Mein rechter, rechter Platz ist leer…

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Alle vier Jahre wieder: Wie bereits 2017 sträubt sich die FDP auch nach dieser Bundestagswahl, neben der AfD platzzunehmen. Zum einen möchten die liberalen Abgeordneten nicht als rechte Partei verschrien sein, zum anderen wollen sie ihr Trommelfell schonen. Es gibt inzwischen ernstzunehmende Gründe, warum die FDP mit ihrem Anliegen rechthaben könnte. Dann wiederum beweist sie mit ihrer Realpolitik, dass sie vielleicht doch an der richtigen Stelle sitzt – links neben der AfD.

Die Bundestagswahl liegt inzwischen fast vier Wochen zurück. Die meisten Stimmen sind ausgezählt, die Verhandlungen über eine neue Regierungsbildung laufen. Erstmals in der bundesdeutschen Geschichte zeichnet sich eine Bundesregierung aus drei Lagern ab. Besonders die FDP schafft es dabei bereits vor möglichen Koalitionsverhandlungen in die Schlagzeilen. Wie bereits 2017 möchte sie im Plenarsaal nicht neben der AfD sitzen.

Akustische Zumutung

Der Wunsch nach räumlicher Distanz von den Rechtspopulisten ist nur allzu verständlich. Keine andere Fraktion sammelte während der vergangenen Legislaturperiode so viele Ordnungsrufe und Rügen wie die AfD. Immer wieder fiel die Partei durch lautstarke Zwischenrufe und unflätige Kommentierungen negativ auf. Nicht alle diese Vorfälle sind für die breite Öffentlichkeit immer wahrnehmbar. Auch der stenographische Dienst des Bundestags hat Schwierigkeiten, sämtliche rhetorische Tiefflüge der AfD einzufangen.

Anders ergeht es da den Leuten, die in unmittelbarer Nähe der AfD sitzen. Während einer Debatte zur Situation von LGBTQI am 19. Mai 2021 platze der FDP-Abgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann dann der Kragen. In einer Kurzintervention wies sie darauf hin, dass es unerträglich sei, neben Abgeordneten zu sitzen, die „im Kontext von Transgendern von Schweinen und Kühen sprechen“.

Lautstarke Intervention

Auch die scheidende Justizministerin Christine Lambrecht von der SPD hatte bereits 2020 auf die unglaublichen Zwischenrufe aus der AfD hingewiesen. Auf den Regierungsbänken war deutlich zu hören gewesen, dass ein Abgeordneter der AfD Morddrohungen an Staatsminister Michael Roth als „gerechten Zorn“ empfand.

Legendär und fast eines GIFs würdig war auch das skurrile Schauspiel zwischen Alexander Gauland von der AfD und dem FDP-Mann Konstantin Kuhle. Aggressiv gestikulierend und mit hochroten Köpfen schrien sich die beiden Männer während einer Plenardebatte an. Diese Entgleisungen und Ausfälle geben der FDP alles Recht der Welt, sich möglichst weit von der AfD wegzuwünschen.

Fröhliches Beisammensein

Leider kommen die Liberalen mit ihren Extrawünschen wie bereits 2017 zu spät. Der 20. Bundestag wird am 26. Oktober das erste Mal tagen, der Umbau des Plenarsaals ist bereits in vollem Gange. Ein Umzug der FDP-Fraktion ist erst nach der konstituierenden Sitzung möglich. Das kostet Zeit und Geld. Steuergeld. Warum soll der gemeine Steuerzahler dafür aufkommen, wenn der FDP auf den letzten Drücker klarwird, dass der Platz neben der AfD für das menschliche Hirn eher suboptimal ist? Mit mehr als 730 Abgeordneten ist der Bundestag in der kommenden Legislaturperiode sowieso groß und teuer genug.

Auch der FDP ist klar, dass ihr Winseln und Jammern ob der unzumutbaren Geräuschkulisse durch die AfD nicht ausreicht, um sich einen besseren Platz unter der Reichstagskuppel zu sichern. Dann würde nämlich die Union neben der Rechtsaußen-Partei sitzen und wahrscheinlich auch bald alle Hebel in Bewegung setzen, um schleunigst wieder von da wegzukommen. Die Christian-Lindner – Partei hat sich daher etwas einfallen lassen: Jetzt, da sich die Ampel abzeichnet, sollten die regierenden Parteien beieinandersitzen.

