Eine Frage der Möglichkeiten

Lesedauer: 9 Minuten

Der Mensch ist Meister darin, stets das beste aus seiner Situation zu machen. Herausragende Erfindungen und Fortschritte waren so möglich. Dabei findet der Mensch auch immer einen Weg, seine Neigungen und Gelüste auszuleben, zumindest soweit es ihm möglich ist. Neugier, die Lust auf Ungebundenheit und der Drang sich zu beweisen wohnen dem Menschen ganz natürlich inne. Es gibt aber Kanäle, die es kinderleicht machen, diesen Neigungen freien Lauf zu lassen. Viel zu leicht…

Motivation schafft Genies

Seit Jahrtausenden besiedelt der Mensch die Erde. Und er ist zu außergewöhnlichem fähig: er bildete Staaten, bändigte das Feuer, er baute Pyramiden, flog zum Mond und er rottete Krankheiten wie die Pest aus. Mit der richtigen Motivation ist jeder Mensch zu Bestleistungen fähig. Doch so gut wie die menschlichen Errungenschaften auch sind, der Mensch schafft es stets, aus den geschaffenen Möglichkeiten das negativste Potenzial herauszuholen.

„Krieg“ mögen die meisten jetzt denken. Und es stimmt. Ohne den Menschen gäbe es keinen Krieg auf diesem Planeten. Doch so weit muss man gar nicht gehen. Es reicht ein Blick in den Alltag, um zu erkennen, dass manche Muster die Zeiten überdauern.

Altes Problem in neuem Gewand

Man kennt es: Auf einer Autobahn ist ein schwerer Verkehrsunfall passiert. Die Rettungskräfte sind eiligst unterwegs. Beim Bilden der Rettungsgasse stoßen viele an ihr intellektuelles Limit. Feuerwehr und Polizei geraten ins Stocken. Klingt schlimm? Geht aber noch schlimmer.

Kaum ein Bericht über Verkehrsunfälle kommt heute ohne den Verweis auf Gaffer aus, die die Arbeit der Einsatzkräfte zusätzlich erschweren. Anstatt beiseitezutreten und die Profis ihre Arbeit machen zu lassen, denken sie nur an die höchstmögliche Zahl an Klicks, die sie für ihre private Live-Berichterstattung erhalten. In zahlreichen Talkrunden und Fernsehbeiträgen wurde dieses Phänomen aufgegriffen und heiß diskutiert. Das Problem ist also bekannt. Aber nicht neu.

In Sekunden zum Insta-Fame

Zugegeben, neu ist die Ausprägung des Phänomens. Viele werden sagen: „Solche Gaffer hat es früher nicht gegeben.“ Ein bisschen stimmt das auch. Aber woran liegt denn das? Sicher nicht daran, dass der Mensch erst in den letzten Jahren so widerwärtig neugierig und pietätlos geworden ist. Die meisten konnten schlicht und ergreifend nicht so gaffen, wie sie es heute tun.

Man versuche, sich einmal vorzustellen, wie grotesk eine solche Filmerei in den 1980er-Jahren gewirkt hätte. Da stehen sie zuhauf und filmen mit ihren VHS-Kameras jeden Handstreich der Sanitäter. Zu Hause konvertieren sie dann die Aufnahme in ein passendes Dateiformat, um sie per Internet möglichst vielen zugänglich zu machen. Vollkommener Quatsch. Selbst wenn es das Internet deutlich früher gegeben hätte: es wäre viel zu aufwändig gewesen, die Aufnahmen aus den alten Kameras hochzuladen.

Heute ist das natürlich völlig anders. Bereits wenige Sekunden nach Aufnahme können Fotos einem Millionenpublikum präsentiert werden. Das Internet vernetzt schließlich alle. Moderne Technologien wie das Smartphone leisten ihr übriges. Innerhalb weniger Momente kann die menschliche Neugierde sowie der Drang zur Selbstdarstellung befriedigt werden.

Die Macht der Vielen

Mit jedem hochgeladenen Selfie von der Unfallstelle wird der Fotograf gleichzeitig auch zum Herdentreiber. Jedes hochgeladene Bild und jeder veröffentlichte Clip treibt andere dazu, es den glorreichen Entertainern gleichzutun. Dieses Prinzip funktionierte schon immer. Es gibt die Möglichkeit, also wird sie genutzt. Beispiel Silvesterböller: Vollmundig verspricht man, in diesem Jahr weniger zu böllern. Doch was ist das?! Die Knaller gibt’s bei Kaufland im Sonderangebot? Schnell zugreifen, bevor der Nachbar einen besseren Fang macht! Es gibt die Möglichkeit, also wird sie genutzt.

