Freifahrtschein ins Establishment

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Bei der EU-Wahl vom 9. Juni erlebte Die Linke eine herbe Klatsche. Mit weniger als 3 Prozent an Zustimmung kratzt sie an der politischen Bedeutungslosigkeit. Der Weg nach unten zeichnete sich lange ab: personelle Querelen, eine Abspaltung und die schiere Hilflosigkeit gegenüber der AfD begleiteten die Partei bei ihrem kontinuierlichen Abstieg. Die Bemühungen, den linken Parteiflügel der Grünen zu ersetzen, waren das Eintrittsticket der einstigen Protestpartei ins Establishment.

“Die Linke als sozialistische Partei steht für Alternativen, für eine bessere Zukunft.“ So beginnt das bis heute gültige Erfurter Programm der Linken. Selten hat ein Programm dem Test der Zeit so wenig standgehalten wie das Grundsatzprogramm dieser einst stolzen Protestpartei. Nicht nur die Wahlergebnisse gingen seit 2011 fast kontinuierlich in den Keller, auch inhaltlich haben die Ex-Sozialisten einen bemerkenswerten Wandel vollzogen.

Der „Schön wär’s“-Wahlkampf

Gerade im Wahlkampf begegnet man vielen pointierten Losungen wie „Mieten runter“, „Waffen schaffen keinen Frieden“ oder „Gegen Hass und rechte Hetze“. Währenddessen machen sechsarmige Krankenschwestern auf die unmenschliche Belastung in Pflegeberufen aufmerksam. Die Umfrageergebnisse der Linken geben trotzdem nicht viel her.

Doch auch zwischen den Wahlen legen sich die Linken mächtig ins Zeug. Die letzten Monate des Jahres 2022 sollten als der „heiße Herbst“ in die Geschichtsbücher eingehen. Massenproteste, Streiks und Demonstrationen waren aber fast nirgends zu sehen. Die niederschmetternden Wahlergebnisse und die ausbleibende Mobilisierung sind auch überhaupt kein Wunder. Die Menschen vertrauen dieser Partei nicht mehr. Sie empfinden ihr angebliches Angebot nicht mehr als glaubwürdig. In der Folge wandern sie ab.

Klare Prioritäten

Überraschend ist das nicht. Obwohl viele Wahlslogans in bekannter linkspopulistischer Manier daherkommen, waren es vor allem personelle Entscheidungen, die den Niedergang der Linken eingeläutet haben. Indem man Chiffren wie Carola Rackete, Katja Kipping, Bernd Riexinger und andere in Spitzenpositionen hievte, vollzog man auch einen thematischen Kurswechsel. Tonangebend in der Partei sind heute Leute, die soziale Gerechtigkeit zwar toll finden, deren Verwirklichung aber vor Zielen wie Gendergerechtigkeit, offenen Grenzen und einer möglichst vielfältigen Gesellschaft zurücktreten muss.

Einige Genossinnen und Genossen haben das im Laufe ihrer Parteilaufbahn begriffen und früher oder später das Weite gesucht. Manche davon haben zwischenzeitlich einen eigenen Laden aufgemacht. Andere hingegen kommen von der Partei nicht los – wer könnte es ihnen nach teils jahrzehntelangem Engagement verdenken? Ehrenwerte Persönlichkeiten wie Gesine Lötzsch und Gregor Gysi werden sich aber noch umschauen.

Protest von gestern

Der einstige Erfolg der Linken war keineswegs selbstverständlich. Nach dem Verlust des Fraktionsstatus‘ nach der Bundestagswahl 2002 war davon auszugehen, dass die damalige PDS wieder auf das Niveau einer ostdeutschen Protestpartei zusammenschrumpft. Dann kamen Hartz IV und der Zusammenschluss von PDS und WASG. Eine neue starke linke Kraft war geboren. Sie bot den etablierten Parteien Paroli und verfehlte ihre Wirkung insbesondere in den Anfangsjahren nicht. Die Kommentierung der Parteifusion war teils polemisch und von einer Abneigung gegen einst politische Weggefährten geprägt. Heute freilich wurde Die Linke als die Angstfigur auf der politischen Bühne von anderen abgelöst.