Das ist natürlich ein sehr fadenscheiniger Grund. Es gibt außerdem mehrere Beispiele aus der bundesrepublikanischen Parlamentsgeschichte, dass regierende Fraktionen eben nicht direkt nebeneinandersaßen. Erinnert sei an die letzten drei Großen Koalitionen unter Angela Merkel. Zwischen Union und SPD saßen stets die Bündnisgrünen, um wenigstens etwas die politische Differenz zu symbolisieren, die eigentlich zwischen den beiden ehemaligen Volksparteien liegen sollte.

Es war schon immer eine der vornehmsten Aufgaben des Parlaments, den politischen Willen des Volks widerzuspiegeln, und nicht die Zusammensetzung einer Regierung. Das Parlament muss die Regierung kontrollieren und nicht andersrum. Das gelingt am besten, wenn sich das Parlament ungeachtet rechnerischer Regierungsmehrheiten zusammensetzt. Im übrigen sitzen die regierenden Abgeordneten und Minister auf der Regierungsbank bereits zusammen.

Sitzordnung mit Tradition

Die FDP stört allerdings nicht nur der enorme Lautstärkepegel neben der AfD. Auch möchten die Liberalen nicht in eine ideologische Nähe zu den rechten Schreihälsen gerückt werden. Ihre Kritik an der parlamentarischen Positionierung ist erst so laut, seitdem die AfD in den Bundestag eingezogen ist.

Dabei hat der Sitzplatz der FDP durchaus seine Tradition. Schon seit der Französischen Nationalversammlung saßen solche Abgeordnete auf der rechten Seite, die die Interessen der Monarchie und des Adels vertraten. Diesen Adel gibt es in der Bundesrepublik nicht mehr. Trotzdem lässt sich der FDP durchaus ein Hang zu den Reichen und Mächtigen konstatieren. Vergleicht man die Summen an Parteispenden, so rangiert die FDP auf den vorderen Plätzen. Allerdings müssten nach dieser Logik zwischenzeitlich auch die Grünen weiter rechts platznehmen.

Die bequeme Alternative

Im wesentlichen befürworteten in den Parlamenten die linksplatzierten Abgeordneten staatliche Eingriffe in die Wirtschaft. Die Abgeordneten auf der rechten Seite des Parlaments folgten der Vorgabe des schlanken Staats, wollten also möglichst wenig staatliche Intervention in die Wirtschaft. Diesen Prinzipien ist die FDP bis heute treugeblieben und sitzt daher an der richtigen Stelle.

Seit Corona lieferte die FDP noch ein weiteres Argument dafür, dass sie rechts neben der Union richtig platziert ist. Nach ihrem dramatischen Umfragetief im Frühjahr 2020 konnte sie sich in den Folgemonaten erfolgreich als die Fürsprecherin der Bequemen profilieren. Durch eine strategische Rückbesinnung auf den eigenen Markenkern, die individuellen Freiheiten, gelang es der Partei, die Regierung unter Druck zu setzen. Maßnahmen wie die Maskenpflicht und die harten Lockdowns stellte die FDP stets in kleinbürgerlicher Manier in Frage.

Mit dieser Politik der erzwungenen Öffnungsperspektive trat die FDP mitunter in offene Konkurrenz zur AfD. Geschickt bot sie all den bequemen Wählerinnen und Wählern eine politische Heimat, denen es mit der AfD allmählich zu heikel wurde. Bereits 2019 wagte Parteichef Lindner diesen Schritt, als er in Bezug auf den Klimawandel medienwirksam von einer „Sache für Profis“ sprach. Er vermittelte damit das Bild eines Kampfes, den der Durchschnittsbürger nicht führen könnte und mit dem er bitteschön auch nicht behelligt werden sollte. Auch der Wahleklat von Thüringen im vergangenen Jahr dürfte wenig zur ideologischen Distanzierung von der AfD beigetragen haben.


Die FDP ist für mich keine rechte Partei. Sie vereinigt sowohl Elemente, die früher als linksliberal galten, ist aber gleichzeitig auf einen regelrechten Marktradikalismus fixiert. Sie hat einen beträchtlichen Teil der AfD-Wähler völlig zurecht als wahltaktische Zielgruppe identifiziert. Daraus darf ihr politisch kein Strick gedreht werden. Je mehr Wählerinnen und Wähler zu den demokratischen Parteien zurückkehren desto besser. Der FDP ist dieser Schritt gelungen – allerdings um den Preis, dass sie sich ideologisch von der Mitte entfernt und stattdessen ihren Platz rechts neben der Union verteidigt hat.

