Die Lückenschließerin

Lesedauer: 7 Minuten

Traut sie sich, oder lieber nicht? Seit Monaten wird die Gründung einer Wagenknecht-Partei rauf- und runterdiskutiert. Wie ein penetrantes Schreckgespenst geistert diese Idee durch die Medien, die Zeitungen, die Talkshows. Konkret ist davon bisher wenig, auch wenn verschiedene Headlines im gerade zurückliegenden Sommer anderes vermuten ließen. Immer interessanter wird aber die Frage: Was passiert, wenn die neue Partei nicht kommt? Das Ende der Ikone Wagenknecht? Ein weiterer Push für die AfD? Dem Land fehlt eine durchsetzungsstarke linke Alternative. Die neue Partei, wer immer sie gründet, muss daher ein Erfolg werden.

Routiniert unkonkret

Das Sommerloch hat wieder zugeschlagen. Nachdem sich die Gerüchte um eine mögliche Wagenknecht-Partei seit mehreren Monaten hartnäckig hielten – und von der Hauptperson mitunter kräftig befeuert wurden – hatte die Presse ausreichend Zeit, sich damit zu befassen. Nun sorgten ausgerechnet exklusive Informationen der BILD-Zeitung für ein weiteres Medienbeben. Angeblich sei alles längst beschlossen, die Bekanntgabe sei nur noch eine Frage der Zeit.

Keiner der Beiträge hielt, was er versprach. Nicht einer von ihnen enthielt nennenswerte neue Informationen. Alle bereiteten sie seit Monaten bekanntes clever wieder auf. Dabei reichen die Gerüchte um einen politischen Neustart von Sarah Wagenknecht deutlich weiter zurück als zum Jahresanfang. Schon ihr Bestseller „Die Selbstgerechten“ aus dem Frühjahr 2021 machte mit erschreckender Offenheit deutlich, dass Wagenknecht mit ihrer Partei gebrochen hatte. Ihr „Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ war die Blaupause für neue politische Projekte.

Die Gründung einer neuen Partei ist daher nur die logische Konsequenz. Irgendwann begriffen das auch die Medien und so nahm man ihre zunächst sehr zurückhaltenden Äußerungen eines Tages zum Anlass, sie nach der Gründung einer eigenen Partei zu fragen. Der Geist war damit aus der Flasche. Seitdem werden die Hinweise immer konkreter, bleiben aber vage. Mittlerweile hat der Begriff „Wagenknecht-Partei“ das Potenzial, zum (Un-)Wort des Jahres gekürt zu werden.

Die Geister, die sie rief…

Fakt ist: Aus der Nummer kommt Sarah Wagenknecht nicht mehr raus. Zunächst machte alles den Anschein, als wartete die Linken-Ikone nur darauf, dass sich irgendwer anders fände, der die Gründung für sie übernehmen könnte. Sicher nicht zufällig zierte sie sich zunächst, einen entsprechenden Schritt anzukündigen. Lange sprach sie im Konjunktiv: Es gibt eine politische Leerstelle – es müsste eine neue Kraft entstehen.

Andere waren da kognitiv schneller und ließen alsbald Taten folgen. Der Vorstand der Linken erklärte öffentlich, dass Wagenknecht nichts mehr in der Partei verloren hätte. Die Journalisten nötigten Wagenknecht sodann regelrecht dazu, sich zu ihrer Idee zu bekennen.

Sie alle haben ihr Ziel gewissermaßen erreicht: Wagenknecht hat längst erklärt, dass sie für Die Linke nicht noch einmal in den Ring steigen wird, die Entscheidung über eine Parteigründung wird im Herbst fallen. Dabei ist die Sache völlig klar: Sahra Wagenknecht muss liefern, sonst ist sie selbst geliefert. Inzwischen hängt ihre Glaubwürdigkeit von der Gründung einer neuen Partei ab. Niemand würde es ihr durchgehen lassen, stellte sie sich nach den Landtagswahlen im Oktober vor die Kameras und sagte: „Ich habe leider keine Mitstreiter gefunden.“ Eher noch würde man ihr verzeihen, würde das Parteiprojekt nicht die erwünschte Durchschlagskraft entfalten.

Natürlich steht Sarah Wagenknecht unter enormem Druck. Schon einmal ist sie ein ähnliches Wagnis eigegangen und hat mit Getreuen die Sammlungsbewegung aufstehen gegründet. Nach viel Tamtam und Bohei ist der soziale Protest sogleich wieder im Keim erstickt. Wagenknecht selbst führt das heute auf ihr mangelndes Organisationstalent zurück. Nicht gerade rosige Aussichten für eine neue Partei…

Kampf der sozialen Ignoranz

Man kann von Sarah Wagenknecht halten was man will. Mit einem hat sie aber definitiv recht: Es gibt eine Repräsentationslücke in der deutschen Parteienlandschaft. Bestimmte Meinungen und Interessen sind in der heutigen Politik bestenfalls unterrepräsentiert. Um das zu ändern, dafür braucht es eine neue Partei.