Die Krone der tonangebenden Gegenmeinung hat Die Linke auf ihrem Weg ins Establishment nur allzu bereitwillig abgegeben. Um als mögliche Regierungspartei mitmischen zu können, hat sie sich inzwischen gut im immer enger werdenden geduldeten Meinungsspektrum eingerichtet. Sie ist die nervige Cousine, neben der niemand bei der Geburtstagsfeier sitzen möchte, aber die trotzdem irgendwie dazugehört. Selbst Finanzminister Christian Lindner (FDP) riet bei einer Bürgerveranstaltung Wahl der Linken, wenn man mit der herrschenden Politik nicht einverstanden sei. Vom Vorsitzenden der Reichenpartei zur Zweckopposition geadelt – noch tiefer kann man als angeblich sozialistische Partei nicht sinken.

Willkommen im Establishment!

Der Parteispitze der Linken ist das indes egal. In der Hoffnung, irgendwann einmal in den Genuss von Ministerposten auf Bundesebene zu kommen, führt sie weiter ein vermeintlich richtiges Leben im falschen. Anstatt sich der realen Gefahr bewusst zu werden, nach der nächsten Bundestagswahl nicht einmal mehr gewöhnliche Abgeordnetensitze abstauben zu können, zelebriert die Partei unbehelligt ihre Aufnahme ins Establishment.

Fragwürdiger Post: Mit Vollkaracho in die Bedeutungslosigkeit (Quelle: X)

So machte der thüringische Landesverband der Partei in den sozialen Medien allen Ernstes Stimmung gegen die „Putinfreunde[…] von AfD und BSW“. Sie stieg damit unreflektiert in den Kanon des Mainstreams ein, der sich mittlerweile bei seinen Diffamierungen und Verunglimpfungen gegen Andersdenkende immer aggressiver zu überbieten versucht. Perverser kann man nicht zur Schau stellen, dass man verlernt hat, unbequem zu sein.

Die Alarmsignale wurden nicht gehört. Die Linke verliert seit Jahren eine Wahl nach der anderen. Der Erfolg in Thüringen ist ein Ausreißer nach oben und einzig und allein dem Sympathieträger Bodo Ramelow zu verdanken. Bei der gerade zurückliegenden EU-Wahl halbierte die Partei ihr blamables Ergebnis von 2019 sogar noch einmal. Auch wenn die Parteifunktionäre auf Biegen und Brechen etwas anderes beschwören: In solchen Wahlergebnissen liegt die Zukunft dieser Partei.

Satellit der Grünen

Die Partei Die Linke ist heute nichts weiter als der verlängerte Arm des linken Parteiflügels der Grünen. Dieser findet in seiner eigenen Partei schon lange kein Gehör mehr und muss sich des ehemals sozialistischen Satelliten bedienen. Erfolgreich sind die Linken damit besonders in den westdeutschen Bundesländern. Gerade in Großstädten ist sie beliebt wie selten. Sie holt dort ebenjenes hippe Milieu ab, das sich immer mehr von den Grünen abwendet. Dazu passt, dass sie einzig von den Grünen Stimmengewinne für sich beanspruchen kann.

Solange die eher bürgerlichen Kräfte bei den Grünen so stark wie jetzt sind, stehen die Chancen gut, dass die Linken bei künftigen Wahlen zumindest einen eigenen Balken bekommen. Zögen die Grünen allerdings aus dem Desaster vom 9. Juni den Schluss, wieder eine soziale Agenda zu fahren, sieht es für Wissler, Schirdewan und Co. düster aus. Dann dürfte selbst der hart errungene neue Posten in Gefahr sein: die Stärkste unter den Schwächsten.

