Mit Wumms in den Abgrund

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Die Spitze der SPD hat sich entschieden: Olaf Scholz geht ins Rennen um den Kanzlerposten. Der Zeitpunkt verwundert, der Kandidat eher weniger. Immerhin passt er so unglaublich gut zu den Enttäuschungen der vergangenen Wahlen. Wie ein viel zu anstrengender lernresistenter Grundschüler verweigert sich die SPD seit vielen Jahren der Wahrheit, dass sie mit Kandidaten wie Olaf Scholz keinen Blumentopf gewinnen kann. Denn Scholz ist doch mit ein Grund dafür, warum viele der SPD den Rücken kehren. Ein weiterer Abstieg scheint unaufhaltsam bevorzustehen.

Alte Gesichter, altes Spiel

Mit der Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten der SPD preschten die Sozialdemokraten mit ungewohnter Agilität voraus. Alle anderen Parteien wollen sich mehr Zeit lassen, ihre Spitzenkandidaten bekanntzugeben – oder sie überhaupt auszuwählen. Die SPD hat den Wahlkampf 2021 nun aber offiziell begonnen. Dabei schwelt ein latenter Wahlkampf bereits seit der letzten Bundestagswahl vor drei Jahren. Zur Ruhe sind die Parteien seither nicht gekommen. Da war der Einzug der AfD in den Bundestag, Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis, das Scheitern von Jamaika, die schwierige Bildung einer neuen großen Koalition, innerparteiliche Querelen und die Frage nach Merkels Nachfolge. Die SPD ist allerdings die erste Partei, die in Bezug auf den Wahlkampf konkret wurde.

Spannung bringen die Sozen allerdings wie zu erwarten nicht in die politische Arena. Erneut präsentieren sie einen Spitzenkandidaten, der so Establishment-konform ist wie man es sich nicht ausdenken kann. Olaf Scholz war in den vergangenen Jahren an mehreren Bundesregierungen beteiligt. In Merkels erster Groko gab er zeitweise den Arbeitsminister. Seit 2018 ist er Bundesfinanzminister, wiederum in einer großen Koalition. Durch kritische Äußerungen ist er sicherlich nie aufgefallen. Er hielt sich oft bedeckt und haute selten auf den Tisch. Sein vielgepriesener „Wumms“ ist nichts weiter als ein Lippenbekenntnis, mit dem er versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Er ist der unscheinbare zweite, der Angela Merkel den Rücken freihält und hinter ihr aufräumt. Offen gestanden ist er eine noch größere Schlaftablette als die Kanzlerin selbst. Dem TV-Duell der Kanzlerkandidaten im nächsten Sommer kann man daher nur mit Bauchweh entgegensehen. Vielleicht bringt ja der ein oder andere Werbeeinspieler wenigstens ein bisschen Spannung in dieses zu erwartende Trauerspiel.

Spannungsgarantin Merkel

Scholz als Kanzlerkandidat ist ein Paradox. Einerseits verwundert es wirklich niemanden mehr, dass die SPD so aussichtslose Kandidaten ins Rennen schickt, andererseits ist man bei Olaf Scholz doch ein wenig überrascht über diese Freude an politischer Selbstzerstümmelung. Der Meister Propper der SPD kann mit Fug und Recht als der neueste Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie bezeichnet werden.

Eigentlich ist es nach Steinmeier, Steinbrück und Schulz eine echte Leistung, einen noch ungeeigneteren Politiker für die Kanzlerkandidatur zu nominieren. Vielleicht sollte mal jemand der einstigen Volkspartei bescheidgeben, dass Mutti demnächst weg ist. Ihr braucht also nicht mehr solche Trauerfiguren den Karren ziehen lassen. Aber wie es aussieht, würde selbst Merkel noch Spannung in den kommenden Wahlkampf bringen.

