Schöne Aussichten

Titelbild: Keith Gonzalez, pixabay, bearbeitet von Sven Rottner.

Lesedauer: 8 Minuten

Die goldenen 20er, wie sie noch vor knapp einem Jahr beschworen wurden, hätten mieser nicht beginnen können. Eine Pandemie stellt viele Länder seit Monaten vor gewaltige Probleme. Die Menschen werden krank, Geschäfte müssen schließen, Existenzen gehen kaputt. Das nächste Jahr kann nur besser werden.

Jahresrückblick besonderer Art

2020 neigt sich dem Ende. “Endlich!“ werden da einige erleichtert rufen. Sie haben allen Grund dazu: Ein Virus, vor dem wir vor zwölf Monaten noch absolut sicher schienen, hält die ganze Welt weiter in Atem. Nachdem sich Corona im Frühjahr auch hierzulande breitgemacht hatte, folgte der erste Lockdown. Geschäfte mussten schließen, Klopapier war knapp, die Menschen hatten Angst. Währenddessen übertraf sich die Zahl der Neuinfektionen und der Todesfälle von Tag zu Tag. Länder wie Italien und Spanien, aber auch die USA waren mit dieser Entwicklung heillos überfordert.

Es folgte eine kurze Zeit der Entspannung. Im Sommer gingen die Fallzahlen spürbar nach unten. Ein Sonnenanbeter ist das Virus nicht. Die Menschen schöpften wieder Hoffnung. Vielleicht gehörten Abstand und Maske bald der Vergangenheit an? Doch es kam anders: Der Herbst war mehr als ernüchternd. Die zweite Welle der Pandemie war heftiger als die erste. Wieder schlossen Geschäfte, Hotels und Kultureinrichtungen.

Was kam dann? Unsereins kann diese Frage noch nicht beantworten. Aber es gibt Menschen, die über eine spezielle Gabe verfügen. Viele tun Hellseher als esoterische Spinner oder geldgierige Scharlatane ab. Die Glaubwürdigkeit einer kanadischen Hellseherin wurde aber jüngst durch einen Zwischenfall mitten in Deutschland untermauert. Ihre Vorhersagen deckten sich mit den Aussagen eines jungen Mannes, der behauptete, ein Zeitreisender zu sein.

Überraschende Trendwende?

Seine Herkunft belegte der 26-jährige Osnabrücker mit einigen Ankündigungen, die wenige Tage später genau so in den Nachrichten kamen. Diese Trefferquote hatte nicht einmal die Hellseherin, die sich selbst Madame Futura II. nennt (The One Who Will Have Been). In einigen Punkten waren sich die beiden aber doch einig. So erklärten sie unabhängig voneinander, dass das Virus mit Gongschlag 2021 auf mysteriöse Art und Weise verschwinden würde. Der deutsche Zeitreisende Robert T. (Name von der Redaktion geändert) konnte sogar konkreter werden. Weltweit gäbe es in den ersten Januartagen nur noch wenige Hundert Neuinfektionen pro Tag, bevor sich am 14. Januar der letzte Fall nachweisen lassen würde. T. wusste sogar, dass dieser Tag ein Donnerstag sein würde.

Doch der Besucher aus der Zukunft konnte noch mehr spektakuläres berichten. Noch in der Nacht auf den 1. Januar erlebten tausende Menschen weltweit eine regelrechte Spontanheilung von dem hartnäckigen Virus. Er erzählte von Intensivpatienten, die die Stationen noch vor Morgengrauen verlassen konnten. Besonders für das Klinikpersonal war das eine glückliche Fügung. Erneut würden nämlich wieder zahllose Opfer von Pyrotechnik die Intensivstationen fluten.

