Lockerung auf Bewährung

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Vor wenigen Tagen hat sich die Bund-Länder – Konferenz auf eine bundesweite Öffnungsstrategie verständigt. Die Huldigung des Inzidenzwerts wird beibehalten, Öffnungen unterliegen strengen Auflagen und jeder erhält das Anrecht auf regelmäßige kostenlose Schnelltests. Es wird schwierig, die beschlossenen Maßnahmen umzusetzen und gleichzeitig den Laden am Laufen zu halten. Auch der Wumms hinter den neuen Regelungen lässt Zweifel zu. Wichtig ist, die neuen Verordnungen nur als ein Puzzleteil im Kampf gegen die Pandemie zu sehen.

Trügerische Hoffnung

Seit dieser Woche dürfen nun endlich auch wieder Buchhandlungen und Gartencenter öffnen. Nach den Friseuren sind die Buch- und Blumenfreunde die nächsten, die in den exklusiven Genuss der Lockerungen kommen. Danach sind gastronomische Betriebe, Kultureinrichtungen und der restliche Einzelhandel vorgesehen – immer vorausgesetzt das Infektionsgeschehen lässt solche Lockerungen zu. Damit Infektionen künftig besser aufgedeckt und nachverfolgt werden können, setzt die Bundesregierung neben der Impfung nun auch auf die Schnelltests. Seit vergangenem Samstag sind diese teilweise für alle Menschen im Land käuflich zu erwerben. Diese systematische Ausweitung der Testkapazitäten soll unkontrollierte Infektionen in den geöffneten Bereichen verhindern.

Besonders die privaten Schnelltests bergen jedoch eine hohe Fehlerquote und erfüllen daher nicht den vorgesehen Zweck. Im Gegensatz zu vielen anderen Schnelltestverfahren geben die neuen Corona-Tests nämlich auch falsche Negativergebnisse aus. Das bedeutet, dass die Tests auch solche Menschen als gesund identifizieren, die sich in Wirklichkeit mit dem Virus infiziert haben. Viele Infektionen bleiben dadurch unerkannt, weil Symptome ebenfalls ausbleiben. Das ist für die Betroffenen weitaus weniger schlimm als für die Risikopatienten, denen sie das Virus unwissentlich weitergeben, weil sie sich durch die Schnelltests in Sicherheit wägen.

Corona-positiv und nichts geschieht

Zum Glück wurde die generelle Schwäche der Schnelltests transparent öffentlich gemacht. Jeder weiß darüber Bescheid. Und hier eröffnet sich das nächste Problem: Auch viele positiv Getestete werden das Ergebnis der Schnelltests unter Verschluss halten. Im eigenen Badezimmer mit einer möglichen Corona-Infektion konfrontiert, werden sie das Ergebnis für einen Fehlalarm halten. Wann sollen sie sich schließlich infiziert haben? Diese Menschen werden sich einem dringend notwendigen PCR-Test verweigern. Auch diese Corona-Fälle bleiben dadurch unerkannt und das Virus breitet sich weiter aus.

Denn das große Manko der privaten Schnelltests ist, dass bei positivem Befund kein automatischer Mechanismus greift. Jedem bleibt es im Grunde selbst überlassen, was er aus dem Testergebnis macht. Die meisten werden bestimmt verantwortungsvoll handeln und das Gesundheitsamt informieren, aber wie wenig Menschen nötig sind, um einen Corona-Hotspot zu erzeugen, haben die letzten Monate immer wieder eindrucksvoll gezeigt.

Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker

Da ist es schon besser, wenn nun auch Apotheken Schnelltests anbieten. Hier kann zwar bei der Anwendung kaum gemogelt werden, an der Zuverlässigkeit der Tests änderts das aber nichts. Wenigstens erfolgt die Feststellung einer möglichen Infektion hier vor Zeugen und Verdachtsfälle können isoliert werden.