Die Empörung über Silvesterböller steht dabei der Empörung über Gaffer bei Unfällen in nichts nach. Alle bekunden sie, wie abartig und widerwärtig sie das doch finden. Und trotzdem finden sich zahllose solcher Clips im Netz ein. Man kann es ja schließlich machen.

Der Star in dir

Die schier unendliche Reichweite des Internets triggert den Menschen. Jeder strebt ganz natürlich danach, in einem möglichst guten Licht dazustehen und den anderen zu überbieten. Moral und Anstand sind Grenzen, die für andere gelten. Heute kann jeder alles sein. Ob Reporter mit Low-Quality – Bildern vom Unglücksort, ob Politiker mit alternativen Fakten auf facebook oder als das was jeder sein will: Ein Star. Reality-TV á la RTL II macht’s möglich.

Hate Speech in der Kommentarspalte funktioniert übrigens ganz ähnlich wie das sinnfreie Gepose neben einem Autounfall. Viele machen es, also warum nicht auch ich? Es tut doch keinem weh. Und außerdem hat dieser Bastard eine andere Meinung als ich, also schnell mal raushauen, was ich davon halte. Bei der Hate Speech kommt allerdings noch die Anonymität erschwerend hinzu. In Foren mit Fantasienamen ist es schwierig, Autoren für ihre Kommentare haftbar zu machen.

Bei mir geht’s doch nicht

Doch genug von Autounfällen und obskuren Ergüssen im Kommentarfeld. Die Generation „Früher war alles besser“ beklagt nicht nur das grassierende Problem der Gaffer. Ihrer Meinung nach waren die Menschen früher nicht nur anständiger, sondern auch verlässlicher. Und jeder hat es doch schon mal erlebt: Man hat sich mühevoll mit einer anderen Person auf einen Termin geeinigt, um sich nach Monaten der Trennung endlich einmal wiederzusehen. Doch dann funkt die schicksalhafte Nachricht auf WhatsApp dazwischen und macht alle Hoffnungen zunichte: Mit wenigen Buchstaben wurde soeben die komplette Tagesplanung über den Haufen geworfen.

Und warum gab’s so was früher nicht? Ganz einfach, Absagen war früher schwerer. Heute reicht eine belanglose Nachricht über einen Messenger oder ein kleiner Mausklick bei Doodle, um Termine zu stornieren. Das ist nicht nur einfacher, sondern auch unpersönlicher. Früher musste man zumindest zum Telefonhörer greifen, um von dem Malheur mit der Milchflasche zu berichten oder die plötzliche Erkrankung der Hauskatze zu beichten. Die Reaktion über die Leitung erfolgte prompt. Dieser Reaktion kann man sich heute spielend leicht entziehen. Nachricht abgeschickt und schon liegt das Gerät im Eck.

Den meisten wird es aber auch erschreckend einfach gemacht. In einer so eng durchgetakteten Welt wie der heutigen ist ein jeder natürlich froh, wenn die Terminplanung von anderen übernommen wird. Diese externe Terminplanung via Doodle & Co. verkompliziert allerdings eine Sache, die früher wesentlich schneller von der Hand ging. Und wenn doch einmal was dazwischenkommt, dann ist es eben so. So einfach wie heute Absprachen erschüttert werden können, so leicht sollte man doch auch umplanen können. Glauben zumindest viele. Zum Absagen gehört also weiterhin eine gewisse Portion Taktlosigkeit. Doch die Hemmschwelle dazu liegt heute wesentlich niedriger.

Generation „Vielleicht“

„Vielleicht“ avanciert immer mehr zur Universalantwort auf Verabredungen. Vielleicht kann ich, vielleicht aber auch nicht. Schauen wir mal. Der Mensch legt sich eben nicht gerne fest. Früher musste er das. Heute nur noch selten. Bestes Zeugnis für diesen Vielleicht-Lifestyle ist der regelrechte Bestell-Wahnsinn mancher Online-Käufer. Sie bestellen Kleider in verschiedenen Größen, in der Hoffnung, dass eine Anfertigung schon passt. Was nicht passt oder sich doch eher als Fehlgriff erweist, wird kaltschnäuzig zurückgeschickt.

