Munteres Farbenspiel

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Die Causa Hessen könnte Schule machen: Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) will mit der SPD koalieren. Diese ist nach zig GroKos auf Bundesebene und einer Endlosschleife an Wahlniederlagen auf Landesebene so beliebig und profillos geworden, dass niemand aus der Partei ernsthaft Bedenken gegen diese absurde Zusammenarbeit anmeldet. In den letzten Jahren ist eine regelrechte Experimentierfreude an Koalitionsmöglichkeiten entstanden. Es mangelt an aufrechten Politikern, denen Rückgrat und Anstand nicht fremd sind. Stattdessen setzt sich der Typus Berufspolitiker immer weiter durch. Genutzt hat das fast ausschließlich der extremen Rechten.

Ein flaues Gefühl

Die Ergebnisse der beiden Landtagswahlen in Bayern und Hessen vom Oktober haben niemanden wirklich überrascht: Die CSU verharrt in ihrem Allzeittief, die AfD ist im Höhenflug und die SPD liegt in beiden Flächenländern am Boden. Umso erstaunter waren Berichterstatter, Medien und Öffentlichkeit, dass sich Boris Rhein (CDU) ausgerechnet für eine Koalition mit den Sozialdemokraten entschieden hat. Der bisherige Koalitionspartner war sowieso nie der Wunschkandidat gewesen und außerdem haben die Grünen in Hessen deutlich an Rückhalt verloren. Dass das auch bei der SPD der Fall ist, hindert den Ministerpräsidenten nicht daran, dieses politische Wagnis einzugehen.

Auch wenn die Grünen einst als Gegenpol zu konservativer und wirtschaftsliberaler Politik gegründet wurden: In den letzten Jahren hat man sich an das Zusammenspiel aus Christdemokraten einerseits und den Bündnisgrünen andererseits gewöhnt. Eine solche Konstellation stand nach der Bundestagswahl 2013 zumindest zur Debatte, in Baden-Württemberg regiert Grün-Schwarz seit mehreren Jahren. Eine Koalition aus CDU und SPD hingegen bereitet vielen weiterhin ein flaues Gefühl.

Selbst als die beiden Parteien noch in der Liga der Volksparteien spielten und sich unter Kanzlerin Merkel mehrfach in Großen Koalitionen zusammenfanden, war das Regierungsbündnis vielen ein Dorn im Auge. Und tatsächlich warnen nicht wenige Politikwissenschaftler vor den Risiken einer Regierungszusammenarbeit der beiden mandatsstärksten Fraktionen. Wichtige Wählerinteressen könnten hinten runterfallen und letzten Endes die politischen Ränder stärken.

Dafür oder dagegen

Nun handelt es sich bei einer Koalition von CDU und SPD auf Landesebene in vielen Fällen nicht mehr um eine Große Koalition. Gerade deshalb macht es überhaupt keinen Sinn, dass die beiden Parteien eine Regierung bilden. Eigentlich sollten sie gegensätzliche politische Strömungen repräsentieren. Doch zur Wahrheit gehört: Sie tun es schon lange nicht mehr.

Die beiden ehemaligen Volksparteien haben sich gegenseitig kaputtkoaliert. Keiner kann mehr sagen, für was die beiden Parteien eigentlich stehen. Die ständigen GroKos unter Angela Merkel haben ein politisches Vakuum hinterlassen, dass andere Parteien vzu füllen versuchen. Besonders profitiert hat davon bisher die AfD.

Gerade weil es sich bei einer Großen Koalition um ein Regierungsbündnis der beiden Parteien mit der größten Wählerzustimmung handelt, ist es enorm schwierig, zu einem Kompromiss zu finden. Denn eigentlich ist eine Stimme für die stärkste Partei immer auch eine Stimme gegen die zweitstärkste und andersrum. Und tatsächlich hat die dauerhafte Suche nach Kompromissen bei beiden Parteien Spuren hinterlassen: Ihre Profile sind heute dermaßen ausgeleiert, dass sie grundsätzlich mit fast jeder anderen Partei koalieren könnten.

