Ehrlicher Protest und echte Solidarität

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Der völkerrechtswidrige Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine schockt die Welt. In diesen schwierigen und unberechenbaren Zeiten ist es wichtig zusammenzustehen. Bei zahllosen Demonstrationen, Friedenskundgebungen und anderen Veranstaltungen haben viele Menschen gezeigt, dass sie den Krieg ablehnen. Sie beweisen Solidarität mit Frauen, Männern und Kindern, die vor Tod und Zerstörung fliehen oder im eigenen Land eingekesselt werden. Einige dieser Bekundungen sind nicht zu Ende gedacht. Manche verfallen dem Irrtum, dass Solidarität mit der Ukraine gleichbedeutend ist mit einer grundsätzlichen Ablehnung gegenüber Russland.

Neue Kontroverse

Seitdem die russischen Truppen am 24. Februar 2022 in die Ukraine eingefallen sind, dominiert dieses Thema die Medien. Fast minütlich vermelden die unterschiedlichsten Kanäle und Nachrichtensender die neuesten Entwicklungen im russischen Krieg gegen die Ukraine. Daneben diskutieren Politiker, Politikwissenschaftler und andere Strategen über die Lage. Sie geben Statements ab oder ordnen die neuesten Geschehnisse in einen Kontext ein.

Nicht alle diese Wortbeiträge werden von der Mehrheit gefeiert. Erst kürzlich machte eine Gruppe linker Abgeordneter von sich reden, als sie sich mit den Kriegsgründen auseinandersetzte. Man warf ihnen Russlandnähe, eine Affinität für Wladimir Putin und ein Verdrehen von Fakten vor.

Genosse der Bosse

Ähnliche Aggressionen bekommt dieser Tage auch ein Mann zu spüren, der sich seit Jahren für ein russisches Wirtschaftsprojekt einsetzt. Sein Engagement für das russische Unternehmen Gazprom und die damit verbundene Nordseepipeline Nord Stream 2 wird Altkanzler Gerhard Schröder nun zum Verhängnis. Seitdem der Konflikt in der Ukraine eskaliert, rufen ihn seine alten Parteifreunde immer wieder dazu auf, sich von Putin zu distanzieren und die Unterstützung des russischen Energielieferanten aufzukündigen.

Im Raum steht nicht weniger als ein Ausschluss aus der Partei. Man wirft dem Ex-Kanzler vor, dass sein Engagement nicht dem Wohlstand Deutschlands diene, sondern auf seine politische Freundschaft mit dem russischen Machthaber zurückzuführen sei. Es stößt vielen hart auf, dass Schröder dennoch eine üppige Pension aus deutschem Steuergeld bezieht. Der „Genosse der Bosse“ hat ein Problem.

Diese Agitationen gegen den früheren Regierungschef sind aber insoweit unehrlich, als dass sich jahrelang kein SPD-Abgeordneter ernsthaft an Schröders fragwürdigen Lobbykontakten gestört hat. Sein Engagement für Gazprom reicht viele Jahre zurück und wurde an der ein oder anderen Stelle sicher kritisiert. Die Vehemenz der Kritik, die Schröder nun entgegenweht, ist aber opportunistisch und unehrlich.

Späte Kritik

Gerhard Schröder ist einer der prominentesten Vertreter des sogenannten Drehtüreffekts. Es ist zwischenzeitlich quasi gute Sitte geworden, dass Politiker nach Ende ihrer Abgeordnetenlaufbahn fast nahtlos in ebenjene Branchen wechseln, mit denen sie zuvor politisch zu tun hatten. Getreu dem Motto „Gezahlt wird später“ holen sie sich in der Wirtschaft den Verdienst ab, der sie als aktive Politiker in die Nähe des Korruptionsverdachts katapultiert hätte.

Von diesem Phänomen profitiert auch die SPD seit vielen Jahren. Mit Gerhard Schröder haben sie sogar einen Pionier dieser dubiosen Praxis in ihren Reihen. Anstatt mit dieser Tradition nun aber für immer zu brechen, monieren sie lieber Schröders unliebsame Verbindungen nach Russland, mit der er so gar nicht in die SPD von heute passt. Es stellt sich die Frage, warum den Sozialdemokraten dieses Licht nicht bereits aufging, als Schröder mit Hartz-IV und anderen Sozialabbauprogrammen um die Ecke kam.

