Der Tragödie nächster Teil

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Die Ampel ist kaum vier Monate im Amt, schon gibt es den ersten Rücktritt. Weitere Minister stehen bereits auf der Kippe. Der vielbeschworene Wumms von Kanzler Scholz blieb bislang aus. Seine Kabinettstruppe ist eher eine Ansammlung hoffnungsloser Fälle. Durch Führungsstärke hat sich der neue Bundeskanzler jedenfalls bisher nicht hervorgetan. Auch der Flickenteppich in der Coronapolitik ist seit Amtsantritt der Regierung nicht kleiner, sondern größer geworden. Die Debatten um Lockerungen, Impfpflicht und Isolierung gleicht einem Kasperlestheater.

Einheitlichkeit statt Flickenteppich

“Mehr Fortschritt wagen” – so steht es über dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Die neue Regierung will den Mindestlohn erhöhen, den Umstieg auf erneuerbare Energien kräftig beschleunigen und endlich mit der Digitalisierung in Deutschland beginnen. Die Ampel ging aber auch mit einem weiteren großen Anspruch ins Rennen: Schluss mit dem Corona-Flickenteppich. Denn seit den ersten Lockerungen im Frühsommer 2020 bastelt sich jedes Bundesland und jeder Landkreis gefühlt seine eigenen Regeln, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.

Es war mitunter ziemlich schwierig, die unterschiedlichen Maßnahmen nachzuvollziehen. Während in Bayern zeitweise auch im Außenbereich eine Maskenpflicht bestand, musste in anderen Bundesländern nicht einmal in der Innengastronomie eine Maske getragen werden. Es kam teilweise zu obskuren Szenen in Fernverkehrszügen, wenn für einen Streckenabschnitt Mund und Nase bedeckt werden musste, für die restliche Fahrt aber nicht.

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt

Als die Ampel Ende 2021 flächendeckend 3G einführte, da wollte sie damit den Flickenteppich wohl für immer beseitigen. Im gesamten Bundesgebiet musste man fortan in Bus und Bahn, im Restaurant und im Kino nachweisen, dass man entweder geimpft, genesen oder aktuell negativ getestet war. Die Zusammenführung der Regeln war ein guter Ansatz, wurde aber kopflos geplant und umgesetzt.

Denn zu diesem Zeitpunkt waren die Schnelltests bereits seit Wochen kostenpflichtig, die Teststationen dementsprechend schon abgebaut. Das unüberlegte 3G-Manöver führte zu langen Schlangen vor den wenigen verbliebenen Testzentren und zu Unmut in der Bevölkerung, bevor die neue Regierung vereidigt war.

Besser ist die Lage im Land seit Antritt des Kabinetts Scholz im Hinblick auf die Coronamaßnahmen jedenfalls nicht geworden. Mit den Lockerungsschritten der letzten Wochen wurde die Narrenfreiheit bei den Regeln sogar bis auf die Hausrechtsebene erweitert. Künftig dürfen sämtliche Betreiber öffentlicher Einrichtungen sowie Geschäfte des Einzelhandels bestimmen, ob in ihren Betrieben eine Maske getragen werden muss. Die meisten Bundesländer haben die Kompetenzen sodann auch großzügig an die Betreiber delegiert. Nur Mecklenburg-Vorpommern will landesweit an strengen Regeln festhalten. Selbst beim Ausgestalten des neuen bunten Flickenteppichs gibt es also Abweichler.

Glaubwürdigkeit und Beständigkeit kann die neue Regierung nicht. Schon vier Monate nach Vereidigung des Kabinetts Scholz gibt es den ersten Rücktritt. Familienministerin Anne Spiegel muss gehen, weil sie kurz nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal mit ihrer Familie in den Urlaub gegangen war und die Öffentlichkeit darüber belog. Schon stürzen sich die Medien auf weitere Wackelkandidaten der neuen Regierung, die den Experimentiercharakter einfach nicht loswird.

Einmal Querdenker und zurück

Der tragischste Clown in dem Drei-Parteien – Gespann ist mit Abstand Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Viele wird es verwundern, dass auch er erst seit dem 8. Dezember 2021 Bundesminister ist. Seine überlauten Kommentierungen zum Regierungskurs in der Coronapandemie, seine besserwisserischen Belehrungen zum Umgang mit dem Virus und sein fanatisches Festhalten an einer allgemeinen Impfpflicht hat viele schon auf die Palme gebracht, bevor er das Ministeramt übernommen hat. Zuverlässig übertönte er in den Jahren 2020 und 2021 die Meinungen von Regierungsmitgliedern, Wissenschaftlern und anderen Experten. Noch während der Koalitionsverhandlungen im vergangenen Herbst galt er als sicherste Besetzung des Gesundheitsressorts.