Weil sie es können. Ein Ausflug ins Kaufhaus inklusive mühsamer Anprobe und einer definitiven Entscheidung vor Ort ist eben zeitaufwändig. Vor allem, wenn die gleichen Strapazen für einen Umtausch erneut ins Haus stehen. Was für eine Verrenkung. Muss man allerdings nur einmal klicken, kurz auspacken, die Augen verdrehen und den Kladeradatsch zurückgehen lassen, sieht die Welt schon anders aus. Alles eine Frage der Möglichkeiten.

Eine Frage der Möglichkeiten

Viele glauben, die Gesellschaft hat sich verändert. Sie glauben, bestimmte Zeiten sind daran schuld, dass viele heute so unanständig geworden sind. Sie meinen, es seien die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Menschen mit ihren Smartphones zur Unfallstelle treiben oder zum unberechenbaren Gegenüber machen. Dass die Menschen früher besser waren. Ich muss widersprechen. Denn nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geben die Möglichkeiten vor. Es sind die Möglichkeiten, die gesellschaftliche Rahmenbedingungen befördern.


Ein kleiner Junge liegt am Ufer der Elbe. Er ist tot. Ermordet. Die Spurensicherung und die Polizei sind vor Ort. Die Kommissarin kann es nicht glauben: im Hintergrund drängen sich dutzende Schaulustige gegen die Polizeiabsperrung. Ihre Smartphones ragen empor, sie machen Fotos. Angewidert wendet sich die Kommissarin ab. Sie kann es nicht fassen. Ihre Kollegin beschwichtigt sie: „Die waren immer schon so. Früher gab’s nur keine Smartphones.“ Wie recht die Tatort-Kommissarin hatte.

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Wider die Instinkte – Wenn Intelligenz tötet

Beitragsbild: Gerd Altmann, pixabay.

Lesedauer: 11 Minuten

Unter all den Lebewesen, die sich auf unserem Planeten tummeln, neigt wohl keine andere Spezies so sehr zu irrationalem und dummen Verhalten wie der Mensch. Seit Anbeginn aller Zeiten fasziniert er durch sein widersinniges und absolut unlogisches Verhalten. Der angeblich intelligentesten Spezies der Welt steht dabei oftmals der eigene Instinkt im Wege. Ob es nun Fluch oder Segen ist, dass diese Instinkte von schier unendlicher Intelligenz übermannt werden, ist in manchen Fällen kaum unterscheidbar.

Intelligenz ist nicht alles

Schaut man sich die Äußerungen mancher Menschen an, grenzt es schon fast an Komik, dass die Evolutionstheorie ausgerechnet diese Spezies zur intelligentesten auf dem Erdenrund geadelt hat. Anstatt die Klimakatastrophe zu betrauern, sollte man lieber deren Verursacher beklagen. Aber eines muss man den Menschen wirklich zugestehen: Sie sind tatsächlich intelligent. Diese Intelligenz verschafft ihnen nicht nur eine deutlich schnellere Auffassungsgabe, sondern befähigt sie auch zum Sprechen, Schreiben und Lesen. Womit Intelligenz allerdings niemals verwechselt werden sollte, ist Schläue. Die Intelligenz ist viel eher die Grundausstattung, über die der Mensch im Normalfall verfügt. Dieser Speicherplatz kann gefüllt werden. Muss er aber nicht.

Gerade im Zusammenhang mit hochaktuellen Themen wird mal wieder offensichtlich, dass der Mensch eine apokalyptische Neigung zur Selbstauslöschung in sich trägt. Zwei Themen machen das ganz besonders deutlich: die leidvolle Debatte um das Tempolimit auf deutschen Autobahnen einerseits und die linksgrün-versiffte Idee eines Böllerverbots andererseits.

Bleiben wir doch zunächst bei der Geschwindigkeitsbegrenzung. Die hartgesottenen Gegner des Limits halten eine solche Regelung für unsinnig, weil die deutschen Autobahnen als die sichersten weltweit gelten. In diesem Punkt haben sie sogar recht. Und noch etwas anderes ist auffällig: die wenigsten tödlichen Unfälle geschehen auf der Autobahn. Wer das als valides Argument gegen ein Tempolimit nimmt, der müsste in der Konsequenz auch das deutsche Strafgesetz abschaffen. Statistiken belegen nämlich, dass die Anzahl polizeilich erfasster Straftaten in den letzten Jahren rückläufig ist.

