Die Alibi-Impfung

Lesedauer: 7 Minuten

Noch vor einigen Monaten konnten es die meisten kaum erwarten: Die ersten Impfstoffe standen in Deutschland kurz vor der Zulassung. Seitdem hat die Impfkampagne verschiedene Phasen durchgemacht. Nachdem nach deutlichen Startschwierigkeiten endlich genügend Impfstoff für alle da war, wich die Impfvorfreude einer regelrechten Impfeuphorie. Fast allen Menschen in Deutschland konnte ein Impfangebot gemacht werden. Der Fortschritt zeigte Wirkung, die Infektionszahlen schmolzen dahin. Seitdem verliert auch die Impfung zusehends an Popularität. Maßgeblichen Anteil daran haben die Vergünstigungen und Freiheiten, die neuerdings wieder ohne Pieks verfügbar sind.

Unzivilisierte Ungeimpfte

Wieder Ärger mit der Impfkampagne: Doch dieses Mal liegt die Schuld nicht bei Politik und Regierung. Stattdessen ist etwas eingetreten, was vor wenigen Wochen noch völlig undenkbar schien. Reihenweise verzichten Bürgerinnen und Bürger auf ihre Zweitimpfung. Anstatt aber geordnet und zivilisiert abzusagen, kreuzen viele einfach nicht zu ihren Terminen auf. Diesen Menschen scheint nicht bewusst zu sein, welchen Schaden sie der Impfkampagne und dem Kampf gegen die Pandemie damit zufügen.

Denn immerhin geht es hier nicht um geplatzte Kontrolltermine beim Zahnarzt. Es ist noch nicht lange her, da waren Impfstoffe absolute Mangelware. Besonders Deutschland trat beim Thema Impfen unbeholfen auf der Stelle, während Länder wie Israel den Einwohnern ein umfangreiches Impfangebot machen konnten. Erst mit der Zeit kamen die Impfungen in Deutschland ins Rollen. Im Sommer 2021 ist die Impfpriorisierung auch hierzulande weitgehend aufgehoben. Umso ärgerlicher ist es, wenn manche Leute kurzfristig und ohne Vorankündigung einen Rückzieher machen.

Sie nehmen damit anderen Menschen die Möglichkeit, sich zeitnah impfen zu lassen. Manche von ihnen fielen zwar nicht in die Priorisierungsgruppen, haben eine Impfung aber aus anderen Gründen nötig. Lange hofften sie auf die Zulassung wirksamer Impfstoffe. Und nun dürfen sie wegen solch rücksichtsloser Menschen unnötig lange auf ihre Impfung warten.

Sanktionen gegen die Impfdeserteure

Diese Spätzünder unter den Impfverweigerern kamen reichlich spät auf den Trichter, dass sie allein die Erstimpfung gegen jegliche Varianten des Coronavirus schützt. Ihre Entscheidung mag fragwürdig erscheinen, ist aber wohl nicht zu ändern. Das unentschuldigte Fehlen bei der Zweitimpfung ist aber bestimmt nicht die logische Schlussfolgerung daraus. Dieses Verhalten ist nachhaltig rücksichtslos und zeugt außerdem von einer absoluten Rückgratlosigkeit.

Anstatt sich einzugestehen, dass man die Impfung für völligen Quatsch hält oder einfach keine Lust auf die zu erwartenden Nebenwirkungen hat, gibt man lieber dem sozialen Druck nach und macht gehorsam einen Impftermin aus. Weil man durch die Erstimpfung seine Pflicht als guter Bürger erfüllt hat, kann man den Termin zur Zweitimpfung guten Gewissens sausen lassen. Soweit die Logik der ewig Erstgeimpften.

Manche befürworten nun allen Ernstes, Sanktionen gegen solche Menschen zu verhängen. Das ist traurig, aber scheinbar bitter nötig. Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass die körperliche Unversehrtheit eines jeden einzelnen immer im Vordergrund stehen muss. Wer sich keinen Impfstoff injizieren lassen möchte, der sollte diese Freiheit weiterhin haben. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Menschen würden wegen ihrer Impfentscheidung bestraft, sondern einzig und allein wegen ihres rücksichtslosen Verhaltens ihren Mitmenschen gegenüber.