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Extremes Nicht-Wollen

Lesedauer: 7 Minuten

Letzte Woche kam es in den USA zu beispiellosen Ausschreitungen. Seitdem steht für viele der Schuldige fest: Donald Trump hat seine Wählerinnen und Wähler aufgestachelt, also ist Donald Trump für den Sturm auf das Kapitol verantwortlich. Es ist Fakt, dass die Aufrührer am 6. Januar nicht das Kapitol gestürmt hätten, wenn Trump nicht reichlich Öl ins Feuer gegossen hätte. Zur Explosion kommt es allerdings nur, wenn neben Öl auch bereits Feuer vorhanden ist.

Beispiellose Gewalt

Entsetzt schaut die Welt in die USA. Bürgerinnen und Bürger der ältesten Demokratie der Welt haben das Kapitol gewaltsam gestürmt. Sie haben dabei Polizisten angegriffen, in Büros randaliert und Abgeordnete bedroht. Die Polizei war unterbesetzt und mit der Situation heillos überfordert. Am Ende gab es fünf Tote zu beklagen. Fünf Menschen, die für bloßen Wahnsinn gestorben sind.

Präsident Trump hatte im Vorfeld zumindest indirekt zu diesen Gewaltexzessen aufgerufen. Die Demokraten prüfen daher zur Zeit ein erneutes Amtsenthebungsverfahren gegen ihn. Mit dem letzten sind sie gescheitert, dieses Mal rennt ihnen die Zeit davon. Immerhin soll Joe Biden in einigen Tagen offiziell ins Amt eingeführt werden. Trump ist danach vorerst passé – zumindest als Präsident.

Erst der Anfang?

So zu tun, als wären die Ausschreitungen vom 6. Januar ausschließlich mit der Präsidentschaft Trumps verknüpft, ist allerdings viel zu kurzsichtig. Diese Sichtweise suggeriert, dass nach der Amtsenthebung von Donald I. der Spuk vorbei sei. Es impliziert, dass der Sturm auf das Kapitol nichts weiter war als ein letztes Aufbäumen besonders treuer Trump-Anhänger. Da stellt sich zwangsläufig die Frage, wann denn das erste und das zweite Aufbäumen stattgefunden hat.

Es gab Ausschreitungen in dieser Form unter der Präsidentschaft Trumps schlichtweg noch nicht. Es war das erste Mal, dass sich die Wut und der Frust der Trump-Anhänger in physischer Gewalt entladen hat. Erst als sich selbst die Anhänger des scheidenden Präsidenten sicher sein mussten, dass kein Weg an Biden vorbeiführte, blieb es nicht bei Demonstrationen und Pöbeleien gegen Andersdenkende. Dass sich diese Ausschreitungen erstmalig bei der Verabschiedung von Donald Trump aus dem Präsidentschaftsamt ereigneten, verheißt nichts Gutes für die Biden-Administration.

Kein politisches Angebot

Denn mit der Amtseinführung des nächsten alten weißen Mannes ist die Gewalt lange nicht vom Tisch. Auch weil Bidens Vorgänger immer wieder betont hat, die Wahlen seien manipuliert gewesen, wird sich der Mythos, Biden hätte sich sein Amt erschlichen, hartnäckig in den Köpfen vieler Trump-Anhänger bleiben. Bereits in den letzten vier Jahren haben Trump und seine Gefolgschaft eindrücklich gezeigt, was sie von demokratischen Entscheidungen und Prozessen halten. Das lancierte Gerücht des Wahlbetrugs ist dabei nur die Spitze des Eisbergs.

Am 6. Januar haben die Menschen nicht gegen einen angeblichen Wahlbetrug protestiert. Sie haben sich ultimativ gegen die Machtübernahme der Demokraten gestellt. Es ist zu befürchten, dass dieser Hass und die Gewalt unter einem Präsident Biden nicht abflacht, sondern sogar noch hemmungsloser zum Vorschein kommt. Joe Biden kann den Randalierern jedenfalls kein politisches Angebot machen. Er ist ab sofort der oberste Repräsentant jener Politik, die die Menschen erst wütend gemacht hat. Seine Präsidentschaft interpretieren seine Gegner als vierjährige Provokation.