Opposition unerwünscht

Offensichtlich hat die Freude an der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner auf die anderen Parteien abgefärbt. Immer abenteuerlicher werden die Regierungsbündnisse, immer weniger unterscheidbar die Parteien. In Sachsen-Anhalt regiert seit über zwei Jahren eine Deutschlandkoalition, obwohl die FDP rein rechnerisch für eine Mehrheit gar nicht nötig wäre. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schwafelt von einem Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik und möchte am liebsten auch den Oppositionsführer in die Regierungsarbeit einbinden. Wie wenig selbstbewusst und wie sehr zerstritten kann eine Koalition denn sein?

Harte und konstruktive Oppositionsarbeit scheint aber sowieso nicht mehr im Trend zu liegen. Nach der Kommunalwahl in Sonneberg im Juni riet FDP-Chef Lindner sogar dazu auf, aus Protest lieber Die Linke statt der AfD zu wählen. Opposition ja, aber nur, wenn sie schön handzahm ist. Ein Armutszeugnis für die sterbende Fraktion.

Nebenschauplätze

Widerspruch ist inzwischen bei vielen bedeutenden Themen nicht mehr angesagt. Wird über den Sonderhaushalt für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro diskutiert, müssen die wenigen wahrnehmbaren Gegenstimmen übelste Diffamierungen über sich ergehen lassen. Wer heute nicht mehr Geld für Aufrüstung ausgeben will, ist fast automatisch ein Putin-Freund. Harte Kontroversen gibt es stattdessen fast ausschließlich bei softeren Themen wie dem Selbstbestimmungsgesetz und der Legalisierung des Containerns.

Dieser latente Kuschelkurs hat den etablierten Parteien viel an Glaubwürdigkeit und Zustimmung gekostet. Doch reicht ein Programm allein nicht aus, eine Partei zu prägen. Letztendlich sind es die Personen, welche das Programm umsetzen – oder vorgeben es zu tun. In dieser Hinsicht taumelt insbesondere die SPD an der Schwelle zur Lächerlichkeit. Die künftige Koalition mit der CDU in Hessen ist nur eines von vielen Beispielen. Während Altkanzler Schröder nach seiner Wahlniederlage 2005 niemals in ein Kabinett Merkel eingetreten wäre, konnte sein Nachnachnachfolger Schulz mit Müh‘ und Not davon abgehalten werden, nicht doch noch Minister unter Mutti zu werden.

Verrat an der Demokratie

Ein ähnlich schamloses Verhalten legte jüngst Bundesinnenministerin Nancy Faeser an den Tag. Als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Hessen bescherte sie ihrer Partei eine krachende Niederlage und verspielte damit ihre komplette Glaubwürdigkeit als führende Politikerin. Doch von persönlichen Konsequenzen keine Spur. Stattdessen bleibt sie auf ihrem Posten im Bundeskabinett als wäre nichts gewesen. Man stelle sich vor, ein arbeitender Bürger hätte sich ein so unverschämtes doppeltes Spiel erlaubt.

Der erste Platz im Wettbewerb um den dreistesten weil folgenlosen Gesichtsverlust geht aber eindeutig an Franziska Giffey. Die ehemalige Erste Bürgermeisterin Berlins macht zuerst Wahlkampf gegen die CDU, um nach absehbarer Niederlage auf den Rang einer Senatorin degradiert zu werden. Scheinbar hat die Frau ein Faible für ehrloses Verhalten.

All diese Personen haben eines gemeinsam: Sie kleben an der Macht und an ihren Posten. Das Streben nach Einfluss und Ministersesseln hat sie blind gemacht für Anstand und Moral. Vielleicht ist der Ausgang der Sondierungen in Hessen daher doch keine so große Überraschung.

Es wird nicht lange dauern, bis die extreme Rechte daraus macht: Der Ausgang der Wahl stand schon vorher fest. Die haben sich alle abgesprochen. Und leider muss man sagen: Sie haben das Publikum dafür. Der Vertrauensverlust in die Politik und die Demokratie ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass dieses verschwörerische Geraune die Stimme der Vernunft immer häufiger übertönt. Immer mehr Menschen treten beiseite, weil sie der rechten Hetze nichts entgegenzusetzen haben. Politiker wie Faeser, Giffey und Co. ziehen den aufrechten Demokraten den Boden unter den Füßen weg. Der Fall wird lang und schmerzhaft.

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