Flirt mit Links

Mit ihrem neuen Spitzenkandidaten zeigt sich die SPD indessen selbstbewusst. Die Sozen glauben an eine echte Neuausrichtung der Partei. Sie sind fest davon überzeugt, dass sie mit Olaf Scholz an einer zukünftigen Regierung zumindest beteiligt sein könnten. Mit Signalen knausern die Sozialdemokraten definitiv nicht. Jüngst zeigte sich Parteichefin Esken für ein Bündnis mit den Linken offen. Dieses Linksblinken vor Wahlen ist zwischenzeitlich ein altbekanntes Manöver der SPD. Nach den Wahlen flüchtet sich die Partei dann in die nächstbeste Koalition, wo alle Forderungen nach Gerechtigkeit ruckzuck über Bord geworfen werden. Linksblinken und dann trotzdem geradeaus weiterfahren stellt im Verkehrsrecht mindestens eine Ordnungswidrigkeit dar. Auch auf der politischen Bühne verzeihen die Wähler ein solches Verhalten nicht so schnell. Trotzdem hält die SPD seit Jahren an dieser Taktik fest. Neu ist allerdings der Zeitpunkt, zu dem mit dem roten Kuscheln begonnen wird.

Die ehemalige Arbeiterpartei ist sich inzwischen aber wohl für nichts mehr zu schade. Immer weniger verhehlt sie, dass sie das, was sie verspricht, sowieso nicht halten kann. Denn wie soll eine echte linke Trendwende mit einem Kandidaten wie Olaf Scholz überhaupt möglich sein? Erstens ist der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg Anhänger des sogenannten Seeheimer Kreises, einer konservativen Gruppierung innerhalb der SPD. Na schön, gute Politik für die SPD kann er trotzdem machen. Aber zweitens ist er einer der Gründungsväter der Agenda 2010. Und die Hart-IV – Reformen sind wohl das unlinkeste, was eine Bundesregierung jemals zustandegebracht hat.

Vielen Dank für nichts!

Die Versuche der SPD ihren fehlenden politischen Gestaltungswillen zu überdecken, werden von Mal zu Mal liebloser. Als ob die Wahl von Saskia Esken und Nowabo zu den beiden Parteichefs nicht bereits ausreichend gezeigt hat, dass von dieser Partei keine großen Sprünge mehr zu erwarten sind, legt die SPD nun mit Olaf Scholz gekonnt nach. Der Fast-Parteivorsitzende und Jetzt-Kanzlerkandidat hat doch nun wirklich keine Gelegenheit ausgelassen, um die herrschenden politischen Verhältnisse schönzureden und zu verteidigen. Man darf gespannt sein, wie die viel angepriesene Distanzierung von Hartz-IV mit solch einem Personal umgesetzt werden soll.

Dabei gibt es durchaus linke Kräfte in der SPD. Aber selbst die haben inzwischen eingesehen, dass es keinen Wert hat, sich dem Kurs der Partei allzu vehement entgegenzustellen. Wenn die Gelegenheit es zulässt, wird für mehr soziale Gerechtigkeit geworben, aber dann sofort wieder zurückgerudert. Mehrfach haben Abgeordnete der SPD im Bundestag zwar einen weitaus linkeren Kurs beschworen, fügten dann aber beinahe selbstgefällig hinzu, dass diese Vorhaben mit der Union als Koalitionspartner nicht umsetzbar sind. Ein Schrei nach Hilfe.

Und wer könnte das Aufbäumen der SPD kurz vor den Wahlen im Jahr 2017 vergessen? Noch völlig benebelt vom Schulz-Hype stellte sie sich gemeinsam mit Linken und Grünen gegen die Union und setzte mal eben die Ehe für Alle durch. In seiner viel zu schlecht gespielten GroKo-Endstimmung schnauzte der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs die Bundeskanzlerin an: „Vielen Dank für nichts!“ Mehr als Wahlkampfgetöse war das nicht.

Die SPD lebt

Wähler hat die SPD dadurch trotzdem nicht dazugewonnen. Auch heute stellt sich die Frage, wen Olaf Scholz eigentlich zu einer Wahl seiner Partei bewegen möchte. Hat er ernsthaft vor, abgewanderte Wähler zurückzugewinnen? Wer soll das sein? Hartz-IV – Empfänger vielleicht? Oder Leiharbeiter, die für Subsubsubunternehmen zu mickrigsten Löhnen schuften? Vielleicht aber doch das viel beklatschte Gesundheitspersonal. Fakt ist, dass all diese, und viele weitere mehr, ganz sicher kein Kreuz bei der SPD machen werden, solange die Partei ein fundiertes und vor allem glaubwürdiges Konzept schuldig bleibt.