Auch die zugesicherten wöchentlichen Gratis-Tests können die erhoffte Wirkung nicht voll entfalten. Bei ihnen handelt es sich ebenfalls um Schnelltests, die nicht zuverlässig genug sind, um das Infektionsgeschehen effektiv einzudämmen. Den Einlass im Einzelhandel oder den Besuch im Theater nun an aktuelle negative Schnelltests zu knüpfen, ist im Prinzip ein richtiger Ansatz im Kampf gegen die Pandemie. Durch die hohe Fehlerquote lässt sich aber auch das nicht wirkungsvoll umsetzen.

Essen nach Zeitplan

In einem weiteren Schritt sieht die aktuelle Öffnungsstrategie vor, den Einzelhandel und die Außengastronomie für solche Menschen zu öffnen, die zuvor einen Termin vereinbart haben. Die Idee dahinter ist simpel: Die Termine gewährleisten einerseits, dass sich nicht zu viele Personen in den jeweiligen Räumlichkeiten aufhalten und das Infektionsrisiko sinkt dadurch. Zum zweiten lassen sich mögliche Infektionen wieder leichter nachvollziehen. Schließlich haben die Besucherinnen und Besucher ihre persönlichen Daten im Vorfeld angegeben. Gepaart mit negativen Testergebnissen ist das eine gute Idee, dem Virus Einhalt zu gebieten.

Die Ausgestaltung dieser Pläne ist allerdings schwierig. Die Betriebe müssen sich die Frage stellen, welche Zeitfenster sie ihren Kunden und Besuchern eröffnen wollen. Bei Kulturbetrieben ist das leicht beantwortet. Hier liegt die Dauer der Vorstellung zugrunde. Doch bereits in der Gastronomie stößt die Umsetzung der vorgesehenen Strategie an ihre Grenzen. Wie lange braucht ein Mensch, um Vorspeise, Hauptgang und Nachtisch zu sich zu nehmen? Möchte er vielleicht ein zweites Getränk? Was passiert, wenn das Kartelesegerät zickt?

Hier ist eigentlich ein zeitlicher Puffer nötig, damit der Wechsel der Gäste so reibungslos wie möglich vonstattengehen kann. Das führt aber wieder zu Gewinneinbußen der Betriebe, weil sie in dieser Zeit des Wechsels kein Geld einnehmen. Besonders im Einzelhandel wird es hier zu Schwierigkeiten kommen. Wenn nach einer halben Stunde des Shoppens die Glocke läutet, verabschieden sich nicht alle Kunden automatisch. Manche zwängen sich in diesem Moment in der Umkleidekabine in das viel zu enge Oberteil oder sie stehen als letzter in der Schlange an der Kasse. Im übrigen laden nicht nur Klamottenläden zum Verweilen ein. Auch Buchhandlungen tun das. Hier ist eine Terminvergabe aber nicht vorgesehen.

Es wird auch immer wieder Kunden geben, die das Lokal oder das Geschäft vorzeitig verlassen. Lässt man andere Personen dann nachrücken? Wie macht man das, ohne Streitereien zwischen den Wartenden auszulösen? Auch hier steht der zu erwartende Profitverlust der Betriebe einer konsequenten Einhaltung der Regeln entgegen.

Neiddebatten in Sicht

Der frühe Vogel fängt den Wurm. So denken viele. Und genau diese Denkweise wird dazu führen, dass sich viele Menschen schon lange vor dem vereinbarten Termin vor den Geschäften tummeln – man möchte schließlich die ganze Zeit nutzen. Je größer das Geschäft, desto länger die Schlange davor. Was das für das Infektionsgeschehen bedeutet, muss bestimmt nicht erörtert werden. Die Geschäfte sind hier wieder einmal auf das Verantwortungsgefühl der Menschen angewiesen. Wenn das Abstandhalten aber auch an Supermarktkassen mit vorgezeichneten Trennlinien oft nicht reibungslos funktioniert, kann man sich die Zustände in deutschen Einkaufsstraßen lebhaft vorstellen.