Die Alibi-Impfung

Dabei ist schon auffallend, wann die Bereitschaft zur Zweitimpfung nachgelassen hat. Die versäumten Termine liefen erst dann aus dem Ruder, als die Inzidenzwerte ins Bodenlose rauschten. Mit sinkenden Infektionszahlen nahm also auch die Impfbereitschaft ab. Vielleicht redeten sich manche Leute ein, bei einer scheinbar niedrigeren Bedrohungslage durch das Virus, könnte auf die Zweitimpfung verzichtet werden. Immerhin bedeuten die niedrigen Infektionszahlen auch, dass in vielen Bereichen kräftig gelockert wird.

So ist es seit einigen Wochen fast bundesweit nicht mehr nötig, eine vollständige Impfung oder einen tagesaktuellen negativen Corona-Test vorzuweisen, wenn man am normalen Leben teilnehmen möchte. Ungeimpfte sind nun nicht mehr verpflichtet, sich regelmäßig ein Wattestäbchen in die Nase rammen zu lassen, um ins Kino, in die Bar oder ins Restaurant zu gehen. Weswegen sollte man dann noch die Zweitimpfung über sich ergehen lassen? Immerhin ist allgemein bekannt, dass die Nebenwirkungen der meisten Präparate bei der Zweitimpfung deutlich heftiger ausfallen.

Diese Bürde möchte man natürlich nicht auf sich nehmen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Außerdem hat man mit der Erstimpfung ja bereits unter Beweis gestellt, dass man den Kampf gegen das Virus im Rahmen der Möglichkeiten unterstützt. Niemand kann erwarten, dass man womöglich schwere Nebenwirkungen in Kauf nimmt, ohne das unmittelbar etwas dabei herausspringt.

Das Misstrauen kehrt zurück

Diese offensichtliche Denkweise entlarvt die angebliche Solidarität auf dem Weg zur Herdenimmunität als ein bloßes Scheinargument. Dass eine große Zahl an vollständig Geimpften ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Pandemie ist, spielt für viele Menschen zwar eine Rolle, viel wichtiger sind aber die Vergünstigungen, die nach einer Impfung winken. Die Vereinbarung eines Impftermins ist bei vielen leider auf nichts anderes zurückzuführen als sozialen Druck und die Sehnsucht nach einem Mindestmaß an Bequemlichkeit. Dafür nimmt man auch gerne die Nebenwirkungen in Kauf und tut nebenbei noch etwas Gutes. Entfällt diese Notwendigkeit aber, schwindet auch die Impfbereitschaft.

Dann bricht eine andere Denkweise wieder Bahn, die seit vielen Jahren unbemerkt vor sich hingegärt hat. Denn die Käuflichkeit der Politik hat auch vor Medizin und Pharmakonzernen nicht haltgemacht. Viele Menschen wissen heute nicht mehr, was und wem sie glauben sollen und welche Interessen tatsächlich hinter bestimmten Vorhaben stehen. Dieses pauschale Misstrauen wurde von der allgemeinen Furcht vor dem Virus und der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Normalität zeitwiese überdeckt. Die Menschen hofften auf ein Wundermittel gegen das völlig neuartige Virus, das wie aus dem Nichts kam. Verständlicherweise sah die überwältigende Mehrheit die Impfung als den aussichtsreichsten Weg aus der Pandemie.

Als die Politik dann auch noch Lockerungen für Geimpfte zusicherte, gab es für viele kein Halten mehr. Die Aussicht auf ein Stück wiedergewonnene Normalität ließ viele die Bedenken gegen profitgetriebene Pharmaunternehmen zunächst vergessen. Doch schon heute argwöhnt viele, wie aggressiv die Politik die Impfung bewirbt. Manche fallen dann leichter auf Verschwörungstheorien herein, obwohl die eigentliche Intention der Impfwerbung doch der Schutz der Bevölkerung ist.


Doch immer mehr Menschen interessiert das nicht. Nach zahlreichen aufgedeckten Bezahlstudien und einem politischen Gebaren, das eher entzweit als eint, verzichten sie eher auf die Zweitimpfung, wenn es ihrer Meinung nach nicht unbedingt nötig ist. In ihnen schwelt ein Kampf zwischen Misstrauen und Bequemlichkeit. Der Sieger dieses Kampfes hängt von der jeweiligen Infektionslage ab. Immer offensichtlicher wird, dass nicht nur überfüllte Krankenhäuser und überforderte Gesundheitsämter in der Pandemie Zeugnis dafür sind, was in den vergangenen Jahren schieflief.


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Besonders schwere Fahrlässigkeit

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Die Fehltritte des Jens S.