Need for Speed

Natürlich käme keiner ernsthaft auf eine solch absurde Idee. Gerade die Mordrate ist in den letzten Jahren gestiegen. Ein ähnliches Prinzip gilt auch auf der Autobahn. Auf diesen Straßen sind vielleicht die wenigsten tödlich verunglückt, die meisten unter ihnen allerdings aufgrund zu hoher Geschwindigkeit.

Es sollte eigentlich unbestritten sein, dass ein Tempolimit immer dazu führt, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit sinkt. Wo zu hohe Geschwindigkeit die Top-Ursache tödlicher Unfälle ist, da sollte nicht mehr über das Ob, sondern möglichst bald über das Wie diskutiert werden.

Freie Fahrt auf der Autobahn? Viele Menschen halten nichts von einem Tempolimit.
Bild: Rolf van Melis, Autobahn A44 1, CC BY-SA 2.0 DE.

Und da sich die Gegner des Tempolimits so gerne damit rühmen, die deutschen Autobahnen seien die sichersten: Perfektionismus endet nicht, wenn man gut ist, sondern wenn man perfekt ist. Eine generell niederschwellige Gefahrenlage auf deutschen Autobahnen sollte eigentlich erst recht Anlass dazu sein, noch sicherer zu werden. Man hört ja schließlich auch nicht auf, seine Kinder impfen zu lassen, weil das Ansteckungsrisiko gering ist. Oder etwa doch?! Und noch einmal: Ein Tempolimit kann nur dazu führen, dass die Zahl der Toten aufgrund von zu hoher Geschwindigkeit zurückgeht. Und jeder Tote auf deutschen Straßen ist ein Toter zu viel.

Höher, schneller, weiter

Schneller heißt schließlich immer auch unkontrollierbarer. Der Mensch strebt danach, Dinge zu kontrollieren. Hier ist eine neue Möglichkeit. Doch dass viele Menschen mit solch einleuchtenden Grundprinzipien gebrochen haben, wird auch bei der Diskussion um ein Böllerverbot an Silvester deutlich. Hier setzen sich viele sogar über einen Urinstinkt aller Lebewesen auf der Erde hinweg: der Angst vor dem Feuer.

Ich kann es gar nicht oft genug sagen: Sprengstoff hat in den Händen von Laien nichts zu suchen. Deswegen ist die Begründung vieler Einzelhandelsketten, auf den Böllerverkauf zu verzichten, auch so scheinheilig. Viele springen auf den Klimazug mit auf, obwohl die enorme Gefahr von Schwarzpulver & Co. schon viel länger bekannt ist.

Feuerwerke erfreuen sich an Silvester weiterhin großer Beliebtheit – trotz offensichtlicher Gefahren.
Bild: Gerd Altmann, pixabay.

Schon der Neandertaler wollte das Feuer unbedingt kontrollieren. Wie soll das funktionieren, wenn man hochexplosives Material anzündet und wegwirft? Eine einmal gezündete Rakete, die in die Lüfte schnellt, ist nicht kontrollierbar, zumindest nicht von Menschenhand. Wozu in den Himmel entsendetes Feuer führen kann, wurde uns dieser Tage auf tragischste Art und Weise in Krefeld erneut vor Augen geführt. Ein generelles Umdenken wird das aber trotzdem nicht bedeuten. Es war ja schließlich keine Rakete…

Explosiver Schwanzvergleich

Dabei ist die Alternative so naheliegend. Wenn man an Silvester schon unbedingt ein zünftiges Feuerwerk will, dann kann man sich doch an vielen US-amerikanischen Städten orientieren. Dort ist es seit langem Gang und Gäbe, dass Pyrotechniker an zentralen Stellen ein Himmelsschauspiel entfesseln. Auch das ist natürlich nicht ohne Risiko. Vielleicht wären zentrale Lasershows dann doch besser. Denn natürlich ist ein Feuerwerk schön. Das ist ein Atompilz aber irgendwie auch.

Beim Thema Böllern geben sich viele Menschen allerdings einsichtig. Doch die Ankündigung, in diesem Jahr auf jeden Fall weniger bis gar nicht zu böllern, war von Anfang an zum traurigen Ritus verdammt. Denn spätestens wenn einem die – Achtung, Wortwitz – Knallerpreise regelrecht entgegenfliegen, gibt es für viele kein Halten mehr. Längst hat das Auto Konkurrenz bekommen, wenn es darum geht, dass testosterongesteuerte Supermarktstricher ihre verkümmerten Schwänzchen kompensieren müssen.

