Die Ära der Traumtänzer

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Ein Ziel vor Augen zu haben, ist eine wichtige Sache. Die meisten treibt eine solche Vision an. Finden sich dann noch überzeugte Mitstreiter, ist das eine unglaublich aufbauende und motivierende Erfahrung. Ihr wesentliches Ziel haben heute aber viele aus den Augen verloren. Immer wichtiger wird es stattdessen, zu bestimmten Themen die richtige Haltung und Einstellung zu haben. Dass am Ende des Weges ein glorreiches Ziel steht, wird immer mehr zur Nebensache, ebenso wie der Umstand, dass am Wegesrand viele mögliche Weggefährten stehen, die nur darauf warten, mitgenommen zu werden. Ihre ausgestreckte Hand wird meist ausgeschlagen, weil ihre moralischen Westen nicht so einwandfrei strahlen wie die eigene. Viele Allianzen und Chancen bleiben so ungenutzt.

Ein gutes Gefühl

Wir dürfen keine Energie von Menschenrechtsverbrechern beziehen. Wir müssen Putin ruinieren. Berlin soll schon bis 2030 klimaneutral sein. All diese Forderungen und Appelle will man intuitiv mit einem klaren Ja bekräftigen. Lauscht man diesen Leitmotiven, hat man ein gutes Bauchgefühl. Es fühlt sich gut an, zu den Guten zu gehören.

Ehrenwerte Motive zu haben, reicht in der Realität allerdings nicht aus. Nur weil man erkannt hat, dass Putin ein Menschenrechtsverbrecher ist und man das klar benennt, ist der russische Aggressor kein bisschen harmloser geworden und die Ukraine kein Stück sicherer. Vieles kann man sich wünschen, aber eine Menge davon wird nicht eintreten. Ein militärischer Sieg über Russland gehört dazu.

Moralisches Wunschdenken

Die Verfechter von Waffenlieferungen, beschleunigter Klimaneutralität und Gendersternchen haben zwei grundlegende Dinge gemeinsam: Es handelt sich meist um die gleichen Personen und es ist schwer, ihren Intentionen etwas entgegenzusetzen. Das liegt daran, dass ihre Ideen und Vorstellungen wirklich nicht schlecht sind. Fast jeder wünscht sich ein friedliches Europa, niemand will diskriminiert werden und alle Menschen wollen eine Welt ohne Klimakatastrophen.

Trotzdem sind es die konkreten Maßnahmen, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Menschen säen. Das Ziel verlieren sie viel zu häufig aus den Augen und ersetzen es durch schwulstige und realitätsferne Wunschvorstellungen, für welche die Zeit noch nicht reif ist. Regelmäßig machen sie den dritten vor dem ersten Schritt.

Einstellungssache

Das geht so weit, dass sie ihre Vorstellungen einer idealen Welt über alles stellen und sich mit nichts weniger zufriedengeben. Die Einstellung zu bestimmten Themen ist für sie wichtiger als die Erringung irgendwelcher Teilerfolge. Sie haben Codes und Indizes generiert, die festlegen, wie treu jemand auf Linie ist. Weicht er zu oft oder zu stark von diesen Vorgaben ab, wird er ausgeschlossen und diffamiert.

Es ist dabei völlig unerheblich, ob die ausgeschlossene Person in Wahrheit für die gleichen Ziele kämpft wie die gefühlte Mehrheitsgesellschaft. Wer mit Impfunwilligen in den Dialog treten will oder die zentrale Rolle der NATO beim eskalierenden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine anspricht, kann nicht mit ganzem Herzen ein guter Mensch sein oder sich voll und ganz einer gerechten und diskriminierungsfreien Welt verschrieben haben. Die unbefleckte Moral verbietet jegliche Zusammenarbeit mit solchen Menschen, auch wenn sie noch so oft sagen, dass Putin völkerrechtswidrig die Ukraine angegriffen hat.

