Wenn Verdrängen absichtlich passiert

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Könnte der Mensch nicht verdrängen, würde er keinen Millimeter nach vorne kommen. Die Fähigkeit, störendes auszublenden, ist Fluch und Segen zugleich. Zwar hilft es uns, besonders traumatische Ereignisse aus den Gedanken zu verbannen, andererseits verleitet uns das aktive Verdrängen oft zu ausgesprochen unvorsichtigen Taten. Denn wir Menschen sind unvorstellbar gut im Verdrängen. Die Probleme werden oftmals nicht einmal dann angepackt, wenn sie sich direkt vor unserer Nase breitmachen. Erst wenn wirklich alle die Konsequenzen spüren, wird kehrtgemacht. Bei manchen Problemen ist das zu spät.

Gegen das Vergessen ist kein Kraut gewachsen. Gegen das Verdrängen allerdings auch nicht. Jeder Mensch macht es regelmäßig. Vielleicht sogar mehrmals am Tag. Was sonst eher psychisch auffälligen Personen zugeschrieben wird, das können auch alle anderen. Um Geschehenes zu verdrängen, braucht es keinen Unfall und auch kein traumatisierendes Erlebnis. Verdrängen kann der Mensch auch so. Aktiv. Viele denken, es muss etwas ganz furchtbar schlimmes passieren, damit ein Verdrängungsmechanismus in Gang gesetzt wird. Verdrängen wird als etwas passives verstanden, worauf man kaum Einfluss nehmen kann. Doch regelmäßig beweisen wir selbst, dass auch aktiv verdrängt werden kann.

Ein ganz normaler Mechanismus

In erster Linie bedeutet Verdrängen die Ausblendung des Negativen. Kein Mensch verdrängt ein freudiges Ereignis. Dieses Negative wird soweit ausgeblendet bis nur noch das Positive zu erkennen ist. Häufig ist das ein Schutzmechanismus, um nicht ständig an besonders schwerwiegende Erlebnisse erinnert zu werden. Viele Zeugen grausamer Straftaten können sich beispielsweise nicht daran erinnern, was sie gesehen haben. Manchmal helfen sogenannte Trigger ihrem Gedächtnis auf die Sprünge.

Womöglich wäre das aktive Erinnern an solche Begebenheiten schlicht zu zeit- und energieaufreibend. Das Gehirn möchte sich diese Strapazen gerne ersparen und verdrängt das Erlebte. Das klingt soweit ganz gesund. Menschen müssen wegen bestimmter Vorkommnisse also nicht auf Dauer innehalten, sondern können weitergehen.

Das Gute an Donald Trump

So viel zum passiven Verdrängen. Das aktive Verdrängen wiederum ist eine ganz besondere Form der Realitätsverweigerung. Menschen können sich ihre Welt so zusammenschustern, wie sie gerade Lust haben, das ist keine Neuigkeit. Sie können die Augen aber auch so fest vor der Realität verschließen, dass durchaus von Verdrängung gesprochen werden kann. Das tun sie meistens dann, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Wenn ihr Tun zwar erhebliche Risiken birgt, aber sie zumindest kurzfristig aus ihrer Misere entlässt – oder wenn sie das Gefühl haben, dass es das kann.

Hardliner wird es immer geben, auch dagegen ist wohl kaum ein Kraut gewachsen. Aber gerade in der Politik verhalten sich viele Menschen nur deshalb irrational, weil sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Obwohl die Nachteile von Donald Trumps Präsidentschaft auf der Hand lagen, machte ihn ein Großteil der US-Amerikaner zum mächtigsten Mann im Staatenbund. Sie bejubeln einen Mann, der die Welt ins Verderben stürzen kann. All das ist vielen Menschen in den USA irgendwie bewusst, aber sie schaffen es, diese Nachteile auszublenden, weil sie sich Vorteile von Trump als Präsidenten erhoffen. Viele gebaren sich als überzeugte Trump-Anhänger, verweigern sich in Wahrheit aber aktiv der Realität.

Es gelingt diesen Menschen die überwältigende Fülle an Negativem zu ignorieren, es im Prinzip überhaupt nicht wahrzunehmen, und nur das Positive an diesem Mann zu sehen. Denn irgendwas positives bleibt bei jedem Menschen übrig, auch bei Donald Trump. Immerhin hat er … Kinder.

Es müssen mehr werden

Aber so konkret wie Donald Trump muss man gar nicht werden. Zugegeben macht es der Mann einem auch nicht besonders leicht, über seine fragwürdigen Aktivitäten hinwegzusehen. Es gibt andere Dinge, bei denen ein Wegsehen wesentlich einfacher ist. Der Klimawandel ist beispielsweise so ein Fall. Jeder weiß, dass da irgendwas im Busch ist. Jeder weiß, dass alle immer vom Klimawandel reden. Und jeder weiß, dass mehr als 40 Grad in Mitteleuropa nicht gesund sind. Um die katastrophalen Folgen des Klimawandels abzuwenden, passiert aber erschreckend wenig. Das liegt hauptsächlich daran, dass die wirklich gravierenden Folgen der Erderwärmung noch nicht ausreichend stark zu spüren sind – zumindest nicht für die, deren Handeln wirklich etwas bewegen könnte.

Machen wir uns nichts vor: Der globale Norden hat es in der Hand. Gerade in den USA, in Europa und in China sitzen die Menschen, die einen echten Wandel einleiten können. Greta kann noch so hartnäckig protestieren, ihr grimmiges Gesicht allein wird die Welt nicht vor dem Verderben schützen. Erst wenn ein großer Teil der Menschheit umdenkt, wird sich wirklich etwas verändern. Aber dazu müssen die Menschen begreifen. Der Klimawandel lässt sich aber nicht so leicht begreifen. Trotz des Getöses freitags auf den Straßen, kommt er schleichend. Und was so leise daherkommt, das lässt sich leicht verdrängen.

Eine neue Flüchtlingswelle?

Bisher ist der Klimawandel vielen noch zu theoretisch. Von der gewaltigen Dimension des Temperaturanstiegs haben die meisten zwar gehört, aber verstanden haben sie sie nicht. Es gibt bisher kaum Menschen, die ihre Heimat des Klimas wegen verlassen. Die Flüchtlinge von gestern und von heute versuchen Krieg und Hunger zu entkommen. Noch wird dieser Hunger durch politische Entscheidungen des globalen Nordens verursacht. Schon bald könnte sich das aber ändern. Dann flüchten die Menschen, weil sie ihre Heimat nicht durch einen Bombeneinschlag verloren haben, sondern weil ihre Siedlung plötzlich verschwunden war, weil der Grund darunter nachgab.

Immerhin sind Wirbelstürme noch lange nicht an der Tagesordnung. In bestimmten Regionen der Erde gehören sie zu bestimmten Jahreszeiten zum ganz natürlichen Bild. Sie mögen in den letzten Jahren zwar etwas heftiger ausgefallen sein, aber Häuser haben die Wirbelstürme auch schon vor Jahrzehnten verwüstet. Der Klimawandel findet in einer Zeitspanne statt, die das Denken der Menschen übersteigt. Die wirklich dramatischen Folgen werden erst in vielen Jahren spürbar sein, was macht es da aus, wenn heute wieder ein Gletscher dahinschmilzt? Es gibt ja noch genügend andere.

Dieser Sommer beispielsweise ist bisher alles andere als der typische Rekordsommer. Die 40-Grad – Marke wurde bisher nicht überschritten, nur gelegentlich stieg das Thermometer über 30 Grad. Aber sagen wir mal so: Vier Monate am Stück 28 Grad mit viel zu wenig Regen mögen viele zwar als besonders angenehm empfinden; das Ökosystem leidet allerdings enorm darunter.

Wirtschaftskrise oder Gesundheitskrise?

Bereits heute sind viele Folgen des Klimawandels greifbar. Man muss nur genau hinsehen. Frühling und Herbst gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Übrig blieben nur Sommer und Winter, die sich alle halbe Jahre abwechseln. Weil man an diese „normalen“ Extreme gewöhnt ist (und gegen einen schönen Sommer oder einen zünftigen Winter im Grunde nichts einzuwenden ist), wird das von vielen als der normale Lauf der Dinge hingenommen. Die Belege für den Klimawandel sind lange da. Man muss aber zumindest aktiv hinsehen und darüber nachdenken, um die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Egal wie minimal dieser Aufwand auch ist, es ist eine gewisse Form der Anstrengung. Und die fällt der Verdrängung zum Opfer.

Denn der Mensch glaubt nur das, was er sieht. Und er versteht nur das, was er spürt. Den Klimawandel spüren viele noch nicht in ausreichendem Maße als dass sie geeignete Maßnahmen dagegen ergreifen würden. Aktuell ist dieses aktive Verdrängen auch bei der Corona-Pandemie zu beobachten. Die Infektionszahlen in Deutschland sind seit einiger Zeit wieder deutlich steigend. Vielleicht hängt das mit den ganzen Auslandsreisenden zusammen, vielleicht aber auch an den Wiedereröffnungen gastronomischer Betriebe. Ganz bestimmt liegt es aber daran, dass viel zu viele Menschen die Augen vor der Gefährlichkeit des Virus verschließen.

Obwohl ein Großteil der Fälle gemäßigt verläuft, gibt es Fälle der Erkrankung, die erschreckend schwerwiegend ausfallen. Corona ist eben nicht mit einer gewöhnlichen Grippewelle vergleichbar. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings hoch, dass die Menschen, die einen Infizierten kennen oder sogar selbst erkrankt sind, glimpflich davongekommen sind. Dem gegenüber stehen die drastischen Schutzmaßnahmen, die eine Ausbreitung des Virus eindämmen sollen. Immer mehr Menschen empfinden diese Einschränkungen als strapaziöser als das Virus an sich. Viele können die Alternative, explodierende Infektionszahlen und den Zusammenbruch des Gesundheitssystems, nicht begreifen, weil dieses Szenario bisher erfolgreich verhindert wurde.

Dazu kommt, dass viele immer schwerer zwischen einer Wirtschafts- und einer Gesundheitskrise unterscheiden können. Die Folgen des wirtschaftlichen Rückgangs werden für viele tatsächlich spürbarer sein als die gesundheitlichen Folgen einer möglichen Infektion. Sie fürchten die Wirtschaftskrise derzeit mehr als das verheerende Ausmaß der Pandemie – schlicht und ergreifend, weil das eine für die Mehrheit spürbarer ist als das andere. Um diesem wirtschaftlichen Absturz zu entgehen, tun viele das Naheliegende: die gesundheitlichen Konsequenzen der Pandemie verdrängen. Denn es ist nur da, was man spüren kann. Eine Welt ohne Maske bedeutet für viele eine Welt ohne Pandemie.

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Der politische Star der Pandemie

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Ein Stück Stoff gegen die Pandemie – keiner anderen Maßnahme wird so viel Bedeutung beigemessen wie der Maske. Der Weg zur Maskenpflicht war lang – zu lang, wie einige sicherlich sagen werden. Auf den Tag genau seit drei Monaten ist in Baden-Württemberg das Tragen der Maske Pflicht. Viele setzen ganz aktuell große Hoffnungen in die Maske, eine zweite Welle der Pandemie möglichst milde ausfallen zu lassen. Eine ziemlich große Aufgabe für ein bisschen Stoff könnte man meinen. Doch aus den Kinderschuhen der Schutzmaßnahme ist die Maske längst herausgewachsen. Immer häufiger missbrauchen einige Spezialisten den Mund-Nase – Schutz dazu, politische Spielchen mit ihm zu treiben. Es wird dabei immer schwieriger zwischen rücksichtslosem Protest und bloßer Dummheit zu unterscheiden.

Wenn wir eines Tages die Pandemie überstanden haben, wenn sie vielleicht Jahrzehnte zurückliegt, was werden wir unseren Enkeln erzählen? Es ist unwahrscheinlich genug, dass wir dann noch in der Welt leben, wie wir sie jetzt kennen. Das Klima wird sich deutlich verändert haben, weite Teile der Erde werden nicht mehr bewohnbar sein, vielleicht hat uns bis dahin eine weitere Pandemie heimgesucht. Aber all diese Szenarien einmal ausgeblendet, was werden wir der Enkelgeneration über Corona sagen? Wir können von abstrakten wirtschaftlichen Folgen reden, die unsere Kindeskinder niemals begreifen werden, wenn sie in einer stabilen und wirtschaftlich starken Umgebung aufwachsen. Sie werden es zur Kenntnis nehmen, vielleicht Mitleid empfinden, so wie wir es tun, wenn wir uns die Lebensrealität unserer Großeltern und Vorfahren vor Augen führen. Aber eine Frage werden wir uns gefallen lassen müssen: Was war mit der Maske?

Gute Miene zum bösen Spiel

Denn wenn die Krankheit überwunden ist, verschwindet auch eine schwere Last. Die Rückkehr zur Normalität wird äußerst schwer, aber auch unverzichtbar. Was bleibt sind die Erinnerungen, über die natürlich niemand gerne reden wird. Aber es bleiben auch die Bilder von Menschen mit Maske, die bereits heute erstaunlich viele Menschen voller Inbrunst von sich machen. Der Masken-Selfie gehört in den Social Media bereits zum guten Stil. Stolz halten viele ihre Maske in die Kamera, als wäre die Pandemie ein schlechter Witz, ein Modegag, den es unbedingt auf Kamera festzuhalten gilt. Viel zu gut gelaunt werden wir unseren Enkeln auf diesen Fotos entgegenstrahlen wie es unsere eigenen Vorfahren taten, obwohl sie außerhalb der Fotos nicht viel zu lachen hatten.

Die Maske wird auf lange der Indikator dafür sein, wann ein Foto entstanden ist. „Das war doch bei Corona.“ Tatsächlich ist die Maske der offensichtlichste Ausdruck der Coronakrise. Sie ist nicht nur in den Medien omnipräsent. Bei jedem Gang nach draußen, bei jeder Bahnfahrt und bei jedem Einkauf erinnert sie uns daran, dass die Pandemie noch immer nicht überwunden ist. Von all den Maßnahmen, die zum Schutz vor dem Virus ergriffen wurden, ist die Maske die Maßnahme, die am meisten in die persönliche Freiheit der Menschen eingreift – zumindest kurzfristig. Denn jedes Mal, wenn wir die Maske aufziehen, müssen wir uns erneut an ihren fehlenden Tragekomfort gewöhnen. Abstandhalten kann doch jeder, Maske-Tragen aber will gelernt sein.

Die Maske als Politikum

Die Pflicht, Mund und Nase zu bedecken, wurde von Anfang an heiß diskutiert. Kommt die Maskenpflicht? Wie lange? Wo muss sie getragen werden? Inzwischen hat man sich beinahe an den Stofffetzen gewöhnt, da reden einzelne von Lockerungen. In einer dicht besiedelten Welt, in der Abstand halten oft gar nicht so leicht ist, belegte die Maske bald Platz 1 unter den Schutzmaßnahmen. Einerseits machte sie eine Ansteckung mit dem Virus trotz fehlendem Abstand bei korrekter Verwendung unwahrscheinlicher. Andererseits nutzen viele die Maske immer häufiger dazu, mit ihr ein politisches Statement zu setzen.

Denn häufig gibt die Maske, gewollt oder nicht gewollt, Aufschluss über die persönliche Haltung zur Pandemie. Falsch- oder Nichtträgern ist die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen entweder egal oder sie schätzen die Bedrohung aus unterschiedlichen Gründen nicht so groß ein. Andere wiederum instrumentalisieren die Maske dazu, um politisch Stellung zu beziehen. Sie tragen ihre Masken bewusst locker um den Hals oder unter dem Kinn, um bei Ansprache das Virus herunterzuspielen und von Grundrechtsverletzung und Totalüberwachung zu schwafeln.

Weil sie keinerlei Berührungspunkte mit dem Virus haben, mit der Maske gezwungenermaßen aber doch, ist die Bedrohung durch die Maske für sie realer. Wahrscheinlich kennen sie niemanden, der an dem Virus erkrankt oder gar gestorben ist, sie arbeiten vermutlich auch nicht in gesundheitlichen Einrichtungen und einen Nobelpreis für Medizin haben sie womöglich auch noch nie gewonnen. Darum schustern sie sich ihre heile Welt zusammen. Die Maske identifizieren sie in dieser Welt als Störenfried.

(K)eine heile Welt

Natürlich will jeder Mensch in einer Welt ohne Sorgen und Probleme leben. Denn Probleme zu erkennen und sie anzupacken, bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Davor haben viele Menschen Angst. Und deswegen schauen sie zu Menschen auf, die ihnen das Gefühl geben, richtig zu handeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz gehen regelmäßig mit gutem Beispiel voran und tragen Maske. Gestalten wie Jair Bolsonaro und Donald Trump hingegen nutzen die Maske rein für ihre politischen Zwecke. Erst vor kurzem zog der brasilianische Präsident trotz Corona-Erkrankung die Maske in Beisein von Kameras und Journalisten ab, um die Harmlosigkeit des Virus zu untermauern. Corona greift wohl doch schneller als erwartet das Gehirn an.

Doch scheinbar erreichen solche Politiker sehr viele Menschen. Sie schaffen es, den Menschen einzureden, dass in Wahrheit alles halb so wild ist und dass die da oben ein falsches Spiel treiben. Die Maske, als der greifbarste Ausdruck der Pandemiemaßnahmen mutiert für diese Menschen zum roten Tuch. Sie verteufeln diesen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte und wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, Stunk gegen die Maskenpflicht zu machen. Das alles sei doch nur eine von Bill Gates initiierte Verschwörung, die Maske soll auch symbolisch die Redefreiheit beschneiden, manche reden vom Merkel-Maulkorb. Dann wiederum besteigen ebensolche Menschen ein öffentliches Nahverkehrsmittel und ziehen sich noch vor Öffnen der Türen die Maske ins Gesicht.

Ungewollt politisch

Diese Doppelmoral, dieses zwiespältige – ich bin eigentlich gegen die Maske, möchte mich aber nicht zu explizit gegen die Mehrheit stellen – ist eine unglaubliche Rückgratlosigkeit. Einerseits diffamiert man die Maske als direkten Eingriff in die Grundrechte, als einen Angriff auf die freie persönliche Entfaltung, andererseits fügt man sich der verhassten Obrigkeit. Teilweise schaffen es diese Menschen, die Maske im selben Moment zu politisieren und ihr gleichzeitig die politische Dimension zu nehmen.

Denn die Maske ist in erster Linie kein politisches Instrument. Sie ist eine sinnvolle Maßnahme, die dem Gesundheitsschutz dient. Erst die Ablehnung der Maske eröffnet ihr einen politischen Raum. Es sind nicht Menschen wie Merkel, Macron oder Kurz, die die Maske politisieren. Es sind die Bequemen, die Gegner der Maske, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um die Maske in ein Politikum zu verwandeln.

Von Idiotie und Pandemie

Die Übergänge zwischen Idiotie und politischem Statement sind dabei fließend. Es wird zunehmend schwierig zu unterscheiden, wer die Maske aus Nachlässigkeit falsch trägt oder wer bewusst unser aller Gesundheit gefährdet. Solche, die die Maske permanent unterhalb der Nase tragen, sie aber wenigstens konsequent in Bus, Bahn und beim Einkaufen aufsetzen, gehen gerade noch so als Vollidioten durch. Vielleicht meinen es einige von ihnen nicht mal böse. Sie glauben, ihren Teil zur Pandemiebekämpfung beizutragen, obwohl sie dem Virus durch ihre grenzenlose Dummheit enormen Vorschub leisten. Möglicherweise sind sie zu bequem, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Lieber machen sie gute Miene zum bösen Spiel. Es gibt eine Verordnung, also wird sich daran gehalten. Solche Mitbürger sind die unpolitischsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann. Sie halten den Mund – und die Maske unterstützt sie offensichtlich dabei.

Dann gibt es die Verweigerer. Deren egoistisches Verhalten macht es ihnen unmöglich, sich auf die Gnade der Idiotie zu berufen. Sie setzen sich mit Maske in öffentliche Verkehrsmittel und betreten mit Maske die Geschäfte des Einzelhandels. Die Maske schwingt allerdings locker um ihren Hals; ans Aufziehen denken diese Gefährder nicht. Ganz bewusst verweigern sie sich dem Kampf gegen das Virus. Die Maske besitzen sie einerseits zu Alibizwecken, andererseits, um den Menschen in ihrem Umfeld zu beweisen, dass das Virus nicht so schlimm ist und sie auch ohne Mund-Nase – Schutz gut durchkommen.

In vollem Bewusstsein der Fahrlässigkeit ihres Handelns bringen sie alle anderen Menschen in Gefahr. Sie sorgen mindestens indirekt für steigende Fallzahlen, knappe Krankenhauskapazitäten und nehmen denen die Maske weg, die sie dringend benötigen. Sie sind Terroristen am Gesundheitssystem und es ist mehr als bedauerlich, dass die Gesellschaft diese Menschen duldet und mitträgt.

Immer mehr Menschen scheinen es für unnötig zu halten, in Bus und Bahn die Maske korrekt aufzusetzen, wenn sie weniger als drei Stationen fahren. Sie wollen allen zeigen, dass sie die Lage jederzeit unter Kontrolle haben, dass sie stärker sind als das Virus. Dabei ist es ihre chronische Angst davor, Verantwortung zu übernehmen, die sich schon viel länger als die Corona-Pandemie global breitmacht. Wegsehen, sich nur um sich selbst kümmern, Ellbogen ausfahren und nichts wie geradeaus – diese generelle Haltung ist alles andere als hilfreich im Kampf gegen die Pandemie.


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Sozial ist, wer Männchen macht

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Der Paketbote klingelt verschwitzt an der Tür, die Kassiererin zieht gehetzt die Waren über den Scanner, die Altenpflegerin hechtet von einem Zimmer zum nächsten. Arbeit scheint für alle da zu sein, aber ist sie auch sozial? Gerade die Unionsparteien sind der festen Überzeugung, dass jeder geschaffene Arbeitsplatz ein guter Arbeitsplatz ist. Ob man sich unter widrigen Bedingungen für etwas über 9 Euro dabei krummackert und den großen Bossen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, stört sie nicht. Wer arbeiten will, der muss eben auch in den sauren Apfel beißen. Deutlicher kann man seine Geringschätzung vor Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht zum Ausdruck bringen.

Umstrittener Wahlspruch

“Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Mit diesem Slogan versuchte die Union bereits vor knapp zwanzig Jahren voll durchzustarten und der Zwangspause hinter den Oppositionsrängen zu entkommen. Geklappt hat das erst drei Jahre später, der Spruch ist seitdem nicht richtiger geworden. Im übrigen war er schon seinerzeit alles andere als unumstritten. Trotz eindringlicher Warnungen, man könnte einen Bezug zum Dritten Reich herstellen, verharrten die Konservativen auf ihrem neuen Leitspruch. Denn bereits in den 1930ern hat Alfred Hugenberg von den Deutschnationalen diesen Spruch für Wahlen verwendet. Letztendlich verhalf seine Partei Hitler an die Macht. Allein aus diesem Grund hätte man bei der Auswahl seiner Wahlsprüche ein wenig mehr Feingefühl an den Tag legen können.

Die Erfüllung dieses Wahlversprechens ist die Union seitdem übrigens schuldig geblieben. Auch unmittelbar vor Corona lag die Arbeitslosigkeit in Deutschland viel zu hoch, als dass man ernsthaft von Vollbeschäftigung hätte reden können. Dabei hat es die Union mit abwechselnden Koalitionspartnern tatsächlich geschafft, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dass das nicht immer mehr soziale Sicherheit bedeutet, hat die Partei dabei deutlich gezeigt. Mit 1-Euro – Jobs, ausufernder Leiharbeit und Kettenbefristungen strafte die Union ihren heißgeliebten Slogan selbst lügen.

Es ist eben nicht alles sozial, was neue Arbeit schafft. Wenn eine alleinstehende Frau oder ein Familienvater neben der Hauptbeschäftigung noch einen Nebenjob annehmen muss, um irgendwie über die Runden zu kommen, dann ist das das Gegenteil von sozial. In grotesk abgehobener Manier feiert sich die Bundesregierung allerdings stets für die sinkenden Arbeitslosenzahlen. Sie übersieht dabei getrost, dass die freien Stellen von bereits arbeitenden Menschen bekleidet werden und eben nicht von solchen, die bereits seit Jahren auf neue Arbeit hoffen.

Arbeitslose Gelegenheitsjobber

Die Hörigkeit vor der schöngerechnet Arbeitslosenstatistik mutiert indessen immer mehr zum Wahn. Ungeniert werden selbst solche Menschen aus der Statistik herausgerechnet, die einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung nachgehen. Gemeint sind damit die sogenannten 1-Euro – Jobber, obwohl selbst die Agentur für Arbeit klarstellt, dass diese Menschen in eben keinem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis stehen . Folglich sind diese Menschen ohne wirkliche Beschäftigung und damit arbeitslos.

Das juckt die Damen und Herren von der Regierung allerdings herzlich wenig. Ihnen geht es allein darum, eine gute Quote vorzuweisen, um möglichst gut dazustehen. Auch die Bundeskanzlerin wird nicht müde zu behaupten, den Deutschen ginge es gut. Kunststück bei solch schamlos manipulierten Zahlen. Sozial ist nur das, was gute Arbeitsbedingungen schafft und nicht eine große Menge an Leuten kategorisch vom Arbeitsmarkt ausschließt.

Alles für die Arbeitsplätze

Immer offensichtlicher wird, welche Interessen die Regierung tatsächlich im Blick hat. Fast alle arbeitspolitischen Maßnahmen der letzten Jahre kam den Arbeitgebern, sehr selten aber den Arbeitnehmern zugute. Bei vielen Vorhaben scheute man sich nicht, das ganze dennoch in ein möglichst arbeitnehmerfreundliches Gewand zu zwängen. Der Mindestlohn beispielsweise ist ein Armutslohn. Aber es ist Geld, welches direkt an die Arbeitnehmer geht. Nach der Logik der Bundesregierung ist es somit ganz besonders arbeitnehmerfreundlich. Gute Löhne für gute Arbeit sind jedoch keine Almosen. Sie sind eine Selbstverständlichkeit.

Die Regierung hat die Instrumente, um den Arbeitsmarkt von Grund auf zu reformieren und zu sozialisieren. Gebrauch davon macht sie in den seltensten Fällen. Stattdessen sieht sie dabei zu, wie sich Subsubsubunternehmen auf dem Arbeitsmarkt breitmachen, wie Schlupflöcher genutzt werden, um selbst den mickrigen Mindestlohn zu unterlaufen und wie fleißige Menschen sich kaputtrackern, um irgendwie bestehen zu können.

Dann passiert das unbegreifliche: Eine Bank oder ein Unternehmen gerät in Schieflage. Tatü-tata, die Bundesregierung ist da! Aberwitzige Summen werden teilweise in Unternehmen gepumpt, deren Geschäftsmodel schon vorgestern das Verfallsdatum überschritten hat. Die Verantwortlichen ziehen dann immer gerne das riesige Damoklesschwert, dass es doch in erster Linie darum ginge, Arbeitsplätze zu bewahren. Genau mit dem gleichen edlen Ziel argumentieren sie, wenn sie begründen, warum eben kein höherer Mindestlohn drin ist. Will man denn ernsthaft riskieren, dass die ganzen guten Unternehmen abwandern und sich ihre Arbeitskräfte woanders suchen?! Dann doch lieber unsoziale Arbeit. Aber immerhin Arbeit.

Eine Luftnummer

Und so verdingt sich die Regierung in immer mehr Unternehmen, um sie vor der Pleite zu bewahren. Jüngstes Beispiel in dieser Serie an Unternehmensrettungen ist sicherlich die Lufthansa. Die Geschäftspraktiken der Fluggesellschaft waren schon immer eher fragwürdig. Lange vor Corona legten viele Beschäftigte immer wieder ihre Arbeit nieder, um für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken. Eine zufriedenstellende Lösung gab es selten. Und eines ist gewiss: Von Lufthansa hängen eine Menge Arbeitsplätze ab. Dem Unternehmen unter die Arme greifen, nachdem es durch die drastischen Coronamaßnahmen in Not geraten ist – an sich keine schlechte Idee.

Doch auch hier zeigt sich, dass es der Regierung eher darum geht, die Arbeitgeber möglichst weich landen zu lassen, während Arbeitnehmer in der Luft hängengelassen werden. Denn die Rettung von Lufthansa mit 9 Milliarden Euro ist lange keine Garantie dafür, dass auch nur ein einziger bedrohter Arbeitsplatz erhalten bleibt. Im Gegenteil, die Regierung hat sich in ihrer arbeitgeberhörigen Politik allen Ernstes so weit runterhandeln lassen, dass sie nun weniger als ein Viertel der Lufthansa-Aktien hält. An wichtigen Unternehmensentscheidungen kann sie de facto nicht mitwirken. Selbst wenn es zu keinen Massenentlassungen bei der Lufthansa kommt – bessere Arbeitsbedingungen sind weiterhin nicht in greifbarer Nähe.

Moderner Menschenhandel

Bei der Rettung von Arbeitsplätzen gilt für Politik wie Unternehmen immer mehr das Leitmotiv „Der Zweck heiligt die Mittel“. Kollateralschäden in Form von einzelnen Entlassungen werden billigend in Kauf genommen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur von Lufthansa werden zu beliebigen Ziffern degradiert, deren Arbeitsplätze hin- und herverschoben werden – oder im schlimmsten Falle entsorgt. In vielen Branchen kommt die Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag immer häufiger dem Verkauf der eigenen Seele gleich. Die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt bleibt für viele Beschäftigte ein Ammenmärchen. Oder kann es den Mitarbeitern der Warenhauskette real wirklich so egal sein, dass sie in Zukunft Kittel von Edeka oder Kaufland tragen müssen?

Das monatelange Geschachere um die angeschlagene Warenhauskette war zuletzt weniger als ein schlechter Treppenwitz. Letztendlich riss sich ein russischer Finanzinvestor die Filialen unter den Nagel. Weil der aber kein Interesse am Einzelhandel hat, verpachtet er viele der Filialen an die Konkurrenz von real. Viele der Mitarbeiter werden froh sein, dass sie ihren Arbeitsplatz doch behalten dürfen, aber ein Pyrrhussieg ist es für sie allemal. Ihnen wurde ultimativ vor Augen geführt, dass ihre Arbeitskraft austauschbar ist, ein echtes Mitspracherecht bei solch weitreichenden Entscheidungen hatten viele kaum.

Immer wieder müssen Mitarbeiter die falschen Entscheidungen aus Politik und Unternehmensführung ausbaden. Gestern haben Galeria Kaufhof und Karstadt fusioniert, heute arbeiten die Mitarbeiter dort unter äußerst prekären Bedingungen und morgen sitzen sie im schlimmsten Fall auf der Straße. Man rühmt sich damit, dass nun doch nicht so viele Arbeitsplätze wie befürchtet abgebaut werden müssen. Dieses mikroskopische Trostpflaster wird jene, die von den Kündigungen betroffen sind, kaum beschwichtigen. Einige werden in Grundsicherung und Hartz IV abrutschen, werden sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob hangeln müssen. Am allerschlimmsten ist allerdings, dass sie dafür auch noch dankbar sein sollen. Denn immerhin wurden diese Arbeitsplätze speziell für sie geschaffen. Und was Arbeit schafft, muss auch sozial sein.


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