Vorprogrammiert ist wohl auch, was geschieht, wenn sich der grüne Impfpass der EU durchsetzt. Dieser soll Auskunft darüber geben, ob jemand bereits gegen Covid-19 geimpft ist oder nicht. Weshalb es da einer neuen digitalen Impfpassvariante bedurfte, weiß so genau wahrscheinlich niemand. Klar hingegen ist, dass ein solcher Impfnachweis nur dann Sinn macht, wenn er mit entsprechenden Vergünstigungen verknüpft ist.

Diese Impfpflicht durch die Vordertür provoziert Neiddebatten geradezu. Durch das derzeitige Impftempo in Deutschland werden diese Debatten weiter angeheizt. Wo kommen wir denn dahin, wenn bestimmte Berufsgruppen eher wieder ins Kino oder in die Kneipe dürfen als andere?

Ein Schimmer Hoffnung

Zudem gibt es überhaupt keine medizinische Notwendigkeit für impfstatusabhängige Lockerungen. Es ist allgemein bekannt, dass die bisher entwickelten Präparate nur unzureichend vor einer Infektion mit dem Virus schützen. Die wenigen Fälle, in denen eine Infektion erfolgreich verhindert wurde, sind eher begrüßenswerte Side Effects der Wirkstoffe. Öffnungen auf dieser Grundlage sind daher sogar kontraproduktiv. Die Gäste und Kunden sind zwar selbst vor schweren Krankheitsverläufen gefeit, nicht aber zwangsläufig andere Personen, zu denen sie außerhalb der Geschäfte Kontakt haben.

Die jetzt beschlossenen Maßnahmen und Voraussetzungen für Lockerungen machen nur dann Sinn, wenn sie nicht das Ende der Fahnenstange sind. Nur wer die regelmäßigen Schnelltestverfahren in Anspruch nimmt, Kontakte auf ein Minimum begrenzt, die Abstandsregeln einhält und konsequent die Maske trägt, verlangsamt die Ausbreitung des Virus erheblich. Vielleicht kriegen wir das ja dieses Mal hin…


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Bessere Zeiten

Lesedauer: 7 Minuten

Freitag, 31. März 2023, 19:59:55…56…57…58…59…

*gong*

Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau.

Daaa-da. Da-da-da-daaa! Heute im Studio: Judith Rakers.

Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau.

Verlängerung des Lockdowns

Nach einer erneuten Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder haben sich die Beteiligten auf eine Verlängerung des Lockdowns um vier Wochen verständigt. Das war das Ergebnis nach mehr als sechs Stunden Beratung im Kanzleramt. Erste Geschäftsöffnungen sollen demnach frühestens Ende April möglich sein.

Der derzeitige Weihnachtslockdown ist mit bisher gut vier Monaten ungewöhnlich lange. In den vergangenen Jahren waren zumindest zeitweise vorsichtige Lockerungen ermöglicht worden. Weil die Infektionszahlen seit Wochen zwar stagnieren, aber nicht sinken, ließ man in den vergangenen Monaten gastronomische Betriebe, Kultureinrichtungen und weite Teile des Einzelhandels konsequent geschlossen.

Neuer Impfstoff

In mehreren europäischen Ländern steht ein neuartiger Impfstoff gegen das Coronavirus kurz vor der Zulassung. Das Präparat der deutsch-französischen Firma Bon Triage ist laut Hersteller in so großer Menge verfügbar, dass es innerhalb weniger Wochen an weite Teile der Bevölkerung verimpft werden könne. Kritiker werfen dem Unternehmen eine mangelhafte Teststrategie vor und bezweifeln die Effektivität des Wirkstoffs. Bon Triage selbst verwahrt sich gegen solche Vorwürfe. Das Unternehmen wies darauf hin, dass der neue Impfstoff bei 30- bis 50-jährigen zuverlässig dafür schütze, im Falle einer Corona-Erkrankung den Geruchs- und Geschmackssinn zu verlieren.