Ein Meister der Hetze

In seiner Ansprache an seine Wählerschaft hat Trump fast direkt zum Sturm auf das Kapitol aufgerufen. Für die Gewalt und die fünf Toten trägt er eine enorme Mitverantwortung. Allerdings darf man eines nicht vergessen: Die Randalierer waren zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alles Trump-Wähler, aber nicht alle Trump-Wähler waren an diesem Tag Randalierer. Lediglich ein Bruchteil seiner Anhängerschaft hat sich zu diesem Akt der nackten Gewalt hinreißen lassen. Der verbleibende Teil hat sich bestenfalls nach den Ausschreitungen im Kapitol kritisch zu Trumps Ansprache geäußert, nicht aber unmittelbar nach Trumps Auftritt. Sie alle waren also gewissermaßen für Trumps Anstachelungen empfänglich. Im Prinzip sind sie alle Schläfer, die eventuell beim nächsten Übergriff dabeisind.

Donald Trump nimmt dabei die Rolle des Einpeitschers ein. In ihm haben seine Wähler den perfekten Lehrmeister in Zügellosigkeit gefunden. Er ist aber nicht der Grund, weswegen diese Menschen wütend sind. Er hat ihnen vielleicht einiges eingeredet, beispielsweise dass die Wahlen manipuliert waren, aber die Wut und den Frust hat er nicht verursacht. Er ist Katalysator einer Enttäuschung und Frustration, die schon lange vor seiner Präsidentschaft eingesetzt hat. Will man ihm nun die alleinige Schuld für die Ausschreitungen zuweisen, so überhöht man seine Position unnötig. Auf diese Weise billigt man ihm die Macht zu, eine völlig neue Stimmung in der Bevölkerung zu erzeugen. Doch Donald Trump ist alles, aber kein Veränderer. Seine Wähler würde man im gleichen Moment als Vollidioten abstempeln – und so neue Wut säen.

Ein Akt des Nicht-Wollens

Doch wütend sind die Amerikanerinnen und Amerikaner schon lange. Sie haben es satt von einer Politik regiert zu werden, die einen Großteil der Bevölkerung aus den Augen verloren hat. Sie wollen keine Regierung mehr, die sich für die Interessen vieler Bürgerinnen und Bürger nicht mehr interessiert. Sie spüren, dass ihre Lebensumstände mit keiner Regierung besser werden. Keiner hörte darauf, was sie wirklich wollen. Umso entschlossener zeigen sie, was sie nicht wollen.

Besonders in den letzten Jahren drehten sich die politischen Debatten in den USA darum, was nicht gewollt ist. Nun gibt es in den USA von jeher zwei große Parteien, die im Wettstreit miteinander stehen. Eine gewisse Anti-Haltung gegen die jeweils andere Partei lässt sich also gar nicht verhindern. Doch die Vehemenz, mit der Gegner gegen das andere Lager vorgehen, verschärft sich seit Jahren. Bereits 2016 ging es nicht in erster Linie darum, wer Präsident wird, sondern wer es nicht wird. Auch dieses Mal wird auf Biegen und Brechen versucht, die anderen von der Machtübernahme abzuhalten. Flugs spann Trump das Märchen von den gestohlenen Wahlen – und setzte damit eine verheerende Dynamik in Gang.

Einige seiner Anhänger erstürmten das Kapitol. Sie sahen keinen anderen Ausweg mehr, um eine Rückkehr zur Regierung des von ihnen verhassten Establishment zu verhindern. Biden war immerhin drauf und dran, eine Mehrheit zu erlangen, die ihm das Regieren deutlich vereinfachen würde. Wahrscheinlich waren sich viele der Aufrührer im klaren darüber, dass diese Ausschreitungen zwar ein Zeichen setzen, aber letztendlich kaum etwas ändern würden. Der Sturm war der extremste Ausdruck des Nicht-Wollens. Donald Trump ist nicht schuld an der Wut der Menschen. Er hat sie so lange aufgehetzt bis sämtliche Hemmungen vergessen waren. Vielleicht waren die Ausschreitungen vom 6. Januar nur der Auftakt zu einer Welle der Gewalt. Vielleicht ist aber auch bald wieder Ruhe im Karton. Das heißt dann aber auch, dass noch viel mehr Wählerinnen und Wähler endgültig zu Nichtwählern werden. Die Demokratieentwöhnung hat man ihnen zumindest unnötig leichtgemacht.


