Auf der richtigen Seite

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Die Demokratie ist bedroht – auch in Deutschland. Doch militante Nazis, fanatische Terroristen und paranoide Querdenker sind nur ein Teil des Problems. Die Coronakrise zeigte deutlich, dass auch ein lange totgeglaubtes demokratiefeindliches Phänomen schnell wieder zur Hochkonjunktur auflaufen kann. In diesen Tagen feiert das Mitläufertum sein zweifelhaftes Comeback. Kritik an den harten Maßnahmen gegen Ungeimpfte bleibt Sache der Betroffenen. Viel zu groß ist die Angst, auf der falschen Seite zu stehen. Eine moralisch aufgeladene Debatte sorgt dafür, dass breiter Unmut gegen die restriktive Politik bislang ausbleibt.

Einmal und nie wieder

In keiner anderen Phase der Bundesrepublik diskutierten die Abgeordneten des Deutschen Bundestags so häufig über die Verteidigung der Demokratie und über den Kampf gegen Rechtsextremismus wie in Zeiten von Flüchtlingsströmen, Klimawandel und Coronakrise. Die Gefahr ist erschreckend real. Mit der AfD hat sich vor vier Jahren eine in Teilen offen rechtsextreme Partei im Reichstagsgebäude eingenistet. Was unter Historikern schon lange als sicher gilt, erleben auch viele Politiker heute hautnah: Es ist einmal passiert und es kann wieder passieren.

Die deutschen Wähler wurden seitdem mehrfach Zeuge von flammenden Reden, mit denen verschiedene Abgeordnete inbrünstig die Demokratie beschworen und sich klipp und klar von den Feinden der Demokratie auf der rechten Seite des Saals distanzierten.  Eines durfte dabei nicht fehlen: Das berühmte Zitat von Bertolt Brecht, mit dem er bereits Ende der1950er-Jahre auf ein faschistisches Potenzial hinwies. Pegida, Klimaleugner und Querdenker beweisen tatsächlich: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.

Gegen die Mehrheit

Rassismus, Homophobie und Antisemitismus sind die bekanntesten Auswüchse des rechten Extremismus. Dieser systematische Menschenhass war leider nie ganz weg. Die Flüchtlingswelle von 2015 hat gezeigt, dass viele fremdenfeindliche Ressentiments weiter vorhanden sind. Besonders männliche Homosexuelle können sich in einigen Gegenden nicht angstfrei küssen. Alle zwei Wochen wird in Deutschland ein jüdischer Friedhof geschändet.

Im öffentlichen Bewusstsein blieben vor allem die Anschläge von Halle und Hanau und der Mord an Walter Lübcke als rechtsextreme Gewalttaten haften. Einige der Täter waren mit der rechtsextremen Szene vernetzt. Trotzdem handelten sie allein. Ihre menschenverachtenden Verbrechen waren nicht dazu geeignet, den Umsturz des Systems herbeizuführen. Sie stießen auf blankes Entsetzen, auf Trauer und auf Wut.

Auch die neuerdings 10 Prozent der AfD-Wähler sind zwar frustriert und unzufrieden, die wenigsten unter ihnen sind aber bereit dazu, den Staat mit der Waffe zu bekämpfen. Die Erzählung vom rassistischen AfD-Wähler ist und bleibt eine Legende. Selbst wenn die AfD immer unverhohlener ihr wahres Gesicht zeigt, gilt das für die Mehrheit ihrer Wähler nicht. Die meisten von ihnen sind keine Rassisten und Menschenfeinde. Es ist fraglich, woher eine so große Zahl an Rassisten plötzlich herkommen sollte. Rassistische und antisemitische Tendenzen waren über viele Jahrzehnte in der deutschen Gesellschaft vorhanden. Blinder Rassismus und Antisemitismus sprießt aber nicht wie wild aus dem Boden.

Sehenden Auges

Viele Wählerinnen und Wähler geben der AfD trotzdem ihre Stimme. Sie nehmen für sich in Anspruch, keine Rassisten zu sein und wählen sehenden Auges eine Partei, die sich mit jedem Tweet und jedem Talkshowauftritt ein Stück weiter vom Rechtsstaat entfernt. Willfährig versuchen sie, eine Partei auf den Thron zu heben, die von der großen Mehrheit der Gesellschaft weiterhin abgelehnt wird.

