Aus eigener Erfahrung

Lesedauer: 9 Minuten

Der immer radikalere und absurdere Protest auf deutschen Straßen erscheint vielen wie eine zwangsläufige Entwicklung. Einige der selbsternannten Querdenker und kritischen Geister mögen zwar total versponnen sein, aber an ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung ändert das nichts. Die meisten übersehen dabei, dass die Verschwörungstheoretiker und rechten Hetzer vielen anderen heute nicht mehr als wirr im Kopf gelten. Zügellos hauen sie eine demagogische Aussage nach der nächsten heraus. Immer weniger Menschen wissen währenddessen aus eigener Erfahrung, wie gefährlich dieses Spiel mit dem Feuer ist. Gegen einen immer lauter werdenden Pulk haben sie aber immer weniger Chancen…

In bester Gesellschaft

Auf dem Marktplatz bereitet sich ein Mann auf seinen großen Auftritt vor. Er ist empört. So wie es ist, kann es nicht weitergehen. Er wird seinem Ärger jetzt Luft machen. Aus Paletten und anderen Holzresten hat er sich eine kleine Kanzel gebaut. Ein paar Passanten sind bereits stehengeblieben. Sie sind gespannt darauf, was der gute Mann wohl zu sagen hat.

Dann ist es soweit. Der Mittvierziger schaltet sein Mikro an, damit möglichst viele Menschen ihn hören können. Und dann legt er los. Vor wenigen Wochen hat er aus heiterem Himmel seine Arbeit verloren. Den Job macht jetzt ein junger Mann aus Rumänien. Der spricht gebrochen Deutsch und versteht die Hälfte nicht, wenn man ihm was erklärt. Genau darüber redet der zornige Mann auf dem Marktplatz. Er hat Angst, denn egal, wo er hinsieht, sieht er Fremde. Im Bus und in der Bahn schreien Dunkelhäutige in ihre Handys. An den Straßenecken muss man aufpassen, damit man nicht von einer Meute jugoslawischer Jugendlicher zusammengeschlagen wird.

Der Mann hat sich mittlerweile so in Rage geredet, dass er gar nicht mitbekommt, dass selbst das Ehepaar, das vor einigen Minuten noch halbinteressiert zugehört hat, in der Zwischenzeit kopfschüttelnd das Weite gesucht hat. Niemand hört ihm zu. Diesem wütenden mittelalten weißen Mann im Jahr 2000.

Wäre er nicht vier Jahre später bei einer weiteren Hasstirade gegen Ausländer an einem Herzinfarkt gestorben, der Mann würde sich heute freuen. Würde er zwanzig Jahre später auf seine Kanzel steigen, dann würden ihm tausende begeistert zuhören. Sie würden ihm zujubeln und Transparente in die Luft halten, welche die Botschaft des Mannes unterstrichen. Heute wäre er kein versponnener Einzelgänger mehr. Unter Querdenkern, Rechtspopulisten und anderem Nazigeschmeiß wäre der Herr heute in bester Gesellschaft.

Andere Zeiten

Den Mann aus dieser kleinen Geschichte, gibt es nicht. Also eigentlich gibt es ihn schon, aber für diesen Artikel habe ich ihn erfunden. Ganz bestimmt gibt es in diesem Land aber zig Menschen, die auf diese Beschreibung passen. Unser kleiner antagonistischer Protagonist war bestimmt auch vergangenes Wochenende in Stuttgart dabei. Boshafte Juxfiguren wie ihn findet man inzwischen alle Nase lang. Er protestiert im Schulterschluss mit noch düstereren Gestalten auf den Straßen und fühlt sich dabei wie ein besonders guter Bürger.

Vor zwei Jahrzehnten hätte er mit seinen Hetzereien kaum so eine durchschlagende Wirkung gehabt. Heute sieht das anders aus. Menschen wie er wissen sich heute einer latenten Unterstützung, einer bereitwilligen Empfänglichkeit in der restlichen Bevölkerung sicher. Anders als um die Jahrtausendwende sind heute viel mehr Menschen dazu bereit, solchen Parolen hinterherzulaufen. Einige halten dagegen. Andere schütteln den Kopf. Aber viel zu viele hören zu und nicken.