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Abgeschrieben

Dafür oder dagegen

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Dafür oder dagegen

Lesedauer: 9 Minuten

Der Ausgang der anstehenden US-Präsidentschaftswahl ist völlig ungewiss. Trump schwächelt zwar, ein möglicher Sieg für ihn ist aber weiterhin nicht vom Tisch. Sein Herausforderer Biden hat es bis heute nicht geschafft, den Menschen über Donald Trump die Augen zu öffnen. Das ist auch kein Wunder, wählen viele schließlich nicht FÜR Trump, sondern GEGEN Biden. Auch in der deutschen Parteienlandschaft zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab. Viele wählen nicht für die Populisten, sondern gegen das Establishment.

And the next president is…

Ende des Jahres stehen die US-Amerikaner erneut vor der Wahl: Wer soll ihr Land in den nächsten vier Jahren regieren? Darf sich der amtierende Präsident Donald Trump weiter im Weißen Haus verschanzen, ein sinnvolles Anti-Kriegs – Abkommen nach dem anderen aufkündigen und viele weitere egoistische Wirtschaftsembargos verhängen? Oder soll zukünftig Joe Biden die Geschicke des Staatenbunds bestimmen – ein in die Jahre gekommener Hardcore- Establishmentverfechter, den außer fehlendem Haarvolumen und Make-up nicht viel von seiner glücklosen Vorgängerin Hillary Clinton unterscheidet?

Auch bei der US-Wahl 2020 zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf – Rennen zwischen den beiden Kontrahenten ab. Wie bereits vor vier Jahren ist vollkommen ungewiss, wer die Wahl gewinnen wird. Trump schwächelt zwar in Umfragen, sein Rückhalt ist aber weiterhin enorm. Eines ist allerdings jetzt schon klar: Wer sein Kreuz hinter Trump macht, der stimmt nicht zwangsläufig für den amtierenden Präsidenten. Denn jede Stimme, die Trump einheimsen kann, ist eine Ohrfeige für Biden.

Pest und Cholera

Das Wahlsystem in den USA lässt prinzipiell gar keinen anderen Schluss zu. Im Rennen sind in der Regel nur zwei aussichtsreiche Kandidaten, einer für die Demokraten, der andere für die Republikaner. Und doch ziehen viele Amerikaner den tobsüchtigen, egoisitischen, organenen Mann einem Kandidaten vor, der zwar auf den ersten Blick stinklangweilig wirkt, aber bestimmt auch über eine Menge Lebenserfahrung verfügt. Wie bereits 2016 wird für Trump nicht gestimmt, weil er ein so unfassbar geeigneter Präsident ist, sondern weil sein Gegenspieler ein so unfassbar ungeeigneter Kandidat ist.

Selbst wenn Hilary Clinton 2016 die Wahl gewonnen hätte: Ähnlich wie Trump hätte sie das nur mit einem hauchdünnen Vorsprung geschafft. Und das hat Gründe. Viele Wählerinnen und Wähler spürten, dass es mit einer Präsidentin Clinton nicht vorwärts gegangen wäre. Von ihrer Präsidentschaft versprachen sich viele viel zu wenig. Sie war die Kandidatin des Establishments, der sozialen Unsicherheit und der Reichen und Mächtigen. Es ist ein Trauerspiel, dass die Wähler selbst einem Donald Trump eher das Vertrauen aussprachen – einem offensichtlichen Chauvinisten, der Frauen beschimpft und es mit der Wahrheit überhaupt nicht genau nimmt.