100.000 Jahre Schnee

Hat das noch was mit Intelligenz zu tun? Man weiß es nicht. Wenigstens geben sich viele Menschen beim Thema Böllerverbot gar keine Mühe, sonderlich intelligent zu wirken. Geht es allerdings um den Klimawandel, sieht die Sache schon anders aus. Beim neuen globalen Lieblingsthema ist es inzwischen zur guten Sitte geworden, sich mit Fakten und Zahlen zu bombardieren und zu übertrumpfen. Manche dieser „Argumente“ lassen dann jedoch schnell wieder an der Intelligenz mancher Möchtegern-Klimaforscher zweifeln.

So gibt es doch tatsächlich Menschen, die die derzeitige Situation auf unserem Planeten mit der letzten Eiszeit vergleichen. Sicherlich kennen die meisten derer nicht den Unterschied zwischen einem Eiszeitalter und einer Kaltzeitperiode, aber Wikipedia erweist sich auch in diesem Falle als guter Lehrmeister. Selbst wenn man die letzte Kälteperiode tatsächlich als Eiszeit bezeichnet, so dauerte sie mehr als 100.000 Jahre an. Sicherlich wurde dabei nicht ein Schalter umgelegt, was der Welt hundert Jahrtausende Schnee verschaffte. Irgendwie verhält es sich aber so mit der derzeitigen Wärmeperiode.

Seit Jahrzehnten beobachten wir einen besorgniserregenden Anstieg der Durchschnittstemperatur. Natürlich kommt ein solcher Zeitabschnitt dem Menschen lange vor. Doch er ist überhaupt nicht vergleichbar mit der Dimension der gennannten Kältezeit. Die einsetzende Wärme ist kongruent mit der einsetzenden Industrialisierung auf der Erde. Natürlich ist die derzeitige Klimakrise menschengemacht.

Die süße Wonne des Nichtstuns

Doch was hilft es, die Ursachen zu beklagen, wenn das Problem längst da ist? Fast noch schlimmer sind doch die Lehren, die aus dem abstrusen Vergleich mit der Eiszeit gezogen werden. Ohne großes menschliches Zutun ging noch jede Eiszeit vorbei. Die jetzige Klimakatastrophe allerdings ist menschengemacht und kann auch nur vom Menschen beendet werden. Die Klimakrise ist ein Paradebeispiel dafür, wie der Mensch zur Selbstzerstörung neigt. Die Fakten liegen auf dem Tisch, doch eine natürlich angeborene kleinbürgerliche Bequemlichkeit macht es vielen unmöglich, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Ein weiteres beliebtes Argument der selbsternannten Klimakritiker ist der begrenzte Einfluss, den Deutschland auf die Rettung des Klimas hat. Erst kürzlich betonte Alexander Gauland erneut, dass der CO2-Ausstoß Deutschlands kaum maßgeblich für den raschen Temperaturanstieg sein kann. Die Fakten und Zahlen wurden hierbei erneut ins beinah lächerliche uminterpretiert. Denn Deutschland, ein zwar dicht besiedeltes, aber relativ kleines Land macht nur 1 Prozent der Weltbevölkerung aus, verursacht aber 2 Prozent der jährlichen globalen CO2-Emissionen. Der Handlungsbedarf liegt auf der Hand.

Gute Menschen, schlechte Menschen

Es wird von manchen immer wieder in Zweifel gezogen, dass Deutschland eine wichtige Vorreiterrolle bei der Klimarettung einnehmen kann. Selbst diese Menschen sind sich allerdings einig darin, dass die angestrebten Maßnahmen, viel Geld kosten würden. Wenn sich ein so hochindustrialisiertes und reiches Land wie Deutschland dem Klimaschutz komplett verweigert, wer soll denn bitteschön dann mit der Rettung des Klimas beauftragt werden? Das bis ins Mark verarmte und geplünderte Afrika vielleicht?

Man sieht: Viele Menschen haben ein regelrechtes Faible dafür, den offensichtlichen Fakten zum Trotz ins Verderben zu marschieren. Auch der wachsende Zuspruch von Rechtspopulisten ist nicht anders zu erklären. Der Frust und der Protest ist mehr als gerechtfertigt, doch der gewählte Lösungsweg führt direkt zur Schlachtbank. Da glauben doch viele ernsthaft, die AfD sei der Schlüssel gegen alle Probleme im Land. Falsch: Die AfD ist ein gut getarnter Metzger, der vom Bestehen der Probleme profitiert.

