Das miese Geschäft mit dem Virus

Beitragsbild: Vektor Kunst, pixabay.

Lesedauer: 9 Minuten

Seit Tagen befindet sich Deutschland im Ausnahmezustand: Hamsterkäufe, geschlossene Schulen und Kitas, Einschränkung des öffentlichen Lebens. Alles, um das Corona-Virus einzudämmen und unter Kontrolle zu halten. Der Erfolg ist bisher nur mäßig. Die Lage droht derweil noch verzwickter zu werden. Krankenhäuser, die auch schon ohne Covidd-19 am Limit sind, geraten zunehmend in Bedrängnis. Zudem hat sich nun eine perfide Methode herausgebildet, mit der einige Geschäftsleute tatsächlich Kapital aus der Krise schlagen.

Keine Panik auf der Titanic

Die bestätigten Fälle des neuartigen Virus nehmen auch in Deutschland seit Tagen rasant zu. Wie bereits in anderen schwer gebeutelten Nationen zeichnet sich auch in unserem Land eine exponentielle Ausbreitung der gefährlichen Lungenkrankheit ab. All zu viel ist über die Krankheit noch nicht bekannt. Die Menschen sind verunsichert. Die Frage der Infektionswege ist noch nicht abschließend geklärt, ebenso wenig die Länge der Inkubationszeit. Während zu Beginn der Pandemie von zwei Wochen die Rede war, sind in der Zwischenzeit Fälle aufgetreten, bei denen die Inkubationszeit bei um die vier Wochen lag. Wenn die Erkrankung so lange unbemerkt bleibt, wird es extrem schwierig, die Infektionsketten nachzuvollziehen.

Währenddessen verharren führende Politiker auf der Linie der Beschwichtigung. Über Wochen redete Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Problem klein. Er bezweifelte, dass sich das Virus so dramatisch wie in der chinesischen Provinz Hubei ausbreiten könnte. Die Bundeskanzlerin steht ihrem Minister bei den Beschwichtigungsversuchen treu zur Seite. Sie ruft alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, soziale Kontakte auf ein Minimum herunterzufahren. Donnerwetter.

Wären die Regierungsvertreter ehrlich, müssten sie eingestehen, dass es in Deutschland durchaus Grund zur Sorge gibt. Mit zögerlichen Maßnahmen versucht sie, die Ausbreitung der Infektionskrankheit einzudämmen. Das ist gut und richtig so. Fraglich ist allerdings, ob die getroffenen Maßnahmen dazu ausreichen und ob sie überhaupt noch rechtzeitig in Kraft treten. Denn eines ist völlig unstrittig: So wie die Bundesregierung das Gesundheitswesen in den letzten Jahren gemanaged hat, wird es der Corona-Krise nicht standhalten.

Gesundheit und Ökonomie schließen sich aus

Schon während der Bundestagswahl 2017 gewann das Thema des Pflegekräftemangels an Bedeutung. Der Azubi Alexander Jorde konfrontierte die Kanzlerin damals im TV mit der desolaten Situation in deutschen Pflegeheimen. Doch auch Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen im Gesundheitswesen sind längst von den Fehlentwicklungen in diesem Bereich betroffen. Durch zunehmende Privatisierungen wurden gerade Krankenhäuser und Kliniken mehr und mehr auf Rendite und Profit getrimmt. Sie wurden zu marktwirtschaftlichen Unternehmen umstrukturiert, bei denen hohe Kosten unbedingt vermieden werden müssen.

Und Geld kosten vor allem Angestellte. Sie sind einer der größten Kostenfaktoren in jedem Unternehmen. Bei ihnen wird meist als erstes der Rotstift angesetzt. Und das hat Folgen: Durch den kontinuierlichen Stellenabbau im Gesundheitswesen ist das medizinische Personal bereits heute am Limit, teilweise auch schon jenseits davon. Nicht selten machen renditehungrige Krankenhausbetreiber ganze Stationen dicht, bei denen der Bedarf am niedrigsten ist. Denn mit dem Bedarf sinkt auch der Umsatz. Viele Krankenhäuser verfügen daher nicht mehr über Stationen, die sich speziell der Behandlung von Kindern widmen. Auch bei der Anzahl von Intensivbetten kam es zu einer regelrechten Rationierung.