Der Zeitreisende zitierte außerdem aus einer Presseerklärung der Kanzlerin vom Januar 2021. In dieser zog sie einerseits die Ladenschließungen zurück und beendete andererseits die Maskenpflicht. Eine Welle der Erleichterung ging in der Folge durch das Land. Die Menschen konnten endlich wieder das tun, worauf sie ein knappes Jahr so eisern verzichtet hatten. Robert T. erzählte von gleich drei Partys, die er an einem Wochenende besuchte. Er berichtete: „Es war eine so große Freude, das erste Mal nach einem Jahr ausgiebig shoppen zu gehen. Die Läden hatten zwar zeitweise bereits 2020 geöffnet, aber wie wir wissen, ging keiner hin.“ Etwas ernster sprach er Umzüge und Demonstrationen an: „Es war für viele natürlich nicht leicht, nach einem Jahr der demokratischen Enthaltsamkeit, laut auf der Straße die Meinung zu sagen. Einige mussten das Demonstrieren erst wieder lernen.“

Der Duft der Geselligkeit

In andere vorpandemische Gepflogenheiten rutschte T. leichter wieder rein. „In Zeiten von Abstand und Maske kam man sich beim Einkaufen regelrecht vereinsamt vor. Als ich das erste Mal wieder den warmen Atem meines Hintermanns im Nacken spürte – was für ein Moment.“ Andere drückten ihre Freude über die zwischenmenschliche Wärme an der Supermarktkasse noch deutlicher aus. T. erzählte von einer Frau, die sich dreimal hintereinander genüsslich in die Arme des Mannes hinter ihr fallen ließ, bevor die eilige Kassiererin ihr Bad in der Menge abrupt beendete.

Ein ganz besonderes Phänomen erläuterte Robert T. mit einem Schmunzeln: „Nach monatelangem Maskentragen wusste ich nicht einmal mehr, ob meine Nase überhaupt noch ihren Dienst tut. Die Zweifel waren schnell ausgeräumt, als ich mich Anfang Januar in eine vollgepackte Bahn zwängte. Der durchgeschwitzte Herr neben mir kam wohl gerade aus dem Fitnessstudio. Ich fand es schade, dass er bereits an der nächsten Station ausstieg.“

Rundum gut versorgt

Robert T. gab an, am 10. November 2021 in seine Kapsel gestiegen zu sein. Die Aussage der kanadischen Madame Futura II. konnte er also leider nicht bestätigen. Sie sah voraus, dass die Weihnachtsmärkte im kommenden Jahr ein voller Erfolg werden würden. In ihrer Ekstase konnte sie den Duft von Glühwein, Rostbratwurst und heißen Maroni förmlich riechen. Vor ihrem inneren Auge sah sie Heerscharen an Menschen, die selig und zufrieden von Stand zu Stand zogen. Alle lachten und jeder genoss das Beisammensein, auf das im Vorjahr verzichtet werden musste.

Madame Futura II. wurde aber noch konkreter. Sie sagte rosige Aussichten für die Wirtschaft auch in Deutschland voraus. Immerhin umtrieb die Wirtschaftslage viele Menschen bereits im Jahr 2020. Die Hellseherin konnte die Menschen aber beruhigen. Das Ende der Pandemie bedeutete auch ein Ende der Kurzarbeit und eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung. Der Zeitreisende Robert T. bestätigte ihre Angaben. Er selbst wäre nie an Corona erkrankt, wusste aber von den katastrophalen Zuständen in den Krankenhäusern aufgrund der steigenden Fallzahlen. „Im Sommer 2021 war ich einige Tage in stationärer Behandlung. Ich fühlte mich rundum gut versorgt. Während ich mit einer Schwester über Urlaubspläne sprach, fand eine andere sogar die Zeit, mir die Füße zu massieren. Von Überlastung keine Spur mehr.“