Lesedauer: 9 Minuten

Mit Schmackes ins Fettnäpfchen, mit Voll-Karacho in den Skandal: Selten war ein Mitglied der Bundesregierung so skandalumwoben wie der amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn. Eine flapsige Bemerkung zu Hartz-IV hier, ein korruptes Spendendinner dort. Auch in den letzten Wochen hat der CDU-Politiker durch eine dubiose Verteilungspraktik von Masken von sich reden gemacht. Immer klarer zeichnet sich das Bild eines machtgierigen und überheblichen Politikers.

Die neuesten Vorwürfe gegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wiegen schwer: Er soll geplant haben, minderwertig verarbeitete FFP2-Masken an Obdachlose, Behinderte und Hartz-IV – Empfänger zu verteilen. Sollte das tatsächlich der Fall sein, so wäre das ein Skandal erster Güteklasse. Auf Biegen und Brechen will sich der Minister aus der Affäre ziehen – es habe nie mangelhafte Masken gegeben.

Eine Skandalnudel auf dem Weg nach oben

Es ist nicht das erste Mal, dass dem CDU-Politiker das Wasser bis zum Hals steht. Seit seinem Amtsantritt als Gesundheitsminister im Frühjahr 2018 reihte sich bei dem ambitionierten Frühvierziger ein Fehltritt an den nächsten. Wer könnte Spahns legendäre Behauptung vergessen, von Hartz-IV könne man leben? Fast direkt nach seiner Berufung in Angela Merkels viertes Kabinett machte er damit von sich reden. Er trat damals eine Debatte los, die als Gesundheitspolitiker überhaupt nicht in sein Ressort fiel. Trotzdem ließ er sich medienwirksam von der Sozialhilfeempfängerin Sandra S. einladen, die ihm zeigte, was ein Leben mit Hartz-IV bedeutet.

Es ist noch gar nicht lange her, da stand Jens Spahn auch wegen dubioser Parteispendepraktiken in der Kritik. Zuvor hatte er eine Reihe anonymer Unternehmer zu einem exklusiven Gala-Dinner geladen – und seine Gäste dann dazu aufgerufen, möglichst viel Geld an seine Partei zu spenden. Er legte den spendablen Lobbyisten auch einen ganz konkreten Betrag nahe, um nicht ins Visier der Bundestagsverwaltung zu geraten.

Auf der langen Liste von Spahns Verfehlungen darf natürlich auch seine Verwicklung in undurchsichtige Immobiliengeschäfte nicht fehlen. So hatte der Minister eine Villa von genau dem Mann gekauft, den er danach an die Spitze eines teilweise bundeseigenen Pharmakonzerns setzte.

Die Krise als Chance?

Dann kam die Corona-Pandemie und viele glaubten vielleicht zunächst, nun habe die Stunde dieses skandalträchtigen Ministers geschlagen. Doch auch bei dieser Bewährungsprobe glänzte Spahn vor allem durch Schlampereien, Versäumnisse und Missmanagement. Natürlich waren alle Menschen im Land Anfang 2020 mit einer völlig neuen Situation konfrontiert. Selbstverständlich fordern solche neuen Umstände Fehler geradezu heraus. Doch der Gesundheitsminister zeigte sich bislang völlig resistent gegen jedweden Lerneffekt. Eine Teststrategie ließ lange auf sich warten, die Impfkampagne kleckert weiter vor sich hin. Um das aufgebrachte Volk zu beruhigen, kippte Spahn kürzlich die Priorisierung bei den Impfungen, obwohl noch nicht alle Risikopatienten geimpft sind. Und um das ganze noch zu toppen, setzte er trotz anhaltenden Impfstoffmangels mit der Impfkampagne für Kinder noch eins drauf.

Mit dieser großzügigen Erweiterung der Impfkampagne versuchte Jens Spahn offenbar, sich bei der Bevölkerung wieder liebkindzumachen. Besonders seine lobbyistischen Fehltritte der jüngeren Vergangenheit täuschen aber nicht darüber hinweg, dass es sich bei diesem Mann um einen arroganten und machtgierigen Politiker handelt, dem die Bedürfnisse des gemeinen Bürgers am Allerwertesten vorbeigehen. Geradezu entlarvend war da das Spendendinner, welches es unbeabsichtigt in die Schlagzeilen geschafft hat.

Corona-Party à la Spahn

Diese Zusammenkunft mit allerlei Lobbyisten war gleich aus mehreren Gründen verwerflich. Erstens wäre eine solche Veranstaltung tabu gewesen, hätte sich der Minister an die Verordnungen gehalten, die er selbst erlassen hatte. Es grenzt an kosmische Ironie, dass Spahn kurze Zeit darauf positiv auf das Coronavirus getestet wurde.