Diese Partei hat weder eine Antwort auf die Frage der prekären Wohnungssituation noch auf das kriselnde Rentensystem. Solche Probleme werden stets auf den nächsten Parteitag verschoben. Viel einfacher ist es doch, andere für das Schlamassel verantwortlich zu machen. Die Deutschen haben ein Dach über dem Kopf verdient und den Deutschen muss Hartz-IV gezahlt werden. Wann begreifen endlich auch die letzten, dass es eine solche Einteilung in gute und in schlechte Menschen nicht gibt?

„Jetzt grinst mich der Kerl an“

Dabei sollten doch gerade diese Deutschen wissen, wohin eine solche Einteilung in letzter Konsequenz führt. Die Parallelen zur Vergangenheit sind nicht von der Hand zu weisen und trotzdem machen viele Wutbürger einen auf taubstumm, wenn es um dieses ungeliebte Thema geht. Einen besonders gelungenen Beitrag zu dem Thema sendete Stern TV im vergangenen Herbst.

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Manchmal ist es doch zum Heulen: Ob Böllern, Impfen oder Klima, der Mensch fühlt sich aller Gefahren erhaben. Die Fähigkeit, arterhaltende Instinkte zu überwinden, um bis dahin unüberwindbares unter Kontrolle zu bringen, unterscheidet den Menschen von anderen Lebensformen auf der Erde. Manche nennen das Intelligenz. Doch immer mehr wird diese Gabe zur Gefahr nicht nur für die eigene Art, sondern für den Planeten insgesamt. Vielleicht wird die Menschheit in Millionen von Jahren von einer noch intelligenteren Spezies verlacht werden. Auf jeden Fall muss der Mensch lernen, dieses kleine selbstzerstörende Element in sich selbst zu überwinden, bevor die Natur ihn überwindet.

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Weil Klimawandel

Lesedauer: 9 Minuten

Die Debatte um den Klimaschutz beherrscht die Medien und die öffentliche Wahrnehmung wie einst die Flüchtlingskrise. Egal worüber eigentlich diskutiert wird, eine Stellungnahme zur Klimarettung wird fast jedem abverlangt. Die Polarisierung in unserer Gesellschaft ist in vollem Gange. Die Gutmenschen von 2015 sind heute die Jünger der Greta. Wer vor Jahren für eine Schließung der Grenzen war, bezweifelt heute den menschengemachten Klimawandel. Die Gefahren einer solchen Polarisierung dürfen nicht unterschätzt werden.

Martin Schulz’s Last Stand

Am 12. September 2018 erhob sich der gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, von seinem Sitz im Plenum des Bundestags. Er nutzte eine Kurzintervention, um eine Bemerkung zu der vorausgegangenen Rede von Alexander Gauland zu machen. Er führte aus, „[d]ie Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema […] ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.“ Unter dem Applaus seiner Parteifreunde und dem Protestieren von rechtsaußen schickte er hinterher, es sei höchste Zeit, dass „die Demokratie sich gegen diese Leute wehrt.“

Es folgte langanhaltender Applaus für Martin Schulz, teilweise gab es sogar stehende Ovationen. Natürlich bezog sich Schulz auf die Rhetorik der AfD und ihre beinahe pathologische Neigung, die Schuld für sämtliche Missstände im Land bei den Migranten und Asylanten zu suchen. Er traf mit seinen Äußerungen den Nagel auf den Kopf. Doch wenn man sich die Debattenführung der letzten Jahre anschaut, könnte man meinen, er kam mit dieser Einsicht etwas spät um die Ecke. Immerhin werden viele kleinere Debatten seit Jahren von viel größeren Themen überschattet und vereinnahmt.

Polarisierung spaltet

Nehmen wir beispielsweise die Flüchtlingskrise. Sie hat die deutsche Gesellschaft gespalten wie kaum ein Thema zuvor. Und natürlich war absehbar, dass die Ankunft zehntausender Asylsuchender das Land vor gewaltige Probleme stellen würde. Es war natürlich ebenso richtig, dass über die Lösung dieser Krise hart diskutiert wird.