Denn seit Jahren verharrt die SPD im Umfragetief. Nun legt die Partei zu, liegt nach aktuellen Umfragen sogar vor den Grünen. Donnerwetter! Aber leider sind 18 Prozent für eine selbsternannte Volkspartei weiterhin blamabel und außerdem sind Verschiebungen bei den Beliebtheitswerten überhaupt nichts außergewöhnliches, wenn ein neuer Spitzenkandidat nominiert wird. Die leichten Zugewinne zeigen aber auch: Die SPD lebt. Und das ist gut so. Wie die SPD lebt, ist allerdings nicht gut.

Durch ihre leeren Versprechungen, ihre Mutlosigkeit und ihr Gekuschele mit der Großen Koalition schmiert die Partei doch immer weiter ab. Selbst von der Coronakrise konnte sie nicht profitieren. Die Union hingegen verstand es meisterlich, sich in dieser schweren Zeit zu profilieren und auch die AfD findet nach kurzer Flaute allmählich zu alter Stärke zurück. Dabei ist doch gerade die SPD in dieser Krise besonders gefragt. Sie könnte sich für die Geringverdiener, die prekär Beschäftigten, die Alleinerziehenden, die Rentnerinnen und Rentner und die Solo-Selbstständigen einsetzen. Doch mit viel zu viel Wumms werden gerade diese Gruppen in den Hilfspaketen an vielen Stellen übergangen.

Der Eiskönig

Trotz ihrer miesen Umfragewerte ist die SPD aber immer wieder im Gespräch. Einerseits natürlich, weil sie an der derzeitigen Regierung beteiligt ist, andererseits, weil sie durch viel zu langgezogene Personaldebatten immer wieder von sich reden macht. Anfangs haben bestimmt viele gehofft, dass die Wahl des Parteivorsitzes 2019 neuen Schwung in die Partei bringt. Spätestens aber als der „Showdown“ zwischen Scholz und Dings auf der einen Seite und Esken und Nowabo auf der anderen Seite lief, war die Sache gelaufen. Diese ewigen Personalquerelen versperren den Blick auf das Wesentliche. Und so leid es mir für die Delegierten der SPD auch tut: Das Rennen um den Parteivorsitz war für die überwältigende Mehrheit der Bürger sicher kein abendfüllendes und adrenalingeladenes Programm.

Den Kick holen sich die Wähler woanders. Bei der AfD zum Beispiel. Seit Jahren verlieren gerade die Sozialdemokraten immer mehr Wähler an die Partei rechtsaußen. Reinholen kann sie diesen Verlust sicher nicht. Schließlich verliert die SPD die meisten ihrer Wähler ans Nichtwählerlager. Die meisten von der SPD enttäuschten reagieren also mit Resignation. Und das ist schwer wieder wettzumachen. Währenddessen wählen eher konservative SPD-Wähler inzwischen die Union, weil es sowieso keinen Unterschied macht. Die Empörten gehen zur Linken, zufriedene Schwule zu den Grünen und die ganz Harten eben zur AfD. Für all diese abtrünnigen hat Olaf Scholz kein Rezept.