Auf diese Weise entsteht ein Klima des Gegeneinanders. Jeder normaldenkende Mensch erkennt Putin als einen Verbrecher, der schon für tausende von Morden verantwortlich ist. Er kann diese Verbrechen tagtäglich begehen, weil er sich in einer sehr günstigen Position befindet. Er ist das Oberhaupt des größten Lands der Erde und verfügt über Atomwaffen, mit denen er den Planeten vernichten könnte. Es reicht nicht aus, ihn für diese Offensichtlichkeiten auszuschimpfen und astronomische Summen in einen Krieg zu investieren, dessen Ende noch lange auf sich warten lassen wird.

An einem Strang

Es wäre deutlich effektiver, wenn die Guten sich zusammenschlössen und gemeinsam gegen den russischen Aggressor vorgingen. Befürworter und Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine eint in sehr großer Mehrheit das Ziel, dass sie das Sterben in der Ukraine beenden wollen. Beide Seiten müssen das erkennen und aufeinander zugehen. Diffamierungskampagnen verhindern diese Einigkeit und lassen und schwach dastehen.

Demokratie kann nur gemeinsam gelingen. Sie ist dann besonders schlagkräftig, wenn die Menschen an einem Strang ziehen. Momentan ist das nicht der Fall. Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die militärische Unterstützung der Ukraine haben uns einem Frieden keinen Schritt nähergebracht. Stattdessen haben wir uns entzweien lassen und kämpfen gegeneinander. Putin lacht sich währenddessen halbtot über uns.

Fröhliches Kriegskabarett

Solange es salonfähig ist, Menschen mit abweichender Meinung das Allerschlimmste zu unterstellen, sind wir verletzlich und angreifbar. Nicht alle Menschen lassen sich von moralgeleiteter Politik gängeln und bevormunden. Die neue Friedenbewegung im Stile von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht sind daher die zwangsläufige Folge einer Wertepolitik, die viele Menschen vor den Kopf stößt und sie von sich wegtreibt.

Am 25. Februar war nicht das Sprachrohr Moskaus zu hören. Menschen sind auf die Straße gegangen, weil sie sich einerseits Frieden in Europa wünschen und sich andererseits politisch nicht repräsentiert fühlen. Viel eher im Sinne Putins agiert eine Bundesregierung, welche diese Menschen für ihr Ansinnen verlacht und an den Pranger stellt. Damit kommt sie Putin letzten Endes viel stärker entgegen, weil sie die Bundesrepublik zum Kriegskabarett des russischen Präsidenten macht.

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Ehrlicher Protest und echte Solidarität

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Der völkerrechtswidrige Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine schockt die Welt. In diesen schwierigen und unberechenbaren Zeiten ist es wichtig zusammenzustehen. Bei zahllosen Demonstrationen, Friedenskundgebungen und anderen Veranstaltungen haben viele Menschen gezeigt, dass sie den Krieg ablehnen. Sie beweisen Solidarität mit Frauen, Männern und Kindern, die vor Tod und Zerstörung fliehen oder im eigenen Land eingekesselt werden. Einige dieser Bekundungen sind nicht zu Ende gedacht. Manche verfallen dem Irrtum, dass Solidarität mit der Ukraine gleichbedeutend ist mit einer grundsätzlichen Ablehnung gegenüber Russland.

Neue Kontroverse

Seitdem die russischen Truppen am 24. Februar 2022 in die Ukraine eingefallen sind, dominiert dieses Thema die Medien. Fast minütlich vermelden die unterschiedlichsten Kanäle und Nachrichtensender die neuesten Entwicklungen im russischen Krieg gegen die Ukraine. Daneben diskutieren Politiker, Politikwissenschaftler und andere Strategen über die Lage. Sie geben Statements ab oder ordnen die neuesten Geschehnisse in einen Kontext ein.

Nicht alle diese Wortbeiträge werden von der Mehrheit gefeiert. Erst kürzlich machte eine Gruppe linker Abgeordneter von sich reden, als sie sich mit den Kriegsgründen auseinandersetzte. Man warf ihnen Russlandnähe, eine Affinität für Wladimir Putin und ein Verdrehen von Fakten vor.

