Ein vielversprechendes Projekt

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Das 9-Euro – Ticket wird kommen. Allen Unkenrufen und Boykottierungssuchen seitens der Opposition zum Trotz können die Bürgerinnen und Bürger ab Juni für weniger als zehn Euro pro Monat deutschlandweit den öffentlichen Personennahverkehr nutzen. Die Maßnahme entlastet vor allem Menschen, die andernfalls unter den steigenden Spritpreisen zu leiden hätten. Das Ticket ist außerdem ein sinnvolles Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel. Auch wenn das Ampelprojekt nach drei Monate wieder ausläuft, ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Euphorie hat es dennoch nicht ausgelöst.

Zwei Fliegen mit einer Klappe

Seit Monaten steigen die Preise an deutschen Zapfsäulen auf schwindelerregende Höhen. Auch wer in der letzten Zeit Heizöl bestellt hat, erlebte bei einem Blick auf die Rechnung ein böses Erwachen. Autofahren und Heizen sind so teuer wie nie. Der Krieg in der Ukraine und die verhängten Sanktionen gegen Russland treiben die Preise weiter an. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Viel eher befürchten Experten, dass es besonders in der kalten Jahreszeit noch einmal zu deutlichen Preissprüngen kommen kann.

An den meisten Menschen im Land geht diese Preisexplosion nicht spurlos vorbei. Sie müssen immer knapper haushalten, um die gestiegenen Kosten zu kompensieren. Für viele ist das inzwischen nicht mehr möglich. Die Bundesregierung begegnet dem rasanten Preisanstieg mit einer Reihe von Hilfsmaßnahmen, welche die Bürger entlasten sollen. Teil des Pakets ist auch das 9-Euro – Ticket, mit dem jeder Bundesbürger in den Sommermonaten deutschlandweit den öffentlichen Personennahverkehr nutzen kann.

Das Ticket wird seit Wochen heiß diskutiert, weil es ein nie dagewesenes Projekt ist. Es schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Es bedeutet große Mobilität für kleines Geld und schont dadurch den Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger. Auf der anderen Seite ist es ein Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. Der zeitlich begrenzte Umstieg vom Auto auf die Schiene ist gerade in den Metropolen Balsam für die Umwelt. Manche hätten sich noch etwas mehr gewünscht, aber: Das 9-Euro – Ticket ist die richtige Maßnahme zur richtigen Zeit.

Ernsthafte Bedenken

Das Vorhaben der Regierung wurde in der Bevölkerung ausgesprochen gut aufgenommen. Obwohl manche Menschen leer ausgehen, weil sie beispielsweise eine Monatskarte besitzen, stößt das Ticket durchaus auf große Sympathie.

Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten, und so gibt es auch beim 9-Euro – Ticket den ein oder anderen ernsthaften Kritikpunkt. Befürchtet wird vor allem eine Überlastung des Nahverkehrs, weil der Fuhrpark der meisten Verkehrsunternehmen dem zu erwartenden Andrang nicht standhalten wird. Angesichts eines weiterhin grassierenden Virus sind diese Bedenken nicht von der Hand zu weisen.

Indische Verhältnisse?

Alle drei Regierungsparteien waren in den letzten zwanzig Jahren mit unterschiedlicher Durchschlagskraft an der Demontage des Schienennetzes beteiligt. Es ist gut, dass SPD, Grüne und FDP angesichts großer Herausforderungen nun einlenken und eine so sinnvolle Maßnahme auf den Weg bringen.

Besonders kritische Töne zum 9-Euro – Ticket kommen nun aber vom Oppositionsführer Union. Sie werfen der Regierung vor, kopflos an die Sache heranzugehen. Ihrer Meinung nach habe die Ampelkoalition nicht ausreichend im Blick, dass das Ticket zu einem großen Ansturm auf den öffentlichen Nahverkehr führen würde. Wenn nicht gleichzeitig mit einem Ausbau des Schienennetzes und engeren Takten regiert würde, drohten uns Verhältnisse wie in Indien.