Scholz könnte nur dann siegen, wenn alle anderen Parteien in ihrem jetzigen Zustand einfrören. Denn momentan hat die SPD durch ihren frischnominierten Kanzlerkandidaten einen Vorteil. Vielleicht hat sie deswegen bei der Nominierung von Scholz so auf die Tube gedrückt. Hätte sie ihren Spitzenkandidaten später ernannt, wären ihr womöglich andere Parteien zuvorgekommen. Wahrscheinlich hätte die SPD dann kein Schübchen in den Umfragen bekommen. Zur jetzigen Stunde ist Scholz wahrlich das kleinere Übel zu den herrschenden Verhältnissen. Aber sobald auch die anderen Parteien in Bewegung kommen, wird er das sicher nicht lange bleiben…

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Vorteile mit vielen Nachteilen

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Die Maske ist das offensichtlichste Symbol der Corona-Pandemie. Und sie ist eine der Hauptakteurinnen in der kontroversen Debatte um die Schutzmaßnahmen. Richtig angewendet, bietet sie einen guten Schutz vor einer Infektion mit dem Virus. Aber nicht jeder hält sich an die Maskenpflicht. Die Vorteile der Alltagsmaske sind viel zu wenig greifbar und treten hinter den unmittelbaren Nachteilen der Maßnahme zurück. Immer weniger Menschen scheinen in der Zwischenzeit dazu bereit zu sein, sich ernsthaft an dieser solidarischen Schutzmaßnahme zu beteiligen.

Nachteile auf hohem Niveau

Sie ist störend. Sie fühlt sich blöd an. Man bekommt schlechter Luft. Unter ihr wird es gerade im Sommer schnell stickig. Die Brille beschlägt. All diese Eigenschaften tragen mit Sicherheit nicht zur Beliebtheit der Alltagsmaske bei. Denn von Tag 1 an hat jeder diese Erfahrungen mit ihr gemacht. Und jeder, der etwas längere Haare hat, weiß auch: Sie ist nicht mit jeder Frisur kompatibel. Und beim Friseur ist sie gleich dreimal ungünstig. Trotz dieser Nachteile mit erstweltlichem Ausmaß ist sie DER Hit auf Plattformen wie Instagram & Co. Würde man die geteilten Bilder nach dem Kriterium „Maske“ filtern, man würde schier ertrinken in der Flut an Bildern, die einem inzwischen entgegenschwemmt.

Die Influencer in den sozialen Medien versuchen das beste aus der Krise herauszuholen. Sie funktionieren die Maske zu modischen Accessoires um, versehen sie mit glitzerndem Strass wie man es eigentlich nur von Lady Gaga erwarten würde. Wer sagt eigentlich, dass eine Schutzmaßnahme nicht auch gut aussehen darf? Doof anfühlen tut sie sich ja bereits.

Trotzdem sträuben sich immer mehr Menschen gegen die Maskenpflicht. Sie ziehen sie aus den oben genannten „Gründen“ entweder falsch auf oder verzichten ganz auf sie – als ob die Einschätzung der Infektiosität in ihren Händen läge. Viele Brillenträger unter ihnen machen sich dabei eine Art Behindertenbonus zunutze. Bei korrekt anliegender Maske könnten sie ja gar nichts sehen, die Brille würde ja aufgrund der warmen Atemluft sofort und dauerhaft beschlagen. Als Brillenträger kann ich euch nur sagen: ein Ammenmärchen. Aber gut, überlassen wir diesen Unbelehrbaren selbst die Entscheidung darüber, ob sie wegen eines angeblich übersehenen Laternenpfahls oder wegen einer Corona-Infektion auf der Intensivstation landen wollen.

Maskenmanko

Eine Brille ist übrigens keine legitime Befreiung von der allgemein gültigen Maskenpflicht. Aber nicht nur Brillenträger sehen die Maske inzwischen als nichts anderes als eine lästige Pflicht, die kaum Tragekomfort bietet und selbst mit Strasssteinen behämmert aussieht. Als solche kann sie praktisch nur Minuspunkte sammeln. Weil sie angeblich nur Nachteile mit sich bringt, lädt sie geradezu zur Umgehung ein. So rutscht die Maske gerne einmal unbemerkt unter die Nase und bedeckt mit viel Glück vielleicht noch die Unterlippe. Jeder Mensch weiß schließlich, wie hochinfektiös das menschliche Kinn ist.