Ein starkes Zeichen

Von jedem wird erwartet, eine Meinung zu dem Krieg in der Ukraine zu haben und diese möglichst auffallend kundzutun. Die zahlreichen Mahnwachen und Friedensdemonstrationen sind ein starkes Zeichen gegen den Krieg und für den Frieden. Allein in Berlin haben sich an einem Tag rund 500.000 Menschen zusammengetan, um gegen Putins Einmarsch in die Ukraine zu protestieren. Dieses Engagement zeigt deutlich, dass die Menschen den Glauben an Diplomatie und Nachbarschaft nicht verloren haben. Solche Veranstaltungen sind Hoffnungsschimmer in einer viel zu düsteren Zeit.

Die Demonstrationen und Friedensmärsche sind ein ziviles und angemessenes Mittel, auf Russlands Aggressionen zu reagieren. Es ist nachvollziehbar, dass sich auch in Deutschland viele Menschen Sorgen machen. Sie befürchten zwar keinen unmittelbar bevorstehenden Einmarsch russischer Truppen ins Land, aber sie wissen, dass von Russland eine Menge abhängt. Besonders die Aufrechterhaltung einer verlässlichen Energieversorgung steht auf dem Spiel.

Es ist richtig, diese wirtschaftliche Abhängigkeit bei der politischen Einordnung des Konflikts miteinzubeziehen. Es ist ebenso sinnvoll, diese Sorgen beim Protest gegen Putins Krieg nicht außer Acht zu lassen. Jeder weiß, dass uns Putin den Gashahn zudrehen kann und keiner will, dass das tatsächlich geschieht.

Nicht zu Ende gedacht

Es ist insofern schwer nachvollziehbar, wenn sich einige Menschen besonders solidarisch mit der Ukraine fühlen, indem sie für eine Stunde die heimische Heizung abdrehen. Sie wollen Putin zeigen, dass sie sich des Risikos bewusst sind. Das sind sie nicht. Eine Stunde Pulli anziehen ist nichts im Vergleich zur drohenden Versorgungslücke und den horrenden Energiepreisen, sollte Putin ernstmachen. Wer wirklich seine Unabhängigkeit von Russland demonstrieren möchte, der möge seine Heizung nicht nur für einige wenige Stunden abdrehen, sondern für immer.

Im übrigen sind solche öffentlichkeitswirksamen Aktionen kaum geeignet dazu, Solidarität mit der Ukraine zu zeigen. Den Ukrainerinnen und Ukrainern ist weitaus mehr geholfen, wenn sie sichere Häfen vorfinden, über sichere Fluchtrouten außer Landes kommen können und anhand des lauten Protests in anderen Ländern sehen können, dass sie nicht allein sind.

Auch ein grundsätzlicher Boykott russischer Unternehmen ist wenig zielführend. Der Europapark in Rust hat kürzlich seine Kooperation mit Gazprom beendet, um Distanz zum russischen Regime zu signalisieren. Besucherinnen und Besucher hatten angekündigt, die beliebte Achterbahn BlueFire nicht mehr zu fahren, weil bereits der vollständige Name der Attraktion auf die Kooperation mit dem russischen Energiekonzern hinweist. Abgesehen davon, dass die wenigsten von der Achterbahn „BlueFire Megacoaster- Powered by Nord Stream 2“ sprechen, sind fast alle russischen Unternehmen dem autokratischen Machthaber unterstellt. Es fehlen schlicht die geeigneten Alternativen.

Unbequeme Position

Die fragwürdige Praxis des Europaparks ist eine Blaupause des politischen Umgangs mit wirtschaftlichen Fragen zu Russland. Der Bau der Nordseepipeline Nord Stream 2 war vielen bereits in den letzten Jahren ein Dorn im Auge. Verschiedene Lobbygruppen und politische Strömungen hatten immer wieder gegen das Wirtschaftsprojekt mit Russland mobilgemacht. Als ihnen die umweltpolitischen Argumente mangels tragbarer Alternativen ausgingen, konzentrierten sie sich auf die politische Dimension. Immer wieder betonten sie, man dürfte mit autokratischen Ländern wie Russland keine Geschäfte machen, weil dort Menschenrechte verletzt werden würden. Es ist bemerkenswert, dass der gleiche Maßstab nicht bei Ländern wie den USA angelegt wird.

