Der Mythos „BAFöG“

Beitragsbild: moerschy, pixabay, Bildausschnitt von Sven Rottner.

Lesedauer: 13 Minuten

Viele Studenten erhalten BAFöG. Ursprünglich wurde das Fördermittel eingeführt, um Kinder aus einkommensschwachen Familien ein Studium zu ermöglichen. Gelungen ist das nur teilweise. Ein hoher bürokratischer Aufwand, zu geringe Fördersätze und die Angst vor frühzeitiger Verschuldung schreckt viele Studenten eher vom BAFöG ab. Eine Reihe von hartnäckigen Klischees trägt zusätzlich nicht gerade zum Sexappeal der Leistung bei. Höchste Zeit also, diese Klischees etwas näher zu betrachten…

Klischee #1: Das BAFöG ist ein wahrer Bürokratie-Dschungel.

Eines vorweg: Hinter dem BAFöG steckt tatsächlich eine komplizierte bürokratische Maschinerie. Wer die Fördermittel beantragt, muss daher die ein oder andere bürokratische Hürde in Kauf nehmen. Ob man allerdings von einem Dschungel aus Papierkram reden kann, halte ich für gewagt. Wie überall gilt auch beim BAFöG: Übung macht den Meister. Nach zig gestellten Anträgen und Änderungsanzeigen glaube ich, dass ich das System BAFöG zumindest in Teilen verstanden habe.

Auch für mich war dabei der Erstantrag der schlimmste. Zusätzlich zu den üblichen Formularen muss hier auch ein Lebenslauf angefertigt werden, der möglichst keine Lücken enthalten sollte. Die Ungewissheit, ob überhaupt BAFöG gewährt wird, ist für viele Erstis eine zusätzliche Belastung. Selten ist der Antrag bei Antragsstellung vollständig. Nachforderungen aufgrund fehlender Formulare oder Angaben ist nervenaufreibende Regel. Beantragt man das BAFöG zu spät, kann es sein, dass die erste Rate erst gegen Ende des ersten Semesters auf dem Konto eintrudelt.

Was die rechtzeitige Einreichung von Formularen besonders schwierig macht, ist die Abhängigkeit von anderen. Beim jetzigen BAFöG ist man zumindest von den Eltern abhängig. Das Amt möchte unter anderem stets den elterlichen Einkommenssteuerbescheid des vorletzten Kalenderjahrs. Da viele Wannabe – BAFöG-Bezieher eben nicht mehr bei den Eltern wohnen, kommt es gerade bei solchen Angaben häufig zu Verzögerungen.

Richtig tricky wird ein BAFöG-Antrag allerdings nur dann, wenn ein Student besonders außergewöhnliche Angaben zu machen hat. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Student ein bebautes Grundstück erbt. In diesem Fall kann der Papierkram tatsächlich leicht Überhand nehmen.

Das Gute an der Geschichte: Jeder Student ist nur für seinen eigenen Antrag verantwortlich. Die Mitarbeiter des BAFöG-Amts hingegen müssen hunderte dieser Anträge bearbeiten. Im Gegensatz zu diesem Bürokratie-Dschungel erscheint der eigene Antrag wie eine Lichtung im Wald.

Klischee #2: BAFöG lohnt sich nicht.

Nicht jeder theoretisch BAFöG-berechtigte beantragt BAFöG. Viele scheuen den hohen bürokratischen Aufwand, andere haben Angst, sich gleich zu Beginn des Studiums zu verschulden. Immerhin besteht das BAFöG seit Anfang der 1990er-Jahre jeweils zur Hälfte aus einem staatlichen Zuschuss und einem zinslosen Darlehen, das zurückgezahlt werden muss. Eigentlich eine nachvollziehbare Handhabung: Einerseits werden Studenten aus einkommensschwachen Familien gefördert, andererseits setzt das BAFöG Anreize, sich nach dem Studium tatsächlich in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Trotzdem sinkt die Zahl der Studenten, die BAFöG erhalten. Gerade in den letzten Jahren war ein regelrechter Einbruch bei der Zahl der BAFöG-Empfänger zu beobachten. Im Jahr 2016 erhielten gerade einmal ein Fünftel der Studenten BAFöG, Tendenz weiter sinkend. Viele Studenten suchten sich parallel zum Studium lieber einen Nebenjob, um über die Runden zu kommen. Für diese Studenten ist es also attraktiver, gegebenenfalls länger zu studieren als mithilfe des BAFöG schneller zum Abschluss zu kommen.