Das große Manko der Maske: Man kann ihren Erfolg kaum sehen, geschweige denn mit Händen greifen. Denn die Maske ist eine Schutzmaßnahme. Sie soll also etwas abwehren. Gelingt ihr das, so gibt es kein positives Ergebnis. Immer wieder wird die Fallschirm-Metapher bemüht. Wir haben durch die Maske und andere Maßnahmen bereits so viel erreicht, lasst uns den Fallschirm jetzt nicht mitten im Fall abschnallen! Das ist ein zutiefst logisches Bild, das hier gezeichnet wird. Es ist aber leider keines, das die Masse überzeugt.

Denn der Mensch glaubt nur das, was er sieht. Verhinderte Infektionen lassen sich zwar aus sinkenden Infektionszahlen herausinterpretieren, es gibt aber keinen Counter, der die genaue Zahl abgewehrter Krankheitsfälle mitzählt. Und selbst die Anzahl an Neuinfektionen steigt seit Wochen wieder an. Wir haben es einer Minderheit von Verweigerern zu verdanken, dass sich auch in Deutschland wieder deutlich mehr Menschen mit dem Virus infizieren. Und das kann man anhand der Zahlen sehen. Bei vielen kommt dann an: Wir haben steigende Fallzahlen trotz Maskenpflicht. Das ist so aber nur die halbe Wahrheit. Wir haben steigende Zahlen wegen rücksichtsloser Menschen.

Schutz für sich selbst, Arbeit für andere

Auch einen weiteren Faktor sollte man nicht übersehen: Bei korrekter Anwendung schützt die Alltagsmaske vor allem andere vor einer Infektion, nicht den Träger selbst. Wir sind also darauf angewiesen, dass andere sich ebenso an die Maskenpflicht halten. Der mittelbare Erfolg der Maske kommt also gar nicht dem Träger zugute, sondern der Allgemeinheit. Das ist vielen zu wenig. Und es bleiben zu viele übrig, auf die man die Verantwortung abwälzen kann. Wenn ich mich hier nicht an die Maskenpflicht halte, aber anscheinend alle anderen doch, dann ist das Risiko auch weiterhin minimal. Diese Milchmädchenrechnung machen viele. Viel zu viele.

Sie sind nicht bereit, den geringen Tragekomfort und alle anderen Widrigkeiten der Maske auf sich zu nehmen, um die Gemeinschaft zu schützen. Dass sie sich damit selbst in Gefahr bringen, begreifen diese Leute nicht. Sie sehen nur die anderen, die sie gefälligst vor einer Infektion mit dem Virus zu schützen haben – notfalls mit dem Leben. Sie nehmen den Schutz der anderen gerne in Anspruch, ohne selbst etwas dazu beizutragen. Der Duden kennt dafür ein eindeutiges Wort: unsolidarisch.

Die Größe macht’s

Solidarität hängt nämlich häufig mit der Größe der Gemeinschaft zusammen. Je größer eine Gruppe oder Gemeinschaft, desto geringer ist die Bereitschaft von einzelnen, sich solidarisch daran zu beteiligen. Im Gegensatz zu Steuerzahlungen kann der Staat die Maskenpflicht zwar verordnen, aber nur sehr viel schwerer effektiv überwachen. Im Gegensatz zu Steuern hat bei der Maske letztendlich jeder die freie Wahl, ob er sie aufsetzt oder nicht.

Je größer die Gruppe ist, desto geringer ist auch die allgemeine Überzeugung von solidarischen Maßnahmen wie der Maskenpflicht. Im Mittel wird sie auf Dauer weniger ernsthaft praktiziert, wenn sich der einzelne der Zugehörigkeit zu einer weitaus größeren Gruppe versichert weiß. Ob die Maske getragen wird oder nicht, macht für den Moment selten einen Unterschied. Es sind die längerfristigen, kaum zuordbaren Folgen, von denen der Erfolg oder der Misserfolg der Schutzmaßnahme abhängt. Verweigerer sind also genau jene Schlupflöcher, die das Virus braucht, um sich weiter auszubreiten.