Spätestens mit der Flüchtlingskrise haben die Rechtspopulisten ein Bindemittel gefunden, dass diesen Nicht-Rassisten das Maul stopft. Mit Horrorszenarien von kriminellen Asylsuchenden und einem importierten Terrorismus machen sie es ihren Wählern leicht, über ihre offensichtlichen rechtsextremen Tendenzen hinwegzusehen oder diese sogar billigend in Kauf zu nehmen. Geschickt machte sich die AfD die existenziellen Ängste ihrer potenziellen Wähler zunutze, um an ihre Stimmen zu kommen. Dieses Spiel hatte die Rechte schon immer gut drauf, egal ob sich die Gesellschaft mit einem Krieg, einer Wirtschaftskrise oder mit einer Pandemie konfrontiert sah.

Keine vertrauensbildende Maßnahme

Am 3. November 2021 riefen die baden-württembergischen Behörden die Corona-Warnstufe aus. Bereits in den Tagen zuvor spekulierten die Medien über eine anstehende Verschärfung der Maßnahmen. Ausführlich kündigten sie an, welche Einschränkungen Ungeimpfte in der Warnstufe zu erwarten hätten. Spätestens in der Unterüberschrift fiel das Stichwort.

Zwar setzten sich viele Artikel auch mit steigenden Inzidenzen und überlasteten Krankenhäusern auseinander, im Fokus standen aber viel zu oft die Ungeimpften. Das sendete ein falsches Signal an alle anderen. Eine solche Berichterstattung entlässt die Geimpften und Genesenen aus der medizinischen und gesellschaftlichen Verantwortung. Mit der Impfung erhalten die Menschen keinen Freibrief, sondern einen umfangreichen Schutz vor dem Coronavirus. Die Medien unterstützen diese Sichtweise leider nicht.

Stattdessen unterstützen sie mit solchen Beiträgen die Kampagne gegen Ungeimpfte. Seit Monaten versucht die Regierung, bislang Ungeimpfte durch finanziellen und gesellschaftlichen Druck zu einer Impfung zu bewegen. Eine vertrauensbildende Maßnahme ist das nicht. Stattdessen empfinden viele Betroffene diese Agitationen als Zwang. Beugen sie sich dem Druck, dann nur unter Protest. Besonders erfolgreich waren die staatlichen Maßnahmen bisher auch nicht: Die Mehrheit der Ungeimpften gab an, sich trotz des Drucks auf keinen Fall impfen zu lassen. Die Entscheidung gegen die Impfung scheint in Stein gemeißelt zu sein.

Bedrohliche Entwicklungen

Moralisch aufgeladene Debatten vertiefen die Gräben zusätzlich. Wer die explodierenden Infektionszahlen und die Überlastung des Gesundheitswesens ausschließlich oder vorrangig auf die Minderheit der Ungeimpften zurückführt, suggeriert damit, dass die Ungeimpften schlechte Menschen sind. Solche Schlussfolgerungen werfen den Ungeimpften vor, ihnen wären schwer kranke und leidende Menschen egal. Ließen sich die Ungeimpften aufgrund dieser Schein-Argumente doch impfen, würden sie diesen Vorwurf indirekt bestätigen. Weil aber kein Mensch schlecht sein will, verfestigt sich ihre Entscheidung gegen die Impfung.

Tatsächlich bricht sich immer mehr eine Rhetorik der offenen Drohgebärde Bahn. Nicht der Schutz der Ungeimpften steht im Vordergrund, sondern deren Bestrafung. Wenn der Reutlinger Oberbürgermeister Thomas Keck (SPD) ankündigt, der Ausbau mobiler Impfstationen in der Stadt diene vorrangig dem Zweck, „auch den Rest der Ungeimpften [zu] kriegen“, dann ist diese Drohung nicht mehr subtil.

Augen zu und durch

Immer unverhohlener werden die Ungeimpften für die aktuelle Situation verantwortlich gemacht. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery sprach erst am vergangenen Sonntag bei Anne Will von einer „Tyrannei der Ungeimpften“. Warum regt sich gegen solche Diffamierungen kein breiter Widerstand? Es ist im Grunde ganz leicht: Die Geimpften haben Angst, auf der falschen Seite zu stehen. Die Impfung wird als solidarischer Akt angepriesen. Diese Legende ist das Bindemittel, damit die Mehrheit der Geimpften den Mund hält, wenn die Minderheit der Ungeimpften mit fragwürdigen Methoden unter Druck gesetzt wird. Weitreichende Lockerungen machen es den Geimpften zusätzlich leicht, vor solchen Offensichtlichkeiten die Augen zu verschließen. Wer in einem schicken 2G-Restaurant sitzt, hat die Ausgeschlossenen schnell vergessen.

