Überforderung mit Ansage

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Bitte aussteigen – der Zug möchte abfahren: Seit Einführung des 9-Euro – Tickets treten die Missstände bei der Deutschen Bahn immer offener zutage. Noch häufiger als in den Jahren zuvor kommt es zu Verspätungen, Zugausfällen und hoffnungslos überfüllten Zügen. Das 9-Euro – Ticket ist nicht Grund für die Probleme, sondern lediglich ihr Katalysator. Es ist deutlich zu sehen, dass die Deutsche Bahn ihrer Verantwortung als nachhaltig orientiertes Unternehmen weiterhin nur sehr unzureichend nachkommt.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Mit dem 9-Euro – Ticket wollte die Bundesregierung ein Prestigeprojekt vorweisen, mit dem sie einerseits Handlungsfähigkeit in der Krise bewies als auch eine nachhaltige Verkehrspolitik einläutete. Im Gegensatz zu vielen Vorhaben der Vorgängerregierungen war die Einführung des Beinahe-Umsonst – Tickets eine nahezu revolutionäre Idee. Für viele war sie wohl zu revolutionär, denn schon Wochen, bevor man mit dem Ticket in den Nahverkehr steigen konnte, wetterten viele Medien einhellig gegen die Pläne der Regierung. Sie befürchteten eine totale Überlastung des öffentlichen Nahverkehrs, sie warnten vor chaotischen Zuständen an den Bahnhöfen und sie prophezeiten massenweise Zugausfälle.

Das traurige an der Geschichte: Sie hatten recht. Viele Fahrgäste berichten von hoffnungslos überfüllten Zügen, besonders an Wochenenden und Feiertagen. Es mehren sich außerdem die Meldungen, dass einzelne Fahrgäste auf den nächsten Zug warten mussten, weil ihr ursprünglicher Zug keine weiteren Passagiere mehr aufnehmen konnte.

Alles beim Alten

Die Flut an Fahrgästen kam nicht überraschend. Sie trifft aber auf ein System, das in keinster Weise auf die höhere Auslastung vorbereitet wurde. Das 9-Euro – Ticket wurde einem Unternehmen übergestülpt, das seit Jahren kaputtgespart wird und seiner Aufgabe, Personen zuverlässig von A nach B zu transportieren, nicht mehr gerecht wird.

Auch die Verspätungen und Zugausfälle, die von den Medien beschworen wurden, sind so eingetreten. Mit ihrer Vorhersage landeten die Zeitschriften aber keinen Sechser im Lotto. Schon lange vor Einführung des 9-Euro – Tickets standen solche Zustände an der Tagesordnung. Wie beim Roulette mussten die Fahrgäste darum bangen, dass ihre gebuchte Verbindung so zustandekam. Lange Schlangen vor den Schaltern und rauchende Köpfe wegen unverschämt hoher Verspätungen prägten das Bild deutscher Bahnhöfe vor und während des 9-Euro – Tickets. Sehr wahrscheinlich werden sie es auch danach noch tun.

Wie ein Brennglas

Spontane Gleiswechsel, Personalnot, Verspätungen und Zugausfälle gehören seit vielen Jahren zu einer zünftigen Zugfahrt dazu. Das 9-Euro – Ticket hat diese Probleme nur auf ein neues Level gehoben. Schonungslos legt es die bereits vorhandenen Probleme offen. Es drängen sich geradezu Parallelen zur Belastung des Gesundheitssystems auf. Auch deutsche Krankenhäuser waren mit dem großen Patientenaufkommen infolge der Coronapandemie heillos überfordert. Die Ursache war die gleiche: Falsche Finanzentscheidungen, routinierter Personalabbau und eine Profitlogik lassen die Infrastruktur auf der Schiene und in den Krankenhäusern zusehends verrotten.

Schon vor dem 9-Euro – Ticket musste man gar nicht so genau hinsehen, um die Schwachstellen im Nah- und Fernverkehr zu bemerken. Verzögerungen aufgrund von Fahrzeugschäden und -ausfällen standen an der Tagesordnung, auf manchen Streckenabschnitten mussten die Lokführer die Geschwindigkeit drosseln – die schlecht gewarteten Gleise hätten einer höheren Geschwindigkeit kaum standgehalten.

Keine Zeit für Selbstkritik

Trotzdem wurde es für manche Menschen zum Luxus, einen betriebenen Bahnhof in der Nähe zu haben. Seit den 1950er Jahren wurden immerhin rund 15.000 Kilometer Schiene stillgelegt, inklusive aller dazwischenliegenden Haltepunkte. Seit den 00er-Jahren stagnieren die Zahlen zwar, einen nachhaltigen Ausbau des Schienennetzes hat es trotzdem nicht gegeben. Das 9-Euro – Ticket hat daran nichts geändert und die Bewohnerinnen und Bewohner vieler Orte sind auch weiterhin auf das Auto angewiesen.