Auf Leben und Tod

Viele beobachten die Szenen aus Italien mit blankem Entsetzen. Manche schütteln ungläubig den Kopf angesichts einer solchen Überforderung des medizinischen Fachpersonals. Und die Lage in Italien ist wirklich hochdramatisch: Die Krankenhäuser dort sind grotesk überfüllt, eine angemessene Behandlung kann schon lange nicht mehr gewährleistet werden. Inzwischen müssen Ärzte Entscheidungen treffen, die ein Arzt nie fällen müssen sollte: welcher Patient behandelt wird und welcher nicht. Denn natürlich muss JEDER Patient versorgt werden. Ein völlig unzureichendes Gesundheitsmanagement zwingt die Ärzte allerdings dazu, solch unmenschliche Entscheidungen zu treffen.

Auch ein Mangel an lebensnotwendigen Beatmungsgeräten wird in Italien zunehmend zum Problem. Wie brenzlig das werden kann, liegt auf der Hand. Bei Covid-19 handelt es sich um eine Lungenkrankheit. Dass in dieser Situation ein Engpass an Beatmungsgeräten tödlich sein kann, ist jedem klar.

Doch solche Zustände sind auch in Deutschland alles andere als unwahrscheinlich. Denn natürlich lassen sich die Versäumnisse im Gesundheitswesen nicht binnen weniger Tage oder Wochen beheben. Deswegen ist es ja auch so wichtig, die Ausbreitung des Virus so gut wie möglich in Grenzen zu halten, damit die Anzahl der Infizierten relativ überschaubar bleibt und jeder angemessen behandelt werden kann. Doch auch hier rächt sich der Sparkurs der letzten Jahre. Der Stellenabbau bei den Gesundheitsämtern ist das eine. Doch inzwischen verfügen die deutschen Gesundheitsämter über so niedrige Budgets, dass sie sich in vielen Fällen davor scheuen, Veranstaltungen abzusagen. Zu groß ist die Angst der Behörden, die möglichen Regressforderungen nicht stemmen zu können.

Das Geschäft mit dem Virus

Das leistet der Ausbreitung des Virus natürlich enormen Vorschub. Und mit der Ausbreitung wächst die Angst. Was, wenn ich einer derer bin, denen die Behandlung versagt wird? Vielleicht weil ich Kassenpatient bin? Oder eine Frau? Oder ein Mann? Oderoderoder? Diese eklatanten Lücken im Gesundheitssystem und die Angst vieler Bürgerinnen und Bürger nutzen skrupellose Geschäftsleute seit kurzem für ihre eigenen Zwecke aus. Sie schwören die Menschen darauf ein, dass die Gesundheitsversorgung ähnlich wie in Italien kollabieren wird, sobald es zu einem Peak der Virusausbreitung wie in China kommt.

Sie handeln nach dem Credo „Wer jetzt krank wird, wird auch noch behandelt. Wer während des Peak erkrankt, hat Pech gehabt.“ Traurigerweise kann man dem nichts entgegensetzen. Die Politik der letzten Jahre hat es ermöglicht, dass solche Unmenschen ihre Geschäfte machen können.

Ein abartiges Geschäftsmodell

Das Vorgehen ist simpel. Die skrupellosen Geschäftemacher werben gezielt Corona-kranke Menschen an, die sie an gesunde Menschen vermitteln. Die sogenannten Kunden mieten sich sprichwörtlich einen Infizierten, um eine eigene Infektion zu provozieren. Denn die meisten wissen, dass sie in der derzeitigen Phase mit hoher Wahrscheinlichkeit angemessen behandelt werden würden. Vor allem gesetzlich krankenversicherte rennen den Drahtziehern dieser Masche die Bude ein.

Die Termine mit den Infizierten sind unterschiedlich teuer. Am erschwinglichsten sind tatsächlich Termine mit solchen Patienten, die einen besonders schweren Krankheitsverlauf haben. Denn immerhin machen die Betreiber mit den angeworbenen Kranken halbe-halbe. Ein über 60-jähriger Raucher mit kritischem Krankheitsverlauf verlangt natürlich ein weitaus niedrigeres Honorar als ein solcher, der Mitte 20 ist und demnächst wieder Bäume ausreißen wird.

Der Peak wird kommen

Menschenrechtler sind alarmiert. Sie verurteilen den neu geschaffenen Geschäftszweig auf das schärfste. Sie sind entsetzt darüber, dass hier mit teilweise Schwerstkranken Profit gemacht wird. Dass sie als Ware gehandelt werden. Einige Vertreter von Amnesty International sprechen sogar von „Menschenhandel auf unterstem Niveau“. Durch ein solches Geschäftsmodell werde ein drohender Peak, an dem das Gesundheitssystem zerbricht, nicht aufgehalten, sondern sogar noch früher eintreten. Zahlreiche Mediziner und Forscher pflichten der Menschenrechtsorganisation bei.