Allerdings wurden über die Flüchtlingskrise ab 2015 andere wichtige Themen vernachlässigt oder sogar vergessen. Die Flüchtlinge waren dauerpräsent in den Medien. Man hatte das Gefühl, die Menschen in Deutschland würden sich um nichts anderes mehr scheren als ihren persönlichen Standpunkt zu einer neuen Asylunterkunft drei Straßen weiter.

Das polarisiert. Und die Folge von Polarisierungen sind immer zwei Lager, die sich schier unversöhnlich gegenüberstehen. Bist du für oder bist du gegen die Flüchtlinge? Ein Dazwischen wurde nicht akzeptiert. Die beiden Lager waren wie schwarze Löcher, die stetig wachsen und alles aufsaugen, was ihnen zu nahe kommt.

Zwischen Willkommenskultur und Schießbefehl

Dabei gibt es sehr wenige Menschen, die ernsthaft alle Flüchtlinge der Welt in Deutschland willkommenheißen möchten. Genau so wenige Menschen möchten am liebsten auf alles schießen, was der deutschen Grenze zu nahe kommt. Doch die Dauerpräsenz in den Medien, und auch die Debattenführung, gaukelte immer mehr Menschen vor, dass die beiden Lager immer größer würden. Und letztendlich wurden sie das dadurch auch.

Menschen, die sich differenziert und sachlich zu den Themen äußern wollten, wurden entweder nicht ernstgenommen oder zwischen den rivalisierenden Lagern zerrieben. Teilweise wurden sie eigenmächtig in eines der Lager zugeteilt. Die Saugwirkung ließ nicht zu wünschen übrig. So erging es beispielsweise Sahra Wagenknecht. Nach ihren kritischen Äußerungen zu den Ereignissen in Köln zur Jahreswende 2016 wurden selbst einer Frau, die jahrelang als eiserne Verfechterin des Kommunismus galt, rechte Tendenzen unterstellt.

Verdächtig ähnliche Argumentationsmuster

Den wirklich Rechten spielte die Omnipräsenz der Flüchtlinge natürlich in die Hände. Sie spannen beflissen die Legende von den raffgierigen Flüchtlingen, die sich in unseren Sozialsystemen einnisteten. Martin Schulz hat völlig recht: Das sind faschistische Rhetorikmuster.

Wie weit diese Muster unsere Debattenkultur inzwischen vergiftet haben, zeigt sich an einem aktuelleren Beispiel. Während man ab 2015 fast alles mit den Flüchtlingen begründete, kommt heute kaum noch eine Diskussion ohne den Klimawandel aus.

Zwischennotiz: Beides – sowohl die Flüchtlingskrise als auch die Rettung des globalen Klimas – sind Mammutaufgaben, denen man sich nicht verweigern darf. Sie bedürfen unglaublicher Kraftanstrengungen und haben daher einen berechtigten Platz in der öffentlichen Wahrnehmung. So, weiter im Text.

Das erstaunliche an der Klimakrise: Das Argumentationsmuster wurde auf links gedreht. Bei der Flüchtlingsdebatte mussten die Flüchtlinge als Sündenbock für verfehlte politische Entscheidungen der letzten Jahre herhalten. Bei der Debatte ums Klima ist der Schutz desselbigen immer die Lösung aller Probleme.

Eine vorgeschobene Debatte

Gerade dieser Tage wird ein Thema wieder routiniert aufgewärmt: das Böllern an Silvester. Verschiedene Einzelhandelsketten haben sich in diesem Jahr zu einem Verkaufsstopp der beliebten Knallkörper bekannt. Vorrangiges Argument: die Feinstaubbelastung durch die Böllerei ist Gift für’s Klima. Stimmt so. Aber klar wird es mal wieder vorrangig auf’s Klima geschoben. Andernfalls müsste man schließlich auch selbstreflektierend zugeben, dass es von Anfang an Schwachsinn war, Sprengstoff an Laien zu verhökern.

Beide Argumente, der Klimaschutz wie der Gesundheitsschutz, sind gute Gründe, die Knallerei an Silvester abzuschaffen. Aber wieso bedarf es erst einer Sensibilisierung der Gesellschaft für Klimafragen, wenn die Gesundheit der Menschen durch Böller seit Jahr und Tag bedroht war? Der Einzelhandel macht es sich wirklich leicht. Und er springt auf den Zug mit auf. Ein Böllerverbot, das vorrangig aufgrund der Klimadebatte zustandekommt, obwohl es schon lange gute Gründe für ein solches Verbot gibt, leistet einen Beitrag zu einer weiteren Polarisierung der Klimadebatte insgesamt.