Reine Willensfrage

Die Einwürfe aus der Opposition sind fadenscheinig und durchschaubar. Als regierungsführende Fraktion hat die Union schließlich ordentlich bei den Missständen mitgemischt, die sie nun kritisiert. Das Muster wiederholt sich immer wieder: Kaum hinter den Oppositionsbänken, da entdecken manche Parteien plötzlich ihre soziale Ader.

Trotzdem ist noch nicht bei allen Abgeordneten von CDU und CSU angekommen, dass sie keine regierungstragende Partei mehr sind. Ihre Aufgabe als Oppositionspartei besteht nicht darin, möglichst alle Vorhaben der Regierung zu kritisieren, sondern sinnvolle Alternativen aufzuzeigen. Mit ihrem Geplärre wegen des 9-Euro – Tickets sendet die Union aber ein fatales Signal an die Bürgerinnen und Bürger.

So berechtigt einige Kritikpunkte auch sein mögen – wenn man den Menschen im Land nun auch noch dieses Bonbon wieder wegnimmt, dann wird dabei weiteres Vertrauen flöten gehen. Seit vielen Jahren verweigert sich die Regierung einer bürgerfreundlichen Politik, welche die Zeichen der Zeit erkennt. Auf die Forderungen nach besser ausgestatteten Krankenhäusern, mehr Pflegepersonal oder qualifizierten Lehrkräften an Schulen folgt von manchen Politikern routiniert die Frage nach der Finanzierung. 100 Milliarden für den Verteidigungshaushalt erscheinen aber wie aus dem Nichts. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass vieles keine Finanzierungs- sondern eine Willensfrage ist. Die Aussetzung des 9-Euro – Tickets bei dieser Vorentwicklung wäre aus demokratischer Sicht unverzeihlich.

Oppositionsfrust

Es ist eine Schande, dass viele Medien in diesen Chor aus schiefen Tönen und Disharmonien einstimmen. Sie schlachten die wenigen Ausnahmen über Gebühr aus und prophezeien schier anarchische Zustände in deutschen Bussen und Bahnen. Voller Dankbarkeit klammern sich manche Journalisten an diesen von der Union gereichten Strohhalm aus Frustration und Miesepeterei. Sie werden zu willigen Helfern in dem Unterfangen, ein Projekt madig zu machen, welches in Wirklichkeit das Potenzial hat, viel verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Endlich beschließt die Regierung eine Maßnahme, die viele Bürgerinnen und Bürger spürbar entlastet, wenn auch nur für kurze Zeit. Ganz offensichtlich gibt es aber ein Kommunikationsproblem, denn die Euphorie über dieses Projekt blieb bislang aus. Manche haben es zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen, als großer Wurf wird es aber nicht vermarktet.

Man merkt deutlich, dass die kritischen Töne in diesem Land inzwischen von einer Partei kommen, die zu lange regiert hat und jetzt ein ernsthaftes Problem damit hat, dass andere Parteien den Finger in die Wunde legen. Anstatt sich konstruktiv an der Beseitigung des selbstverursachten Scherbenhaufens zu beteiligen, krakelen die Abgeordneten in Söder’scher Manier lieber wild drauf los und tun die respektablen Vorhaben der Regierung als naive Tagträumereien ab.

Regierung ohne Wumms

Zugegeben: Die Ampelregierung macht es der Neuopposition mitunter ziemlich leicht, das Kartenhaus ins Wanken zu bringen. Eine selbstbewusste Regierung sieht anders aus. Das könnte aber an der Führungsschwäche des neuen Kanzlers liegen, der einige Gestalten in sein Kabinett aufgenommen hat, deren Stuhl schon wenige Monate nach Regierungsantritt wackelt.