Genau so wie die Ungeimpften im Herbst 2021 nicht für die katastrophalen Zustände in deutschen Krankenhäusern verantwortlich waren, ist das 9-Euro – Ticket nicht schuld an den überfüllten Zügen und ausfallenden Anschlüssen. Die Deutsche Bahn springt aber bereitwillig auf den medialen Zug auf und versucht sich aus ihrer Verantwortung zu winden. Schuld sind plötzlich die Fahrgäste, die aufgrund der günstigen Konditionen mit der Bahn fahren wollen. Zeit für Selbstkritik hat das Unternehmen offenbar nicht.

Ein nachhaltiges Unternehmen?

Ihrer Aufgabe ist sich die Deutsche Bahn AG ganz und gar nicht bewusst. Im Schienenverkehr geht es nicht nur darum, die Passagiere zügig von einem Ort zum anderen zu bringen – selbst daran scheitert der Konzern immer wieder. In der heutigen Zeit sind Anbieter wie die DB doch auch Verantwortungsträger für eine nachhaltige Gesellschaft. Wie soll die Trendwende in der Klimakrise gelingen, wenn nicht endlich viel mehr Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen?

Die Deutsche Bahn macht jedenfalls keinerlei Anstalten, den Bürgerinnen und Bürgern den Umstieg besonders leichtzumachen. Das 9-Euro – Ticket kam zugegeben zügig, aber es kam nicht über Nacht. Man hätte die Zeit nutzen können, um die offensichtlichen zu erwartenden Probleme zumindest abzufedern. Nicht ist geschehen. Der Morgen des 1. Juni war plötzlich da.

Auch die DB-App ist an vielen Stellen eine Enttäuschung. Die Angaben zu Zugverbindungen sind teilweise irreführend, weil erst auf den zweiten Blick klar wird, dass Züge ausfallen, Alternativen werden zwar als solche gekennzeichnet, gehen aber unter, wenn sie erst später in der Liste der Verbindungen auftauchen. Auch die Preisangaben für Tickets sind ein Fall für die Verbraucherzentrale. Die günstigen Konditionen gelten nur, wenn man Mitglied im Club ist und sich mindestens eine BahnCard zulegt. Kundenfreundliche Information sieht wahrlich anders aus.


Die deutsche Schiene braucht einen Reboot. Das gilt nicht nur für die Pünktlichkeit der Züge, sondern auch für das Angebot an Verbindungen und die Unternehmensphilosophie. Die Deutsche Bahn kann sich ihrer Verantwortung in der aktuellen Lage nicht länger entziehen und Krokodilstränen wegen des 9-Euro – Tickets vergießen. Die Mentalität der Weinerlichkeit muss endlich Platz machen für eine neue Ära der Entschlossenheit und nachhaltigen Mobilität.


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Ein vielversprechendes Projekt

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Das miese Geschäft mit dem Virus

Beitragsbild: Vektor Kunst, pixabay.

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Seit Tagen befindet sich Deutschland im Ausnahmezustand: Hamsterkäufe, geschlossene Schulen und Kitas, Einschränkung des öffentlichen Lebens. Alles, um das Corona-Virus einzudämmen und unter Kontrolle zu halten. Der Erfolg ist bisher nur mäßig. Die Lage droht derweil noch verzwickter zu werden. Krankenhäuser, die auch schon ohne Covidd-19 am Limit sind, geraten zunehmend in Bedrängnis. Zudem hat sich nun eine perfide Methode herausgebildet, mit der einige Geschäftsleute tatsächlich Kapital aus der Krise schlagen.

Keine Panik auf der Titanic

Die bestätigten Fälle des neuartigen Virus nehmen auch in Deutschland seit Tagen rasant zu. Wie bereits in anderen schwer gebeutelten Nationen zeichnet sich auch in unserem Land eine exponentielle Ausbreitung der gefährlichen Lungenkrankheit ab. All zu viel ist über die Krankheit noch nicht bekannt. Die Menschen sind verunsichert. Die Frage der Infektionswege ist noch nicht abschließend geklärt, ebenso wenig die Länge der Inkubationszeit. Während zu Beginn der Pandemie von zwei Wochen die Rede war, sind in der Zwischenzeit Fälle aufgetreten, bei denen die Inkubationszeit bei um die vier Wochen lag. Wenn die Erkrankung so lange unbemerkt bleibt, wird es extrem schwierig, die Infektionsketten nachzuvollziehen.