Mit ihren Maßnahmen erhöht die Regierung die Geimpften auf eine Position, von der es sich leicht auf die angeblich unsolidarischen Impfverweigerer herabsehen lässt. Geschickt lenkt die Politik dadurch von der Tatsache ab, dass sie selbst in der Vergangenheit alles andere als solidarisch war. Es ist ausgesprochen unsozial, Pflegekräfte mit mickrigen Löhnen abzuspeisen und allein im ersten Jahr der Pandemie zwanzig Krankenhäuser samt Intensivstationen dichtzumachen. Solche Entscheidungen tragen deutlich stärker zu einer Überlastung des Gesundheitswesens bei als der Entschluss, sich nicht impfen zu lassen. Die viel diskutierte Impfpflicht im Pflegebereich kommt nur deshalb nicht, weil die Regierung weiß, dass die Lage in Krankenhäusern und Heimen schon jetzt katastrophal ist.

Die Mehrheit der Geimpften begehrt gegen solche Ungerechtigkeiten nicht auf. Für sie sind die Ungeimpften die Buhmänner. Wegen persönlicher und sozialer Verlustängste schweigen sie lieber und reden sich ein, dass alles halb so wild sei: Die Ungeimpften können diesen Zustand schließlich jederzeit durch eine Impfung beenden. Dieses Mitläufertum war schon immer das Erfolgsrezept von Staaten, die nicht demokratisch verfasst sind. Einmal mehr steht fest: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.


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Der Ton wird rauer

Hauptargument Moral

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Die autoimmune Gesellschaft

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Die zweite deutsche Republik ist eine Geschichte der großen Erfolge. Nach vielen Jahren Nazi-Terror, einem zerstörerischen Krieg und einer Schuld für Generationen war es nicht selbstverständlich, dass auf deutschem Boden je wieder eine Demokratie blühen würde. Dann kam der wirtschaftliche Aufschwung und die Demokratie in Deutschland erlebte viele stabile Jahre. Die Erfolgsgeschichte gipfelte schließlich in der Wiedererlangung der deutschen Einheit. Nach Jahrzehnten der funktionierenden Demokratie haben sich viele allerdings an ein gutes Leben gewöhnt. Manche Dinge werden nicht mehr hinterfragt und auch die Grenzen des demokratisch Zumutbaren werden immer häufiger übertreten. So wird die Demokratie von innen ausgehöhlt und existiert plötzlich nur noch formell.

Eine wehrhafte Demokratie

In den letzten Jahren war oft davon die Rede, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland in Gefahr wäre. Manche gingen sogar einen Schritt weiter und behaupteten, die Demokratie sei längst von einer Merkel-Diktatur abgelöst worden. Mit schrillen Stimmen und kompromittierenden Plakaten versuchten diese Menschen, ihre Botschaften auf Demonstrationen an den Mann zu bringen. Auf der anderen Seite war man fast genau so felsenfest davon überzeugt, dass diese Menschen eine Gefahr für unsere pluralistische Ordnung wären. Man beschwor, dass unsere Demokratie wehrhaft genug sei, um solchen Menschen die Stirn zu bieten.

Das Bild der funktionierenden und wehrhaften Demokratie darf seitdem in keiner Debatte mehr fehlen. Selbst wenn es nicht um die vermeintliche Einschränkung demokratischer Grundrechte geht – ein Spezialist findet sich immer, der mit der Demokratiekeule um die Ecke kommt. Es lasse sich nur mit einer ausgesprochen dynamischen Demokratie erklären, warum inzwischen nicht nur zwei Kandidaten, sondern stolze drei um den Einzug ins Kanzleramt streiten.

Wenn zwei sich streiten…

Schaut man aber genauer hin, so wird schnell deutlich, dass viele der Befragten keinem der drei Kandidierenden das Amt des Regierungschefs zutraut. Olaf Scholz stellt seine beiden Mitbewerber zwar in den Schatten, geeignet scheint er für viele aber trotzdem nicht.