Fast noch heftiger ist aber der Anlass, weswegen sich Spahn mit den Unternehmensvertretern getroffen hat. So schwor er seine Gäste darauf ein, einen Betrag an seine Partei zu spenden, welcher gerade so am maximal tolerierten Betrag für Parteispenden kratzte. Mit der symbolischen Summe von 9.999 Euro ließ Jens Spahn seine Maske endgültig fallen. Der Aufruf zu diesen knapp legalen Spenden brachte seine Missachtung der Regelungen für Parteispenden besonders explizit zum Ausdruck. Mit der Gerade-so – Unterschreitung des zulässigen Höchstbetrags führte er diese äußerst sinnvolle Maßgabe ad absurdum und zog den Kampf gegen ausufernden Lobbyismus damit ins Lächerliche.

Die Maske fällt

Es reicht eine durchschnittliche Menschenkenntnis aus, um zu erahnen, welche Interessen der Minister dabei im Blick hatte. Nun könnte man ihm noch zugutehalten, dass ein Ignorieren bestimmter Bedürfnisse noch lange nicht gleichzusetzen ist mit einer generellen Verachtung für einen erheblichen Teil der Bevölkerung. Doch auch mit diesen Zweifeln räumte Jens Spahn schnell auf.

Seine Verachtung gegenüber den einkommensschwächeren und hilfsbedürftigen Bürgerinnen und Bürgern hätte der Gesundheitsminister kaum deutlicher machen können als durch die Verteilung von minderwertigen FFP2-Masken an Wohnungslose, Pflegebedürftige und Sozialhilfeempfänger.  Noch offensichtlicher als in der Hartz-IV – Affäre drei Jahre zuvor trieb Jens Spahn seine Einteilung in gute und in schlechte Menschen mit seinem fragwürdigen Masken-Management auf die Spitze.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten für Kritik

Verständlicherweise ist der Koalitionspartner SPD über ein solches Verhalten empört. Spahns Fehltritte nehmen allmählich tatsächlich staatsschädigende Ausmaße an. Er bringt damit nicht nur den Namen seiner eigenen Partei in Verruf, sondern auch den der gesamten Bundesregierung und möglicherweise sogar das Ansehen der Politik insgesamt. Die erneute Maskenaffäre bedarf einer schonungslosen Aufklärung, sonst wird das nichts mehr mit der Glaubwürdigkeit.

Genau damit ist es bei der SPD aber schon lange nicht mehr weit her. Es mag vereinzelte Köpfe geben, bei denen die Entrüstung über Spahns Skandale authentisch ist. Es ist aber schon fraglich, warum die SPD bei früheren Verfehlungen des Ministers nicht so laute Töne von sich gegeben hat. Natürlich sorgten auch Spahns Äußerungen zu Hartz-IV und sein ominöses Spendendinner für Irritationen, aber in diesen Fällen fiel die Kritik deutlich leiser aus.

Wiederholungstäter

Durch die frisch aufgelegte Maskenaffäre versucht die SPD nun, sich ziemlich billig zu profilieren. Erneut versuchen sich die Sozen aus einer beinahe überheblichen Haltung als bessere Menschen darzustellen. Wenige nehmen ihnen das ab. Immerhin hinterfragt die SPD noch immer viel zu zaghaft, wie es zu solchen Verstrickungen kommen kann. Was wir mit Jens Spahn nun wieder erlebt haben, sind doch keine Verfehlungen von Einzelpersonen. Den Maskendeals und Spendenaufrufen liegt ein dreckiges System aus Lobbyismus und Korruption zugrunde, von dem sich auch die SPD nicht völlig reinwaschen kann, würde sie sich ehrlichmachen.

Anstatt immer nur dann aufzuheulen, wenn der Koalitionspartner mal wieder Mist verzapft hat, wäre eine SPD gefragt, die sich auch in anderen Punkten deutlich von der Union abhebt. Der Verweis auf eine angeblich weiße Weste reicht nicht aus, um die Wählerinnen und Wähler von sich zu überzeugen. Doch wie bereits vor vier Jahren betätigt sich die SPD auch im Wahlkampf 2021 als Wiederholungstäter. Schon 2017 nahm der einstigen Volkspartei niemand das Gebaren gegen den alten und neuen Koalitionspartner ab.