Die betroffene Gesellschaft Profitable Entrepreneurs gegen die Infizierung des Abendlandes AG verwahrt sich gegen solche Beschuldigungen. Sie verweist darauf, dass ein bald anstehender Peak inklusive Zerreißprobe für das Gesundheitswesen auch durch Hamsterkäufe und Plünderungen von Kliniken in noch nähere Zukunft gerückt werden würde. Die Geschäftsleute nehmen für sich in Anspruch, die Ängste in der Bevölkerung ernstzunehmen. Im Gegensatz zur Regierung würden sie tatsächlich handeln. Ein katastrophaler Höchststand an Infizierungen stünde so oder so ins Haus. Durch die gezielte Weitergabe der Krankheit würden zumindest zahlungskräftige Patienten davor bewahrt werden, dem kaputtgesparten Gesundheitssystem im Land zum Opfer zu fallen.


Nachwort: Ein solches Geschäftsmodell existiert nicht und das wird es hoffentlich auch nie. Der Nährboden für solch perverse Geschäfte ist allerdings da. Eine Mischung aus Staatsversagen und mangelnder Kommunikation begünstigt ihn. Wer eine solche Vorstellung für absurd und völlig abartig hält, der sei daran erinnert, dass in Deutschland aktuell 28.000 Intensivbetten vorhanden sind. Viele davon sind derzeit aufgrund anderer medizinischer Notfälle belegt. Ein ungebremster Anstieg von schweren Krankheitsverläufen würde die Kapazitäten aber schnell übersteigen. Und das ist nicht minder abartig.

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Solidarität und Krise – ein politischer Kreislauf

Lesedauer: 10 Minuten

Vom linken Spielfeldrand aus, und leider nur leicht verfälscht, beobachtet.

Es ist Krieg! [Andere größere Katastrophen würden auch taugen, z.B. eine Hungersnot, weil die letzten zwölf Jahre die Sommer zu kalt und nass waren, wodurch auf den Feldern alles verschimmelt ist (ob das von diesem „Klima“ kommt, von dem sie im Fernsehen so oft geredet hatten? Dabei hatte der AfD-Bundeskanzler doch versichert, dass es den Klimawandel gar nicht gebe!). Oder ein anständiger Vulkanausbruch, der die Erde in Staub hüllt; und dann wächst auf den Feldern gar nicht erst etwas, das verschimmeln könnte.
Aber Krieg funktioniert ganz wunderbar, ohne dass sich die Natur besonders anstrengen muss. Dazu reicht eine Kombination aus Egoismus, Dummheit und Testosteron – davon gibt es überall genug.]


Für Familie Schmalberg-Neidhardt, wohnhaft in einem hübschen Villenviertel am Rande der Metropole Harsewinkel, kommt der Krieg relativ ungelegen. Eigentlich war vorgesehen, dass der älteste, Frédéric-Noel, im Herbst an die LMU München geht, um Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren, mit einem vor-reservierten MBA-Platz in Boston. Das war wichtig, um die Ehre zu retten, denn die mittlere, Lea-Katharina, hatte sich peinlicherweise zu einem freiwilligen ökologischen Jahr gemeldet, um am Bodensee mit muffig riechenden Umweltschützern Vögel zu zählen – und wie soll man das den Nachbarn bloß erklären.

Jetzt ist Frédéric-Noel jedoch nicht auf Mentoren-Treffs, Karriere-Networking – Seminaren oder bei der politischen Arbeit mit den Julis, sondern kämpft in der Armee. Auch ein Attest auf eingebildeten Keuchhusten im rechten Ohrläppchen (beschafft von einem befreundeten Arzt) konnte das Kriegsamt nicht überzeugen, und so wurde der wertvolle Filius eingezogen und dem 37. Infanterie-Regiment zugeteilt. Aus der Schlacht um Bielefeld erreicht die Familie eine Feldpost; darin berichtet er, dass die Hornbrille zwar die Sicht zur Seite hin etwas störe, der Feind aber bisher dankenswerterweise nur von vorn angegriffen habe – auch seien Kopf und Glieder noch alle in ursprünglicher Zahl vorhanden.