Corona-Abschluss an Hochschulen und Universitäten

An mehreren deutschen Hochschulen und Universitäten feierten hunderte Bachelor-Studierende heute ihren Abschluss. Die meisten der Absolventinnen und Absolventen hatten ihr Studium vor drei Jahren zu Beginn des ersten coronabedingten Lockdowns begonnen. Im Gegensatz zu den höheren Semestern sind die heutigen Abgängerinnen und Abgänger nie in den Genuss eines regulären Studienbetriebs gekommen.

In virtuellen Graduierungsfeiern blickten Studierende sowie Professorinnen und Professoren auf drei außergewöhnliche Jahre zurück. Während vor allem die Dekaninnen und Dekane, aber auch vereinzelt Studierendenvertretungen, die gute Organisation des Studiums in der Pandemie lobten, übten verschiedene bildungsnahe Institutionen deutliche Kritik. Gerade einmal 5 Prozent der aktuellen Studierendengeneration konnte ihr Studium in der vorgeschriebenen Regelzeit absolvieren. Fast die Hälfte hatte bereits im Vorfeld aufgegeben.

Neue Virusmutation

In mehreren deutschen Gesundheitszentren wurde innerhalb der letzten 24 Stunden die neue hochansteckende Mutation des Coronavirus nachgewiesen. In insgesamt 428 Fällen von Infektionen handelt es sich um die neue Mutante. Die Mutation mit dem Namen Sars-CovRV:$!794<ß trat erstmalig vor zwei Wochen in Aserbaidschan auf und breitete sich von dort rasend schnell bis nach Europa aus.

Seit Ausbruch der Pandemie vor drei Jahren ist die neue Mutation bereits die 42.322., die Forscher sicher identifizieren konnten. Sie gehen aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Fundierte Aussagen bezüglich der Wirksamkeit bisher erforschter Medikamente und Impfstoffe gegen die Mutante können die Forscher noch nicht treffen.

Trumps politische Zukunft

Mit der Ankündigung, im kommenden Jahr wieder zu den Präsidentschaftswahlen anzutreten, hat der frühere US-Präsident Donald Trump ein politisches Beben in den Vereinigten Staaten ausgelöst. Laut eigener Aussage fühlt sich der 76-jährige dazu berufen, die USA aus dem Zustand einer – Zitat – „tiefen politischen Lähmung“ zu befreien.

Die Aussicht auf eine erneute Kandidatur Trumps sorgte besonders bei den Demokraten für Aufruhr. Interimspräsidentin Kamala Harris sprach von einer politischen Katastrophe. Sie merkte an, dass sich das Land keine weiteren vier Jahre mit Trump als Präsident leisten könne. Vertreter des republikanischen Lagers warfen ihr hingegen vor, Trumps Ansage dazu zu missbrauchen, die angespannte politische Lage weiter schlechtzureden. Harris hatte das Präsidentenamt vor vier Wochen interimsweise übernommen, nachdem Präsident Joe Biden plötzlich verstorben war.

Keine Kanzlerkandidatur 2025

Auf der heutigen Pressekonferenz zur Lage der Nation hat sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zu ihrer politischen Zukunft geäußert. Sie kündigte an, bei der Bundestagswahl im Jahr 2025 nicht mehr für das Amt der Regierungschefin anzutreten. Es sei „Zeit für einen politischen Wechsel“, so Merkel wörtlich.

Die Opposition meldete große Zweifel an, dass Merkel das Kanzleramt nach dann insgesamt zwanzig Jahren tatsächlich verlassen würde. Führende Politiker von AfD, FDP und Linkspartei wiesen darauf hin, dass die Frage der Nachfolge Merkels noch völlig ungeklärt sei. Sie befürchten, dass Merkel, wie bereits vor zwei Jahren, die schwere Krise des Lands sowie den Mangel an potentiellen Nachfolgern dazu ausnutzen würde, an der Macht zu bleiben.