Es liegt mir absolut fern, den Wert von Arbeit anzuzweifeln. Ich habe großen Respekt vor jedem, der sein Studium auch mit Nebentätigkeit erfolgreich abschließt. Ich selbst bin trotz BAFöG nebenher arbeiten gegangen. Das Geld wäre sonst knapp geworden. Ich verstehe Studenten, die aus diesem Grund noch mehr arbeiten, um sich ihr Studium (und ihr Leben!) unabhängig vom BAFöG zu finanzieren.

Allerdings haben solche Alternativen ihren Preis. Wer neben dem Studium arbeitet, schafft den Abschluss kaum in der Regelstudienzeit. Bei vielen anderen Studenten ist eine Finanzierung durch die Eltern meist auch nur begrenzt möglich. Und Hand auf’s Herz: Irgendwann hat man es satt, immer bei Mami und Papi die Hand aufzuhalten. Die am wenigsten lukrative Alternative ist der Studentenkredit: Man erhält einen beinahe beliebigen Batzen an Geld. Dieser muss jedoch komplett und zuzüglich Zinsen zurückgezahlt werden. Eine solche Verschuldung verdient das Prädikat „fahrlässig“.

Das BAFöG lohnt sich daher am ehesten für Studienanfänger. In den ersten Semestern ist man erst einmal gut damit beschäftigt, sich zurechtzufinden und die Spielregeln des Uni-Alltags zu verstehen. Nebenher noch arbeiten zu gehen, lässt viele Studenten am Sinn ihres Studiums zweifeln. Besteht Anspruch auf BAFöG, ist man diese Sorge zumindest zeitweise los.

Klischee #3: Das BAFöG ist reine Erbsenzählerei.

Beim BAFöG geht es ums Geld. Um sehr viel Geld. Wie bei jeder anderen Sozialleistung wird auch hier genau hingesehen. Wer BAFöG erhalten möchte, muss nicht nur die eigenen Hosen runterlassen, sondern die der Eltern, und gegebenenfalls von Geschwistern, gleich mit. Die meisten Angaben sind durch Belege zu untermauern. Einzureichen ist beispielsweise ein aktueller Kontoauszug, um etwaige Vermögensverschiebungen auszuschließen. Abgefragt wird auch das Barvermögen der Studierenden. Dabei handelt es sich allerdings um ein rechtliches Relikt. Keinen Sachbearbeiter hat es jemals gestört, wenn ich in besagtes Feld eine schlichte Null gesetzt habe.

Die Mitwirkungspflicht besteht nicht nur bei Antragsstellung, sondern während des gesamten Bewilligungszeitraums. Änderungen sind unverzüglich dem BAFöG-Amt mitzuteilen. Wer das versäumt, kommt schnell in Teufelsküche. Das bedeutet im besten Fall eine saftige Rückforderung und im schlimmsten Fall eine Strafanzeige wegen Betrugs.

Für lau gibt’s nix. Die Hälfte vom BAFöG muss nach dem Studium zurückgezahlt werden.
Bild: moerschy, pixabay.

BAFöGlinge sollten also schon aus Eigeninteresse jeden Wisch dem Amt vorlegen. Dass bereits ein einziger zu viel verdienter Euro das Aus für das eigene BAFöG bedeutet, stimmt übrigens nicht. Die Nebeneinkünfte werden für ein ganzes Jahr berücksichtigt. Wer BAFöG erhält, kann problemlos 5.400 Euro im Jahr nebenher verdienen – theoretisch auch an einem einzigen Tag. Wer in einem Jahr allerdings mehr verdient, muss nicht automatisch um sein BAFöG bangen. Die Fördersumme wird mit der Differenz zunächst verrechnet. Bis man bei 0 ankommt, müssen also schon einige Euronen verdient worden sein.