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Sommer, Sonne, Sonnenschein

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Wochenlang hatten wir unsere Ruhe vor ihr, jetzt feiert sie ihr düsteres Comeback: die Reproduktionszahl. Beachtlich lange schienen wir das Virus gut im Griff zu haben. Die Fallzahlen waren rückläufig, die Maßnahmen schienen zu fruchten. Seit wenigen Wochen allerdings wendet sich das Blatt. Die Infektionszahlen schießen erneut in die Höhe, ganze Betriebe machen zu, Gemeinden werden abgeriegelt. Wir haben es einer gefährlichen Minderheit in der Bevölkerung zu verdanken, dass uns mitten im Hochsommer eine zweite Welle der Pandemie droht.

Blick in die Zukunft oder Hokus Pokus?

In ihrem Buch End of Days schrieb die Autorin Sylvia Browne bereits vor zwölf Jahren von einer Seuche, die Lunge und Atemwege angreifen und die Welt im Jahr 2020 in einem bisher unbekannten Ausmaß heimsuchen würde. Die Symptome und Krankheitsverläufe, welche die amerikanische Schriftstellerin in ihrem Roman beschreibt, haben eine erschreckende Ähnlichkeit mit dem Coronavirus von heute. War Browne also eine Hellseherin? Oder hat sie einfach nur ins Blaue geraten und zufällig einen Volltreffer gelandet? Immerhin lagen zwischen der Veröffentlichung ihres Buches und dem Auftreten erster Coronafälle rund elf Jahre. Ihre Geschichte nimmt übrigens eine unvorhergesehene Wendung: Das Virus verschwindet so abrupt wie es aufgetaucht ist. Spätestens jetzt werden die meisten die Hoffnung aufgegeben haben, dass die Dame über hellseherische Fähigkeiten verfügte.

Denn ein Ende der Pandemie ist in der Realität weiter nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Infektionszahlen schießen auch in Deutschland seit Wochen wieder in die Höhe. Die Lockerungen des Lockdowns haben einige wohl zu dankbar angenommen. Unvorsichtige Auslandsreisende und leidenschaftliche Falschträger der Maske tun ihr übriges. Dabei glaubten viele, gerade der Sommer würde das Ende der Pandemie einläuten. Doch Pustekuchen: Neuere Untersuchungen ergaben, dass weder höhere noch niedrigere Temperaturen dem Virus wirklich beikommen. Kein Wunder also, dass das Virus in so manchem Fleischereibetrieb bei dichtem Gedränge und kühlen Temperaturen so wüten konnte. Leider auch kein Wunder, dass es außerhalb von Tönnies & Co. bei Außentemperaturen von über 30 Grad weiter so gut gedeihen kann.

Mit Hein Blöd am Tisch

Spätestens die Demonstranten von Berlin haben vielen die Hoffnung auf einen Schönwetter-Sieg zunichtegemacht. Das Virus kann nicht einfach so ad acta gelegt werden, wenn es Menschen gibt, die durch ihr unverantwortliches Handeln die große Mehrheit in Gefahr bringen. Virologen empfehlen zwar, die Maske regelmäßig bei mindestens 60 Grad gründlich auszuwaschen, aber 30 Grad im Schatten sind eben lange keine 60 Grad. Auch wenn selbst hohe Außentemperaturen alles andere als ideal für die Ausbreitung des Virus sind, bedarf es weiter einer strikten Einhaltung der Hygienemaßnahmen. Andernfalls verbreitet sich das Virus auch bei sommerlichen Temperaturen viel zu gut.

Es ist aber auch überhaupt nicht verwunderlich, dass sich das Virus beinahe unbehelligt trotz hoher Temperaturen so ungeniert weiter ausbreitet. Klar kann man sagen, die Lockerungen im gastronomischen Bereich kamen zu früh. Doch gerade im Sommer sollten diese Angebote bei Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln kein zu großes Problem sein. Wenn doch einmal eine Infektion auftritt, können Ketten dank modernster Datenerfassung auf Kritzelblöcken umfassend und vollständig ermittelt und zeitnah abgeschnitten werden. Soweit die Theorie.

