Medien, man solle an der deutschen Grenze notfalls auch auf Frauen und Kinder schießen. Der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz inszenierte nach dem Mord an der 14-jährigen Susanna F. aus Mainz eine Schweigeminute und zog damit das Andenken an die getötete Teenagerin in den Dreck.

All diese Beispiele gibt es und alle wurden in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Die Medien scheuten sich teilweise nicht, sie zum Dreh- und Angelpunkt politischer Debatten zu erklären. Sie sprangen in vielen Fällen nur zu gerne über die Stöckchen, die ihnen die AfD hinhielt. Denn rein politisch wäre die AfD nach sechs Monaten abgefrühstückt gewesen. Nörgelnd, inhaltlos und verbohrt könnte sie ihre Anliegen ohne die ständigen Zwischenfälle überhaupt nicht vorbringen. Diese andauernden Provokationen gehören fest zum Geschäftsmodell der rechtspopulistischen Partei.

Auf der Maus abgerutscht

Hanebüchene Erklärungen und Entschuldigungen runden die Provokationen ab. Frauke Petry will das alles gar nicht so gemeint haben. Es sei eine rein theoretische Überlegung gewesen. Thomas Seitz und die übrigen Abgeordneten sind sich keiner Schuld bewusst und inszenieren sich stattdessen als Opfer einer angeblich rigiden Sitzungsleitung durch Claudia Roth. Absolutes Highlight an Absurditäten war aber Beatrix von Storchs Ausrede, sie sei leidglich auf der Maus abgerutscht. Auch diese chronische Zurückruderei verfehlt ihren Zweck nicht. Die Stänkereien der AfD bleiben damit sogar noch länger im Gespräch.

Ein tatsächliches Eindringen ins Reichstagsgebäude war dabei nur die logische nächste Eskalationsstufe. Nachdem vor einigen Wochen Demonstranten mit Reichskriegsflaggen die Treppe vor dem Reichstagsgebäude blockiert hatten, begegnete die AfD diesem Zwischenfall mit Verständnis und Sympathie. Sie verharmlosten diese glasklare Drohgebärde in Richtung Demokratie und Parlamentarismus. Dieses Verhalten war nichts anderes als eine indirekte Einladung der Aggressoren in das Gebäude hinein.

Denn schon häufig betätigten sich Abgeordnete der AfD als geistige Brandstifter für Ideen, die dann tatsächlich in die Tat umgesetzt wurden. Mit ihren Hetzreden gegen Andersdenkende und mit ihrer rhetorischen Aufrüstung bestärkte die AfD Täter wie solche in Halle, Hanau, Chemnitz und anderswo. Im aktuellen Fall machte die AfD sogar direkt vor, was nun geschah: Bereits am 17. Januar entgleiste der AfD-Abgeordnete Petr Bystron verbal und beschimpfte den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer am Rednerpult als Arschloch. Petr Bystron ist übrigens genau einer der AfDler, die die Störer ins Parlament einließen.

Von Chaoten und Einzelfällen

Alexander Gauland bezeichnete das Verhalten der Störer als unanständig und unzivilisiert. Tatsächlich haben sich die Störenfriede genau so verhalten. Doch die krampfhafte Distanzierung des Fraktionschefs von dem Vorfall sind an Heuchelei kaum zu überbieten. Immer wieder zeigen sich Mitglieder der AfD entsetzt über rechtsradikale Ausschreitungen und Anschläge. Wenn sie nicht sofort auf die Gefahren des Linksextremismus und des Islamismus hinweisen, so bestreiten sie doch alle reflexartig, überhaupt nichts mit solchen Zwischenfällen zu tun zu haben. Gerade in Zusammenhang mit Hygienedemos nennt die AfD am liebsten Begriffe wie „Chaoten“ oder „Einzelfälle“, um die eigene Schuld zu verschleiern.

Solche Vorkommnisse sind aber gerade keine Einzelfälle. Und die AfD darf sich hier nicht so ohne weiteres aus der Affäre ziehen. Am liebsten würde diese Partei wohl vergessen, wo sie herkommt. Sie wurde aus einer Protestbewegung heraus geboren. Selbsternannte Wutbürger waren besonders zu Beginn ihres Bestehens ihr Lebenselixier. Oder ist es wirklich Zufall, dass die AfD gerade dann in die ersten Landesparlamente einzog, als Pegida der heißeste Scheiß war?

Die Flüchtlingskrise ab 2015 leistete der Rechtsaußen-Partei weiter enormen Vorschub. Für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und das marode Sozialsystem hatte die Partei plötzlich eine Erklärung und einen greifbaren Sündenbock. Und nach diesem Sündenbock wurde in den letzten Jahren viel zu häufig gegriffen. Die AfD soll es nicht wagen, die Mitverantwortung für diese Entwicklungen nun scheinheilig von sich zu weisen.

Die Fraktion der Krokodilstränen

Vereinzelt lassen es Parteimitglieder nicht damit bewenden, diese Offensichtlichkeiten medienwirksam vor den Kameras zu bedauern. Manche gehen konsequentere Schritte und distanzieren sich von der Partei als ganzes. Frauke Petry beispielsweise ließ die Bombe kurz nach der Bundestagswahl 2017 platzen. Sie verließ die Partei, weil sie vor bestimmten Dingen nicht mehr die Augen verschließen konnte. Ihr folgten in der laufenden Legislaturperiode vier weitere Abgeordnete der AfD.

Bravo, mögen da einige rufen. Aber worüber wundern sich diese Abgeordneten denn bitteschön? Darüber, dass die AfD einen rechtsextremen Weg eingeschlagen hat? Der war doch schon immer vorprogrammiert, wenn nicht gar latent vorgesehen. Ein brennendes Streichholz in einen Benzinkanister fallenlassen und sich dann über das Schlamassel wundern – ist klar. Merkwürdig ist auch, dass all diesen Abgeordneten erst dann ein Licht aufging, nachdem sie dank ihres Engagements für die AfD in den Bundestag eingezogen waren. Man sollte ehrlich darüber nachdenken, auf der rechten Seite des Parlaments Taschentuchspender zu installieren.

Eine vorprogrammierte Entwicklung

Dankbarer Abnehmer davon wäre sicherlich Parteichef Jörg Meuthen. Man ist hin- und hergerissen, wie man seinen aussichtslosen Kampf gegen den rechtsextremen Flügel bewerten möchte. Ist dieser Mann einfach nur ein besonders verlogener Heuchler oder ein extrem hilfloser Naivling? Begreift er denn nicht, dass dieser angebliche Kampf längst entschieden ist? Dass seine Partei ohne die rechtsextremen Einflüsse nichts anderes wäre als eine besonders bockige FDP? Auch wenn sich die Liberalen zunächst gesträubt haben, im Bundestag neben der AfD zu sitzen – die Sitzordnung macht Sinn.

Trotzdem bleibt Meuthen optimistisch und würde am liebsten das Kapitel Rechtsextremismus in seiner Partei beenden. Deutlich wurde das auch bei der Elefantenrunde 2017, als er noch öffentlich bestritt, es gäbe Rechtsextreme in seiner Partei. Durch diese Taktik versucht die Partei natürlich, allen ihren Wählerinnen und Wählern, die teilweise völlig zurecht empört sind, die Schuld zu nehmen. Menschen wie Meuthen oder Petry gaukeln einem Teil der Wählerschaft vor, den rechten Flügel der Partei gut unter Kontrolle zu haben. Dabei muss jedem Mitglied und jedem Wähler klar sein, worauf sie sich einlassen: Jede Stimme für die AfD ist eine Stimme für den Extremismus von rechts.


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