Es ist also nicht so, dass das BAFöG-Amt den Studenten den Dreck unter den Fingernägeln nicht gönnt. Es ist sogar eher so, dass die meisten Mitarbeiter dort sehr wohl wissen, dass das Geld für Sprösslinge einkommensschwächerer Familien gedacht ist. Wie viel das kürzlich geerbte Haus der Großmutter heute wert ist, lässt sich nur durch eine Wertermittlung für rund 2.000 Euro feststellen? In solch einem Fall ist das Amt oft sehr kulant und begnügt sich mit Kaufverträgen, die bereits mehrere Jahrzehnte alt sind.

Klischee #4: BAFöG-Mitarbeiter sind unfreundlich und überfordert.

Vielleicht kann man manchen Mitarbeitern vorwerfen, bei dem ganzen Papierwirrwarr den Durchblick zu verlieren. Zu allgemeiner Unfreundlichkeit neigt der gewöhnliche BAFöG-Mitarbeiter aber nicht. Meine persönlichen Sachbearbeiter habe ich stets als hilfsbereit und auskunftsfreudig kennengelernt.

Die meiste Zeit musste ich mich allerdings mit einer telefonischen Beratung zufriedengeben. Das lag einerseits daran, dass die Kürze der Frage (und der Antwort) einen Ausflug zum BAFöG-Amt nicht gerechtfertigt hätte. Zum anderen sind die Sprechzeiten der Mitarbeiter allerdings auch mit denen des Studentensekretariats vergleichbar. Anstatt lediglich zwei Beratungszeiträume wöchentlich zu veranschlagen, würde ich es als sehr viel hilfreicher empfinden, jeden Tag eine Sprechstunde für Studenten anzubieten.

Andernfalls muss die nette Dame vom Info-Point herhalten. Gerade bei spezifischen Fragen muss diese Person allerdings passen – ihr liegt die BAFöG-Akte ja nicht vor. Besonders zu Beginn meiner BAFöG-Karriere nutzte ich dieses Angebot rege. Mein Geld bekam ich trotzdem – irgendwann. Meine persönliche Sachbearbeiterin habe ich tatsächlich erst gegen Ende des zweiten Semesters zu Gesicht bekommen.

Und zum Thema „überfordert“: Über die Förderung wird in aller Regel recht zügig entschieden – sobald der Antrag vollständig vorliegt. Dass dies nicht nur in der Macht des zuständigen Sachbearbeiters liegt, sollte inzwischen klargeworden sein.

Klischee #5: Das BAFöG ist unlogisch.

Würde man dem BAFöG ein Arbeitszeugnis ausstellen, so dürfte die folgende Formulierung auf keinen Fall fehlen: Das BAFöG war stets um eine höchstmögliche Transparenz bemüht. Was auf dem Arbeitsmarkt den Todesstoß bedeuten kann, ist in der Realität fast halb so schlimm. Man sollte sich allerdings darauf einstellen, dass mit jeder Änderungsanzeige ein neuer BAFöG-Bescheid im Briefkasten wartet. Das ist zwar transparent, kann in manchen Fällen aber schnell zu einem regelrechten Papierkrieg ausarten.

Was das BAFöG häufig unlogisch erscheinen lässt, ist sicherlich die Abhängigkeit von anderen Personen. Verdient der Bruder oder die Schwester ein klein wenig zu viel bei der Ausbildung, kann das fatale Auswirkungen auf das BAFöG haben. Die Geschwister zählen dabei zur Bedarfsgemeinschaft der Eltern. Die Logik dahinter: Verdient ein Kind etwas mehr, bleibt genug Geld für das andere Kind übrig.