In der Praxis kann man durchaus von einem neuen Datenskandal reden. Teilweise liegen die Zettel mit Name, Anschrift und Telefonnummer minutenlang unbeaufsichtigt auf den Plätzen, nachdem die ahnungslosen Datenspender ihren Platz verlassen haben und laden zu allerlei Schabernack damit ein. Wie die Gastronomen dann die gesammelten Zettel aufbewahren, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Und dann gibt es noch solche Spezialisten, die es ganz besonders lustig finden, sich auf den einseitigen Gästebüchern als Hein Blöd oder Donald Duck zu verewigen. Das meinen sie natürlich bitterernst, schließlich muss man der grenzenlosen Ergaunerung der Daten konsequent entgegentreten. Sehen deren Follower auf Instagram, Tinder und WhatsApp übrigens genau so.

Für die Grundrechte, gegen die Verantwortung

Und währenddessen werden vor allem die Abstandsregeln munter gebrochen. Die Schlangen an Supermarktkassen schrumpfen spürbar immer weiter in ihre einstige Länge vor Corona. Abertausende von Schuhsohlen haben die Abstandsstriche auf den Fußböden der Einzelhändler in den letzten Monaten bis zur Unkenntlichkeit weggewetzt. Dem gemeinen Deutschen ist es in aller Regel nicht zuzutrauen, 1,50 Meter per Augenmaß zu bestimmen.

Natürlich hat all das nichts mit den steigenden Infektionszahlen zu tun. Schuld daran sind einzig und allein die Bekloppten vom Ballermann. Es ist auch so einfach, mit falschsitzender Maske vor dem Fernseher zu sitzen und ungläubig den Kopf zu schütteln, während das Partyvolk auf den Balearen in der Tagesschau munter über die Mattscheibe tänzelt. Aber ich muss diese Empörten leider enttäuschen: Auch wenn die Ballermänner und -frauen in erheblichem Maße zu höheren Krankheitsfällen beitragen, laden solche Exzesstäter immer dazu ein, die eigene Verantwortung auszublenden. Diese Urlauber mögen das Virus nämlich wieder ins Land einschleppen – verbreiten tun es aber die, die bei aller Empörung über die wildgewordenen Corona-Touris die eigene Verantwortung am Gemeinwohl ebenfalls mit Füßen treten.

Viele steigen mit falschsitzender oder sogar ganz ohne Maske in den Bus. Andere bemerken unterwegs, dass sie daheim kein Brot mehr haben. Der Supermarkt liegt auf dem Weg, also schnell noch reingehuscht. Dass man dieses eine Mal ausnahmsweise keine Maske trägt, wird schon nicht so schlimm sein, man ist immerhin gleich wieder raus. Zum Glück sind solche Leute weiterhin in der Minderheit. Aber Minderheit bedeutet nicht immer ungefährlich. Und auch die Masken der Vorbildlichen sind kein Universalschutz. Wie wildgewordene Spermien in einem Raum voll löchriger Kondome steuern diese Virenschleudern vom Eingang zum Feinkostregal, in Richtung Kasse und dann zum Ausgang. Zahl geglückter Befruchtungen: 4.

Vor dem heimischen Fernseher sitzen sie dann wieder ganz ungläubig, wenn Susanne Daubner um 20 Uhr von steigenden Infektionszahlen und strengeren Schutzmaßnahmen redet. Eine bodenlose Unverschämtheit. Schnell auf die Straße, um lauthals für die Grundrechte einzustehen. In Berlin ist eine großangelegte Demo? Nix wie hin! Und so tummeln sich zigtausende Hygienedemonstranten dicht an dicht und im Regelfall ohne Maske, um den Angriff auf ihre Bürgerrechte abzuwehren. Verbissen wollen sie eines unbedingt verhindern: einen zweiten Lockdown. Sie sehen nicht, dass es gerade ihr absurd unvorsichtiges Verhalten ist, das ebendiesen immer wahrscheinlicher macht.

Ein Teufelskreis

Die Angst vor einem neuen Lockdown ist übrigens berechtigt. Der alte hat schließlich viele Arbeitsplätze gekostet, tausende Menschen stecken weiterhin in Kurzarbeit. Kleinere Unternehmen kämpfen ums Überleben, von Solo-Selbstständigen will ich gar nicht anfangen. Man muss weder Hellseher noch Star-Ökonom sein, um zu sehen, dass unsere Wirtschaft einen zweiten Lockdown nicht überstehen würde.

