Präsidiales Dilemma

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Als die AfD vor knapp zwei Jahren den FDP-Politiker Thomas Kemmerich ins Amt des thüringischen Ministerpräsidenten hob, löste sie damit einen medienträchtigen politischen Skandal aus. Zur anstehenden Wahl des Bundespräsidenten geht die Rechtsaußen-Partei noch einen Schritt weiter. Mit Max Otte nominierte sie dieses Mal sogar einen Kandidaten, welcher der AfD nicht angehört. Mit der Kandidatur treibt die AfD den groß angekündigten Spaltpilz in die CDU. Die ehemalige Volkspartei muss sich entscheiden, ob sie die Intrigen der AfD mitmacht oder ob sie unbeirrt am demokratischen Weg festhält.

Inszenierung mit Ansage

Bei der Wahl des Bundespräsidenten 2017 wollte Die Linke mit der Nominierung des Armutsforschers Christoph Butterwegge ein wenig Spannung in die Angelegenheit bringen. Damals war klar, dass GroKo-Kandidat Frank-Walter Steinmeier mit nahezu 100 Prozent der Stimmen gewählt werden würde, wenn keine halbwegs wählbare Alternative anträte. Die übrigen Kandidaten waren so oder so zum Scheitern verurteilt. Auch Christoph Butterwegge scheiterte grandios am Konsenskandidaten. Trotzdem gelang es den Linken, den übrigen Mitgliedern der Bundesversammlung wenigstens ein paar Stimmen für ihren Kandidaten abzuluchsen.

Um Spannung im Wahlkampf geht es der AfD fünf Jahre später sicher nicht. Die Nominierung von Max Otte bei der anstehenden Wahl des Bundespräsidenten ist der aussichtsreiche Versuch der Rechtspopulisten, den groß angekündigten Spaltpilz in die CDU zu treiben. Die Personalie Otte ist der Rechtsaußen-Partei egal, entscheidend ist, dass er CDU-Mitglied ist.

Bekanntes Muster

Mit der Aufstellung des abtrünnigen CDU-Mannes setzt sich ein bekanntes und vielfach erprobtes Muster der AfD fort. Bereits 2016, mitten in der Flüchtlingskrise, sonderte sich Erika „The Joker“ Steinbach durch äußerst umstrittene Äußerungen von ihrer Partei ab. Letztendlich verließ sie die CDU und gehörte die letzten Monate ihrer Bundestagskarriere dem hohen Haus als fraktionslose Abgeordnete an. Danach machte sie als Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus – Stiftung von sich reden.

Ein weiteres Sorgenkind der CDU wäre vor wenigen Monaten beinahe in den Bundestag eingezogen. Hans-Georg Maaßen fiel bereits als Chef des Verfassungsschutzes negativ auf, weil er die Hetzjagden in Chemnitz relativierte und sich wiederholt wohlwollend zur AfD äußerte. Auch eine Koalition mit den Rechten schloss er nicht aus. Mit ihm wäre faktisch ein AfD-Mann mehr in den Bundestag eingezogen. Das haben die Wählerinnen und Wähler aus seinem Wahlkreis aber mehrheitlich verhindert.

Der immer wieder aufkommende Applaus aus den Reihen der CDU ist das beste, was der AfD passieren kann, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Der Partei geht es nicht um Spannung im Wahlkampf oder darum, einen besonders geeigneten Kandidaten aufzustellen. Der AfD geht es einzig darum, im Gespräch zu bleiben und den Parlamentsbetrieb und die Verfassung insgesamt lächerlich zu machen.

Parlamentarische Bühne

Die Nominierung Ottes reiht sich nahtlos ein in eine Serie aus ähnlichen durchsichtigen Inszenierungen. In der zurückliegenden Wahlperiode machten sich die Abgeordneten der AfD einen Heidenspaß daraus, Hammelsprünge noch und nöcher zu provozieren. In auffallender Regelmäßigkeit zweifelte sie zu später Stunde die Beschlussfähigkeit des Hauses an. In der Folge mussten alle Abgeordnete zur Zählung den Plenarsaal verlassen, was die Sitzung künstlich in die Länge zog. Konnte selbst die AfD die mehrheitliche Anwesenheit der Abgeordneten nicht ernsthaft in Zweifel ziehen, zog die Fraktion gerne mal spontan aus dem Plenarsaal, um eine unliebsame Abstimmung zu torpedieren. Dieses beinahe kindische Schmierentheater am 14. Dezember 2018 scheiterte am Zusammenhalt der demokratischen Fraktionen.