Nazi-Logik

Vor ungefähr anderthalb Jahren schrieb ich auf diesem Blog von einem alten Mann in der Regionalbahn, der von defekten Zugklos einen kühnen Gedankensprung zu verhätschelten Flüchtlingen machte (https://svendominic.de/eigentlich-war-hitler-ein-versager/). Auch er wurde von vielen nicht ignoriert. Das Gift der selbsternannten Wutbürger ist bereits tief in unsere Gesellschaft vorgedrungen. So tief, dass heute Sprüche salonfähig sind, mit denen man sich noch vor einigen Jahren völlig ins Aus manövriert hätte.

Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD Bernd Baumann nahm am 14. Januar im Bundestag Stellung zur Diskriminierung von Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. Er wunderte sich laut darüber, warum denn immer mehr solcher Menschen nach Deutschland kämen, wenn es ihnen hier doch angeblich so schlecht ginge. Das ist umgekehrte Nazi-Logik. In den 1940er Jahren propagierten die Nazis, die Juden würden freiwillig das Land verlassen, weil sie in Deutschland keine Perspektive für sich sähen. Schon damals versuchte man, die menschliche Logik mit solch fadenscheinigen Argumenten hinter’s Licht zu führen.

Sein Fraktionskollege Markus Frohnmaier steht Baumann dabei in nichts nach. Zu seinen besten Zeiten kündigte er an, seine Partei würde bald aufräumen und nur noch Politik für das Volk machen. Auch er bediente sich eindeutig der Rhetorik der Nazis. Bereits 1940 erklärte der überzeugte Nationalsozialist Hans Frank stolz, der Führer habe die Juden mit einem eisernen Besen aus dem Lande gefegt (https://www.youtube.com/watch?v=gm6qgMeOkJA).

Diese Menschen konstruieren sich selbst einen schlaff anliegenden Maulkorb, von dem sie sich nach Jahren der Unterdrückung endlich befreien. Es ist richtig, dass solche Parolen sehr lange kein Forum hatten. Es stimmt aber nicht, dass diese Menschen in irgendeiner Art und Weise unterdrückt wurden. Man hörte ihnen einfach nicht zu.

Die Erinnerung verblasst

Besonders in Zeiten, in denen von Mahnmalen der Schande die Rede ist, ist eine Erinnerungskultur wichtiger denn je. Die Menschen dürfen nicht vergessen, welch unendliches Leid sie einst verursacht haben – und jederzeit wieder verursachen können. Aktives und kollektives Erinnern gelingt am besten, wenn es Menschen gibt, die die Erinnerung aus eigener Erfahrung wachhalten. Fast 80 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches sind aber nicht mehr viele Zeitzeugen von damals übriggeblieben. Die allermeisten von ihnen sind in der Zwischenzeit gestorben.

Was bleibt, sind die vielen Denk- und Mahnmale, die Einträge in Geschichtsbüchern sowie die Überlieferungen von Zeitzeugen. Je länger der Schrecken allerdings her ist, desto weniger Menschen gibt es, die uns glaubhaft vor den Gefahren warnen können. Es gibt immer weniger Menschen, die darauf achten, dass sich das Geschehene nicht wiederholt.

Direkter Zusammenhang

Die Zeitzeugen, die Vertriebenen und die Holocaust-Überlebenden waren im wahrsten Sinne des Wortes der Impfstoff, der uns vor den düstersten Ideologien gefeit hat. Doch im Laufe der Jahre hat der Impfschutz nachgelassen, die Viruslast steigt. Immer weniger mahnende Zeigefinger halten Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten davon ab, ihre kruden Theorien zum besten zu geben. Die wenigen noch lebenden Zeitzeugen machen einen immer geringeren Anteil an der Gesamtbevölkerung aus. Die Identifizierung mit dieser Gruppe schwindet. Viele fühlen sich mit diesen Menschen nicht mehr verbunden.

Und das hat nur bedingt mit steigenden Flüchtlingszahlen zu tun. Der Flüchtlingsstrom aus Syrien und anderen Kriegsgebieten dient den rechten Rattenfängern lediglich als Vorwand, um ihre unmenschlichen Ansichten zu begründen. Für viele waren die eigenen Lebensumstände bereits vor fünfzehn oder zwanzig Jahren prekär. Viele waren bereits vor so langer Zeit frustriert und wütend. Dass sie sich in den letzten Jahren aber sehr viel stärker der politischen Rechten zuwandten, hängt mit dem Sterben von Holocaust-Überlebenden direkt zusammen.