Die Union dementierte diese Vorwürfe währenddessen. Mehrere Politiker haben bereits Interesse an Merkels Nachfolge angemeldet, darunter Generalsekretär Philipp Amthor, Gesundheitsminister Jens Spahn sowie BlackRock-Vorstand Friedrich Merz.

Wettervorhersage

Und hier nun die Wettervorhersage für morgen, Samstag den 1. April.

Hoher Luftdruck bestimmt weiterhin unser Wetter und sorgt für klares, aber mitunter eisiges Wetter. Vor allem im Sauerland und in der Eifel wird die Nacht zwar sternenklar, dafür aber klirrend kalt. Die Temperaturen variieren zwischen -17 bis 0 Gad. Am Tag bleibt das Wetter vorerst fast unverändert. Im Nordwesten teilweise zweistellige Minusgrade, am Kaiserstuhl leichte Plusgrade.

In den kommenden Tagen deutet sich ein deutlicher Wetterumschwung an. Bis Dienstag ist mit frühsommerlich warmen Temperaturen zu rechnen, im Raum Köln werden bis zu 35 Grad im Schatten erwartet. Besonders am Wochenende und zu Beginn der nächsten Woche besteht aufgrund des Tauwetters starke Hochwassergefahr. In Teilen Deutschlands wird gleichzeitig vor Waldbränden gewarnt.

Um 23:15 Uhr meldet sich Caren Miosga mit den Tagesthemen. Sie beschäftigt sich heute mit folgenden Themen: Zählfehler bei den Corona-Mutationen? Warum die wahre Zahl an Mutanten weitaus höher liegen könnte. Außerdem führt sie ein Exklusiv-Interview mit SPD-Chef Karl Lauterbach. Der Spitzenpolitiker verrät, wie er seine Partei bei den kommenden Wahlen wieder in die Landtage von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz führen will, aus denen sie vor zwei Jahren ausgeschieden sind.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.

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Mehr Pflichten, mehr Rechte

Lesedauer: 8 Minuten

Der Impfstoff steht noch lange nicht allen Menschen zur Verfügung, da wird schon darüber diskutiert, was eine Impfung bedeutet – und was mit Nicht-Geimpften passieren soll. Die Palette reicht von dringenden Aufrufen über Sonderrechte für Geimpfte bis hin zu einer staatlich verordneten Impfpflicht. Viele dieser Debatten kommen viel zu früh und werden zudem völlig unreflektiert und kopflos geführt. Besonders etwaige Sonderrechte für Geimpfte öffnen die Hintertür für eine inoffizielle Impfpflicht.

Verfrühte Debatten

Eigentlich kann es zwischenzeitlich keiner mehr hören: Corona, Corona, Corona. Und doch gibt es immer jemanden, der noch eins draufsetzt. Vor wenigen Wochen war das noch der Bundesaußenminister Heiko Maas, der als völlig Fachfremder in den Kanon der Gastronomie einstieg und Sonderrechte für Geimpfte erwog. Diesen Vorfall konnte man vielleicht noch leicht abtun und schnell wieder zu den Akten legen. Die Entscheidung über solche Sonderrechte fiel schließlich nicht ins Ressort des Außenministers. Nun aber hat auch die Bundeskanzlerin sehr ähnliche Töne angeschlagen. In einem Interview mit der ARD gab sie unumwunden zu, dass auch sie Sonderrechte für bereits Geimpfte befürwortete.