Scholz‘ großer Trumpf ist seine lange politische Erfahrung und sein staatsmännisches Auftreten. Auch wenn er manchmal aus der Wäsche schaut wie ein zufriedener Meister Propper, ein Fauxpas wie Armin Laschet nach der Flutkatastrophe wäre ihm nie passiert.

Sein Vorsprung gegenüber Baerbock und Laschet wurde in den vergangen Tagen immer größer. Trotzdem bleibt auch Olaf Scholz für breite Wählerschichten als Kanzler unattraktiv. Selbst seine Befürworter nennen ihn häufig nur deswegen, weil seine Konkurrenz so desaströs ungeeignet ist. Eine gute Referenz für’s Kanzleramt ist das mit Sicherheit nicht.

Die halbe Wahrheit

Olaf Scholz wäre nichts weiter als ein Notkanzler. Ähnlich wie Angela Merkel profitiert er fast ausschließlich von der Schwäche seiner Herausforderer. Einen echten Neuanfang würde es mit ihm nicht geben. Das wissen auch die Menschen im Land. Immerhin blieb eine Wechselstimmung wie zur Bundestagswahl 2017 mit Kanzlerkandidat Martin Schulz bislang aus.

Das ist auch überhaupt kein Wunder, bedenkt man, dass die wirklich Enttäuschten selten an derartigen Befragungen teilnehmen. Besonders die SPD hat viele Wähler an die AfD, aber auch ins Nichtwählerlager verloren. Es ist fraglich, ob die Menschen aus diesem Lager nun in großer Zahl für Scholz votieren. Es ist viel wahrscheinlicher, dass diese Leute alle drei Kanzlerkandidaten ablehnen oder überhaupt keine Antwort geben. Das verfälscht das Stimmungsbild, welches uns die Medien seit Monaten weismachen wollen.

Vom Hörsaal an die Basis

Die Entfremdung und Nicht-Teilnahme an Politik sieht man aber auch an weniger entscheidenden Fragen. Die Debatte um gendergerechte Sprache ist und bleibt ein Thema für Menschen, die sich solche Sorgen leisten können. Es ist bezeichnend, dass diese Debatte fast ausschließlich aus den Hörsälen und Universitäten kommt. An solchen Orten treiben sich für gewöhnlich Menschen herum, deren Zukunftsaussichten äußerst vielversprechend sind. Selten beteiligen sich Menschen an der Genderdebatte, die bereits am 15. eines Monats finanzielle Abstriche machen müssen oder die mit zwei Jobs und Familie heillos überfordert sind.

Rassismus, Frauenfeindlichkeit und eine fehlende Sensibilität für Minderheiten spielen für diese Menschen selten eine Rolle. In ihren Jobs sind nationale und kulturelle Vielfältigkeit längst realisiert. Wenn ihnen Menschen mit völlig anderen Lebensrealitäten nun vorschreiben wollen, wie sie zu leben oder sogar zu sprechen haben, dann empfindet das der Paketbote, die Krankenpflegerin oder der Lieferando-Mann völlig zurecht als Affront.

Charakteristisch für diese Debatte ist, dass sie ihre Kritiker in aller Regel rigoros ausschließt. Wer mit Gendersternchen und woker Sprache fremdelt, der ist im besten Fall zu dumm, um das wahre Anliegen zu erkennen oder im schlimmsten Fall selbst ein rassistischer Aggressor. Dadurch stößt die Debatte all diejenigen vor den Kopf, die sie kritisieren. Die Zahl der Menschen, die dagegen sind, wird immer kleiner, weil sie an der Debatte überhaupt nicht mehr teilnehmen dürfen. Das Verhältnis der Befürworter hingegen wird bis über alle Maße verzerrt. So entsteht der Eindruck, dass eine überwältigende Mehrheit jedes dritte Wort mit einem Sternchen versehen will. Mit der Realität hat das dann wenig zu tun.