Währenddessen verharren führende Politiker auf der Linie der Beschwichtigung. Über Wochen redete Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Problem klein. Er bezweifelte, dass sich das Virus so dramatisch wie in der chinesischen Provinz Hubei ausbreiten könnte. Die Bundeskanzlerin steht ihrem Minister bei den Beschwichtigungsversuchen treu zur Seite. Sie ruft alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, soziale Kontakte auf ein Minimum herunterzufahren. Donnerwetter.

Wären die Regierungsvertreter ehrlich, müssten sie eingestehen, dass es in Deutschland durchaus Grund zur Sorge gibt. Mit zögerlichen Maßnahmen versucht sie, die Ausbreitung der Infektionskrankheit einzudämmen. Das ist gut und richtig so. Fraglich ist allerdings, ob die getroffenen Maßnahmen dazu ausreichen und ob sie überhaupt noch rechtzeitig in Kraft treten. Denn eines ist völlig unstrittig: So wie die Bundesregierung das Gesundheitswesen in den letzten Jahren gemanaged hat, wird es der Corona-Krise nicht standhalten.

Gesundheit und Ökonomie schließen sich aus

Schon während der Bundestagswahl 2017 gewann das Thema des Pflegekräftemangels an Bedeutung. Der Azubi Alexander Jorde konfrontierte die Kanzlerin damals im TV mit der desolaten Situation in deutschen Pflegeheimen. Doch auch Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen im Gesundheitswesen sind längst von den Fehlentwicklungen in diesem Bereich betroffen. Durch zunehmende Privatisierungen wurden gerade Krankenhäuser und Kliniken mehr und mehr auf Rendite und Profit getrimmt. Sie wurden zu marktwirtschaftlichen Unternehmen umstrukturiert, bei denen hohe Kosten unbedingt vermieden werden müssen.

Und Geld kosten vor allem Angestellte. Sie sind einer der größten Kostenfaktoren in jedem Unternehmen. Bei ihnen wird meist als erstes der Rotstift angesetzt. Und das hat Folgen: Durch den kontinuierlichen Stellenabbau im Gesundheitswesen ist das medizinische Personal bereits heute am Limit, teilweise auch schon jenseits davon. Nicht selten machen renditehungrige Krankenhausbetreiber ganze Stationen dicht, bei denen der Bedarf am niedrigsten ist. Denn mit dem Bedarf sinkt auch der Umsatz. Viele Krankenhäuser verfügen daher nicht mehr über Stationen, die sich speziell der Behandlung von Kindern widmen. Auch bei der Anzahl von Intensivbetten kam es zu einer regelrechten Rationierung.

Auf Leben und Tod

Viele beobachten die Szenen aus Italien mit blankem Entsetzen. Manche schütteln ungläubig den Kopf angesichts einer solchen Überforderung des medizinischen Fachpersonals. Und die Lage in Italien ist wirklich hochdramatisch: Die Krankenhäuser dort sind grotesk überfüllt, eine angemessene Behandlung kann schon lange nicht mehr gewährleistet werden. Inzwischen müssen Ärzte Entscheidungen treffen, die ein Arzt nie fällen müssen sollte: welcher Patient behandelt wird und welcher nicht. Denn natürlich muss JEDER Patient versorgt werden. Ein völlig unzureichendes Gesundheitsmanagement zwingt die Ärzte allerdings dazu, solch unmenschliche Entscheidungen zu treffen.

Auch ein Mangel an lebensnotwendigen Beatmungsgeräten wird in Italien zunehmend zum Problem. Wie brenzlig das werden kann, liegt auf der Hand. Bei Covid-19 handelt es sich um eine Lungenkrankheit. Dass in dieser Situation ein Engpass an Beatmungsgeräten tödlich sein kann, ist jedem klar.

Doch solche Zustände sind auch in Deutschland alles andere als unwahrscheinlich. Denn natürlich lassen sich die Versäumnisse im Gesundheitswesen nicht binnen weniger Tage oder Wochen beheben. Deswegen ist es ja auch so wichtig, die Ausbreitung des Virus so gut wie möglich in Grenzen zu halten, damit die Anzahl der Infizierten relativ überschaubar bleibt und jeder angemessen behandelt werden kann. Doch auch hier rächt sich der Sparkurs der letzten Jahre. Der Stellenabbau bei den Gesundheitsämtern ist das eine. Doch inzwischen verfügen die deutschen Gesundheitsämter über so niedrige Budgets, dass sie sich in vielen Fällen davor scheuen, Veranstaltungen abzusagen. Zu groß ist die Angst der Behörden, die möglichen Regressforderungen nicht stemmen zu können.