Daheim im beschaulichen Harsewinkel, das mit der Front bereits früher in Berührung gekommen war, steht das fette SUV der Schmalberg-Neidhardts, das wegen seines bulligen Formats und des aggressiven Spritverbrauchs auf Holzvergaser umzurüsten leider nicht möglich war, derweil verstaubt im Carport, denn die Straßen sind in eher zertrümmertem Zustand und höchstens noch mit Fahrrädern oder Schubkarren befahrbar, nicht jedoch von Geländewagen, die nicht im Gelände fahren können. Auch gibt die Tankstelle nur noch kleine Portionen Benzin aus, und die Preise findet selbst Vater Schmalberg-Neidhardt „sportlich“. Ohnehin muss der jüngste, Yannick-Leon, zur Zeit nicht zum Vorschul-Kindergarten gefahren werden. Anstatt dort Kurse in Business English und Advanced Management zu besuchen, fährt der Kleine früh morgens mit dem Rad los, stopft in einer improvisierten Fabrik am Stadtrand Zündhütchen und fegt nach Schichtende in der Produktion aus; dabei hat er erst zwei Finger verloren (zum Glück an der linken Hand).

Die wertvollen Travertinplatten vom Gartenweg wurden von der Stadtverwaltung eingezogen, um einige der größten Schlaglöcher in den Militärstraßen zu stopfen, und der Chef-Grill mit drei Ebenen und Brennstoffzellenantrieb konnte bei einem Metallhändler gegen zwei Laibe Brot eingetauscht werden. Gerade letztens hat auch noch der vor nur wenigen Monaten mit der Post aus Amerika bestellte Dyson-Zirkulationsfön den Dienst quittiert. Die Stromversorgung ist ohnehin seit Monaten eher brüchig – nun jedoch ist ein kleines Plastikteil im Inneren gebrochen, und der Händler im Gemischtwarenladen hat gesagt, er empfehle, die Haare für die nächste Zeit mit dem Handtuch zu trocknen.

In Momenten wie diesen beginnt Familie Schmalberg-Neidhardt zu zweifeln, ob denn politisch in letzter Zeit wirklich immer alles richtig gelaufen sei.

Ein paar Jahre später ist der Krieg vorbei. Jetzt wird aufgebaut und links gewählt! Auch der letzte Normalschnösel hat verstanden, dass es Aufgaben gibt, die sich anzupacken lohnen, obwohl sie nicht ausschließlich auf den eigenen Vorteil (oder den der Familie) ausgerichtet sind. Die Großschnösel, die auf Grund von Landbesitz, Anlagen in Wertgegenstände oder Vermögen im Ausland nur geringfügige Einbußen erlitten haben, halten sich taktisch bedeckt. Der Wiederaufbau wird genutzt, um einige längst überfällige Entscheidungen zu treffen, z.B. ein Grundeinkommen, das eine halbwegs würdevolle Existenz ermöglicht, eine einheitliche Krankenversicherung für alle, eine Steuer auf Vermögen und Einkommen aus Finanzgeschäften und ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr.

Einige Querulanten erinnern daran, dass andere fortschrittliche Dinge, wie z.B. ein allgemeines Wahlrecht (jawohl – selbst für Frauen!) früher auch nur unter dem Eindruck alles vernichtender Katastrophen eingeführt werden konnten, und sorgen sich schon wieder um die Zukunft.

Was sich alles erreichen lässt, wenn die Prioritäten einmal etwas umsortiert wurden, und wenn den Leuten klar wird, dass Solidarität auch gegenüber Mitbürgern empfunden werden kann, nicht nur gegenüber großen Unternehmen, die wegen idiotischer Managemententscheidungen in Schieflage geraten sind und ihren Hauptzweck, nämlich das Generieren von Rendite für die Anteilseigner, nicht mehr länger erfüllen können. Und augenscheinlich ist es am Ende doch ein Unterschied, ob eine Regierung soziale Reformen deswegen durchführt, weil sie das Richtige tun will, oder eher deswegen, weil sie verhindern möchte, dass es zu Unruhen kommt, die die Eigentumsverhältnisse ihrer Wählerschaft, oder (noch wichtiger) den Zugang zu lukrativen Posten in der Wirtschaft für Parteimitglieder und ehemalige Amtsträger, einschränken oder gefährden könnten.

Ein bis zwei Jahrzehnte später: Jetzt geht es uns wieder gut! Der Staat stellt diverse Annehmlichkeiten bereit, niemand muss hungern, jeder hat eine Wohnung, und sogar die Bahn fährt – und ist obendrein bezahlbar. Für viele Familien hat sich die Situation erheblich verbessert. Auch Frédéric-Noel, jetzt Familienoberhaupt bei den Schmalberg-Neidhardts, ist fast zufrieden. Er hatte sich nach dem Krieg mit einigen riskanten Anlagegeschäften in Südamerika schnell saniert, konnte seinen MBA nachholen und als Alumnus sogar dem kleinen Bruder Yannick-Leon für dessen BWL-Studium an der LMU einen Platz in der Verbindung Superbia sichern, wo sich seit jeher exzellente Kontakte fürs spätere Berufsleben knüpfen lassen.