Ein Kanzler mit Wumms müsste auf den Tisch hauen und die Erfolge einer angeblichen Fortschrittkoalition klar benennen. Gepaart mit dem erhöhten Mindestlohn ab Herbst ist das 9-Euro – Ticket ein Projekt, das sich zur Abwechslung endlich in Bürgernähe übt. Doch diese Botschaft kommt bei den Menschen nur unzureichend an. Bisher haben es die Entlastungspakete der Regierung nicht geschafft, die Menschen aus der politischen Passivität herauszuziehen.

Die Landtagswahl in NRW ist ein Indiz für die politische Stimmung im Land. Als einzige Ampelpartei konnten die Grünen dazugewinnen, SPD und FDP sind abgeschmiert. Sicher, im Saarland holten die Sozen vor kurzem die absolute Mehrheit und die AfD muss in mehreren Bundesländern um den Fraktionsstatus bangen. Das alles zeigt, dass sich die etablierten Parteien weiter durchsetzen. Es zeigt aber nicht, dass die Menschen mit der Politik zufrieden sind. Die Wählerwanderung, gerade von der AfD ausgehend, zeigt deutlich, dass sich viele zu den Nichtwählern gesellt haben.


Das 9-Euro – Ticket ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es darf ab September nicht wieder Schluss sein mit Bürgernähe. Im nächsten Schritt muss die Schiene wiederbelebt werden, damit viele auch in Zeiten ohne das günstige Ticket eine Alternative zum Auto haben und von den explodierenden Spritkosten verschont bleiben. Vertrauen gewinnt man nicht durch einzelne Maßnahmen zurück. Der Gesamtkurs muss stimmen. Die Regierung muss standhaft bleiben und darf sich nicht bei Gegenwind aus der Opposition wegducken. Gute Politik macht man nicht für die Opposition, sondern für die Menschen im Land.

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Kanzler aus Leidenschaft

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Um den Einzug ins Kanzleramt streiten vor der anstehenden Bundestagswahl dieses Mal drei Kandidaten. Einer von ihnen hat besonders gute Chancen: Seit Wochen stellt Olaf Scholz (SPD) seine Kontrahenten in den Schatten. Scholz gibt sich in Interviews offen für verschiedene Regierungskonstellationen. Doch ein anonymer Informant behauptet nun, dass sich Kanzlerkandidat Scholz längst auf eine Koalition festgelegt hat. Die kommenden vier Jahre wolle er vor allem dazu nutzen, Rache an der Union zu nehmen.

Ungleicher Dreikampf

In drei Wochen ist Bundestagswahl. Lange gab es nicht mehr so viel zu entscheiden wie bei dieser Wahl. Ein Sieg von Angela Merkel und ihrer CDU galt bei den letzten Wahlen stets als sicher. Der Einzug der AfD in den Bundestag vor vier Jahren zementierte Merkels Macht dann vollkommen. Völlig richtig stellte sie noch am Wahlabend fest, dass gegen sie und ihre Partei keine Regierung gebildet werden könnte. Bei der Wahl am 26. September sieht das nun völlig anders aus: Merkel kündigte bereits 2019 an, nicht mehr als Kanzlerkandidatin anzutreten. Ihr Nachfolger Armin Laschet reitet die CDU von einem Umfragetief zum nächsten.

Die politische Konkurrenz kann davon nur profitieren. Neben Armin Laschet haben sich in den vergangenen Monaten Olaf Scholz von der SPD und Annalena Baerbock von den Grünen als Kanzlerkandidaten in Stellung gebracht. Die jüngsten Entwicklungen im Rennen auf das Kanzleramt sind eindeutig: Sowohl in den Umfragewerten der Parteien als auch bei den persönlichen Beliebtheitswerten liegt Olaf Scholz klar vorne. Ihm trauen die Menschen im Land am ehesten zu, Deutschland in den kommenden Jahren zu regieren.