Das Geschäft mit dem Virus

Das leistet der Ausbreitung des Virus natürlich enormen Vorschub. Und mit der Ausbreitung wächst die Angst. Was, wenn ich einer derer bin, denen die Behandlung versagt wird? Vielleicht weil ich Kassenpatient bin? Oder eine Frau? Oder ein Mann? Oderoderoder? Diese eklatanten Lücken im Gesundheitssystem und die Angst vieler Bürgerinnen und Bürger nutzen skrupellose Geschäftsleute seit kurzem für ihre eigenen Zwecke aus. Sie schwören die Menschen darauf ein, dass die Gesundheitsversorgung ähnlich wie in Italien kollabieren wird, sobald es zu einem Peak der Virusausbreitung wie in China kommt.

Sie handeln nach dem Credo „Wer jetzt krank wird, wird auch noch behandelt. Wer während des Peak erkrankt, hat Pech gehabt.“ Traurigerweise kann man dem nichts entgegensetzen. Die Politik der letzten Jahre hat es ermöglicht, dass solche Unmenschen ihre Geschäfte machen können.

Ein abartiges Geschäftsmodell

Das Vorgehen ist simpel. Die skrupellosen Geschäftemacher werben gezielt Corona-kranke Menschen an, die sie an gesunde Menschen vermitteln. Die sogenannten Kunden mieten sich sprichwörtlich einen Infizierten, um eine eigene Infektion zu provozieren. Denn die meisten wissen, dass sie in der derzeitigen Phase mit hoher Wahrscheinlichkeit angemessen behandelt werden würden. Vor allem gesetzlich krankenversicherte rennen den Drahtziehern dieser Masche die Bude ein.

Die Termine mit den Infizierten sind unterschiedlich teuer. Am erschwinglichsten sind tatsächlich Termine mit solchen Patienten, die einen besonders schweren Krankheitsverlauf haben. Denn immerhin machen die Betreiber mit den angeworbenen Kranken halbe-halbe. Ein über 60-jähriger Raucher mit kritischem Krankheitsverlauf verlangt natürlich ein weitaus niedrigeres Honorar als ein solcher, der Mitte 20 ist und demnächst wieder Bäume ausreißen wird.

Der Peak wird kommen

Menschenrechtler sind alarmiert. Sie verurteilen den neu geschaffenen Geschäftszweig auf das schärfste. Sie sind entsetzt darüber, dass hier mit teilweise Schwerstkranken Profit gemacht wird. Dass sie als Ware gehandelt werden. Einige Vertreter von Amnesty International sprechen sogar von „Menschenhandel auf unterstem Niveau“. Durch ein solches Geschäftsmodell werde ein drohender Peak, an dem das Gesundheitssystem zerbricht, nicht aufgehalten, sondern sogar noch früher eintreten. Zahlreiche Mediziner und Forscher pflichten der Menschenrechtsorganisation bei.

Die betroffene Gesellschaft Profitable Entrepreneurs gegen die Infizierung des Abendlandes AG verwahrt sich gegen solche Beschuldigungen. Sie verweist darauf, dass ein bald anstehender Peak inklusive Zerreißprobe für das Gesundheitswesen auch durch Hamsterkäufe und Plünderungen von Kliniken in noch nähere Zukunft gerückt werden würde. Die Geschäftsleute nehmen für sich in Anspruch, die Ängste in der Bevölkerung ernstzunehmen. Im Gegensatz zur Regierung würden sie tatsächlich handeln. Ein katastrophaler Höchststand an Infizierungen stünde so oder so ins Haus. Durch die gezielte Weitergabe der Krankheit würden zumindest zahlungskräftige Patienten davor bewahrt werden, dem kaputtgesparten Gesundheitssystem im Land zum Opfer zu fallen.


Nachwort: Ein solches Geschäftsmodell existiert nicht und das wird es hoffentlich auch nie. Der Nährboden für solch perverse Geschäfte ist allerdings da. Eine Mischung aus Staatsversagen und mangelnder Kommunikation begünstigt ihn. Wer eine solche Vorstellung für absurd und völlig abartig hält, der sei daran erinnert, dass in Deutschland aktuell 28.000 Intensivbetten vorhanden sind. Viele davon sind derzeit aufgrund anderer medizinischer Notfälle belegt. Ein ungebremster Anstieg von schweren Krankheitsverläufen würde die Kapazitäten aber schnell übersteigen. Und das ist nicht minder abartig.

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