Der Krieg in der Ukraine dient diesen Interessensgruppen als willkommene Begründung dafür, das Projekt „Nord Stream 2“ endgültig ad acta zu legen. Fakt ist aber: Wir sind leider nicht in der bequemen Position, dass wir uns aussuchen können, woher wir welche Rohstoffe beziehen. Wir stehen in dieser Frage in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Russland. Es ist richtig, wenn die Bundesregierung nun Maßnahmen ergreift, um den Ausbau erneuerbaren Energien voranzutreiben. Dann könnten wir in Zukunft einen Großteil der benötigten Energie selbst erzeugen. Und dann haben wir auch eine Wahl, ob wir in Zukunft mit Ländern wirtschaftlich zusammenarbeiten, deren politisches System unserem eigenen so offensichtlich zuwiderläuft.

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Er ist wieder da

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Der Krieg in der Ukraine hat vielen Menschen vor Augen geführt, wie zerbrechlich der Frieden in Europa ist. Erstmals seit den Jugoslawienkriegen kommt es wieder zu kriegerischen Handlungen auf europäischem Festland. Der Konflikt brodelte lange, nun ist er eskaliert. Scheinbar machtlos stehen die europäischen Staaten Putins Aggressionen gegenüber. Der Krieg in Europa – er ist wieder da.

Gefühlte Provokation und echte Aggression

Es herrscht Krieg in Europa. Nicht zum ersten Mal. Was viele lange Zeit für undenkbar hielten, ist nun brutale Realität geworden. Putin hat die Ukraine angegriffen. Stück für Stück versucht er, sich das Land einzuverleiben. Dafür greift er von mehreren Seiten an. Der Einmarsch ist eindeutig völkerrechtswidrig; mehrere hundert Menschen sind ihm bereits zum Opfer gefallen. Momentan kesselt der russische Machthaber die Hauptstadt Kiew ein. Der Zeitpunkt, um mit legitimen Sicherheitsinteressen Russlands zu argumentieren, ist endgültig vorbei.

Denn nichts kann diesen Angriff rechtfertigen – auch nicht eine gefühlte Bedrohung durch die NATO. Es ist richtig, dass sich die NATO in den vergangenen Jahren immer weiter gen Russland ausgebreitet hat. Wir wissen, dass zu keinem Zeitpunkt die Absicht bestand, Russland zu überfallen. Aus russischer Sicht war das anders. Die Osterweiterung der NATO musste die russische Regierung zwangsläufig als Provokation interpretieren.

Falsche Mittel

Daraus aber eine Rechtfertigung für einen kriegerischen Erstschlag abzuleiten, ist absurd. Es gab Bestrebungen der Ukraine, der NATO beizutreten und damit noch näher an Russland heranzutreten. Um das zu verhindern, besetzt Putin nun das ganze Land. Das ist genau so, als würde ein bulliger angsteinflößender Typ in den Raum kommen. In der Vermutung, er könnte ein Messer bei sich tragen und auf einen losgehen, kommt man ihm zuvor und massakriert ihn, bis er sich nicht mehr rührt. Die späteren polizeilichen Ermittlungen ergäben dann, dass der Mann außer seinem Geldbeutel und einer Clubkarte eines Fitnesscenters nichts weiter bei sich trug.

Auch die Legende, man wolle eine faschistische Machtübernahme in der Ostukraine verhindern, ist eine faule Ausrede. Erstens ist Putin selbst ein Diktator und zweitens ist es vom Völkerrecht in keinster Weise gedeckt, in ein Land einzumarschieren, weil einem anderen Land der Regierungsstil nicht passt. Selbst wenn sich eine Mehrheit in der Ostukraine einen Anschluss an Russland wünscht, ist dieses Ziel mit friedlichen Mittel zu erreichen und nicht durch Putsche und Kriege.

Ein altes Muster

Der Kalte Krieg in Europa ist einem heißen Krieg gewichen. Denn der alte Ost-West – Konflikt schwelte auch nach dem Untergang der Sowjetunion und der Wiedervereinigung Deutschlands weiter. Dieser Gegensatz war in den Köpfen der Menschen verankert und erlebte durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim im Jahr 2014 bestenfalls eine Renaissance. Er wurde Anfang der 1990er-Jahre vorerst auf Eis gelegt. Man war bemüht um einen verträglichen und nachbarschaftlichen Umgang miteinander. Doch spätestens seit den 00er-Jahren taute der alte Zwist wieder auf.