Damals begrüßte die SPD das Wahlverhalten des ehemaligen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt bei der Abstimmung über den Umweltkiller Glyphosat außerordentlich. Durch sein Ja bei der Zulassungsverlängerung des Ackergifts verstieß der CSU-Mann eindeutig gegen gute politische Sitten und lieferte der SPD so Munition gegen die damals schon am Boden liegende Große Koalition.

Alles auf neu

Mit der Hoffnung auf dadurch entstehende Stimmengewinne hatte sich die SPD damals genau so verrechnet wie wenige Monate zuvor, als sie sich mit der Opposition zusammentat und dem Koalitionspartner in Sachen Ehe für Alle in den Rücken fiel. Das Ziel mag edel gewesen sein, die Mittel verhalfen der SPD aber trotzdem nicht zum Wahlsieg. Stattdessen stürzte die SPD bei der folgenden Bundestagswahl weiter kräftig ab.

Die SPD, das einstige Bollwerk gegen Korruption und Bestechung, die Verfechterin von Arbeitnehmerrechten und Sprachrohr der Gewerkschaften muss sich endgültig aus der tödlichen Symbiose mit der Union lösen. Viele Chancen hat sie bereits verstreichen lassen. Die anstehende Bundestagswahl im September ist eine weitere Möglichkeit für die Partei, zu ihrer alten Stärke zurückzufinden. Eine Regierungsbeteiligung nach der Wahl ist eher unwahrscheinlich, auch wenn die SPD mit der Aufstellung eines Kanzlerkandidaten durchaus andere Akzente gesetzt hat. Die Sozialdemokraten sollten das Votum aus der Bevölkerung bei nächster Gelegenheit endlich ernstnehmen und sich bereitwillig in die Opposition verbannen lassen. Schaufensterdebatten gegen korrupte Minister werden der SPD eher schaden, solange sie in dieser ewigen Regierung gefangen ist. Manchmal hilft nur ein Neustart.

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Ein Kartenhaus

Lesedauer: 6 Minuten

Viele Menschen sind zwischenzeitlich geimpft, der Inzidenzwert sinkt stetig. Erfreuliche Entwicklungen, könnte man meinen. Die Sache hat nur einen Haken: Für Geimpfte entfällt die Testpflicht. Was für viele eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, bereitet anderen große Sorgen. Wenn Infektionen trotz Impfung möglich sind, bedeutet das, dass wiederum viele Infizierte unerkannt bleiben. Perfekter Nährboden für Mutationen also. Eine andauernde Testpflicht für Geimpfte könnte dem vorbeugen.

Immer mehr Menschen kann in der Zwischenzeit ein Impfangebot gemacht werden. In der Diskussion sind nun auch Impfungen für Kinder. Über den in Frage kommenden Impfstoff ist man sich noch nicht einig, aber immerhin scheint die Impfkampagne auch in Deutschland endlich in vollem Gange zu sein. Für viele ein erfreuliches Zeichen: Seit Wochen sind die Inzidenzzahlen und die gemeldeten Neuinfektionen rückläufig. Die Politik nimmt das zum Anlass, mehr und mehr Beschränkungen zurückzunehmen. So begrüßenswert diese Entwicklungen sind, so verantwortungslos bleibt die naive Fixierung auf den Inzidenzwert.

Höhen und Tiefen

Diese Zahl ist abhängig von den gemeldeten Neuinfektionen innerhalb einer definierten Gruppe und innerhalb eines festgelegten Zeitraums. Momentan ist das die Anzahl der Neuinfizierten unter 100.000 Einwohnern in sieben Tagen. Sie gibt also nur Aufschluss über die gegenwärtige Infektionslage – und auch das nur unter den gegebenen Testvoraussetzungen. Mehr als eine Momentaufnahme ist die Inzidenzzahl nicht. Geeignet, um eine fundierte Aussage zu Infektiosität oder Gefährlichkeit des Virus zu treffen, ist sie bestenfalls, wenn umfassend getestet wird.

Das war seit Jahresbeginn immer mehr der Fall. Seit die Schnelltests für die Bevölkerung frei erhältlich sind und seitdem sich immer mehr Menschen impfen lassen können, wird am laufenden Band getestet. Bei einem hochinfektiösen Virus wie SARS-Cov-2 verwundert es wenig, dass bei höherer Testkapazität eine deutlich höhere Zahl der Tests positiv ausfällt. Immerhin ist ein Corona-Test fester Bestandteil der Impfprozedur. Wenn bestimmte Bereiche nur mit vollständiger Impfung oder negativem Test zugänglich sind, erhöht dies die Zahl der positiven Tests zusätzlich.