Ein überraschendes Comeback

Angesprochen auf mögliche Regierungskoalitionen wollte Olaf Scholz beim ersten Kanzler-Triell nichts ausschließen. Selbst eine Koalition mit den Linken hielt er für möglich, wenn es entsprechende Bewegungen vonseiten der Partei gäbe. Ein interner Whistleblower behauptet nun aber, dass sich Scholz längst auf eine Zielkoalition festgelegt hätte.

Der anonyme Informant verfügt über beste Verbindungen ins Innere der SPD-Parteizentrale und kann bestätigen: Am liebsten würde Olaf Scholz die Koalition mit der Union weiterführen. Diese Option sei bei den vor Wahlen üblichen Spekulationen völlig aus dem Blick geraten und könnte noch in diesem Herbst ihr überraschendes Comeback feiern.

Methode „Kretschmann“

Die Verbindungsperson aus der SPD führte weiter aus, dass es Olaf Scholz nicht so sehr um das Zustandekommen einer Großen Koalition ginge. Momentan lägen Union und Grüne in Umfragen sowieso viel zu dicht beieinander. Verlässliche Aussagen, mit welcher der beiden Parteien eine Große Koalition zustandekommen könnte, wären daher verfrüht.

Viel eher möchte sich Olaf Scholz durch eine Koalition an der Union für die jahrelangen Demütigungen und die völlige Demontage seiner SPD rächen. Viel zu lange habe sich die ehemalige Volkspartei im Dienste des Staates für die Union verbogen und eine Kröte nach der anderen geschluckt. Angeblich soll sich Olaf Scholz bei seinen Bemühungen am baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) orientieren. Dieser hatte die CDU bereits 2016 mit einer Großen Koalition in die Knie gezwungen. Nach der Landtagswahl Anfang des Jahres kostete er seinen Triumph über den Koalitionspartner weiter aus, indem er den desolaten Zustand der CDU ausnutze und ihr eine weitere GroKo aufzwang.

Eine Reihe von Möglichkeiten

Wie auch in Baden-Württemberg werden Ende September mehrere Alternativen jenseits der Großen Koalition möglich sein. So spekuliert Christian Lindner auf eine Regierungsbeteiligung der FDP. Möglich wäre das in verschiedenen Konstellationen. Am wahrscheinlichsten galt lange die Ampelkoalition mit SPD und Grünen. Sollte das Hoch der SPD allerdings Bestand haben, wären die Liberalen für diese Koalition nicht mehr vonnöten. Eine rot-grüne Koalition käme dann auch ohne Lindner auf eine Mehrheit.

Doch egal, wie man es dreht und wendet: Die SPD mischt bei den meisten Farbenspielen mit. Gefährlich werden könnte für Olaf Scholz allerdings der vielgehypte Zusammenschluss von Union und Grünen. Bereits vor den letzten Bundestagswahlen hatten die Grünen keine Gelegenheit ausgelassen, um in Richtung CDU zu blinken. Doch besonders nach den jüngsten Umfragewerten müsste diese Koalition um Lindners FDP erweitert werden. Und das Experiment „Jamaika“ ist vor vier Jahren bekanntlich gescheitert, bevor es richtig losging.

Scholz kann Kanzlerin

Im Prinzip kann Olaf Scholz daher gelassen in Richtung Wahlen blicken. Seine Wunschkoalition mit der CDU ist kein unwahrscheinliches Szenario. Nicht nur die zu erwartenden Mehrheiten spielen Scholz dabei in die Hände, sondern auch sein ausgeprägtes Merkel’sches Talent. Immerhin weist der Kanzler in spe einige Gemeinsamkeiten mit der scheidenden Regierungschefin auf.

Zum einen hat er wie sein Vorbild Angela die Ausstrahlung einer Schlaftablette. Nur ab und zu, und dann völlig unerwartet, lässt er sich zu flapsigen Kommentaren und kurzzeitig emotionalen Momenten hinreißen. Sein Rückgrat ist aus Teflon und kann beliebig verbogen und verdreht werden – viele Jahre Große Koalition waren eine gute Schule.