Auffallend dabei ist, dass die gleichen Akteure im Mittelpunkt stehen wie bereits in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Wieder spielen die USA, Russland, Europa und die NATO-Staaten die Hauptrolle. Auch die Argumente sind die gleichen geblieben. Russland verbittet sich jedwede Ausbreitung der US-geführten NATO nach Osteuropa. Die NATO hingegen heizt die Lage durch Militärmanöver am Schwarzen Meer weiter auf. Der Krieg in der Ukraine ist der neueste Höhepunkt in einer Spirale aus Unverständnis, Kriegstreiberei und Eskalationen.

Kriegsrelikte

Die Schuld für den Krieg in der Ukraine liegt allein bei Russland. Putin ist dort einmarschiert und Putin ließ die Waffen auf die ukrainischen Soldaten und die Bevölkerung richten. Verantwortlich für den Konflikt sind aber sowohl die russische Seite als auch die NATO. Die Sowjetunion ist Anfang der 1990er-Jahre untergegangen, die NATO aber blieb bestehen. Sie ist ein Relikt aus der Zeit des Kalten Kriegs und war ein Gegengewicht zur übermächtigen Sowjetunion, die mit den USA um die Vormachtstellung in der Welt konkurrierte.

Ihr Fortbestand und ihre weitere Ausdehnung, nachdem der Eiserne Vorgang gefallen war, ist widersinnig. Der Frieden in Europa wäre längerfristig gesichert gewesen, hätte man gleich zu Beginn der 1990er-Jahre ein neues Bündnis unter Einschluss Russlands aufgelegt. Persönlichkeiten wie Putin hätten dann niemals den Auftrieb erfahren, mit dem er nun diesen Krieg führen kann.

Bewährungsprobe

Nichts in Europa wird so sein, wie es war. Der eskalierende Konflikt in der Ukraine hat allen Europäerinnen und Europäern in erschreckender Weise vor Augen geführt, dass der Frieden in Europa keine Selbstverständlichkeit ist. Mit dem Einmarsch in die Ukraine stellt Putin Europa, die EU und die NATO vor eine harte Bewährungsprobe.

Nach den Statuten der NATO ist der Einfall in die Ukraine nämlich kein Bündnisfall. Die Ukraine ist kein Mitglied des Militärbündnisses und kann sich daher nicht auf die Verteidigung durch andere Staaten berufen. Deutschland mag Schutzhelme an die Ukraine geliefert haben – zur aktiven militärischen Verteidigung ist es nicht verpflichtet. Das weiß auch Putin. Mit dem Angriff auf die Ukraine ist er dem drohenden Bündnisfall zuvorgekommen.

Mit einer militärischen Intervention würde die NATO gegen ihre eigenen Grundsätze verstoßen und Putin Stoff liefern für seine Legende, man dürfte dem Westen nicht trauen. Im Zweifelsfall mischte er sich immer ein. Andererseits können sich die europäischen Staaten aus diesem Krieg nicht heraushalten. Putin würde ihnen das sicher als Schwäche auslegen und sich in seinen Allmachtsfantasien bestätigt fühlen. Dann wäre zu befürchten, dass er sich weitere Länder einverleibt, um einen Beitritt dieser Nationen zur NATO zu verhindern.


Der Krieg in der Ukraine ist das Produkt aus Entfremdung, Aufrüstung und gegenseitigen Provokationen. Nichts rechtfertigt diesen Angriff, aber vieles erklärt ihn. Die militärische Aufrüstung hatte für beide Seiten stets Vorrang vor diplomatischen Gesprächen. Viele Chancen sind ungenutzt verstrichen. Einmal mehr steht fest, was William Du Bois bereits im vergangen Jahrhundert sagte: „The cause of war is preparation for war.“ Echte Solidarität mit der Urkaine bedeutet, den aberwitzigen Weg der endlosen Aufrüstung für immer zu verlassen. Waffen verhindern keinen Krieg – sie verursachen ihn.

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