Inzwischen ist Herr Lauterbach tatsächlich Gesundheitsminister und als ausgebildeter Arzt grundsätzlich keine Fehlbesetzung. Doch wer hoffte, mit ihm zögen Sachverstand und Vernunft ins Gesundheitsministerium ein, der wurde schnell eines besseren belehrt. Karl Lauterbach macht eine enttäuschende Figur als Minister. Er gilt als Hardliner bei der Frage nach einer allgemeinen Impfpflicht und verspielte damit bereits vor Monaten einen Großteil seiner Glaubwürdigkeit. Immerhin hieß es noch im letzten Sommer, dass es eine wie auch immer geartete Impfpflicht nicht geben würde. Auch nach dem Scheitern eines entsprechenden Gesetzentwurfs im Bundestag Anfang April hält der Minister verbissen an einer Idee fest, die von der Realität längst überholt wurde.

Doch auch ein Karl Lauterbach kann sich selbst überbieten. Während er am 4. April noch ankündigte, Isolierungen infolge einer Coronainfektion sollten ab Mai nur noch freiwillig sein, kassierte er sein eigenes Vorhaben schon am Folgetag wieder ein. Der neue Gesundheitsminister hat geschafft, was vor ihm noch niemandem gelungen ist: vom manischen Befürworter sämtlicher Coronaregeln zum latenten Querdenker und wieder zurück zum hartnäckigen Unterstützer einer Impfpflicht.

Wortbruch und Chaos

Die Frage einer Impfpflicht ist genau so alt wie die Impfstoffe selbst. Sie waren gerade erst zugelassen, da gab es schon erste Rufe nach Privilegien für Geimpfte. Die Debatte über eine Pflichtimpfung ließ somit nicht lange auf sich warten. Bis zum Herbst 2021 schlossen jedoch alle Politiker mit Rang und Namen dieses ultimative Mittel kategorisch aus. Gebetsmühlenartig versicherten sie, dass sich der Staat nicht in die Impfentscheidung der Bevölkerung einmischen werde.

Wie selbstverständlich war die Forderung nach einer ebensolchen Pflicht kurz nach der Bundestagswahl trotzdem da. Die gleichen Politiker, die davon vorher nichts wissen wollten, spielten sich plötzlich als die ärgsten Befürworter der Impfpflicht auf und taten so, als wäre das schon immer ihre Meinung gewesen. Wenigstens in diesem Punkt ist man geneigt, ihnen zu glauben. Ihnen fehlte schlicht das Rückgrat, die Forderung bereits im Sommer 2021 zu artikulieren.

Doch selbst bei der todsicheren Angelegenheit einer Impfpflicht gab die neue Regierung ein trauriges Bild ab. Monatelang stritt sie mit Koalitionspartnern und Parlament über die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Gesundheitswesen. Als diese endlich da war, fiel den Damen und Herren hinter den Regierungsbänken auf, dass sie nicht über die personelle Kapazität verfügten, um das neue Gesetz zu kontrollieren und durchzusetzen.

Impfpflicht ins Blaue

Unbeirrt dessen setzten sich die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht ein weiteres Mal durch. Obwohl Omikron längst bewiesen hatte, dass der Fremdschutz einer Impfung gegen Null ging, hielten einige Spezialisten fast psychotisch an ihrem Vorhaben fest. Immer wieder warnten sie davor, dass die Krankenhäuser und Intensivstationen ohne eine jetzt eingeführte Impfpflicht im nächsten Herbst wieder volllaufen würden. Ihnen gibt das enorm hohe Mutationspotenzial des Virus offenbar nicht zu denken. Mit welchen Virusvarianten wir es in ein paar Monaten zu tun haben und ob die jetzigen Impfstoffe überhaupt dagegen schützen, ist völlig unklar. Viele der Argumente von Heike Baehrens und Co. verkaufen die Menschen für blöd.