Auch die Zustände in Fleischereibetrieben entspannten sich spürbar. Weil kein einziger Corona-Fall mehr nachgewiesen werden konnte, kehrten die Arbeiterinnen und Arbeiter namhafter Betriebe wieder in ihre gewohnte Umgebung zurück. T. zitierte einen befreundeten Mitarbeiter von Tönnies: „Ich genieße es, endlich wieder mit meinen Freunden in einem Zimmer zu leben. Die dauerhafte Quarantäne war eine schlimme Erfahrung.“

Schöne Aussichten

Lobend hob T. außerdem die Bundesregierung hervor. Weil diese im Jahr 2020 ausnahmsweise die Schuldenbremse gelockert hatte, konnten nachhaltige wirtschaftliche Schäden größtenteils abgewendet werden. „Weil der Staat in den Jahren zuvor so sparsam war, musste nicht einmal mehr die Mehrwertsteuer erhöht werden. Sie blieb bei maximal 16 Prozent“, berichtet T.. Er kündigte außerdem an, dass fast alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit deutlich höheren Löhnen in den Folgejahren rechnen könnten. Er selbst hätte gerade damit begonnen, ein Haus zu bauen, als er im Garten die Zeitkapsel fand.

Das kanadische Medium hatte außerdem noch einen Tipp für Anleger und Sparer: Das Jahr 2021 würde wohl ein sehr lukratives Jahr werden. Weil Banken und Sparkassen nach Jahren endlich wieder die Sparzinsen anhöben, würden sich private Investitionen besonders lohnen. In diesem Moment leuchtete ihre Kristallkugel hell auf. Sie erklärte das folgendermaßen: „Anscheinend ist die Netzabdeckung im nächsten Jahr so gut, dass selbst ich aus der Vergangenheit etwas davon mit meiner Kugel empfangen habe.“

T.s Aufenthalt in unserer Zeit war allerdings nur von kurzer Dauer. Nach zwei Tagen musste er wieder ins Jahr 2021 zurückkehren. Bevor er ging, hatte er noch eine weitere ermunternde Botschaft: „Das Klimaproblem wird deutlich kleiner. Weil fast ein Jahr lang alle so diszipliniert zu Hause blieben und kein Auto fuhren, sinkt die Verschmutzung der Luft im nächsten Jahr deutlich.“ Mit diesen Aussichten können wir dem kommenden Jahr alle beruhigt entgegensehen. Vielleicht treffen wir ja sogar den zeitreisenden Robert T. – er soll ziemlich charmant sein.

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Fair statt quer

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Corona erweist sich immer öfter als fataler Katalysator für Probleme in den unterschiedlichsten Bereichen. Es verschärft die prekären Verhältnisse in den Krankenhäusern und im Gesundheitswesen, es verschlimmert die unmenschlichen Zustände in Schlachtereien, aber es treibt auch die Entfremdung von der Demokratie voran, die lange vor Corona einsetzte. Nur ein echter Politikwechsel hin zu mehr Bürgernähe kann dazu beitragen, ein Auseinanderdriften in Zeiten ohne Abstand zu verhindern.

Schlecht, schlechter, Corona

Diskutieren Politiker, Wissenschaftler und andere Experten über die Folgen der Coronakrise, darf eines nicht fehlen: die Brennglas-Metapher. Besonders gut verdeutlicht sie die Missstände, die durch die Pandemie offensichtlich wurden. Dabei ist sie inzwischen schon fast zu einer Floskel verkommen. Das ist schade, bringt sie die Probleme doch besonders wahr und klar zum Ausdruck. Denn einerseits verschärfte sich die Situation in deutschen Krankenhäusern durch das Virus enorm. Wo der Betrieb bisher mit Ach und Krach gerade so am Laufen gehalten wurde, da befindet sich viel medizinisches Personal heute jenseits seines Limits. Andererseits kann das Brennglas auch nur dort verschlechtern, wo bereits zuvor ein Missstand war. Die extrem dünne Personaldecke in den Krankenhäusern oder die katastrophalen Zustände in deutschen Fleischereibetrieben sind keine Erfindung des Virus.