Ungünstiges Zusammenspiel

Der Wiederaufstieg der extremen Rechten ist nämlich kein Selbstläufer. Das Wegsterben von Zeitzeugen reicht nicht aus, damit sich das braune Gedankenschlecht breitmachen kann. Hinzu kommen noch teilweise fatale politische Weichenstellungen, die in den vergangenen Jahren eingeleitet wurden. Es ist die Politik der Missverhältnisse, die die Menschen auf die Barrikaden brachte. Jahrelang haben sie sich in sich hineingeärgert. Sie hatten immer weniger Möglichkeiten, sich politisch auszudrücken und auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen. Bewegungen wie Pegida und später die AfD boten ihnen endlich wieder ein Forum. Dass sie dafür rechte Ressentiments schlucken mussten, nahmen sie billigend in Kauf.

So entwickelte sich schnell eine Spirale, aus der es inzwischen kaum noch einen Ausweg zu geben scheint. Immer schneller und immer weiter entfernen sich viele von einem Wertekanon, bei dem die Würde aller Menschen im Mittelpunkt stand. Die meisten von ihnen bemerken nicht einmal, dass sie die wunderbare Idee der Demokratie gerade in die Tonne klopfen.

Kommen dazu noch unkontrollierbare äußere Einflüsse wie die Coronapandemie, ist das Desaster komplett. Keine Regierung auf der Welt kann etwas dafür, dass uns dieses Virus seit mehr als einem Jahr heimsucht. Kompetente Regierungen hingegen hätten schnell und besonnen reagiert. Sie hätten womöglich auch Fehler gemacht, aber die grundsätzliche Stoßrichtung hätte gestimmt. Versemmelt die Regierung allerdings einen Schlag gegen das Virus nach dem anderen, so ist das natürlich Wasser auf die Mühlen der politischen Ränder.


Derzeit erleben wir ein wahrlich unglückliches Zusammenspiel von ungünstigen Faktoren. Die Regierung regiert seit vielen Jahren faktisch am Volk vorbei, während uns die Coronapandemie zusätzlich vor schwere Herausforderungen stellt. In einer Zeit, in der die extreme Rechte paradiesische Zustände vorfindet und ordentlich zulegt, gibt es dazu immer weniger Menschen, die aus eigener Erfahrung wissen, wie fatal diese Kombination ist. Wir sollten ihnen zuhören, solange wir können und ihre Worte niemals vergessen.


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Eigentlich war Hitler ein Versager

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Eigentlich war Hitler ein Versager

Vorschaubild: Gerd Altmann, Pixabay.

Lesedauer: 12 Minuten

Es gibt in unserem Land Menschen, die lange den Mund hielten. Heute sprechen Sie von Gesinnungshaft, Volksaustausch und Schießbefehl. In der AfD haben Sie ein Forum gefunden, sich Gehör zu verschaffen. Viele bewundern und bejubeln diese Partei, von anderen wird sie scharf kritisiert. Immer häufiger werden ihr faschistoide Tendenzen bescheinigt. Ja, es gibt Menschen, die lange den Mund hielten – und das aus gutem Grund.

Eine aufgeklärte Gesellschaft

Vor etwas mehr als zehn Jahren verkündete meine damalige Deutschlehrerin, dass sie ihren Unterricht etwas anders gestalten wollte. Die Zeit des langatmigen Bücherwälzens und Aufsatzschreibens sollte ein Ende haben. Stattdessen wollte sie uns literarisch wertvolles möglichst zeitgemäß vermitteln. Konkret bedeutete das: ein Ausflug ins Kino. Mit Sicherheit gibt es bessere Filmbegleitungen als eine überdreht-enthusiastische Deutschlehrerin und einer Horde pubertierender Jugendlicher, von denen man auf die meisten verzichten konnte. Andererseits war der Kinobesuch eine willkommene Abwechslung vom drögen Schulalltag eines Neuntklässlers.