Unlogisch mutet es vor allem dann an, wenn andere Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld eine größere Bedrohung für das BAFöG darstellen als der Verdienst aus einer geregelten Ausbildung. Erhält ein naher Familienangehöriger tatsächlich mehr Arbeitslosengeld als zuvor Lohneinkommen, kann das gleichbedeutend mit einem Nullbescheid beim BAFöG sein. Echt so passiert in Tübingen…

Ein solcher Vorfall offenbart natürlich nicht nur eine Unlogik hinter dem BAFöG, sondern hinter dem deutschen Sozialsystem als ganzes. Wo liegt bitteschön der Anreiz, arbeiten zu gehen, wenn man als Arbeitsloser mehr Geld erhalten würde? Und wo liegt bitteschön die Logik, wenn zwar das BAFöG erhöht wird, im gleichen Moment aber auch die Beiträge zur studentischen Krankenversicherung steigen? Die faktische Erhöhung des Fördersatzes geht also spurlos an all solchen Studenten vorbei, die sich selbst krankenversichern müssen; also alle ab 25.

Regelrecht unsozial ist allerdings das allseits gefürchtete Formblatt 5. Dieses ist ab dem fünften Fachsemester einzureichen und soll sicherstellen, dass der Antragssteller die Regelstudienzeit einhalten kann. Kann die Uni dies nicht bestätigen, liegt der Student mit seinem Zeitplan also im Verzug, dann – Pech gehabt. Wesentlich sozialer wäre es stattdessen, dafür zu sorgen, dass BAFöG-Bezieher neben dem Studium nicht arbeiten müssten, damit sie auch die Regelstudienzeit einhalten können. Stattdessen werden hier viele Studenten dafür bestraft, dass sie sich ein Zubrot verdienen.

Klischee #6: Das BAFöG ist eine gute Einnahmequelle.

Wer das tatsächlich so sieht, der hat den Sinn des BAFöG nicht verstanden. Beim BAG geht es in erster Linie um rderung, nicht um Finanzierung. Ähnlich wie bei anderen Sozialleistungen geht es nicht darum, Studenten auszuhalten, sondern sie bei ihrer selbstbestimmten Bildung zu unterstützen. Das BAFöG ist dabei jedoch nicht mit allen anderen Sozialleistungen vergleichbar. Man stelle sich nur einmal vor, Hartz-IV – Empfänger müssten ihre Unterstützung zurückzahlen, sobald sie wieder Arbeit gefunden haben.

Ein Schlüsselelement bei der Förderung ist immer der Bedarf. Der tatsächliche Bedarf von Studenten wird vom Gesetzgeber vorgegeben. Die Differenz erhält der Student als BAFöG-Leistung. Problematisch ist dabei allerdings, dass der festgesetzte Bedarf schier in Stein gemeißelt ist – und mit der Realität in vielen Fällen nichts zu tun hat.

Miete zu teuer, BAFöG zu mickrig. In vielen Städten stapeln sich die Studenten.
Bild: Rainer Halama, Tübingen-Studentenbuden, CC BY-SA 3.0.

So erhalten Studenten, die nicht mehr bei den Eltern wohnen, einen Zuschuss, um ihre Miete zu bezahlen. Dieser wird bundeseinheitlich aus den durchschnittlichen Mietkosten berechnet. Aktuell liegt er bei 325 Euro. Und nun gehe hin, mein Sohn, und finde ein WG-Zimmer in München, dessen Mietzins diese Summe nicht überschreitet. Durch 0 teilen ist einfacher.

Ähnlich verhält es sich mit dem Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung. Generell müssen sich alle Studenten ab 25 selbst krankenversichern. Die Kosten übernimmt das BAFöG. Naja, nicht ganz. Der Zuschuss liegt bei unter 90 Euro. Aufwändige Recherchen haben allerdings ergeben, dass es in diesem Land keine einzige Krankenkasse gibt, die Studententarife für weniger als 90 Euro anbietet. Der Student bleibt also auf einem Teil der Kosten sitzen.