Und auch bei der kommenden Wahl dürfte es eng werden. Es ist natürlich möglich, dass Joe Biden der nächste Präsident der USA wird. Dann aber ganz sicher nicht, weil seine Argumente so überzeugt haben. Auch die schlechten Umfragewerte von Donald Trump hängen direkt mit dessen Missmanagement der Corona-Krise zusammen. Joe Biden ist ein Kandidat, der ausschließlich von der Führungsschwäche Trumps profitiert. Er führt einen Wahlkampf gegen seinen Kontrahenten, aber nicht für seine eigene Sache. Dann müsste er nämlich zugeben, dass er wie Trump ohne echten Plan dasteht. Er müsste gestehen, dass seine Alternative alles andere als erstrebenswert ist. Denn eine Zukunft ohne Trump ist nicht unbedingt eine bessere Zukunft – schon gar nicht, wenn sie Joe Biden heißt.

Eine zweite CDU

In Deutschland haben die Wähler traditionell die Wahl zwischen mehr als zwei Parteien. Man könnte meinen, dass die Wahl einer bestimmten Partei nicht dazu geeignet ist, einer anderen Partei eins auszuwischen. Spätestens seit die AfD am politischen Horizont erschienen ist, hat sich das aber geändert. Natürlich gibt es Menschen, die die AfD aus voller Überzeugung wählen. Das gilt aber nicht für die Mehrheit der AfD-Wähler. Die meisten wählen diese Partei, weil sie sich entweder von keiner der anderen Parteien vertreten fühlen oder weil sie es dem Establishment zeigen wollen.

Einige Parteien im Land tun auch wirklich alles, um die Serie an Wahlerfolgen der AfD nicht abreißen zu lassen. Jüngstes Beispiel ist vermutlich Olaf Scholz. Der stolze Olaf darf die SPD bei der nächsten Bundestagswahl als Kanzlerkandidat vertreten – es sei denn, die Partei besinnt sich rechtzeitig eines besseren.

Olaf Scholz ist nämlich der fleischgewordene Wahlgrund für die AfD. Er steht für alles, was die AfD-Wähler ablehnen. Er gilt als Wegbereiter der Hartz-Reformen, die viele Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse gestürzt haben. Und er war immer mit ganzem Herzen dabei, wenn es um die Errichtung einer großen Koalition ging. Zweimal war er bisher in einer solchen Regierung Minister. Mit Angela Merkel scheint es bisher keine größeren Reibereien gegeben zu haben. Viel eher hat man den Eindruck, Olaf Scholz will die SPD zur neuen Schwesterpartei der CDU umformen. Und genau dieser Mann soll ernsthaft einen Neuaufbruch verkörpern? Tatsächlich verkörpert dieser Mann nur eines: Er ist eine wandelnde Provokation an das wählende Volk. Seine Kandidatur wird keinen einzigen Wähler von der AfD zurückgewinnen. Eher gehen da die Menschen gar nicht zur Wahl.

Eine wandelnde Provokation

Denn auch um die Umfragewerte der AfD ist es seit Monaten nicht besonders gut bestellt. Seitdem die Lockerungen der Corona-Maßnahmen Fuß gefasst haben, steigen die Werte der Partei zwar allmählich wieder, an das Ergebnis der letzten Bundestagswahl kommen sie aber weiter nicht ran. Das hängt ähnlich wie bei Trump aber nicht mit der guten Performance der politischen Konkurrenz zusammen. Einzig die CDU konnte ihren Rückhalt in der Bevölkerung während der Corona-Krise merklich ausweiten. Alle anderen Parteien waren bisher nicht in der Lage, den AfD-Wählern ein besseres Angebot zu unterbreiten. Folglich bleiben diese Menschen bei der AfD – oder werden zu Nichtwählern. So sind die sinkenden Umfragewerte der AfD zu interpretieren. Mit Olaf Scholz und der SPD haben sie wenig zu tun.

Die Leute lassen sich nämlich nicht auf Dauer für blöd verkaufen. Hartz-IV und den maroden Arbeitsmarkt gibt es schon seit längerem, und ganz bestimmt ist Olaf Scholz nicht allein dafür verantwortlich. Doch die Sozialdemokraten haben da gerade jemanden zu ihrem Kanzlerkandidaten gekürt, der momentan bei gleich zwei Skandalen in den Seilen hängt. Zum einen ist da der Cum-Ex – Skandal. Der amtierende Finanzminister und frühere Bürgermeister Hamburgs hat sich in dieser Affäre bereits in zahlreichen Widersprüchen verheddert. Und auch beim noch aktuelleren Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard macht Scholz kaum eine bessere Figur. Als Finanzminister hat er viel zu lange weggesehen und damit die kriminellen Geschäfte von Wirecard zumindest laufen lassen. Wie kann es so jemand eigentlich wagen, den Anspruch zu stellen, deutscher Regierungschef zu werden?

Alles auf Volksnähe

Gerade die Regierung sollte das gesamte Volk im Blick haben. Aber nicht nur in Deutschland wird seit Jahren am Volk vorbeiregiert. Die Interessen der einzelnen jucken die Politiker schon lange nicht mehr. Natürlich spüren das die Wählerinnen und Wähler. Und dann suchen sie sich Alternativen. Die Populisten geben den Enttäuschten zumindest das Gefühl, an ihrer Seite zu stehen. Mit ihren platten Parolen und ihren rassistischen Ressentiments täuschen sie vielen eine Volksnähe vor, die angeblich den Interessen der Bevölkerung dient. In Wahrheit allerdings machen Politiker wie Donald Trump eine fast noch wirtschaftshörigere Politik als das verhasste Establishment. Unter dem Deckmantel des Bürgerverständnisses können sie das aber meist gut verstecken.

Die deutsche Bundesregierung hingegen gibt sich immer weniger Mühe, die beinahe symbiotische Beziehung zur Wirtschaft zu verschleiern. Immer offensichtlicher kommuniziert sie an die Bürger, in wessen Auftrag sie wirklich handelt. Nach dem Dieselskandal machte die Regierung rege von der freien Meinungsäußerung Gebrauch und erklärte, dass ein solches Vorgehen nicht akzeptabel wäre. Schlagkräftige Konsequenzen blieben aber bis heute aus. Stattdessen knickte die Regierung vor dem augenscheinlichen Rechtsbruch der Autokonzerne ein und ließ die Autofahrer bluten. Plötzlich waren umweltpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung des Feinstaubs Priorität Numero uno. Um die Umwelt ging es der Regierung allerdings nicht. Sie hatte einfach Schiss, sich mit den Konzernen anzulegen.

Gegen den politischen Mainstream

Auch bei den Cum-Ex – Geschäften agierte die Regierung nicht im Sinne der Steuerzahler. Anstatt die ergaunerten Steuermilliarden zurückzufordern, pfeifen die Verantwortlichen bis heute darauf, den betrogenen Steuerpflichtigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und auch die angebliche Rettung von Lufthansa ist das, was sie vorgibt zu sein: die Rettung eines Konzerns, nicht aber der darin prekär Beschäftigten. Die Regierung pumpte gewaltige Steuersummen in das Unternehmen, kann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichzeitig aber nicht vor Arbeitsplatzverlust schützen.

Moment, eigentlich sollte es eher heißen: Die Regierung will die Beschäftigten nicht schützen. Können tut sie es. Denn was wir in den letzten Jahren erleben, ist kein schlichtes Missmanagement der Politik. Im Prinzip managt die Politik ihre Angelegenheiten sogar ziemlich gut. Die Regierung versagt nicht in ihrem Auftrag, den Willen des Volkes umzusetzen. Sie missachtet ihn. Sie macht keine schlechte Politik für die Menschen im Land; sie macht überhaupt keine Politik für die Menschen im Land. Im Ergebnis ist das dann natürlich auch eine schlechte Politik für die Menschen.

Das schlimme daran: Auch wenn sich die GroKo in letzter Zeit zum Normalzustand der Regierung entwickelt hat, erleben wir das gleiche Trauerspiel in unterschiedlichen Konstellationen. Und plötzlich steht eine neue Partei bereit, die verspricht, den Wählern all das zu geben, was ihnen in den letzten Jahren vorenthalten blieb. Eine Partei, die alle anderen Parteien und Meinungen als politischen Mainstream geißelt und vorgibt, die einzig gute politische Alternative zu sein. Und immer deutlicher wird: Wer diese Menschen wählt, wählt vor allem die anderen nicht.


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