Diesel ist Diesel. Und Klima ist Klima.

Es ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft niemals gut, wenn sämtliche Fragen auf einen einzigen Aspekt heruntergebrochen werden. Das lähmt nämlich das Vorankommen einer Gesellschaft oder ist sogar kontraproduktiv. Zum einen führt ein solches Herunterbrechen zwangsläufig zu einer Polarisierung mit gegensätzlichen Lagern. Vorschläge und Ideen aus dem einen Lager führen zuverlässig zu Widerstand aus dem anderen Lager. Böllerverbot? Jetzt erst recht böllern! Die wollen mir meinen Diesel wegnehmen?! Ich kauf‘ mir erst recht einen! Tempolimit auf der Autobahn? Die können gleich mal sehen, wie schnell ich rasen kann!

Wenn jedes Problem nur noch mit einer gängigen Antwort beantwortet wird, dann vermischen sich Themen, die im Prinzip nichts miteinander zu tun haben. Wer redet denn heute noch vom Dieselskandal? Kein Mensch. Es wird darüber diskutiert, wie man die Feinstaubbelastung des Straßenverkehrs in den Griff bekommt.

Der Dieselskandal hat dem Thema Feinstaub neuen Aufwind verschafft. Dass er das getan hat, ist eigentlich absurd. Hat ernsthaft jemand geglaubt, Dieselautos könnten jemals klimaneutral sein? Dass hier in gigantischem Ausmaß betrogen wurde, steht außer Frage. Doch anstatt dieses Problem ernsthaft aufzuarbeiten, versuchte man es mit der Klimafrage zu beschwichtigen. Wenn Dieselautos sowieso verboten werden, dann juckt es keinen, dass früher mal mit welchen betrogen wurde. Kein Wunder, dass sich viele Menschen da zweimal vor den Kopf gestoßen fühlen.

Wieso denn jetzt das Klima?!

Das große Handicap des Klimawandels: Er ist viel zu abstrakt. Natürlich bemerken wir, dass sich das Wetter im Sommer geändert hat. Und selbstverständlich sind weiße Weihnachten zur Rarität geworden. Aber gerade in Deutschland sind die Folgen des Klimawandels noch relativ moderat. Deswegen sperren sich so viele Menschen auch gegen ein Böllerverbot. Was hat das denn mit dem Klima zu tun? Die Folgen sind ja nicht unmittelbar spürbar. Anders verhält es sich, wenn einem die halbe Hand von einem Chinaböller weggesprengt wird.

Gleiches Prinzip beim gerade wieder heiß diskutierten Tempolimit auf der Autobahn: Die Argumente von wegen Verkehrssicherheit haben nicht gezogen. Warum soll der Klimawandel das Blatt jetzt wenden? Die Menschen wurden durch konkrete Bilder, wie Menschen durch Windschutzscheiben geschleudert wurden, nicht von einem Tempolimit überzeugt. Wenn konkrete Beispiele scheitern, dann werden abstrakte noch viel weniger fruchten.

Ein Nebendarsteller in der Hauptrolle

Dass ein generelles Tempolimit auf der Autobahn einen Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstoßes leistet, kann von niemandem ernsthaft bestritten werden, der einen gesunden Menschenverstand sein eigen nennt. Viel wichtiger und viel konkreter ist ein Tempolimit doch aber, um die Sicherheit des Straßenverkehrs zu erhöhen. Der Klimaschutz ist ein begrüßenswerter Nebeneffekt einer solchen Regelung. Wenn er nun aber zum Hauptargument mutiert, verwundert es kaum, wenn sich die Fronten verhärten.

Eigentlich ist die Diskussion um ein Tempolimit sowieso obsolet. Spätestens wenn sich das autonome Fahren durchgesetzt hat, wird kein Weg mehr an einer generellen Geschwindigkeitsregulierung vorbeiführen. Vielleicht wird dann das leidige Thema Zeitumstellung vom Klimawandel vereinnahmt.

“Die Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema […] ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.“ Immer häufiger beherrschen einzelne Themen die Debatten über viel komplexere Sachverhalte. Was Martin Schulz bereits im letzten Jahr angeprangert hat, geht schon lange nicht mehr nur von der AfD aus. Eine solche Art der Debattenführung ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es ist tatsächlich an der Zeit, dass sich alle Demokraten dagegen wehren.

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