Unter diesen skandalösen Bedingungen konnte das Virus nur besonders gut gedeihen. Plötzlich wusste jeder im Land, dass die ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter jeden Morgen in überfüllten Bussen zur Arbeit gekarrt wurden. Außerhalb der viel zu langen Arbeitszeiten mussten sie in schuhkartonähnlichen Baracken ausharren. Man ist fast geneigt, von Massenarbeiterhaltung zu sprechen.

Ein ernsthaftes Problem

Es ist richtig, dass all das nun endlich an die Öffentlichkeit kam. Es ist ebenso richtig, dass sich die Menschen darüber empören und die Politik unter Druck setzen. Richtig wäre auch, wenn diesen Problemen endlich Abhilfe geschaffen würde. Es stimmt aber leider genau so, dass ein Missstand bis heute viel zu wenig zur Sprache kam. Die Corona-Pandemie hat doch auch offensichtlich gezeigt, in welch schlechtem Zustand sich unsere Demokratie heute befindet.

Ich meine damit übrigens nicht, dass die Parteien darüber streiten, wie sie rechtzeitig zur Bundestagswahl genügend Kandidaten aufstellen sollen oder in welcher Form die Wahlen überhaupt stattfinden. All das sind Probleme, die relativ leicht zu lösen sind. Ich rede vom frappierenden Vertrauensverlust gegenüber der Demokratie, der durch die Pandemie besonders deutlich wurde. Es ist nämlich nicht so, dass die selbsternannten Querdenker lediglich von Stadt zu Stadt ziehen und eine Demo nach der anderen abhalten. Sie ziehen regelmäßig tausende Menschen an, die ihnen folgen, ihnen zuhören und sie sogar bejubeln. Am schlimmsten allerdings ist: Sie glauben ihnen.

Nun kann man leicht die Nase rümpfen und sich über diese Aufläufe echauffieren. Man kann diese Menschen sehr einfach als Nazis, Reichsbürger und anderes undemokratisches Geschmeiß diffamieren. Und ganz bestimmt besteht der harte Kern der Querdenker aus solchen Leuten. Es leuchtet allerdings nicht ein, wo diese Anti-Demokraten auf einmal alle hergekommen sein sollen. Es muss doch einen Anlass dafür geben, warum sie für die Theorien dieser Szene so empfänglich sind. Sie protestieren laut, dass sie die Schnauze endgültig vollhaben. Was also hat ihre Schnauzen so lange gefüllt?

Eine Luftnummer

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Das deutsche Grundgesetz ist eindeutig: Das Volk ist der Souverän. Die Politikerinnen und Politiker sind verpflichtet, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu handeln. Schaut man sich allerdings das Regierungshandeln der letzten Jahre an, so ist von diesem Grundsatz nicht viel geblieben. Menschen arbeiten in äußerst prekären Arbeitsverhältnissen, die Rente reicht vielen hinten und vorne nicht, in den Schulen bröckelt der Putz von der Decke. Gleichzeitig werden Millionen in unsinnigen Mautbestrebungen versenkt, die Rüstungsindustrie muss nicht einmal mehr „Bitte“ sagen und Banken werden mit Steuergeldern aus der selbstverschuldeten Krise gezogen. Mit echter Demokratie und Volksnähe hat das nichts zu tun.

Seit vielen Jahren hört die Regierung viel eher auf die Befindlichkeiten der Wirtschaft als auf die realen Nöte ihrer Bevölkerung. Den bisherigen Höhepunkt erreichte diese Interessensverirrung tatsächlich in der Coronakrise. Die Regierung steckte Milliarden an Steuergeld in die Lufthansa, um das marode Unternehmen auch in der Krise weich landen zu lassen. Wow, könnte man jetzt meinen, endlich mal was für Arbeitsplätze und soziale Absicherung. Doch weit gefehlt! Nicht ein Cent war an den tatsächlichen Erhalt eines einzigen Arbeitsplatzes geknüpft. Stattdessen kündigte Lufthansa jüngst an, fast 30.000 Stellen zu streichen.