Auch die Filmauswahl hätte schiefer gehen können. Frau Küschder (Name bis zur Unkenntlichkeit verändert) hatte sich für den Film „Die Welle“ mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle entschieden. Zu dem Streifen ist viele Jahre zuvor auch ein gleichnamiger Roman erschienen, doch den wollte uns unsere Deutschlehrerin anscheinend nicht zumuten. Ehrlich gesagt, hat mir der Film tatsächlich gereicht. Kurzes Wrap-Up: In dem Film geht es um einen übermotivierten Lehrer (Parallelen zur Wirklichkeit rein zufällig), der seinen Schülern was über den Faschismus in Deutschland erzählen soll. Die meisten der Kids winken gelangweilt ab: das könnte heute gar nicht mehr passieren, viel zu aufgeklärt wäre die heutige Gesellschaft. Der Lehrer wagt also ein Experiment. Innerhalb kürzester Zeit bildet er seine Schützlinge zu einer Art Schülerarmee (SA?) aus, die „ganz Deutschland überrollen“ soll. Die meisten Jugendlichen lassen sich fasziniert mitreißen bis ihnen Jürgen Vogel klarmacht, dass sie gerade all ihre Beschwörungen einer aufgeklärten Gesellschaft selbst zugrunderichten.

Keine leichte Kost

Ich bin mir bis heute unsicher, ob mich dieser Film faszinierte oder einfach nur verstörte. Vielleicht von beidem etwas. Fakt ist, dass er darauf abzielte, Menschen wachzurütteln. Nur weil einmal etwas schiefging und es uns heute gut geht, heißt das noch lange nicht, dass es nicht wieder zur Katastrophe kommen kann. Die Zeit meinte sogar, der Film sei „der rechte Film zur rechten Zeit.“ Zugegeben leistete der Film eine Menge zu dieser angeblich so aufgeklärten Gesellschaft. Im Endeffekt machte er unsere Gesellschaft noch aufgeklärter.

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Das war vor zehn Jahren. Wie würden die Reaktionen auf einen solchen Film wohl heute ausfallen? Ich wage zu vermuten: völlig anders. Heute würde sich eine beachtliche Gruppe an Menschen darüber echauffieren, dass mal wieder viel zu aggressiv auf eine faschistische Gefahr in unserem Land hingewiesen werden würde. Man kann sich lebhaft Kommentare vorstellen wie: „Alimentierte Messermörder vom IS sind also keine Gefahr?“ oder „Mal wieder typisch, auf dem linken Auge blind.“ Aber wozu solch offensichtliche Reaktionen herausfordern? Der Film hat vor einem Jahrzehnt gut funktioniert. Heute brauchen wir ihn nicht mehr. Es reicht ein Blick in die Realität.

Jeder kann ein Faschist sein

Eines ist völlig gewiss: Viele Reaktionen auf einen solchen Film würden heute auf reine Geschichtsvergessenheit abzielen. Jürgen Vogel will seinen Schülern den Begriff „Faschismus“ näherbringen. Lange Zeit galt dieses Wort als das Böse in Reinform. Und vom Bösen soll man sich fernhalten. Tatsächlich hat das lange Zeit gut geklappt. Der Terminus war eindeutig dem akademischen Milieu zuzuordnen. Geschichtsprofessoren verwendeten diesen Begriff, um über das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte zu sprechen. Möglicherweise kannten viele den Begriff noch nicht einmal oder konnten mit ihm nichts anfangen. Und heute? Ein Blick in die Social Media reicht aus, um eines zu erkennen: „Faschismus“ wird heute beinahe inflationär verwendet. So ist häufig zu lesen, Greta Thunberg sei eine Faschistin, generell alle Klimaschützer seien doch Faschisten. Angela Merkel führe das Land in eine Diktatur.

Was hier geschieht ist schlicht und ergreifend die völlige Entwertung und Neubesetzung dieser Begrifflichkeiten. Ein Kind (!) wird allen Ernstes mit dem Faschismus gleichgesetzt. Einen härteren Schlag ins Gesicht der wenigen noch lebenden Opfer von echtem Faschismus ist kaum möglich.

Der Bundeskanzlerin wird diktatorisches Vorgehen bescheinigt. Es ist beinahe traurig, dass eine Vielzahl derer, die am lautesten schreien, Diktatur am eigenen Leib erlebt haben. Allen Ernstes wird das heutige Deutschland mit der DDR verglichen. Dabei könnten wir heute von Planwirtschaft, Ein-Parteien – Herrschaft und Gesinnungshaft nicht weiter entfernt sein.

Diese groteske Neudefinition von Begriffen resultiert schließlich in einer völligen Enthemmung von Sprache. Frauke Petry möchte das Wort „völkisch“ wieder in den bürgerlichen Diskurs integrieren, Alexander Gauland kündigt an, man werde die Regierungschefin „jagen“. Gestern völkisch, heute jagen. Was wird wohl morgen sagbar sein?