Als die Abgeordneten Mitte März über die zahlreichen Gruppenanträge berieten, da keimte die Hoffnung auf, die Parlamentarier würden nie zu einer Lösung finden. Die unterschiedlichen Ideen zur Impfpflicht reichten von der grundsätzlichen Ablehnung über ein Impfregister bis hin zu einer Impfpflicht ab 18. Das alles unter einen Hut zu bringen, schien einfach unmöglich. Doch auch dies weckte den Ehrgeiz einiger besonders kreativer Abgeordneter. Der Kompromiss aus den Anträgen zu einer Impfpflicht ab 18 und ab 50 war eine Gesetzesvorlage für eine Impfpflicht ab 60. Logik und Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

Nachhaltiger Vertrauensverlust

Die Erfahrungen mit der Parlamentsarbeit in der Pandemie lassen nichts Gutes hoffen. Die Ablehnung einer Impfpflicht für Senioren schließt nicht aus, dass es in Zukunft eine Impfpflicht für alle Erwachsenen geben wird. Karl Lauterbach und seine Verbündeten haben ihre bizarren Pläne noch lange nicht ad acta gelegt.

Die Art und Weise, wie in Deutschland über eine Impfpflicht diskutiert wurde, hat der Demokratie geschadet. Der Bundestag hat dadurch mehr Glaubwürdigkeit verloren als nach allen anderen politischen Absurditäten in der Pandemie zusammen. Noch immer gehen regelmäßig tausende Menschen gegen die Coronapolitik auf die Straße. Sie haben kein Vertrauen mehr in die Politik. Sie schlagen auch dann noch Alarm, wenn alle Zeichen längst auf Lockerung stehen. Vertrieben wurden sie durch einen unglaubwürdigen Regierungskurs. Die Ampel hat es bislang nicht geschafft, diese Menschen wieder ins Boot zu holen.


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Maßnahmen für’s Papier

Lesedauer: 6 Minuten

Auch die neue Ampelregierung vermag es nicht, den Flickenteppich der Coronamaßnahmen durch ein einheitliches und transparentes Regelwerk zu ersetzen. Die geltenden Verordnungen sind teilweise so undurchsichtig, dass sich viele Menschen nicht sicher sind, welche Maßnahmen in ihrer Region gelten. Selbst Behörden und andere Einrichtungen sind mit dem Maßnahmenkatalog überfordert und lassen stringente Kontrollen immer häufiger sausen. Reißt dieser lapidare Umgang mit der Situation ein, wirkt sich das zweifellos negativ auf die Pandemiebekämpfung aus.

Lokal gegen global

Was gilt in meiner Stadt? Mit wie vielen Leuten darf ich mich treffen? Muss ich auch im Freien eine Maske tragen? Gibt es eine Sperrstunde für Ungeimpfte? Was muss ich beim Friseur vorzeigen? Eigentlich wollte die neue Ampelkoalition mit diesen Fragen aufräumen. Zwei der drei Regierungsparteien haben in den vergangenen Monaten in zahllosen Oppositionsreden immer wieder angemahnt, dass eine effektive Pandemiebekämpfung nur mit einheitlichen und transparenten Regeln möglich wäre. Die Menschen müssten Sicherheit darüber haben, welche Maßnahmen in ihrem Umfeld gälten.

Mit 2G in der Gastronomie sorgte die neue Regierung zwar in einem Bereich für Einheitlichkeit, viele andere Bereiche erinnern je nach Region aber weiterhin an einen Flickenteppich. Weil es mit fortschreitender Pandemie immer schwieriger wurde, alle Bundesländer unter einen Hut zu bringen, verkam die Bund-Länder- Runde immer mehr zur zeitraubenden Beschäftigungstherapie. Kaum waren ein paar einheitliche Regelungen beschlossen, da scherten die ersten Bundesländer gleich wieder aus.

Das Mantra vieler Landeschefs: Man müsse der globalen Pandemie lokal begegnen. Bedeutende Maßnahmen wie eine mögliche Maskenpflicht im Freien, eine FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen oder die spezifischen Regelungen im Einzelhandel delegierte man daher auf Landes- oder sogar auf Kommunalebene. Diese ortsgebundene Vorgehensweise brachte aber nicht den gewünschten Erfolg. Viele Menschen sind schlicht überfordert mit der Vielzahl an Regelungen, die in einem Stadtkreis gelten oder eben nicht.