Und raus bist du

Die Bodenhaftung und das Gespür für die Sorgen und Nöte der ganz normalen Bevölkerung hat die Politik vor langer Zeit verloren. Resigniert haben viele längst das Handtuch geworfen und wurden zu Nichtwählern. Es ändert sich ja doch nichts. Man kann wählen, wen man will, die persönlichen Lebensumstände tangiert das nicht einmal peripher. Diese Ignoranz hat viele Menschen vom demokratischen Diskurs entwöhnt. Sie selbst haben viele der Spielregeln der Demokratie verlernt, weil sie lange nicht mitspielen durften. Das führt dann beispielsweise zu einer völligen Umdeutung des Begriffs der Meinungsfreiheit. Für immer mehr bedeutet die Meinungsfreiheit heute, dass sie unwidersprochen sagen können, was sie wollen. Es ist die penetrante Taubheit der Regierung gegenüber den Menschen, die zu dieser verqueren Entwicklung geführt hat.

Durch Corona sind wir einer Situation gelandet, die schnelles und unbequemes Handeln erfordert. Das beinhaltet auch eine temporäre Einschränkung einiger Grundrechte. Selbst in Zeiten einer blühenden Demokratie wäre so etwas eine Zumutung. Doch in der jetzigen Situation haben wir es mit einer großen Zahl an Skeptikern zu tun, die sich in ihrer Meinung bestätigt fühlen. Die Beschneidung der Grundrechte interpretieren sie doch zwangsläufig als direkten Angriff auf die Demokratie. Nachdem lange an ihnen vorbeiregiert wurde, müssen sie doch jetzt davon ausgehen, dass es tatsächlich ihrer persönlichen Freiheit an den Kragen geht.

Mehr als drei Kreuzchen

Rechten Rattenfängern spielt das natürlich in die Karten. Längst hat sich die AfD mit der Querdenkerszene verbrüdert. Anstatt nun alle Menschen, die auf solche Demos gehen, pauschal als Verschwörungstheoretiker und Rechte abzutun, muss es doch die oberste Priorität echter Demokraten sein, diesem wilden Treiben von rechts Einhalt zu gebieten. Denn die Ultrarechte wird es immer geben. Wichtigstes Anliegen muss sein, die Menschen durch echte Bürgerbeteiligung nicht einmal in diese Richtung denken zu lassen.

Offensichtlich reicht es vielen Menschen nicht aus, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen. Zwischen den Wahlen fühlen sie sich häufig ohnmächtig. In Deutschland hat sich eine politische Kultur etabliert, in der von den Bürgern erwartet wird, ihre demokratischen Rechte in der Wahlkabine abzugeben. Aber nur wenn die Geschicke des Landes auch nach und vor einer Wahl beeinflusst werden können, entsteht echte Demokratie. Nur wenn das Volk das Parlament effektiv kontrollieren kann, wird Frust zu Begeisterung und Verdruss zu Motivation.

Wenn der Souverän entscheidet

Ein Bürgerrat ist ein sinnvoller Schritt, um die Interessen aus dem Volk ins Parlament zu tragen. Über Bürgervetos sollen die Menschen bemächtigt werden, Nein zu kritischen Gesetzen zu sagen, wenn sie andere konstruktive Vorschläge machen können. Sollten Bürgerbegehren tatsächlich zu Gesetzesvorlagen führen, sollten die Menschen dazu berechtigt sein, in bundesweiten Volksabstimmungen darüber zu entscheiden.