Längst hat sich auch der Deutsche Ethikrat in diese Debatte eingeschaltet. Er betonte, dass er einer solchen Diskussion generell sehr skeptisch gegenübersteht. Außerdem verwiesen die Abgesandten darauf, dass solche Überlegungen viel zu früh kämen. Solange die Wirksamkeit und auch die Langzeitfolgen der neuartigen Impfstoffe nicht hinreichend erforscht wären, würde man der Pandemiebekämpfung eher schaden als nützen. Nach wie vor steht die Effektivität der Präparate in Zweifel. Es verdichten sich die Hinweise, dass die Wirkstoffe lediglich den Verlauf der Krankheit beeinflussen und auch die Weitergabe der Viren nicht effektiv eindämmen. Erst wenn alle diese Fragen geklärt wären, könnte man Sonderrechte zur Debatte stellen. Bereits im Vorfeld hatte sich der Rat gegen eine Impfpflicht positioniert.

Widerlegen statt rechtfertigen

Mit seiner Einschätzung hat der Ethikrat natürlich recht. Das Problem liegt allerdings noch tiefer. Die gesamte Diskussion über den Impfstoff läuft falschherum. Immer wieder wird die Wirksamkeit des neuen Stoffs spielend leicht in Frage gestellt. Es gibt in diesem Land vermutlich nur noch wenige Menschen, die ernsthaft davon ausgehen, dass der Impfstoff auch vor Infektionen schützt. Eigentlich müsste es doch so sein, dass die Forschung einen oder mehrere Präparate vorstellt und sich glaubhaft für deren Wirksamkeit verbürgt. Natürlich gäbe es auch dann den ein oder anderen Skeptiker, der seine Zweifel öffentlich kundtut. Die Wissenschaft könnte aber dann mit Argumenten und fundierten Erkenntnissen dagegenhalten. Momentan kann die Wissenschaft die Zweifel nicht entkräften. Sie ist in einer Rechtfertigungsposition, nicht in einer Widerlegungsposition.

Dazu kommt, dass die neuen Impfstoffe sehr zügig auf den Markt kamen. Schneller als jemals zuvor ist es Forschern gelungen, ein Vakzin zu entwickeln, dass nach Abschluss der ersten Forschungsphasen einen guten Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf bietet. Es ist wenig verwunderlich, dass die Forscher dabei so schnell waren, schließlich ist die Pandemie eine ernstzunehmende Gefahr. Die Langzeitfolgen des Impfstoffs konnten in dieser Zeit aber nicht erforscht werden. Es scheint beinahe so, als würden wir uns weiterhin in einer Forschungsphase befinden.

Wem gehört der Impfstoff?

Trotzdem ist es richtig, den Impfstoff bereits jetzt an solche Menschen zu verimpfen, die ein hohes Risiko haben, schwer an Corona zu erkranken. Das ändert allerdings nichts an den teilweise schrillen Tönen der Skeptiker und Impfgegner. Einige von ihnen mögen total wirr im Kopf sein, bei anderen ist die Skepsis wenig verwunderlich. Immerhin hat die Politik ihnen in den letzten Jahren reichlich Grund für Misstrauen gegeben.

Immer wieder mussten die Menschen erleben, dass gerade in Gesundheitsfragen selten das Wohlergehen der Patienten das Handeln bestimmte. Da ist die Privatisierung des Gesundheitswesens, die viele Krankenhäuser bankrottgehen ließ. Besonders privat versicherte Patienten erhalten Behandlungen, die medizinisch überhaupt nicht notwendig sind. Alles, um die Bilanz aufzupolieren. Und dann ist da noch der unsägliche Streit über die Patente der Impfstoffe. Wenn es der Pharmaindustrie wirklich um die Gesundheit der Menschen ginge, dann würde sie sich bei der Veröffentlichung der Patente nicht so beknien lassen. Natürlich ruft ein solches Verhalten Argwohn hervor. Wo liegen die wirklichen Interessen der Pharmakonzerne? Absolut legitim ist auch die Frage, warum nicht mit der gleichen Inbrunst an Medikamenten gegen schwere Covid-Verläufe geforscht wurde. Ein Schelm, wer hier Profitinteresse vermutet.