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Neue Wege statt roter Socken

Lesedauer: 8 Minuten

Die fragwürdige Ansprache von Angela Merkel bei ihrer wohl letzten Rede als Bundeskanzlerin löste ein kleines Medienbeben aus. Viele Berichterstattungen überschlugen sich nahezu bei ihrer Kritik an der Noch-Regierungschefin. Dabei waren die Äußerungen Merkels wirklich keine Überraschung. Ein Regierungsbündnis mit den Linken scheint ohnehin nicht die wahrscheinlichste Option. Was sich allerdings abzeichnet, sind schwierige Koalitionsverhandlungen. Olaf Scholz und seine SPD könnten aus der Lage aber auch gestärkt hervorgehen. Alles, was es dazu braucht, sind Diplomatie und eine deftige Prise an politischem Wagemut.

Kleine Worte mit großer Wirkung

Vergangene Woche hielt Angela Merkel ihre vermutlich letzte Regierungserklärung als Bundeskanzlerin. Eigentlich sollte es bereits vor zwei Monaten soweit gewesen sein, doch die verschärfte Lage in Afghanistan zwang den Bundestag dazu, vor der Bundestagswahl zu weiteren Sitzungen zusammenzukommen. Die scheidende Bundeskanzlerin nutzte ihre wirklich-wirklich letzte Rede im Bundestag auch dazu, einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. Sie wies auf die richtungsweisende Wirkung der anstehenden Bundestagswahl hin. Sie erklärte sinngemäß, dass sich die Wählerinnen und Wähler zwischen einer soliden bürgerlichen Regierung oder einer von den Linken tolerierten Regierung jenseits der Union entscheiden könnten.

Merkels Ausführungen sorgten für laute Zwischenrufe und Empörung. Besonders die linke Seite des Parlaments wollte sich diese Einmischung in den Wahlkampf nicht gefallen lassen. Sie warfen der Kanzlerin vor, die roten Socken aus der untersten Schublade der CDU-Wahlkampftricks herauszukramen. Die rechte Seite des Bundestags teilt diese Einschätzung naturgemäß nicht. Für sie kam es eher überraschend, dass sich Angela Merkel so offen gegen eine linke Regierung sträubte. Immerhin habe die Kanzlerin die CDU in den vergangenen Jahren derart entkernt, dass zwischen ihr und der SPD kaum noch Unterschiede deutlich wären.

Konkret war oft die Rede davon, Angela Merkel hätte ihre Partei sozialdemokratisiert. Das ist natürlich völliger Unsinn. Mit ihrem Fetisch für Große Koalitionen hat sie ihrer Partei zwar das nötige Profil geraubt, für sozialdemokratische Politik zeichnet die Kanzlerin aber wahrlich nicht verantwortlich. Immerhin ist die Anzahl an prekären Arbeitsverhältnissen und befristeten Stellen in ihrer Regierungszeit signifikant gestiegen. Die desaströse Rentenpolitik hat eine Grundrente nötig gemacht – und selbst die wurde erst nach zähem Kampf mit der Union beschlossen.

Ein alter Hut

Der Noch-Kanzlerin Anbiederei bei der politischen Linken zu unterstellen, ist also völlig absurd. Nur weil Angela Merkel nicht alle feuchten Träume von Erzkonservativen aus CSU und AfD erfüllt, macht sie noch lange keine linke Politik. Darum ist es auch so unverständlich, warum gerade SPD und Linke ein so großes Problem mit Merkels Erklärung vom 7. September haben.

Es ist doch wirklich keine Überraschung, dass Angela Merkel keinen Wahlkampf für die SPD macht. Natürlich möchte sie, dass ihre eigene Partei das Zepter in der Hand behält und selbstverständlich weiß sie, dass Regierungskoalitionen ohne die Union nicht mehr undenkbar sind. Und außerdem hat sich Merkel noch nie mit einer nennenswerten Nähe zur Linken hervorgetan. Bereits 1999 schloss sie bei Maybritt Illner eine Zusammenarbeit mit der PDS praktisch für alle Zeiten aus. Auch einige Wochen vor der Bundestagswahl 2005 wehrte sie sich entschieden gegen die Möglichkeit, die Linkspartei könne an der nächsten Regierung beteiligt sein. Merkels Rede mag ein Rückfall in die Ära der roten Socken gewesen sein. Ein politischer Skandal, wie er nun von vielen herbeigeredet wird, waren ihre Worte jedenfalls nicht.

Jenseits von Rot-Grün-Rot

Es ist tatsächlich möglich, dass Die Linke an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein wird. In Umfragen gibt es dazu immer wieder die entsprechenden Mehrheiten. Eine rot-grün-rote Koalition würde aber sicher nicht an den mahnenden Worten der Noch-Kanzlerin scheitern. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sich die Akteure in diesem Dreierbündnis in einigen Punkten nicht einig werden und mögliche Sondierungsgespräche ein ähnlich trauriges Schicksal ereilt wie einst die Verhandlungen über Jamaika.