All diese Initiativen würden die Politik enorm beleben. Besonders die Parteien würden davon profitieren, weil sie neue Anreize hätten, möglichst viele Menschen von ihren Ideen zu überzeugen. Auch die Menschen selbst wären zufriedener, weil sie die Gewissheit hätten, dass sie an den Entscheidungen beteiligt waren. Sie würden viel eher hinter Gesetzen stehen, als wenn jemand darüber entscheidet, dem sie vor Urzeiten einmal ihre Stimme gegeben haben.

Das alles lässt sich aber nur dann realisieren, wenn die Politik endlich begreift, dass sie mit ihrer unsäglichen Wirtschaftshörigkeit auf keinen grünen Zweig kommt. Es muss nicht immer darum gehen, dass sie etwas rechnet. In manchen Bereichen hat der Profitgedanke nichts zu suchen. Wirtschaftspolitische Entscheidungen müssen im Einklang mit Bürgerinteressen stehen. Wenn es andersrum erwartet wird, verlieren die Menschen den Glauben an die Demokratie. Stattdessen glauben sie solchen, denen es ganz bestimmt nicht um die Wahrheit geht.


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Das miese Geschäft mit dem Virus

Beitragsbild: Vektor Kunst, pixabay.

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Seit Tagen befindet sich Deutschland im Ausnahmezustand: Hamsterkäufe, geschlossene Schulen und Kitas, Einschränkung des öffentlichen Lebens. Alles, um das Corona-Virus einzudämmen und unter Kontrolle zu halten. Der Erfolg ist bisher nur mäßig. Die Lage droht derweil noch verzwickter zu werden. Krankenhäuser, die auch schon ohne Covidd-19 am Limit sind, geraten zunehmend in Bedrängnis. Zudem hat sich nun eine perfide Methode herausgebildet, mit der einige Geschäftsleute tatsächlich Kapital aus der Krise schlagen.

Keine Panik auf der Titanic

Die bestätigten Fälle des neuartigen Virus nehmen auch in Deutschland seit Tagen rasant zu. Wie bereits in anderen schwer gebeutelten Nationen zeichnet sich auch in unserem Land eine exponentielle Ausbreitung der gefährlichen Lungenkrankheit ab. All zu viel ist über die Krankheit noch nicht bekannt. Die Menschen sind verunsichert. Die Frage der Infektionswege ist noch nicht abschließend geklärt, ebenso wenig die Länge der Inkubationszeit. Während zu Beginn der Pandemie von zwei Wochen die Rede war, sind in der Zwischenzeit Fälle aufgetreten, bei denen die Inkubationszeit bei um die vier Wochen lag. Wenn die Erkrankung so lange unbemerkt bleibt, wird es extrem schwierig, die Infektionsketten nachzuvollziehen.

Währenddessen verharren führende Politiker auf der Linie der Beschwichtigung. Über Wochen redete Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Problem klein. Er bezweifelte, dass sich das Virus so dramatisch wie in der chinesischen Provinz Hubei ausbreiten könnte. Die Bundeskanzlerin steht ihrem Minister bei den Beschwichtigungsversuchen treu zur Seite. Sie ruft alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, soziale Kontakte auf ein Minimum herunterzufahren. Donnerwetter.

Wären die Regierungsvertreter ehrlich, müssten sie eingestehen, dass es in Deutschland durchaus Grund zur Sorge gibt. Mit zögerlichen Maßnahmen versucht sie, die Ausbreitung der Infektionskrankheit einzudämmen. Das ist gut und richtig so. Fraglich ist allerdings, ob die getroffenen Maßnahmen dazu ausreichen und ob sie überhaupt noch rechtzeitig in Kraft treten. Denn eines ist völlig unstrittig: So wie die Bundesregierung das Gesundheitswesen in den letzten Jahren gemanaged hat, wird es der Corona-Krise nicht standhalten.