Relativ ungenau

Bevor es diese Zugangsbeschränkungen gab, fielen viele symptomlose Infizierte schlicht aus dem Raster. Da immer mehr Menschen vollständig geimpft sind, entfällt für sie die Pflicht, sich regelmäßig testen zu lassen. Sollten sie also trotz Impfung Corona-positiv sein, bleibt das ohne einschlägige Symptome unerkannt. Da sich die Hinweise verdichten, dass die Impfstoffe besonders gut gegen schwere Krankheitsverläufe helfen, also gegen bekannte Symptome, befördert das den Trend.

Die Inzidenzzahl als Richtwert für die Gefährlichkeit des Virus eignet sich also bestenfalls, wenn die meisten Menschen noch nicht geimpft sind. Das ändert sich derzeit rapide. Wenn die Bevölkerung zu einem hohen Anteil durchgeimpft ist, kann die Inzidenz keine ausschlaggebende Grundlage für Anti-Corona – Maßnahmen mehr sein. Es wäre von Anfang an besser gewesen, man hätte die Auslastung der Intensivbetten oder die Anzahl der Todesfälle als Indikator für die Gefährlichkeit des Virus zugrundegelegt. Auch das wäre natürlich nur dann zielführend gewesen, hätte man einen Großteil der Bevölkerung getestet. Und natürlich hätte man das ganze nicht von der Gesamtkapazität an entsprechenden Betten in den Kliniken abhängig machen dürfen. Denn jeder weiß, wie schlecht es um die Ausstattung in deutschen Krankenhäusern bestellt ist.

Unbehelligt infiziert

Es steht zu befürchten, dass mit fortschreitender Impfkampagne die Testkapazitäten nach und nach abgebaut werden. Wenn für Geimpfte keine Testpflicht besteht und eine große Zahl an Menschen bereits geimpft ist, wäre die Aufrechterhaltung von Testmöglichkeiten im großen Stil ein einziges Verlustgeschäft. Nach allem, was wir wissen, scheinen die Impfstoffe vorrangig schweren Krankheitsverläufen vorzubeugen. Selbst bei Risikopatienten können dadurch Symptome ganz ausbleiben. Für die Betroffenen ist das natürlich eine gute Nachricht. Solange ungeklärt ist, ob die Wirkstoffe auch gegen Infektionen schützen, bleiben viele zumindest vor einer schweren Erkrankung verschont.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass Infektionen bei den vielen Symptomlosen unerkannt bleiben. Man muss kein Virologe sein, um zu erkennen, dass dieser Schuss nach hinten losgehen kann. Wenn die Infektionen wie bereits im Frühjahr 2020 größtenteils im Verborgenen stattfinden, mutiert das Virus unter Umständen munter vor sich hin. Würde man die Testpflicht auch für Geimpfte aufrechterhalten, könnten solche Mutationstendenzen eventuell frühzeitig erkannt werden.

Sicherheit im Kartenhaus

Eine anhaltende Testpflicht für Geimpfte hätte noch weitere Vorteile im Kampf gegen die Pandemie. Als die Pandemie vor etwa anderthalb Jahren ausbrach, da riefen viele reflexartig nach einem Impfstoff. Es steht außer Frage, dass geeignete Impfstoffe ein äußerst probates Mittel im Kampf gegen schwere Krankheiten sind. Und natürlich ist es erfreulich, dass die Wissenschaft so intensiv an einem Vakzin geforscht haben – eine Wahl hatte sie ehrlicherweise aber sowieso nicht. Trotzdem darf man nie vergessen, dass ein Präparat nach einigen Monaten unmöglich vollständig erforscht sein kann.

Verlässliche Aussagen zu Wirksamkeit, Wirkweise und Wirkdauer sind nach so kurzer Testung schlicht nicht möglich. Die akute Lage machte eine schnelle Zulassung allerdings dringend nötig. Man muss sich nun aber damit abfinden, dass wir auch nach der Zulassung der Impfstoffe weiterhin in einer groß angelegten Testphase stecken. Die fortschreitende Impfkampagne kann Aufschluss darüber geben, wie wirkungsvoll die zugelassenen Präparate sind und was sie gegen die Krankheit tatsächlich ausrichten. Die Aussetzung der Testpflicht für geimpfte Personen ist dabei eine vertane Chance. Man gaukelt den Menschen Sicherheit vor, die auf bloßen Annahmen fußt. Eine Impfkampagne ohne Testpflicht ist wie ein Kartenhaus, das einer vierten Welle nicht standhalten wird.


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