Er wies dabei stets eine gewisse Distanz zur Grundausrichtung seiner Partei auf. Ein gestandener Sozialdemokrat ist er nicht. Seine politische Laufbahn ist die eines Machtpolitikers, der zur Not fast jeden Kompromiss macht, um nicht unterzugehen. Ähnlich wie Merkel hätte er auch in einer anderen großen Partei Karriere machen können.

Und auch wie Mutti ist er nur deshalb Kanzlerkandidat geworden, weil gerade kein besserer Kandidat zur Hand war. Mit den Fotos für den Spiegel, auf denen er stolz mit Merkelraute posiert, stellte er dann endgültig klar, auf welchen Regierungskurs sich das Land in den nächsten Jahren vorzubereiten hat.

Ein ewiger Kanzler?

Für viele Politikwissenschaftler kommen die Enthüllungen des Insiders nicht überraschend. Trotzdem äußern sich einige besorgt über den Regierungsstil á la Merkel und Scholz. Die meisten Forscher gehen sicher davon aus, dass Olaf Scholz das Rennen um das Kanzleramt machen wird. Für diesen Fall sehen sie voraus, dass sich mögliche Koalitionspartner die Zähne an der Profillosigkeit der SPD ausbeißen werden. Sie prognostizieren, dass Scholz seine Mehrheitsbeschaffer in Grund und Boden regieren wird. Darum halten sie eine Koalition mit der Union auch für am wahrscheinlichsten.

Samuel Peter Derff, Politologe an der Universität Jena, malt ein eher düsteres Bild: „In den vergangenen Jahren hat sich bei der SPD viel Frust aufgebaut. In einer Koalition mit der CDU lässt sich da vieles wettmachen. Allerdings ist eine langjährige Kanzlerschaft von Olaf Scholz zu erwarten.“ Derffs Kollegen schätzen die zu erwartende Amtszeit Scholz‘ auf mindestens zwanzig Jahre. In dieser Zeit wird er vermutlich in wechselnden Koalitionen regieren und seine ehemaligen Partner stets ausgeblutet zurücklassen.

Der Politjournalist Christopher Darian Ulmen gibt allerdings zu bedenken: „Merkel…äh, Scholz wird die politische Landschaft im Land weiter diversifizieren. Wir werden uns künftig nicht nur auf Kanzlertrielle, sondern wohl auch auf -quartelle und -quintelle einstellen müssen.“

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Vertrauensbildende Maßnahmen

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Es helfen keine Lippenbekenntnisse, keine Ultimaten und anscheinend auch keine Rücktritte und Parteiaustritte. Die Union wird das Gespenst der Korruption nicht los. Mit den Herren Nüßlein und Löbe haben CDU und CSU erneut eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das vielen in ihren Parteien nicht zu trauen ist. Das strukturelle Problem in der Union lässt sich kaum noch wegreden. Wie die Parteien und die Fraktion mit diesem Problem umgeht, ist eine Sache. Eine andere ist, welchen enormen Schaden Skandale wie die Maskenaffäre tatsächlich verursachen.

Einen Schritt voraus

Eigentlich sollte dieser Beitrag mit den Verfehlungen der beiden Bundestagsabgeordneten Nüßlein und Löbel beginnen. Doch wie es im Leben nun einmal so ist, holen die Ereignisse selbst den fleißigsten Blogschreiber gerne einmal ein. Pünktlich zur Einführung des neuen Lobbyregisters gab nun auch der thüringische CDU-Abgeordnete Mark Hauptmann sein Mandat auf. Neben einer Verwicklung in die Maskenaffäre seiner Fraktionskollegen war er wohl in Lobbytätigkeiten für Aserbaidschan verstrickt.

Die dubiosen Nebentätigkeiten von Unionspolitikern haben ein wenig was von Zeitschleife. Immerhin sind die drei jüngsten aufgedeckten Skandale nur das vorläufige Ende einer langen Kette von Ungereimtheiten, Schattenkonten und Korruption. Auffallend ist dabei jedoch, dass bei den meisten dieser Enthüllungen Politikerinnen und Politiker von CDU und CSU im Brennpunkt standen.