Genosse der Bosse

Ähnliche Aggressionen bekommt dieser Tage auch ein Mann zu spüren, der sich seit Jahren für ein russisches Wirtschaftsprojekt einsetzt. Sein Engagement für das russische Unternehmen Gazprom und die damit verbundene Nordseepipeline Nord Stream 2 wird Altkanzler Gerhard Schröder nun zum Verhängnis. Seitdem der Konflikt in der Ukraine eskaliert, rufen ihn seine alten Parteifreunde immer wieder dazu auf, sich von Putin zu distanzieren und die Unterstützung des russischen Energielieferanten aufzukündigen.

Im Raum steht nicht weniger als ein Ausschluss aus der Partei. Man wirft dem Ex-Kanzler vor, dass sein Engagement nicht dem Wohlstand Deutschlands diene, sondern auf seine politische Freundschaft mit dem russischen Machthaber zurückzuführen sei. Es stößt vielen hart auf, dass Schröder dennoch eine üppige Pension aus deutschem Steuergeld bezieht. Der „Genosse der Bosse“ hat ein Problem.

Diese Agitationen gegen den früheren Regierungschef sind aber insoweit unehrlich, als dass sich jahrelang kein SPD-Abgeordneter ernsthaft an Schröders fragwürdigen Lobbykontakten gestört hat. Sein Engagement für Gazprom reicht viele Jahre zurück und wurde an der ein oder anderen Stelle sicher kritisiert. Die Vehemenz der Kritik, die Schröder nun entgegenweht, ist aber opportunistisch und unehrlich.

Späte Kritik

Gerhard Schröder ist einer der prominentesten Vertreter des sogenannten Drehtüreffekts. Es ist zwischenzeitlich quasi gute Sitte geworden, dass Politiker nach Ende ihrer Abgeordnetenlaufbahn fast nahtlos in ebenjene Branchen wechseln, mit denen sie zuvor politisch zu tun hatten. Getreu dem Motto „Gezahlt wird später“ holen sie sich in der Wirtschaft den Verdienst ab, der sie als aktive Politiker in die Nähe des Korruptionsverdachts katapultiert hätte.

Von diesem Phänomen profitiert auch die SPD seit vielen Jahren. Mit Gerhard Schröder haben sie sogar einen Pionier dieser dubiosen Praxis in ihren Reihen. Anstatt mit dieser Tradition nun aber für immer zu brechen, monieren sie lieber Schröders unliebsame Verbindungen nach Russland, mit der er so gar nicht in die SPD von heute passt. Es stellt sich die Frage, warum den Sozialdemokraten dieses Licht nicht bereits aufging, als Schröder mit Hartz-IV und anderen Sozialabbauprogrammen um die Ecke kam.

Ein starkes Zeichen

Von jedem wird erwartet, eine Meinung zu dem Krieg in der Ukraine zu haben und diese möglichst auffallend kundzutun. Die zahlreichen Mahnwachen und Friedensdemonstrationen sind ein starkes Zeichen gegen den Krieg und für den Frieden. Allein in Berlin haben sich an einem Tag rund 500.000 Menschen zusammengetan, um gegen Putins Einmarsch in die Ukraine zu protestieren. Dieses Engagement zeigt deutlich, dass die Menschen den Glauben an Diplomatie und Nachbarschaft nicht verloren haben. Solche Veranstaltungen sind Hoffnungsschimmer in einer viel zu düsteren Zeit.

Die Demonstrationen und Friedensmärsche sind ein ziviles und angemessenes Mittel, auf Russlands Aggressionen zu reagieren. Es ist nachvollziehbar, dass sich auch in Deutschland viele Menschen Sorgen machen. Sie befürchten zwar keinen unmittelbar bevorstehenden Einmarsch russischer Truppen ins Land, aber sie wissen, dass von Russland eine Menge abhängt. Besonders die Aufrechterhaltung einer verlässlichen Energieversorgung steht auf dem Spiel.