Was Frédéric-Noel jedoch inzwischen entschieden nervt, ist die hohe Steuerlast, die seine zahlreichen Einkommen mindert. Dabei unterhält sich eine Vorstadtvilla nicht von allein, und auch die Platzmiete im Yachthafen von Monaco will bezahlt sein. Dass die Abgaben zu großen Teilen für gesamtgesellschaftliche Projekte verplant sind, ficht ihn dabei nicht an, denn die Straßen sind inzwischen längst saniert, und er fährt wieder standesgemäß mit dem Auto – daher hat er gar kein Interesse an einem kostenlosen Nahverkehr, wo man neben stinkenden Mitmenschen auf einer abgewetzten Sitzbank Platz nehmen muss, um morgens zur Arbeit zu kommen. Im Gegenteil empfindet er die Steuern zunehmend als Strafe. Dafür, dass er erfolgreich ist, wo andere gescheitert sind. Dass von seinem hart verdienten Geld (bei dieser Formulierung muss er sich schon länger nicht mehr vor Lachen verschlucken) Hungerleider und Proleten in ihren sozialen Hängematten alimentiert werden, findet er unausstehlich.

Deswegen wählt Frédéric-Noel nun wieder rechts. Da trifft es sich hervorragend, dass der Spitzenkandidat der Union die Öffnung der Krankenversicherung für private Unternehmen angekündigt hat; auch der Spitzensteuersatz soll gesenkt werden. Außerdem ist eine Erhöhung der Pendlerpauschale (jedoch nur für Kfz-Besitzer) im Gespräch. Die Einnahmen hierfür sollen aus einer groß angelegten Privatisierungswelle stammen, bei der Wohnungsgesellschaften, die Bahn, die Post, die städtischen Unternehmen und die Energiewirtschaft wieder in die Hände von Investoren gegeben werden; davon verspricht man sich solideres Haushalten und höhere Rendite. Ein Bürokratie-Abbaugesetz soll zahlreiche Umweltvorschriften, Mieter- und Arbeitnehmerrechte streichen, die momentan noch den Fortschritt behindern. Aber nicht mehr für lange Zeit!

Die linken Querulanten von damals nach dem Krieg hatten offenbar doch Recht, nur dass ihnen das jetzt kaum noch Freude bereitet – denn die von ihnen favorisierten Parteien erleiden eine Wahlschlappe nach der anderen.


Wieder nur wenige Jahrzehnte später: Der Lebensstandard für Menschen mit geringem Einkommen (und das sind nicht wenige!) ist spürbar gesunken. Der Schmalberg-Neidhardt AG geht es allerdings prächtig, nicht zuletzt wegen diverser kreativer Methoden der Steuergestaltung, und wegen guter Kontakte zu wichtigen Stellen im Finanz- und Wirtschaftsministerium. Auch bei der letzten Novelle des Aktienrechts sowie beim Erbschaftsbesteuerungsänderungsgesetz hat man kräftig mitgeschrieben. Frédéric-Noel, inzwischen über 80 Jahre, ist zufrieden, denn für seine Familie, einschließlich sämtlicher Nachkommen für die nächsten zwölf Generationen, ist bestens vorgesorgt. Beruhigt verabschiedet er sich aus dem Vorstandsgeschäft, um sich von nun an besser um den Stiftungsvorsitz und die zahlreichen Aufsichtsratsposten kümmern zu können.

Am Horizont taucht eine Partei auf, die so weit rechts ist, dass das sogar Frédéric-Noel ein wenig unanständig findet. Man munkelt, dort gebe es Stimmen, die eine Rückgewinnung der verloren gegangenen Gebiete aus dem letzten Krieg fordern. Und überhaupt sei das Problem im Staat ja nicht, dass man sich zuwenig umeinander kümmere, sondern dass scharenweise Ausländer in die Sozialsysteme einwanderten und es sich dort gut gehen ließen. Genügend Menschen glauben das.


Noch einige Jahre später: Der neue Kanzler kündigt „einschneidende Veränderungen“ an, jedoch „zum Wohl des Vaterlandes und seiner wunderbaren Bürger“. Es sei an der Zeit, historisches Unrecht wieder auszubügeln!


[Zum weiteren Verlauf der Geschichte bitte ab Zeile 1 weiter lesen.]


Dieser Text ist ein Gastbeitrag von Anonymer Schreiberling. Er freut sich bestimmt über positives Feedback. 🙂

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