Gesundheit und Ökonomie schließen sich aus

Schon während der Bundestagswahl 2017 gewann das Thema des Pflegekräftemangels an Bedeutung. Der Azubi Alexander Jorde konfrontierte die Kanzlerin damals im TV mit der desolaten Situation in deutschen Pflegeheimen. Doch auch Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen im Gesundheitswesen sind längst von den Fehlentwicklungen in diesem Bereich betroffen. Durch zunehmende Privatisierungen wurden gerade Krankenhäuser und Kliniken mehr und mehr auf Rendite und Profit getrimmt. Sie wurden zu marktwirtschaftlichen Unternehmen umstrukturiert, bei denen hohe Kosten unbedingt vermieden werden müssen.

Und Geld kosten vor allem Angestellte. Sie sind einer der größten Kostenfaktoren in jedem Unternehmen. Bei ihnen wird meist als erstes der Rotstift angesetzt. Und das hat Folgen: Durch den kontinuierlichen Stellenabbau im Gesundheitswesen ist das medizinische Personal bereits heute am Limit, teilweise auch schon jenseits davon. Nicht selten machen renditehungrige Krankenhausbetreiber ganze Stationen dicht, bei denen der Bedarf am niedrigsten ist. Denn mit dem Bedarf sinkt auch der Umsatz. Viele Krankenhäuser verfügen daher nicht mehr über Stationen, die sich speziell der Behandlung von Kindern widmen. Auch bei der Anzahl von Intensivbetten kam es zu einer regelrechten Rationierung.

Auf Leben und Tod

Viele beobachten die Szenen aus Italien mit blankem Entsetzen. Manche schütteln ungläubig den Kopf angesichts einer solchen Überforderung des medizinischen Fachpersonals. Und die Lage in Italien ist wirklich hochdramatisch: Die Krankenhäuser dort sind grotesk überfüllt, eine angemessene Behandlung kann schon lange nicht mehr gewährleistet werden. Inzwischen müssen Ärzte Entscheidungen treffen, die ein Arzt nie fällen müssen sollte: welcher Patient behandelt wird und welcher nicht. Denn natürlich muss JEDER Patient versorgt werden. Ein völlig unzureichendes Gesundheitsmanagement zwingt die Ärzte allerdings dazu, solch unmenschliche Entscheidungen zu treffen.

Auch ein Mangel an lebensnotwendigen Beatmungsgeräten wird in Italien zunehmend zum Problem. Wie brenzlig das werden kann, liegt auf der Hand. Bei Covid-19 handelt es sich um eine Lungenkrankheit. Dass in dieser Situation ein Engpass an Beatmungsgeräten tödlich sein kann, ist jedem klar.

Doch solche Zustände sind auch in Deutschland alles andere als unwahrscheinlich. Denn natürlich lassen sich die Versäumnisse im Gesundheitswesen nicht binnen weniger Tage oder Wochen beheben. Deswegen ist es ja auch so wichtig, die Ausbreitung des Virus so gut wie möglich in Grenzen zu halten, damit die Anzahl der Infizierten relativ überschaubar bleibt und jeder angemessen behandelt werden kann. Doch auch hier rächt sich der Sparkurs der letzten Jahre. Der Stellenabbau bei den Gesundheitsämtern ist das eine. Doch inzwischen verfügen die deutschen Gesundheitsämter über so niedrige Budgets, dass sie sich in vielen Fällen davor scheuen, Veranstaltungen abzusagen. Zu groß ist die Angst der Behörden, die möglichen Regressforderungen nicht stemmen zu können.

Das Geschäft mit dem Virus

Das leistet der Ausbreitung des Virus natürlich enormen Vorschub. Und mit der Ausbreitung wächst die Angst. Was, wenn ich einer derer bin, denen die Behandlung versagt wird? Vielleicht weil ich Kassenpatient bin? Oder eine Frau? Oder ein Mann? Oderoderoder? Diese eklatanten Lücken im Gesundheitssystem und die Angst vieler Bürgerinnen und Bürger nutzen skrupellose Geschäftsleute seit kurzem für ihre eigenen Zwecke aus. Sie schwören die Menschen darauf ein, dass die Gesundheitsversorgung ähnlich wie in Italien kollabieren wird, sobald es zu einem Peak der Virusausbreitung wie in China kommt.

Sie handeln nach dem Credo „Wer jetzt krank wird, wird auch noch behandelt. Wer während des Peak erkrankt, hat Pech gehabt.“ Traurigerweise kann man dem nichts entgegensetzen. Die Politik der letzten Jahre hat es ermöglicht, dass solche Unmenschen ihre Geschäfte machen können.

Ein abartiges Geschäftsmodell

Das Vorgehen ist simpel. Die skrupellosen Geschäftemacher werben gezielt Corona-kranke Menschen an, die sie an gesunde Menschen vermitteln. Die sogenannten Kunden mieten sich sprichwörtlich einen Infizierten, um eine eigene Infektion zu provozieren. Denn die meisten wissen, dass sie in der derzeitigen Phase mit hoher Wahrscheinlichkeit angemessen behandelt werden würden. Vor allem gesetzlich krankenversicherte rennen den Drahtziehern dieser Masche die Bude ein.

Die Termine mit den Infizierten sind unterschiedlich teuer. Am erschwinglichsten sind tatsächlich Termine mit solchen Patienten, die einen besonders schweren Krankheitsverlauf haben. Denn immerhin machen die Betreiber mit den angeworbenen Kranken halbe-halbe. Ein über 60-jähriger Raucher mit kritischem Krankheitsverlauf verlangt natürlich ein weitaus niedrigeres Honorar als ein solcher, der Mitte 20 ist und demnächst wieder Bäume ausreißen wird.

Der Peak wird kommen

Menschenrechtler sind alarmiert. Sie verurteilen den neu geschaffenen Geschäftszweig auf das schärfste. Sie sind entsetzt darüber, dass hier mit teilweise Schwerstkranken Profit gemacht wird. Dass sie als Ware gehandelt werden. Einige Vertreter von Amnesty International sprechen sogar von „Menschenhandel auf unterstem Niveau“. Durch ein solches Geschäftsmodell werde ein drohender Peak, an dem das Gesundheitssystem zerbricht, nicht aufgehalten, sondern sogar noch früher eintreten. Zahlreiche Mediziner und Forscher pflichten der Menschenrechtsorganisation bei.

Die betroffene Gesellschaft Profitable Entrepreneurs gegen die Infizierung des Abendlandes AG verwahrt sich gegen solche Beschuldigungen. Sie verweist darauf, dass ein bald anstehender Peak inklusive Zerreißprobe für das Gesundheitswesen auch durch Hamsterkäufe und Plünderungen von Kliniken in noch nähere Zukunft gerückt werden würde. Die Geschäftsleute nehmen für sich in Anspruch, die Ängste in der Bevölkerung ernstzunehmen. Im Gegensatz zur Regierung würden sie tatsächlich handeln. Ein katastrophaler Höchststand an Infizierungen stünde so oder so ins Haus. Durch die gezielte Weitergabe der Krankheit würden zumindest zahlungskräftige Patienten davor bewahrt werden, dem kaputtgesparten Gesundheitssystem im Land zum Opfer zu fallen.


Nachwort: Ein solches Geschäftsmodell existiert nicht und das wird es hoffentlich auch nie. Der Nährboden für solch perverse Geschäfte ist allerdings da. Eine Mischung aus Staatsversagen und mangelnder Kommunikation begünstigt ihn. Wer eine solche Vorstellung für absurd und völlig abartig hält, der sei daran erinnert, dass in Deutschland aktuell 28.000 Intensivbetten vorhanden sind. Viele davon sind derzeit aufgrund anderer medizinischer Notfälle belegt. Ein ungebremster Anstieg von schweren Krankheitsverläufen würde die Kapazitäten aber schnell übersteigen. Und das ist nicht minder abartig.

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