Schon das Kanzlertriell 2021 hat gezeigt, dass viele Menschen mittlerweile dazu neigen, sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Olaf Scholz konnte auf den letzten Metern nur deshalb so gut aufholen, weil seine beiden Herausforderer noch viel schlechter für das Land waren – und keine Gelegenheit ausließen, das zu zeigen. Heute ist von den Siegern von damals nicht mehr viel übrig: Mickrige 23 Prozent sind mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden.

Besonders Vorhaben wie das Heizungsgesetz und die Gasumlage haben den Unmut in der Bevölkerung geschürt und der Regierung nachhaltig Vertrauen gekostet. Gerade in diesen Zeiten der sozialen Ignoranz und der entfesselten grünen Fantastereien wäre eine kraftvolle linke Opposition bitter nötig. Die Linke wird nicht müde, sich zu dieser Aufgabe zu bekennen – und vermasselt sie gehörig. Aus Angst, AfD-Wähler könnten mitlaufen, schafft es diese ausrangierte Protestpartei nicht einmal, Demonstrationen gegen die existenzgefährdende Politik der Ampel zu organisieren.

Politische Amnesie

Dabei wären doch vor allem die verführten AfD-Wähler erstes Ziel solcher Protestaufrufe. Sie haben sich aus genau den Gründen von der Politik abgewandt, gegen die sich der Protest richtet. Für eine selbstbewusste linke Opposition wäre es kein Problem, einen großen Teil dieser Wähler zurückzugewinnen und ihnen eine neue politische Heimat zu bieten. Auch Nichtwähler könnten auf diese Weise angesprochen und wieder eingebunden werden.

Stattdessen macht man es den Wählern der AfD zum Vorwurf, die Politik der demokratischen Parteien nicht zu verstehen. Getreu dem Motto „Der Wähler muss zur Partei passen“ ist man entsetzt darüber, dass viele die AfD der angeblich so offensichtlich besseren Option vorziehen. Im schlimmsten Fall geißelt man diese Wähler pauschal als rechtsextrem. Nach zehn Jahren neuem Rechtspopulismus hat leider noch immer kein Lerneffekt eingesetzt.

Es setzt sich stattdessen immer mehr der Trend durch, reflexhaft mit unhaltbaren Vorwürfen zu reagieren, wenn neue Ideen zu sehr vom Mainstream abweichen. Anders als mit fortschreitender Amnesie ist es zumindest nicht zu erklären, warum man sogar Sarah Wagenknecht ob ihrer Äußerungen in die rechte Ecke stellt. Es ist noch gar nicht so lange her, da warf man der ewig Unbequemen noch vor, sie stünde zu weit links. Ein Königreich für diese Zeiten…

Mut zum Linkssein

Die etablierten Parteien haben verlernt, die Sorgen und Ängste der Menschen ernstzunehmen. Ihnen geht es heute in erster Linie darum, ihre Ideologien und Programmatiken durchzusetzen. Früher versuchten die Parteien zumindest, ihre Parteiprogramme auf die realen Nöte der Wähler anzupassen. Momentan macht das fast ausschließlich die AfD – ihr Erfolg in den Umfragen ist das beste Zeugnis dafür.

Die Menschen im Land haben Angst vor der horrenden Inflation. Sie möchten preiswert ihre Wohnungen beheizen und für ihre Arbeit fair bezahlt werden. Das alles sind Tatsachen. Die meisten Parteien bleiben überzeugende Antworten darauf schuldig. Mit ihren Überlegungen einer Parteineugründung greift Sarah Wagenknecht exakt diese Fragen auf und stellt den plumpen Parolen der AfD eine vernünftige Alternative gegenüber.

Wenig überraschend bringt Wagenknecht dabei auch linke Konzepte ins Spiel. Das ist vielen nicht geheuer, hat man sich doch mittlerweile daran gewöhnt, dass unbequeme Töne nur noch von rechts kommen. Auf der linken Seite stehen stattdessen woke Gutmenschen, die vielen anderen zum Feindbild gereichen. Dass links davon früher auch eine Menge passiert ist, haben die meisten heute vergessen. Linke Politik ist kein Alleinstellungsmerkmal von woken Weltverbesserern und Umweltaktivisten, sondern ein Angebot an die Breite der Gesellschaft. Aber das muss Deutschland erst wieder lernen…


Mehr zum Thema

Auf dem demokratischen Abstellgleis

Brandmauer mit Substanz

Ein Schritt nach links

Rechtes Überangebot

Politische Leerstelle

Wie die Linken die Menschen rechts liegenlassen

Gut genug?
[Gesamt:0    Durchschnitt: 0/5]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert