Sommer, Sonne, Sonnenschein

Lesedauer: 10 Minuten

Wochenlang hatten wir unsere Ruhe vor ihr, jetzt feiert sie ihr düsteres Comeback: die Reproduktionszahl. Beachtlich lange schienen wir das Virus gut im Griff zu haben. Die Fallzahlen waren rückläufig, die Maßnahmen schienen zu fruchten. Seit wenigen Wochen allerdings wendet sich das Blatt. Die Infektionszahlen schießen erneut in die Höhe, ganze Betriebe machen zu, Gemeinden werden abgeriegelt. Wir haben es einer gefährlichen Minderheit in der Bevölkerung zu verdanken, dass uns mitten im Hochsommer eine zweite Welle der Pandemie droht.

Blick in die Zukunft oder Hokus Pokus?

In ihrem Buch End of Days schrieb die Autorin Sylvia Browne bereits vor zwölf Jahren von einer Seuche, die Lunge und Atemwege angreifen und die Welt im Jahr 2020 in einem bisher unbekannten Ausmaß heimsuchen würde. Die Symptome und Krankheitsverläufe, welche die amerikanische Schriftstellerin in ihrem Roman beschreibt, haben eine erschreckende Ähnlichkeit mit dem Coronavirus von heute. War Browne also eine Hellseherin? Oder hat sie einfach nur ins Blaue geraten und zufällig einen Volltreffer gelandet? Immerhin lagen zwischen der Veröffentlichung ihres Buches und dem Auftreten erster Coronafälle rund elf Jahre. Ihre Geschichte nimmt übrigens eine unvorhergesehene Wendung: Das Virus verschwindet so abrupt wie es aufgetaucht ist. Spätestens jetzt werden die meisten die Hoffnung aufgegeben haben, dass die Dame über hellseherische Fähigkeiten verfügte.

Denn ein Ende der Pandemie ist in der Realität weiter nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Infektionszahlen schießen auch in Deutschland seit Wochen wieder in die Höhe. Die Lockerungen des Lockdowns haben einige wohl zu dankbar angenommen. Unvorsichtige Auslandsreisende und leidenschaftliche Falschträger der Maske tun ihr übriges. Dabei glaubten viele, gerade der Sommer würde das Ende der Pandemie einläuten. Doch Pustekuchen: Neuere Untersuchungen ergaben, dass weder höhere noch niedrigere Temperaturen dem Virus wirklich beikommen. Kein Wunder also, dass das Virus in so manchem Fleischereibetrieb bei dichtem Gedränge und kühlen Temperaturen so wüten konnte. Leider auch kein Wunder, dass es außerhalb von Tönnies & Co. bei Außentemperaturen von über 30 Grad weiter so gut gedeihen kann.

Mit Hein Blöd am Tisch

Spätestens die Demonstranten von Berlin haben vielen die Hoffnung auf einen Schönwetter-Sieg zunichtegemacht. Das Virus kann nicht einfach so ad acta gelegt werden, wenn es Menschen gibt, die durch ihr unverantwortliches Handeln die große Mehrheit in Gefahr bringen. Virologen empfehlen zwar, die Maske regelmäßig bei mindestens 60 Grad gründlich auszuwaschen, aber 30 Grad im Schatten sind eben lange keine 60 Grad. Auch wenn selbst hohe Außentemperaturen alles andere als ideal für die Ausbreitung des Virus sind, bedarf es weiter einer strikten Einhaltung der Hygienemaßnahmen. Andernfalls verbreitet sich das Virus auch bei sommerlichen Temperaturen viel zu gut.

Es ist aber auch überhaupt nicht verwunderlich, dass sich das Virus beinahe unbehelligt trotz hoher Temperaturen so ungeniert weiter ausbreitet. Klar kann man sagen, die Lockerungen im gastronomischen Bereich kamen zu früh. Doch gerade im Sommer sollten diese Angebote bei Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln kein zu großes Problem sein. Wenn doch einmal eine Infektion auftritt, können Ketten dank modernster Datenerfassung auf Kritzelblöcken umfassend und vollständig ermittelt und zeitnah abgeschnitten werden. Soweit die Theorie.

In der Praxis kann man durchaus von einem neuen Datenskandal reden. Teilweise liegen die Zettel mit Name, Anschrift und Telefonnummer minutenlang unbeaufsichtigt auf den Plätzen, nachdem die ahnungslosen Datenspender ihren Platz verlassen haben und laden zu allerlei Schabernack damit ein. Wie die Gastronomen dann die gesammelten Zettel aufbewahren, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Und dann gibt es noch solche Spezialisten, die es ganz besonders lustig finden, sich auf den einseitigen Gästebüchern als Hein Blöd oder Donald Duck zu verewigen. Das meinen sie natürlich bitterernst, schließlich muss man der grenzenlosen Ergaunerung der Daten konsequent entgegentreten. Sehen deren Follower auf Instagram, Tinder und WhatsApp übrigens genau so.

Für die Grundrechte, gegen die Verantwortung

Und währenddessen werden vor allem die Abstandsregeln munter gebrochen. Die Schlangen an Supermarktkassen schrumpfen spürbar immer weiter in ihre einstige Länge vor Corona. Abertausende von Schuhsohlen haben die Abstandsstriche auf den Fußböden der Einzelhändler in den letzten Monaten bis zur Unkenntlichkeit weggewetzt. Dem gemeinen Deutschen ist es in aller Regel nicht zuzutrauen, 1,50 Meter per Augenmaß zu bestimmen.

Natürlich hat all das nichts mit den steigenden Infektionszahlen zu tun. Schuld daran sind einzig und allein die Bekloppten vom Ballermann. Es ist auch so einfach, mit falschsitzender Maske vor dem Fernseher zu sitzen und ungläubig den Kopf zu schütteln, während das Partyvolk auf den Balearen in der Tagesschau munter über die Mattscheibe tänzelt. Aber ich muss diese Empörten leider enttäuschen: Auch wenn die Ballermänner und -frauen in erheblichem Maße zu höheren Krankheitsfällen beitragen, laden solche Exzesstäter immer dazu ein, die eigene Verantwortung auszublenden. Diese Urlauber mögen das Virus nämlich wieder ins Land einschleppen – verbreiten tun es aber die, die bei aller Empörung über die wildgewordenen Corona-Touris die eigene Verantwortung am Gemeinwohl ebenfalls mit Füßen treten.

Viele steigen mit falschsitzender oder sogar ganz ohne Maske in den Bus. Andere bemerken unterwegs, dass sie daheim kein Brot mehr haben. Der Supermarkt liegt auf dem Weg, also schnell noch reingehuscht. Dass man dieses eine Mal ausnahmsweise keine Maske trägt, wird schon nicht so schlimm sein, man ist immerhin gleich wieder raus. Zum Glück sind solche Leute weiterhin in der Minderheit. Aber Minderheit bedeutet nicht immer ungefährlich. Und auch die Masken der Vorbildlichen sind kein Universalschutz. Wie wildgewordene Spermien in einem Raum voll löchriger Kondome steuern diese Virenschleudern vom Eingang zum Feinkostregal, in Richtung Kasse und dann zum Ausgang. Zahl geglückter Befruchtungen: 4.

Vor dem heimischen Fernseher sitzen sie dann wieder ganz ungläubig, wenn Susanne Daubner um 20 Uhr von steigenden Infektionszahlen und strengeren Schutzmaßnahmen redet. Eine bodenlose Unverschämtheit. Schnell auf die Straße, um lauthals für die Grundrechte einzustehen. In Berlin ist eine großangelegte Demo? Nix wie hin! Und so tummeln sich zigtausende Hygienedemonstranten dicht an dicht und im Regelfall ohne Maske, um den Angriff auf ihre Bürgerrechte abzuwehren. Verbissen wollen sie eines unbedingt verhindern: einen zweiten Lockdown. Sie sehen nicht, dass es gerade ihr absurd unvorsichtiges Verhalten ist, das ebendiesen immer wahrscheinlicher macht.

Ein Teufelskreis

Die Angst vor einem neuen Lockdown ist übrigens berechtigt. Der alte hat schließlich viele Arbeitsplätze gekostet, tausende Menschen stecken weiterhin in Kurzarbeit. Kleinere Unternehmen kämpfen ums Überleben, von Solo-Selbstständigen will ich gar nicht anfangen. Man muss weder Hellseher noch Star-Ökonom sein, um zu sehen, dass unsere Wirtschaft einen zweiten Lockdown nicht überstehen würde.

Trotz allem war der Lockdown im Frühjahr eine Maßnahme, um die Bevölkerung vor dem verheerenden Virus zu schützen. Die Demonstranten von Berlin und anderswo sehen das nicht so. Einige von ihnen halten das Virus für eine reine Erfindung, die meisten die getroffenen Maßnahmen zumindest für maßlos übertrieben. Dieses Konglomerat aus Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen, Impfgegnern und wer weiß was sonst noch ist viel zu wenig an der Wahrheit interessiert. Tatsächlich weist diese ungesunde Mischung eine noch höhere Resistenz gegenüber der Wahrheit auf als es das Virus gegen die getroffenen Maßnahmen tut. Sie sehen einen weiteren Lockdown als willkürliche staatliche Schikane, die das pöbelnde Volk mundtot machen soll. Aber wie soll man von solchen Menschen erwarten können, dass sie zeitweise auf Cafés, Bars und Restaurants verzichten, wenn sie es noch nicht einmal schaffen, den gebotenen Mindestabstand zu halten?

Stattdessen ziehen diese verantwortungslosen Bürger laut, aber offensichtlich taub weiter und merken nicht einmal, welchen Teufelskreis sie anstoßen. Jedes Mal, wenn sich ein solcher Pulk zusammenfindet, um Freiheit, Gerechtigkeit und Grundrechte zu verteidigen, rücken ihnen die strengeren Schutzmaßnahmen ein wenig näher auf die Pelle. Dann empfinden sie die Maßnahmen noch eher als Repression und wehren sich noch vehementer dagegen. Die Infektionszahlen steigen währenddessen ungebremst.

Es tobt der Hamster…

Je heftiger die Hygienedemos durch unser Land wüten desto wahrscheinlicher wird ein zweiter Lockdown. Das hätte Folgen. Denn bereits bei der ersten Welle der Pandemie herrschte in vielen Supermärkten der Ausnahmezustand. Wochenlang herrschte gähnende Leere bei Nudeln, Suppenkonserven und Toilettenpapier. Diese Hamsterkäufe waren keine Begleiterscheinung des ersten Lockdowns. Sie waren der Vorbote. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was im deutschen Einzelhandel los wäre, wenn ein zweiter Lockdown tatsächlich unmittelbar bevorstünde. Dieses Mal wissen die Leute, was sie erwartet. Das kann durchaus zusätzlicher Ansporn sein, dieses Mal noch hemmungsloser shoppen zu gehen.

Dazu kommt, dass die Menschen wissen, welch verheerende Konsequenzen ein zweiter Lockdown für Wirtschaft und Arbeitsmarkt hätte. Die Folgen des ersten Lockdowns sind schließlich noch nicht einmal im Ansatz verdaut. Die Angst vor dem Totalkollaps der Wirtschaft kann eine wichtige Rolle spielen, wenn es zu einer weiteren Welle an Hamsterkäufen kommt. Dann werden sich aber auch Einkaufsmöglichkeiten zu Hotspots bei der Virenverbreitung entwickeln.

Umso wichtiger ist es, so frühzeitig wie möglich, Maßnahmen zu ergreifen, um Zustände wie im Frühjahr zu verhindern. Noch bevor der erste Hamster aus seinem Schlummer erwacht, müssen Einlass- und Ausgabebeschränkungen her. Diese suggerieren zwar einen Notstand und könnten Einkäufe herausprovozieren, verhindern aber im gleichen Moment anarchische Zustände in den Läden. Anfang des Jahres kauften die Menschen tagelang ungebremst die Regale leer. Mit rechtzeitigen Beschränkungen kann man den Zeitpunkt leerer Regale zumindest hinauszögern. Anders ist der Minderheit der Rücksichtslosen und Bequemen leider nicht beizukommen. Denn immerhin haben es gerade solche Leute geschafft, mitten im Hochsommer eine zweite Welle der Pandemie loszutreten.


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Das Heer der Unaufgeklärten

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Regelmäßig protestieren in mehreren Städten Menschen auf sogenannten Hygienedemos gegen die aktuellen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Sie wenden sich vor allem gegen die Beschneidung ihrer Grundrechte, die viele von ihnen mittlerweile als überzogen und unverhältnismäßig empfinden. Doch gerade solche Zusammenkünfte sind ein Hotspot für Menschen, deren Verhalten eine Aufrechterhaltung von strengen Maßnahmen erforderlich machen.

Maskenpflicht ohne Bewährung

Die Reproduktionszahl des Virus stieg jüngst wieder auf über 1. Das ist leider überhaupt kein Wunder, bedenkt man, dass eine Woche lang Läden und Geschäfte ohne Maskenpflicht geöffnet hatten. Doch was hilft es, die Versäumnisse der Vergangenheit immer wieder weinerlich ins Feld zu führen. Viel wichtiger ist es, aktuelle Missstände und Fehlentwicklungen anzugehen und zu beheben. Die Menschen sehen sich nach Freiheit und zu einer Rückkehr zur Normalität. Das ist nur allzu verständlich. Doch leider liegt eine solche Normalität noch in weiter Ferne. Selbst wenn viele Geschäfte wieder geöffnet haben – die Masken werden noch lange die Gesichter schmücken.

Doch bereits jetzt, nach zwei Wochen Maskenpflicht, beschweren sich viele über den fehlenden Tragekomfort der Mund-und-Nase – Bedeckung. Ein Hochgefühl ist das Teil wirklich nicht. Man sollte sich aber auch mal vor Augen führen, wann der hippe Stofffetzen überhaupt zu tragen ist: im öffentlichen Personennahverkehr und in Geschäften. Viel öfter müssen viele die Maske gar nicht aufsetzen. Wenn man nun noch bedenkt, dass viele die Maske gar nicht richtig verwenden, wirken die Wehklagen beinahe lächerlich.

Falschtragen mit Methode

In diesen Tagen will man wahrlich kein Türsteher vor deutschen Supermärkten sein. Unangenehme Diskussionen sind vorprogrammiert. Nicht nur die Einhaltung der zulässigen Kundenzahl müssen die Sicherheitskräfte im Blick behalten, ihren geschulten Augen darf auch kein Verstoß gegen die Maskenpflicht entgehen. Und hier reden wir nicht von den Idioten, die aus Protest keine Maske aufsetzen. Diese Minderheit ist zum Glück so verschwindend gering, dass sich nicht einmal ein Kurzbeitrag zu ihnen lohnt.

Viel problematischer sind solche Menschen, die ihre Masken entweder komplett falsch aufsetzen oder sie zu spät aufsetzen und zu früh wieder abziehen. Jeder, der im Einzelhandel arbeitet, kann ein Lied davon singen: viel zu viele Kunden ziehen ihre Masken erst dann auf, wenn sie den Eingang bereits ein Dutzend Schritte hinter sich gelassen haben. Sie reißen die Bedeckung japsend und lechzend von ihren Gesichtern, kaum klappt der Kassierer die Kasse wieder zu.

Dieses konsequente Falschtragen macht jedoch das Gesamtergebnis der Maßnahme zunichte. Das Virus lauert nicht tief versteckt im Laden hinter den Pfandautomaten. Der Kampf gegen das Virus ist kein Boxkampf, wo der Gegner klar sichtbar in der anderen Ecke steht. Das Virus breitet sich im geschlossenen Raum rasend schnell aus. Wer sich im Kassenbereich nicht an die Maskenpflicht hält, der gefährdet auch die Goldgräber des Pfandguts am anderen Ende des Ladens.

Eine lästige Pflicht

Spricht man solche Menschen auf ihr Fehlverhalten an, so reagieren die meisten von ihnen mit Verharmlosungen oder spielen sich als gut getarnte Experten auf. Sie nehmen die Masken ja nur ganz kurz ab, um wieder richtig Luft zu bekommen. Die Schutzmasken brächten ja rein gar nicht, alles nur Panikmache. Vielleicht makaber, aber: Wenn das Virus dich erwischt, könnten die Atemprobleme bald von Dauer sein.

Ich bin davon überzeugt: Wer seine Maske falsch trägt oder sie zu früh abnimmt, der hat die Tragweite seines Handelns nicht verstanden. Diese Menschen begreifen die sinnvollen Schutzmaßnahmen als eine lästige Pflicht. Sie empfinden sie als eine Repression von Seiten des Staats, welche ihnen das Einkaufserlebnis vermiesen soll. Widerwillig fügen sich die meisten von ihnen den Maßnahmen – aber nur solange man auch wirklich am Einkaufen ist! Sobald der Geldbeutel wieder in der Tasche verstaut ist oder bevor man die erste Avocado bei der Qualitätsprüfung beinahe zerquetscht, ist man nicht einkaufen und muss auch keine Maske tragen. Blind befolgen sie die ungeliebten Regeln, ohne sie jemals hinterfragt zu haben.