Schon heute zeichnet sich ab, dass eine rechnerische linke Mehrheit im Zweifelsfall nicht genutzt werden würde. Besonders SPD und Grüne haben in den vergangenen Monaten immer anderen Parteien Avancen gemacht. Lange Zeit galt eine schwarz-grüne Koalition als am wahrscheinlichsten. Dann kam Armin Laschet und ließ dieses Szenario wieder in weitere Ferne rücken. Auch die Grünen blinkten lange Zeit fleißig in Richtung CDU. Als jedoch auch deren Umfragewerte mit Annalena Baerbock in den Keller rauschten, war erst mal Schluss mit solchen Träumereien.

Munteres Farbenspiel

Bei Olaf Scholz spukt bis heute der Verdacht, er habe es auf eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP abgesehen. Ob sich Christian Lindners FDP allerdings tatsächlich auf eine Koalition mit gleich zwei traditionell eher linken Parteien einlässt, bleibt abzuwarten. Die Umfragewerte der Liberalen deuten zumindest nicht darauf hin, dass es demnächst zu einem Wechsel an der Parteispitze kommen wird.

Und selbst wenn es zu Sondierungsgesprächen zwischen SPD, Grünen und Linken käme – scheitern würden solche Verhandlungen zweifellos am ehesten an den außen- und verteidigungspolitischen Vorstellungen. Der große Knackpunkt ist und bleibt die NATO. Den Linken wird nicht ohne weiteres ein Bekenntnis zu diesem Bündnis zu entlocken sein. Mit SPD und Grünen muss sich die Partei außerdem darauf einstellen, früher oder später die Entscheidung treffen zu müssen, ob sie sich entgegen ihrem Grundsatzprogramm für Auslandseinsätze der Bundeswehr ausspricht.

Ein schwieriger Spagat

Im Angesicht gravierender innenpolitischer Probleme wirken solche Fragen fast nebensächlich – in jedem Falle aber kontraproduktiv. Denn in zentralen sozial- und finanzpolitischen Angelegenheiten sind sich die drei Parteien weitgehend einig. Im wesentlichen stehen sowohl SPD, Linke und auch die Grünen für ein höheres Rentenniveau und eine Rückkehr zu einem funktionierenden Solidarstaat. Sie stehen für bessere Arbeitsbedingungen und ein gerechteres Steuersystem. Solche Punkte betreffen die Menschen im Land stärker als fehlende Treueschwüre gegenüber der NATO.

Deswegen wäre es fatal, wenn eine solche Mehrheit im nächsten Bundestag nicht genutzt werden würde. Mit Union und FDP lassen sich solch bedeutende Veränderungen nämlich nicht herbeiführen. Mit ihnen lassen sich bestenfalls Träumereien von Zwei-Prozent – Zielen realisieren. Warum also nicht beide Mehrheiten nutzen, wenn Rot-Grün-Rot an dieser Frage scheitern würde?

Demokratischer Gewinn

In einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken ließe sich vieles im Land verbessern. Man würde wieder mehr in Bildung, Schulen und Kitas investieren. Der Mindestlohn würde deutlich steigen. Die Ostrenten könnten auf ein angemessenes Niveau angehoben werden. Und vielleicht kann Rot-Grün auch in einem Zweckbündnis mit Union und FDP ihre Vorstellungen von geringeren Wehrausgaben umsetzen.

Viele Parteien könnten von dieser Konstellation profitieren. Die Union hätte ihre wohlverdiente Pause in der Opposition, die FDP könnte sich naturgemäß wichtigmachen. Die Linken könnten ihre herbeigesehnten sozialen Verbesserungen endlich durchsetzen, ohne die eigenen Werte zu verraten. SPD und Grüne könnten sich glücklich schätzen, endlich wieder eine Bundesregierung zu stellen.

In erster Linie würde aber wieder Leben in die Bude kommen. Die Minderheitsregierung setzt voraus, dass man für Mehrheiten wieder kämpfen müsste. Auf diese Weise kann der politische Wettbewerb wieder angekurbelt werden. Der Sturz des SPD-Kanzlers durch ein konstruktives Misstrauensvotum wäre eher unwahrscheinlich, weil Union und FDP dazu mit der Linken zusammenarbeiten müssten. Auch die rot-grüne Minderheitsregierung wäre ein lebendiger Kompromiss. Es wäre aber ein Kompromiss, mit der den meisten Interessen im Volk gedient wäre.

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