Nüßlein, Amthor, Schäuble

Die Liste an unrühmlichen Vorgängern von Hauptmann, Löbel und Nüßlein ist ellenlang. Die neuesten lobbyistischen Entgleisungen kamen zu einer Zeit, als die Entdeckung der fragwürdigen Nebentätigkeiten des Youngsters Philipp Amthor noch lange nicht verdaut waren. Aber auch davor hat sich die Union häufig nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Es ist noch gar nicht so lange her, da stand die Unbestechlichkeit unseres Staatsoberhaupts in Frage. Geschickt zog sich der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff durch seinen Rücktritt aus der Affäre. Das Strafverfahren gegen ihn ging ohne einen Schuldspruch zu Ende. Davor hatten die schwarzen Konten von Wolfgang Schäuble und Helmuth Kohl das Vertrauen in die Volkspartei erschüttert.

Falsche Doktoren und schwarze Kassen

Aber nicht nur an der Lobbyfront ereignet sich ein Skandal nach dem nächsten. Auch in anderen Bereichen erweisen sich viele Unionspolitiker immer wieder als wenig vertrauenswürdig. Die erschlichenen Doktortitel von Herrn zu Guttenberg und Frau Schavan eskalierten beide Male in einer Lügerei, dass sich die Balken bogen. Wenigstens dieses würdelose Trauerspiele haben sich die wenigen anderen falschen Doktoren aus anderen Parteien gespart.

Immer deutlicher wird, dass es sich bei diesen ganzen Affären nicht um Einzelfälle handelt. Viel eher drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei der Union um ein strukturelles Problem handelt. Ganz offensichtlich ist einem Großteil der Politikerinnen und Politiker aus dieser Partei ein grundlegendes Gespür für Moral und Ehre verlorengegangen. Anders lässt sich das Verhalten einiger Entlarvten nicht deuten. So ließ sich Ex-Kanzler Kohl als Ehrenvorsitzender feiern, obwohl er den Karren längst in den Dreck gefahren hatte. Annette Schavan trat nach dem Plagiatsskandal erneut im Wahlkampf an – und erdreistete sich sogar, den aberkannten Doktortitel auf dem Wahlzettel beizubehalten. Auch Georg Nüßlein macht keine Anstalten, sich aus dem Bundestag zu verabschieden. Zukünftig bezieht er als fraktionsloser Abgeordneter die üppigen Diäten.

Finanzieller Vorteil

Seit sechzehn Jahren trägt die Union Regierungsverantwortung für Deutschland. Gepaart mit der inhärenten Wirtschaftsnähe dieser Partei entsteht ein äußert unguter Mix. Die Skandale um Abgeordnete und Politiker sind dabei nur der extremste Auswuchs dieser fatalen Symbiose. Schaut man sich die Summen an Spenden von Unternehmen und Konzernen an, wird man schnell feststellen, dass CDU und CSU mit Abstand Spitzenreiter in dieser Kategorie sind.

Die wirtschaftsnahen Positionen der Union werden zusätzlicher Anreiz für die Wirtschaftsakteure gewesen sein, ihr Geld in diese beiden Parteien zu investieren. Durch diese großzügige finanzielle Ausstattung hatte der Parteienverbund im Wahlkampf natürlich stets einen deutlichen Vorteil gegenüber der politischen Konkurrenz. Oder glaubt ernsthaft noch jemand, es ist ein Zufall, dass die Union nach Rezo und den zahlreichen Skandalen noch immer die Hosen im Land anhat?