Die Sache mit den Flüchtlingskindern

Die Emotionen in solchen neuen Debatten werden auf ein Minimum reduziert. Mitgefühl, Anteilnahme und Verständnis werden Schritt für Schritt abgeschafft. Zurück bleiben lediglich Wut und Angst. Vor nicht all zu langer Zeit trieb es Alexander Gauland damit auf die Spitze: Man dürfe sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen. Was für eine perverse Umkehr vom Opfer zum Täter! Ähnlich wie bei Greta Thunberg wird den Flüchtlingskindern hier eine schädliche Intention unterstellt. Sie würden ihre Kindlichkeit gezielt dazu nutzen, um uns zu erpressen. Scheiß‘ auf deine Urinstinkte. Zur Not kann man schließlich auch auf Kinder schießen. #sweettrixi

Das erschreckende ist: es funktioniert. „Die Welle“ sollte vor gut zehn Jahren vor allem eines hervorrufen: blankes Entsetzen. Bis auf eine traurige Ausnahme sahen alle Schüler ein, dass sie auf einem völligen Holzweg waren. Nur ein Schüler wollte die Bewegung nicht aufgeben. Er rastete komplett aus und erschoss sich schließlich selbst. Unter den Schülern war er ein Einzelfall. Zuvor war er bereits Einzelgänger. Er wurde höchstens belächelt.

Die Herrschaft der Dummen

Vor einigen Monaten beklagte sich ein Freund von mir darüber, dass die AfD nur deshalb solchen Aufwind erführe, weil man den Dummen freie Hand ließe. Dieser Aufstieg der Dummen wäre mit dem Aufstieg der Nazis vor 80 Jahren vergleichbar. Zunächst konnte ich mit dieser Meinung nicht viel anfangen. Ich empfand es als Verharmlosung, Personen wie Gauland, Meuthen oder Höcke zu Dummen zu degradieren. Denn das sind sie mit Sicherheit nicht.

Doch man versuche einmal, sich vorzustellen, jemand hätte eine Äußerung á la Höcke vor zehn Jahren von sich gegeben. Die wenigsten hätten ihm zugehört, die meisten ihn bestenfalls belächelt. Er wäre einer von den Dummen gewesen. Eine Witzfigur.

Und genau das sind doch die Damen und Herren, die seit 2017 rechts der FDP sitzen. Witzfiguren. Bemitleidenswerte Kreaturen, die auf immer dem Gestern nachweinen. Geleitet werden sie von einer schier ekelerregenden kleinbürgerlichen Bequemlichkeit gepaart mit einer völligen menschlichen Inkompetenz. Sie sind Verlierer. Alle. Doch irgendwer hat sie zu Gewinnern gemacht.

Nehmen wir beispielsweise den AfD-Mann Markus Frohnmaier. Seit 2017 sitzt er im Bundestag. Bekannt ist er vor allem durch einen Auftritt in Erfurt 2015, wo er die jubelnde Masse beschwört, es werde bald „ausgemistet“. Ohne zu sehr ins persönliche abdriften zu wollen: der Mann erinnert mich an ein kleines Schweinchen. Als ich ihn das erste Mal sah, war meine prompte Reaktion ein aufmunterndes Lächeln. Als wäre es mir ein dringendes Bedürfnis, ihm zu sagen, dass es auf diesem Planeten bestimmt irgendwo irgendwen gäbe, der ihn liebhat, irgendwie.

Von Anfang an sträubten sich mir die Nackenhaare, dass eine an sich so ulkige Figur ein solches Forum erhielt. Frohnmaier ist tatsächlich die fleischgewordene Herrschaft der Dummen. Mit seinen wahnwitzigen Ideen über ein Abschiebeministerium und einer anschließenden Volkssäuberung hätte er vor einem Jahrzehnt bestenfalls eine Maus in seiner schwäbischen Stammkneipe hervorlocken können. Heute begeistert er tausende.