(K)ein Herz für Gastronomen

Die Debatte um Sonderrechte für Geimpfte entspringt übrigens nicht originär der Regierung oder der Politik. Angestoßen wurde sie von der Gastronomie und Kultureinrichtungen, die von der Krise schwer gebeutelt sind. Härter als viele andere Wirtschaftsbereiche hat die Krise sie getroffen. Über Wochen und Monate waren und sind sie gezwungen, den Betrieb einzustellen und auf Umsätze zu verzichten. Das fehlende Geld wird von den staatlichen Hilfen entweder nur teilweise kompensiert oder es kommt viel zu spät an. Man kann es diesen Branchen nicht verübeln, dass sie nach anderen Wegen suchen, Umsatz zu generieren.

Anstatt aber bei den versprochenen Coronahilfen kräftig nachzubessern und wirklich die zu unterstützen, die Hilfe am dringendsten nötig haben, springt manch ein übermotivierter Außenminister, und jetzt auch noch die Kanzlerin, auf den Zug der Sonderrechte mit auf. Mit keiner Silbe erwägen diese Politiker, dass der Lockdown in der jetzigen Form vielleicht sein Ziel verfehlt. Wir haben Winter und es ist kalt. Die Zahlen sprangen aber besonders am Ende des letzten Jahres so explosionsartig in die Höhe, dass man sich schon fragt, wie das bei geschlossenen Restaurants und Kinos überhaupt möglich ist.

Impfpflicht durch die Hintertür

Auf jeden Fall gibt es genügend Gastronomen, die nun Einlassbeschränkungen abhängig vom Impfstatus der Gäste erwägen. Sie begründen das mit dem Schutz ihrer Beschäftigten. Dieses Argument ist aber ebenso scheinheilig wie entlarvend. Eine solche Praxis würde doch zwangsläufig zu einer großflächigen Impfpflicht führen – nicht nur für die Gäste solcher Einrichtungen. Die jetzt freigegeben Impfstoffe schützen nämlich nicht vor einer Weitergabe der Viren. Auch Geimpfte können ansteckend sein. Um auch das Personal vor schweren Erkrankungen zu schützen, ist also auch eine Impfung der Mitarbeiter notwendig. Was für Gäste gilt, gilt also auch für die Belegschaft: Bist du nicht geimpft, dann kommst du nicht rein.

Hier wird also gezielt eine Impfpflicht durch die Hintertür installiert. Wer seinen Job behalten möchte, der sollte besser zur Impfung gehen. Den Beschäftigten wird dazu in vielen Fällen ein schlechtes Gewissen eingeredet. Man stellt sie als verantwortungslose Virenschleudern hin, die der Ausbreitung des Virus angeblich enormen Vorschub leisten. In vielen Pflegeeinrichtungen ist diese Vorgehensweise inzwischen Gang und Gäbe.

Nie wieder Kneipe?

Und was passiert eigentlich mit Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können? Wenn sie beispielsweise den Wirkstoff nicht vertragen? Dürfen solche Menschen dann nie wieder in die Kneipe? Erhalten sie dann ein lebenslanges Berufsverbot? Das gesamte System hinkt hinten und vorne, weil es nur dann Sinn machen würde, wenn der Impfstoff zuverlässig vor Infektionen schützen würde und klare Regeln für Ausnahmefälle vorliegen würden.

In ihrer derzeitigen Form sind sämtliche Corona-Impfstoffe lediglich vorbeugende Medikamente, die vor schweren Krankheitsverläufen schützen. Das macht das Virus zwar kurzzeitig beherrschbarer, dämmt eine Ausbreitung aber nicht effektiv ein. Die jetzige Taktik kann das Gesundheitssystem entlasten, führt aber unter Umständen zu noch mehr gefährlichen Mutationen, vor denen die jetzigen Impfstoffe nicht mehr schützen könnten. Vielleicht ist es ein Fehler, so viel Hoffnungen in die Impfungen zu stecken. Vielleicht wäre es besser, gezielt Medikamente zu entwickeln, auf die alle die zugreifen können, die wider Erwarten schwer an Corona erkranken.


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