Trotz allem war der Lockdown im Frühjahr eine Maßnahme, um die Bevölkerung vor dem verheerenden Virus zu schützen. Die Demonstranten von Berlin und anderswo sehen das nicht so. Einige von ihnen halten das Virus für eine reine Erfindung, die meisten die getroffenen Maßnahmen zumindest für maßlos übertrieben. Dieses Konglomerat aus Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen, Impfgegnern und wer weiß was sonst noch ist viel zu wenig an der Wahrheit interessiert. Tatsächlich weist diese ungesunde Mischung eine noch höhere Resistenz gegenüber der Wahrheit auf als es das Virus gegen die getroffenen Maßnahmen tut. Sie sehen einen weiteren Lockdown als willkürliche staatliche Schikane, die das pöbelnde Volk mundtot machen soll. Aber wie soll man von solchen Menschen erwarten können, dass sie zeitweise auf Cafés, Bars und Restaurants verzichten, wenn sie es noch nicht einmal schaffen, den gebotenen Mindestabstand zu halten?

Stattdessen ziehen diese verantwortungslosen Bürger laut, aber offensichtlich taub weiter und merken nicht einmal, welchen Teufelskreis sie anstoßen. Jedes Mal, wenn sich ein solcher Pulk zusammenfindet, um Freiheit, Gerechtigkeit und Grundrechte zu verteidigen, rücken ihnen die strengeren Schutzmaßnahmen ein wenig näher auf die Pelle. Dann empfinden sie die Maßnahmen noch eher als Repression und wehren sich noch vehementer dagegen. Die Infektionszahlen steigen währenddessen ungebremst.

Es tobt der Hamster…

Je heftiger die Hygienedemos durch unser Land wüten desto wahrscheinlicher wird ein zweiter Lockdown. Das hätte Folgen. Denn bereits bei der ersten Welle der Pandemie herrschte in vielen Supermärkten der Ausnahmezustand. Wochenlang herrschte gähnende Leere bei Nudeln, Suppenkonserven und Toilettenpapier. Diese Hamsterkäufe waren keine Begleiterscheinung des ersten Lockdowns. Sie waren der Vorbote. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was im deutschen Einzelhandel los wäre, wenn ein zweiter Lockdown tatsächlich unmittelbar bevorstünde. Dieses Mal wissen die Leute, was sie erwartet. Das kann durchaus zusätzlicher Ansporn sein, dieses Mal noch hemmungsloser shoppen zu gehen.

Dazu kommt, dass die Menschen wissen, welch verheerende Konsequenzen ein zweiter Lockdown für Wirtschaft und Arbeitsmarkt hätte. Die Folgen des ersten Lockdowns sind schließlich noch nicht einmal im Ansatz verdaut. Die Angst vor dem Totalkollaps der Wirtschaft kann eine wichtige Rolle spielen, wenn es zu einer weiteren Welle an Hamsterkäufen kommt. Dann werden sich aber auch Einkaufsmöglichkeiten zu Hotspots bei der Virenverbreitung entwickeln.

Umso wichtiger ist es, so frühzeitig wie möglich, Maßnahmen zu ergreifen, um Zustände wie im Frühjahr zu verhindern. Noch bevor der erste Hamster aus seinem Schlummer erwacht, müssen Einlass- und Ausgabebeschränkungen her. Diese suggerieren zwar einen Notstand und könnten Einkäufe herausprovozieren, verhindern aber im gleichen Moment anarchische Zustände in den Läden. Anfang des Jahres kauften die Menschen tagelang ungebremst die Regale leer. Mit rechtzeitigen Beschränkungen kann man den Zeitpunkt leerer Regale zumindest hinauszögern. Anders ist der Minderheit der Rücksichtslosen und Bequemen leider nicht beizukommen. Denn immerhin haben es gerade solche Leute geschafft, mitten im Hochsommer eine zweite Welle der Pandemie loszutreten.


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