Über Zugklos, Fernseher und talentfreie Bartträger

Frohnmaier ist beileibe kein Einzelfall. Die Liste der Clowns in der AfD ließe sich beliebig fortsetzen. Doch so waren die Akteure vom rechten Rand schon immer drauf. Gescheiterte Existenzen, die Veränderung um keinen Preis dulden können. Im Prinzip war selbst Hitler eine Lachnummer. Im Ersten Weltkrieg hat er nennenswerte militärische Erfolge verfehlt, auch wenn er später gerne etwas anderes erzählte. Nach dem Krieg hat er es mangels Talents nicht auf die Kunstschule geschafft. Erfolg mit Frauen blieb ebenso aus. Arbeitslos, mittellos, ein Vollversager eben. Mit den AfD-Leuten von heute eint ihn eines: ein nicht zu unterschätzendes rhetorisches Geschick.

Das besitzen sicherlich nicht alle von diesen „Dummen“. Trotzdem wird vielen von ihnen heute zugehört. Ich erinnere mich beispielsweise an eine Situation in der Regionalbahn. Auf dem Viererplatz hinter mir mokierte sich ein älterer Herr darüber, dass das Zugklo mal wieder defekt sei. Wie eigentlich immer. Aber Hauptsache, die Flüchtlinge könnten sich den neuesten Fernseher in ihre Bude stellen. Bei dieser kausalen Verirrung gluckste ich zunächst leise auf. Das Lachen blieb mir allerdings im Halse stecken, als ihm sogar die Leute im Vierersitz neben ihm bewundernd zustimmten. Sie erkannten nicht, dass dieser grantige alte Mann weder von Menschen noch von Fernsehern etwas verstand.

Pegida-Aufmarsch in Dresden im Januar 2015.
Bild: Kalispera Dell, PEGIDA Demo DRESEDEN 25 Jan 2015 116227104, CC BY 3.0

Dummheit scheint in Mode zu sein. Auch auf Social-Media – Plattformen wie facebook überbieten sich manche User geradezu mit ihrer evidenten Inkompetenz und heißgeliebten Bequemlichkeit. Die Flüchtlingskrise ab 2015 wirkte wie ein Katalysator auf all diejenigen, die sonst wussten, dass sie zu einer politischen Debatte nicht viel sinnvolles beitragen konnten. Urplötzlich brachten sie sich in zahllosen Kommentaren in die politische Debatte ein. Leute, die bis auf ein Teil-mich – Bild noch nie etwas auf facebook gepostet hatten, wussten auf einmal ganz genau Bescheid. Schuld waren natürlich die Flüchtlinge. Davor hatten sie, wie wir alle in Deutschland, in Saus und Braus gelebt. Es gab keine Arbeitslosen, keine Tafeln und kein Hartz IV.

Mein Auto gehört mir!

Befeuert wurde diese „Welle“ an Pöbelnden durch den Dieselskandal. Was bei VW und anderen namhaften Autoherstellern abgegangen ist, ist eine riesengroße Sauerei. Schon bald fanden sich massenweise Menschen zusammen, die durch Demonstrationen und Proteste drohende Fahrverbote abwenden wollten. Dabei war die Lösung zum Greifen nah: Die Betrüger haften und die Gelackmeierten werden fürstlich entschädigt. Doch die Bundesregierung zog den Schwanz ein. Das alles sehen viele der Demonstranten natürlich nicht. Vielen von ihnen geht es wieder einmal nur darum, sich die Bequemlichkeit zu erhalten. Feindbild ist immer weniger die Regierung – und erst recht nicht die kriminellen Autokonzerne. Verbockt haben’s natürlich die Umweltschützer und Klimaaktivisten. Es ist schon auffallend, dass viele der Anti-Fahrverbots – Demonstranten die Positionen der AfD teilen. Aber wen juckt das schon? Die Autokonzerne freut’s.

Mein Vater erzählte mir einst eine Geschichte: In seiner Kindheit in den 1960ern hat er des öfteren gehört, wie sich gerade ältere Menschen Herrn H. zurücksehnten, vor allem, als die Gastarbeiter ins Land geholt wurden. Das alles wurde natürlich nur unter vorgehaltener Hand gemunkelt. Aber Kinder kriegen ja bekanntlich fast alles mit. Ganz verschwunden war diese Idiotie wohl nie. Lange Zeit war man sich aber bewusst, dass man mit so mancher Äußerung besser hinter dem Berg hält. Dieser Zustand hielt bis vor einigen Jahren an. AfD und Pegida verstanden es allerdings meisterlich, die vollkommene Verblödung von ihren eisernen Fesseln zu befreien. Zehn Jahre nach dem Kassenschlager mit Jürgen Vogel fragt man sich zurecht, wer heute noch aufgeklärt ist…

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