Gewöhnlich korrupt

Eine wichtige Rolle hat hierbei bestimmt auch der Gewöhnungseffekt gespielt. Die Bundesrepublik gibt es seit 72 Jahren. In 52 davon regierte die Union. Allein die derzeitige Regierungsperiode dauert seit sechzehn Jahren an. Natürlich möchten CDU und CSU ihre Macht nicht ohne weiteres aufgeben. Die Bereitschaft, sich durch Korruption an der Macht zu halten, wächst. Dass es ohne Bestechlichkeit bei der Union nicht geht, hat die lange Amtszeit von Helmut Kohl als Bundeskanzler gezeigt. Die Spendenaffäre wurde zwar erst 1999 aufgedeckt, die Konten bestanden aber wohl über die gesamte Amtszeit des eisernen Kanzlers hinweg.

Auch wenn sich viele Abgeordnete der Unionsparteien bestens in dieser korrupten Umgebung eingerichtet haben, dürfen sich echte Demokraten nicht an diesen Zustand gewöhnen. Die Verfehlungen in der CDU und CSU sind nicht nur eine Schande für unser Land, sie sind eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie. Denn die teilweise kriminellen Machenschaften einzelner Abgeordneter bringen das demokratische System weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus in Verruf. Solange es solche Skandale gibt, solange wird der Ruf des korrupten Halunken pauschal allen Politikern anhaften.

Aber nicht nur die politisch Aktiven geraten durch ein solches Verhalten in Misskredit. Auch rechtschaffende und fleißige Unternehmer sind von dieser Rufschädigung nicht ausgenommen. Es gibt bestimmt mehr als genug korrupte Geschäftsleute auf dieser Welt. Und der Kapitalismus darf nicht das Ende der Geschichte sein. Verstrickungen wie solche von Nüßlein und Löbel lassen aber an der Integrität ganzer Wirtschaftszweige Zweifel keimen.

Politik für’s Volk?

Als erklärter Gegner der Politik von CDU und CSU könnte man sich eigentlich darüber freuen, dass sich die Schwesternparteien gerade selbst demontieren. Als erklärter Demokrat kann man das aber nicht. Die teilweise illegalen Lobbytätigkeiten mancher Politiker zeigen deutlich, wessen Interessen für die Union am meisten zählen. Völlig offensichtlich wird, für wen hier eigentlich Politik gemacht wird. Tipp: Das Volk ist es nicht.

Zurecht zweifeln viele daher an der angeblichen Volkssouveränität im Land. Das Bild des korrupten und verlogenen Politikers verfestigt sich soweit, dass selbst CDU-Chef Armin Laschet von einer „Raffke-Mentalität“ in seiner Partei spricht. Milde Strafen oder sogar Freisprüche wie im Falle von Ex-Bundespräsident Christian Wulff erschüttern zusätzlich den Glauben an die Justiz.

Viel Politik, wenig Anstand

Das hinterlässt Spuren. Bei der Bundestagswahl 2013 entschieden sich über 18 Millionen der Wahlberechtigten dazu, nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Die Wahlbeteiligung lag auf einem beschämenden Tiefstand von rund 72 Prozent. Vier Jahre später verzichteten erneut 55 Prozent der vorigen Nichtwähler auf ihr Stimmrecht. Die Enttäuschung über die politische Entwicklung saß wohl noch zu tief. Doch auch bei den Erstwählern blieb eine satte Million den Wahlen fern.

Solche Zahlen lassen sich nicht damit erklären, dass die Wahlprogramme der Parteien die Wahlberechtigten nicht ansprachen. Mit sechs Fraktionen ist die Meinungspluralität im Bundestag so groß wie selten zuvor. Im Grunde gibt es sechs unterschiedliche Stoßrichtungen, wohin es mit Deutschland gehen soll. Das Problem muss tieferliegen. Viele haben das Vertrauen in den politischen Apparat an sich verloren. Schuld daran sind Menschen wie Georg Nüßlein und Nikolas Löbel. Sie sind schuld daran, wenn weniger Menschen zur Wahl gehen. Sie sind schuld daran, dass sich die Anständigen aus der Politik zurückziehen.


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