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14. Dezember 2018: Die AfD missbraucht das Parlament erneut als Bühne für ihre Inszenierungen.

Ein Fall für die Geschichtsbücher ist auch die Wahl des Ministerpräsidenten von Thüringen am 5. Februar 2020. Die Höcke-Fraktion lockte ihre willigen Helfer aus CDU und FDP geschickt in eine Falle, um die Wiederwahl des beliebten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) zu verhindern. Spätestens nach diesem Vorfall war klar, dass es viel zu kurzsichtig ist, der AfD lediglich ein paar dumme rassistische Zwischenrufe und Interviewsequenzen zuzutrauen. Diese Partei spaltet mit ihren Parolen nicht nur die Gesellschaft, sie greift mit ihren Inszenierungen das Parlament als die Herzkammer der Demokratie direkt an.

Präsidiales Dilemma

Natürlich könnte man jetzt den Wähler dafür verantwortlich machen, dass die AfD so stark in den Parlamenten vertreten ist, dass ihre Darbietungen dort nachhaltigen Schaden verursachen. Aber auch das wäre viel zu kurz gegriffen. Es ist einer fehlgeleiteten Politik zu verdanken, die sich viel zu selten am Interesse der Bevölkerung orientiert, dass die AfD heute dort ist, wo sie ist. Es war der Politikstil der letzten Jahre, der die Menschen zuerst abspenstig und dann wütend gemacht hat. Von der aktuellen Situation kann die AfD nur profitieren – egal, wer sich wie angestrengt von Otte distanziert oder es bleibenlässt.

Die CDU könnte natürlich einen eigenen Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl aufstellen. Das käme einem Rausschmiss Ottes gleich, den sich die Mehrheit der Partei zwischenzeitlich sowieso wünscht. Ein solcher Schritt würde aber viele besonders konservative Wählerinnen und Wähler zur AfD treiben. Die CDU steckt dadurch in einem echten Dilemma, weil sie natürlich nicht leichtfertig Wähler verprellen will.

Die CDU könnte aber auch das machen, was sie unter Angela Merkels Führung gelernt hat – nämlich gar nichts. Die Partei könnte die Lage aussitzen und sich bei der Bundesversammlung enthalten. Dann müsste die Union aber mit dem Stempel der Drückeberger leben, was sie politisch sicher nicht voranbringen wird.

Die CDU könnte es aber auch so machen wie schon vor fünf Jahren: Steinmeier wählen. Was dann passieren wird, ist seit Thüringen aber leider auch vorprogrammiert. Die AfD wird sich auf die CDU stürzen und ihr vorwerfen, den Kandidaten aus den eigenen Reihen für den populäreren amtierenden Bundespräsidenten geopfert zu haben. Der Rückenwind, den die CDU für diesen Schritt von den demokratischen Parteien zweifellos erhalten wird, vollendet dann die Intrige der Rechtspopulisten. Sie werden monieren, dass plötzlich akzeptabel ist, wofür sie 2020 heftigst kritisiert wurden.


Egal, wie man es dreht und wendet, die AfD wird aus der Misere als Siegerin hervorgehen. Selbst wenn sich die anderen Parteien absolut fair und demokratisch verhalten – sie haben zugelassen, dass eine antidemokratische Partei Macht und Einfluss erhält. Bei der anstehenden Bundespräsidentenwahl muss es der CDU um Schadensbegrenzung gehen. Auf keinen Fall darf die ehemalige Volkspartei zulassen, dass die AfD den Spaltpilz in ihre Mitte treibt. Macht sie die Spielchen der AfD jedoch mit, riskiert sie weitaus mehr als die eigene Bedeutungsstärke in der Bundesrepublik. Sie stärkt dadurch die Feinde der Demokratie und arbeitet gegen das, was sie vor über 70 Jahren aufgebaut hat.


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