Zwischen Empörung und Anpassung

Viele dieser Falschträger nehmen für sich in Anspruch, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Sie zeigen sich einerseits empört über die tiefgreifenden Einschnitte des Staats in ihr alltägliches Leben, andererseits versuchen sie, sich an die Maßnahmen zu halten – soweit ihr viel zu enger Horizont das überhaupt zulässt. Wer nämlich die Schutzmaske abnimmt, bevor die Zugtüren sich öffnen oder bevor der Ausgang des Supermarkts hinter dem Rücken ist, der hat den Sinn der Maßnahme überhaupt nicht verstanden.

Diese Menschen sind jenseits derer, die die Maßnahmen für vollkommenen Quatsch halten und deswegen demonstrativ darauf verzichten. Wer die Maske nämlich hinterfragt und zu dem Schluss kommt, dass sie überhaupt nichts bringt, eventuell sogar kontraproduktiv ist, der zieht sie einfach nicht auf. Wer die Maske hinterfragt, sich mit der Maßnahme auseinandersetzt und zu der Schlussfolgerung kommt, dass sie eine von vielen sinnvollen Maßnahmen ist, der zieht sie korrekt auf. Und zwar immer dann, wenn er oder sie einen nicht-privaten geschlossenen Raum betritt.

Hinterfragen muss kein Kraftakt sein

Die weitreichenden Maßnahmen einfach hinzunehmen, obwohl man der Meinung ist, der Staat diktiert das Tragen der Maske aus reiner Willkür, ist eine zutiefst unaufgeklärte und dumme Haltung. Alle diese Menschen – und sie sind zum Glück noch in der deutlichen Minderheit – glauben, den absoluten Durchblick zu haben. In Wirklichkeit aber raffen sie: nichts.

Sie glauben, dass sie sich unbedingt gegen die Mehrheit stellen müssten, würden sie es wagen, die Schutzmaßnahmen zu hinterfragen. Sie glauben, dass Hinterfragen immer mit einem Auflehnen gegen die Herrschenden verbunden ist. Dass ein kritischer Geist immer zu einer Anti-Haltung führen muss und gleichbedeutend mit einem Verlassen der bequemen Position ist. Doch das ist nicht so.

Überzeugungstäter

Wer für sich in Anspruch nimmt, aufgeklärt zu sein, der muss die Dinge laufend hinterfragen. Und das bedeutet nicht einen notorischen Zwang zur Ablehnung. Ein kritisches Hinterfragen kann auch immer dazu führen, dass man bestimmte Dinge ablehnt, keine Frage. Aber es kann auch dazu führen, dass man Maßnahmen als zielführend anerkennt und sie versteht. Denn Dinge zu hinterfragen ist immer die Vorstufe dazu, von etwas überzeugt zu sein.

Doch solche, die nicht hinterfragen, die sind nicht überzeugt. Und das macht die Sache so gefährlich. Weil sie von den Maßnahmen anscheinend nicht überzeugt sind, sind sie leichte Beute für jene, die mit kruden Verschwörungstheorien Stunk machen. Die ganz wenigen, die schon jetzt mit voller Absicht querschießen können viele von denen, die sich um der Regel willen an die Regeln halten leicht auf ihre Seite ziehen, wenn die Stimmung erst einmal kippt. Und die Stimmung hat sich bereits verändert. Die Bundeskanzlerin bezeichnet die Debatten über Lockerungen genervt als „Orgien“. Vielleicht hat sie mit diesem Begriff doch nicht ganz so unrecht. Denn schaut man inzwischen zu Stoßzeiten wieder in die Geschäfte, so erscheint das Wort Orgie fast angebracht.

In der jetzigen Krise wird einmal mehr deutlich: Gefährliche Dynamiken beginnen im kleinen. Die zum Glück wenigen Negativbeispiele jetzt sind nur die Vorhut. Die Nachhut sind die vielen, die ihre Ignoranz derzeit noch gut verstecken können. Solche, die die Regeln halbherzig befolgen, nur um nicht als Gefährder in der Pandemie verfemt zu sein. Auch sie sind in der deutlichen Minderheit. Doch es sind diese Menschen, die dafür sorgen, dass die Schutzmaßnahmen erhalten bleiben und sich dann wundern, warum es keine Lockerungen gibt. Denn selbst ein einziger Regelbrecher im Supermarkt oder im Zug reicht aus, um hunderte in Gefahr zu bringen.


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