Es ist richtig, diese wirtschaftliche Abhängigkeit bei der politischen Einordnung des Konflikts miteinzubeziehen. Es ist ebenso sinnvoll, diese Sorgen beim Protest gegen Putins Krieg nicht außer Acht zu lassen. Jeder weiß, dass uns Putin den Gashahn zudrehen kann und keiner will, dass das tatsächlich geschieht.

Nicht zu Ende gedacht

Es ist insofern schwer nachvollziehbar, wenn sich einige Menschen besonders solidarisch mit der Ukraine fühlen, indem sie für eine Stunde die heimische Heizung abdrehen. Sie wollen Putin zeigen, dass sie sich des Risikos bewusst sind. Das sind sie nicht. Eine Stunde Pulli anziehen ist nichts im Vergleich zur drohenden Versorgungslücke und den horrenden Energiepreisen, sollte Putin ernstmachen. Wer wirklich seine Unabhängigkeit von Russland demonstrieren möchte, der möge seine Heizung nicht nur für einige wenige Stunden abdrehen, sondern für immer.

Im übrigen sind solche öffentlichkeitswirksamen Aktionen kaum geeignet dazu, Solidarität mit der Ukraine zu zeigen. Den Ukrainerinnen und Ukrainern ist weitaus mehr geholfen, wenn sie sichere Häfen vorfinden, über sichere Fluchtrouten außer Landes kommen können und anhand des lauten Protests in anderen Ländern sehen können, dass sie nicht allein sind.

Auch ein grundsätzlicher Boykott russischer Unternehmen ist wenig zielführend. Der Europapark in Rust hat kürzlich seine Kooperation mit Gazprom beendet, um Distanz zum russischen Regime zu signalisieren. Besucherinnen und Besucher hatten angekündigt, die beliebte Achterbahn BlueFire nicht mehr zu fahren, weil bereits der vollständige Name der Attraktion auf die Kooperation mit dem russischen Energiekonzern hinweist. Abgesehen davon, dass die wenigsten von der Achterbahn „BlueFire Megacoaster- Powered by Nord Stream 2“ sprechen, sind fast alle russischen Unternehmen dem autokratischen Machthaber unterstellt. Es fehlen schlicht die geeigneten Alternativen.

Unbequeme Position

Die fragwürdige Praxis des Europaparks ist eine Blaupause des politischen Umgangs mit wirtschaftlichen Fragen zu Russland. Der Bau der Nordseepipeline Nord Stream 2 war vielen bereits in den letzten Jahren ein Dorn im Auge. Verschiedene Lobbygruppen und politische Strömungen hatten immer wieder gegen das Wirtschaftsprojekt mit Russland mobilgemacht. Als ihnen die umweltpolitischen Argumente mangels tragbarer Alternativen ausgingen, konzentrierten sie sich auf die politische Dimension. Immer wieder betonten sie, man dürfte mit autokratischen Ländern wie Russland keine Geschäfte machen, weil dort Menschenrechte verletzt werden würden. Es ist bemerkenswert, dass der gleiche Maßstab nicht bei Ländern wie den USA angelegt wird.

Der Krieg in der Ukraine dient diesen Interessensgruppen als willkommene Begründung dafür, das Projekt „Nord Stream 2“ endgültig ad acta zu legen. Fakt ist aber: Wir sind leider nicht in der bequemen Position, dass wir uns aussuchen können, woher wir welche Rohstoffe beziehen. Wir stehen in dieser Frage in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Russland. Es ist richtig, wenn die Bundesregierung nun Maßnahmen ergreift, um den Ausbau erneuerbaren Energien voranzutreiben. Dann könnten wir in Zukunft einen Großteil der benötigten Energie selbst erzeugen. Und dann haben wir auch eine Wahl, ob wir in Zukunft mit Ländern wirtschaftlich zusammenarbeiten, deren politisches System unserem eigenen so offensichtlich zuwiderläuft.

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