Gute Miene zum bösen Spiel

Dabei ist die Debatte um inklusive Sprache keine schlechte. Es ist gut, wenn man sich darüber Gedanken macht, wie man mit seinen Worten möglichst viele Menschen mitnehmen kann. Die wenigsten haben damit ein Problem. Viel zu einfach befindet man sich dann im Reich des Unmoralischen und des Verwerflichen, wenn man an dieser guten Grundintention rüttelt. Die Menschen stehen einfach nicht auf Bevormundung. Ihre Kritik daran münzen die Befürworter geschickt an eine Kritik am großen Ganzen um und stellen die Aufbegehrenden auf diese Weise leicht in die rechte Ecke.

In der Konsequenz befinden sich viele Kritiker gendergerechter Sprache in einer Position, in der man sie leicht zum Schweigen bringen kann. Ihre Stimmen werden nicht mehr gehört, vernehmbar sind fast ausschließlich die schrillen Töne der Befürworter. Mit einer solchen Dynamik verhilft man Debatten wie der inklusiven Sprache zur Unsterblichkeit, obwohl ein beträchtlicher Teil der Menschen sie ablehnt.

Auch eine angeblich gut funktionierende Demokratie kann mit einem solchen Mechanismus lange auf dem Papier existieren. Entschieden wird über Fragen, die mit der Wirklichkeit von vielen wenig zu tun haben. Eine Ablehnung verbietet sich aus moralischen Gründen. Lieber lässt man das Trauerspiel über sich ergehen, ohne Widerstand zu leisten. Diese resignierende Haltung ist Gift für die Demokratie.

Auf der richtigen Seite

In einer solchen Gesellschaft hat sich irgendwann eine kleine Gruppe zu moralisch Überlegenen aufgeschwungen. Sie haben es besonders leicht, weil man sie nicht kritisieren kann, ohne selbst als unmoralisch zu gelten. Diese neue Art der Selbstprofilierung machte alsbald Schule. Heute wünscht sich jeder insgeheim, zu dieser exklusiven Runde der unantastbaren Moralapostel zu gehören.

Auf der anderen Seite stehen zwangsläufig die Menschen, die trotz allem Kritik üben und darum ausgeschlossen werden müssen. Auch diese Gruppe wuchs von einem überschaubaren Pulk von Pegisten und Flüchtlingsgegnern 2015 zu einer immer größeren heterogenen Masse heran. Mit der systematischen Diskriminierung von Ungeimpften erreichte diese Entwicklung ihren bisherigen Höhepunkt.

Freund oder Feind?

Bei keinem anderen Thema zeigt sich die moralische Auf- und Abwertung so deutlich wie bei der Frage nach dem Impfstatus. In nie dagewesener Aggressivität wird Stimmung gegen Menschen gemacht, die sich der Impfung gegen das Coronavirus verweigern. Viele Geimpfte stimmen mit der möglichen Einführung einer 2G-Regelung zwar auch nicht überein, da sie als Geimpfte aber von jedem Verdacht reingewaschen sind, möchten sie lieber keine ernstzunehmende Kritik an der Coronapolitik äußern. Zu leicht finden sie sich in einem Topf mit den Unmoralischen, in den sie sicher nicht gehören.

Und obwohl die Impfquote seit Frühsommer in die Höhe geschnellt ist, ist ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung nicht geimpft. Von einer klassischen Minderheit lässt sich da nicht sprechen. Die Runde der Ausgeschlossenen wird immer größer und intransparenter. Die Gegenseite wird immer weniger greifbar, die Übergänge zwischen Gut und Böse sind inzwischen fließend. Das Gespenst der Französischen Revolution liegt in der Luft, als ein an und für sich gutes Anliegen völlig eskalierte und Jagd auf ehemals Verbündete gemacht wurde.


Die Demokratie ist in ernsthafter Gefahr. Anders als zu Weimarer Zeiten steht der Gegner aber nicht nur außerhalb des demokratischen Spektrums. Mit der AfD hat es zwar eine demokratiefeindliche Gruppierung in den Bundestag geschafft und versucht seitdem, unser System mit demokratischen Mitteln zu unterwandern, aber auch aus dem innersten Kern der Demokratie versuchen einige, die Demokratie auszuhöhlen. In ihrem schier unendlichen Drang nach grenzenloser Freiheit und Egalität reißen sie mit dem Hinterteil ein, was ihre Vorfahren mit den Händen aufgebaut haben. Ein Stück weit leidet unsere Demokratie an einer Autoimmunerkrankung, weil viele zwischenzeitlich blind sind für den Wert von Freiheiten, für die sie nie kämpfen mussten.

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