Zahnlose Tiger

Mit der Überforderung kommt häufig Resignation. Geht man heute in einem beliebigen Supermarkt einkaufen, erinnert außer den Masken wenig daran, dass weiterhin eine Pandemie ihr Unwesen treibt. Die Menschen gehen vor dem Tiefkühlregal wieder auf Tuchfühlung miteinander, das Abstandsgebot wird in der Eile konsequent ignoriert, die dazugehörigen Klebestreifen im Kassenbereich waren bereits nach der dritten Welle weggewetzt.

Ohne klare Ansage, was wo gilt, schustern sich viele ihre eigenen Regeln, getreu dem alten FDP-Motto: Ich weiß selbst, was gut für mich ist. Da hilft es auch nicht, wenn nun endlich einige sinnvolle flächendeckende Maßnahmen eingeführt wurden. Um die sich erneut zuspitzende Infektionslage wieder in den Griff zu bekommen, führte die neue Regierung noch vor ihrer Vereidigung die flächendeckende 3G-Regelung ein. Viele Bereiche, die zuvor nicht vom Infektionsschutzgesetz abgedeckt waren, unterliegen nun ebenfalls den Corona-Zugangsbeschränkungen.

Beispielsweise darf den öffentlichen Personenverkehr fortan nur noch nutzen, wer entweder geimpft, genesen oder aktuell negativ getestet ist. Diese Maßnahme hat viel zu lange auf sich warten lassen. Angesichts der immer stärker um sich greifenden Pandemiemüdigkeit, verpufft ihr Effekt leider ziemlich offensichtlich. Kontrollen zu 3G finden in den meisten Verkehrsbetrieben kaum statt, das Personal wird an anderen Stellen benötigt. Bei Beschäftigten und Kundschaft scheint die Bereitschaft nicht besonders groß, auf die strikte Einhaltung aller Regeln zu achten.

Grundlos ausgeschlossen

Diese Unlust, sich länger der pandemischen Situation anzupassen, wird auch in anderen Bereichen deutlich. Die Böllerverbote der vergangenen zwei Jahre waren nichts weiter als ein Witz. In jeder noch so kleinen Ortschaft stiegen die Raketen gen Himmel. Erneut wurden viele Tiere an den Rand der Verzweiflung getrieben. Den Menschen wiederum fällt es bei vielen Maßnahmen immer schwerer, den Zusammenhang zwischen Pandemiebekämpfung und persönlichem Verzicht herzustellen. Stattdessen sehen sie, dass sich die Infektionszahlen mit Beginn der kalten Jahreszeit wie einem Naturgesetz folgend erheben, während der Staat die Lage bei aller Bemühung nicht in den Griff bekommt. Das ist bester Nährboden für das Präventionsparadoxon.

Die fehlende Bereitschaft, bestimmte Regeln ernstzunehmen und zu kontrollieren, hat aber noch einen weiteren Grund. Besonders bei den jüngsten Maßnahmen erkennen viele nicht mehr die wissenschaftliche Grundlage der beschlossenen Verordnungen. Grundsätzlich ist die Datenlage seit Beginn der Pandemie mehr als lückenhaft. 2G in der Gastronomie zum Beispiel gilt bundesweit einheitlich, ohne einen Beleg dafür zu erbringen, dass Gaststätten und Restaurants relevante Pandemietreiber sind.

Viele weitere Maßnahmen sind zwischenzeitlich von der Coronainzidenz weitgehend entkoppelt. In manchen Bereichen spielt die regionale Infektionslage kaum noch eine Rolle, bestimmte Personengruppen werden pauschal ausgeschlossen. Es dämmert immer mehr Menschen, dass es bei diesen Bemühungen nicht vorrangig darum geht, andere zu schützen, sondern darum, Ungeimpfte zu gängeln. Der Infektionsschutz ist lediglich Fassade dieser Eingriffe.

Die schwindende Seriosität der Maßnahmen hat zur Folge, dass sie im besten Falle stiefmütterlich behandelt werden. Das fällt bei weniger sinnvollen Maßnahmen nicht so stark auf den Kampf gegen die Pandemie zurück. Weitaus ernster wird die Lage, wenn diese Stimmung der laxen Handhabung auf die wirklich notwendigen Maßnahmen abfärbt. Sind Maßnahmen gegen die Pandemie wissenschaftlich nicht haltbar, bewirken sie oft das Gegenteil dessen, wofür sie augenscheinlich gemacht sind. Sie befördern ein Klima der Sorg- und Achtlosigkeit, obwohl erhöhte Wachsamkeit weiterhin das Gebot der Stunde ist.


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