Als gute Einnahmequelle sollte man das BAFöG tatsächlich nicht betrachten. Dazu ist es auch nicht da. Hinzu kommt, dass es eine sehr unstete Einnahmequelle ist. Die einzelnen Posten werden in jedem Bescheid zwar en détail aufgeführt, viele davon berechnen sich allerdings über ein gesamtes Jahr. Zusätzlich dazu werden viele Faktoren nicht absolut, sondern anteilig oder verhältnismäßig berechnet. Steigt beispielsweise der Verdienst des Nebenjobs um 1 Euro, so heißt das nicht automatisch, dass auch der BAFöG-Anspruch um 1 Euro sinkt. Es bleibt spannend und der nächste Bescheid ist bestimmt wieder eine Überraschung – wenn auch keine erfreuliche.

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Die Leiden des jungen Leiharbeiters

Beitragsbild: publicdomainvectors.org

Lesedauer: 9 Minuten

Als Leiharbeiter ist man Arbeitnehmer zweiter Klasse. Das habe ich am eigenen Leib erfahren. Ständige Verfügbarkeit, eine schwierige Kommunikation und die Aussicht auf baldiges Ausscheiden – zermürbende Erfahrungen, die ein jeder Leiharbeiter macht. Warum ich als solcher vergleichsweise gut dastand, gibt es hier zu lesen.

Jeder kennt es: Nach dem zehnten Durchlaufen des Supermarkts gibt man entnervt auf. Weiß doch ich nicht, wo die den laktosefreien Reis auf Sojabasis jetzt schon wieder hingeräumt haben. Man tut, was jeder tun würde. Dort vorne kniet ein junger Mann vor dem Regal und räumt fleißig das Toilettenpapier ein. Vierlagiges wird dabei von dreilagigem natürlich streng getrennt! Auf den extraordinären Reis angesprochen, druckst der Mitarbeiter zunächst hilflos herum – und lässt dann die Hosen runter. Eigentlich arbeitet er gar nicht für diesen Supermarkt, sondern lediglich in diesem Supermarkt. Er ist von einer Fremdfirma. Der Markt hat sich seine Arbeitskraft nur geliehen.

Leiharbeit – ein Erfolgsrezept?

Man hat das Gefühl, eine solche Praxis ist im Einzelhandel längst zur Regel geworden. Nicht nur die Regalbefüller, sondern längst auch das Kassen- und das Reinigungspersonal arbeiten selten für das Unternehmen, von dem sie so augenscheinlich beschäftigt werden. Oftmals sind diese Leiharbeiter nicht schwer zu erkennen. Viele von ihnen tragen andere Arbeitskleidung als die fest im Markt angestellten Mitarbeiter. Auf ihren Kitteln prangt der Name der Leiharbeitsfirma, für welche sie unfreiwillig Reklame tragen müssen. Der Kunde soll eben von Anfang an wissen, dass dieser Mensch bei der Suche nach der richtigen Konfitüre nicht weiterhelfen kann, wenn er/sie gerade liebevoll die Nudeln einsortiert.

Aber warum überhaupt auf Leiharbeit zurückgreifen? Ursprünglich war die Idee, kurzfristige Auftragsspitzen abzufangen. Im Einzelhandel machte das vor allem während des Weihnachtsgeschäfts Sinn. Auch in der Produktion hat Leiharbeit längst Einzug gehalten. Um die Stammbelegschaft zu entlasten und die Auftragslage trotzdem nicht zu riskieren, wurden auch hier vermehrt Leiharbeiter eingesetzt. Selbst schwer vermittelbare Arbeitslose, wie sie sich im Fachjargon schimpfen, konnten so in Arbeit gebracht werden, zumindest übergangsweise.

Wenig Lohn für gute Arbeit

Klingt doch alles tutti, könnte man meinen. Doch alles hat bekanntlich einen Haken, und der von Leiharbeit ist besonders scharfkantig. So hat sich unter Arbeitgebern sehr schnell herumgesprochen, dass Leiharbeiter die günstigere Alternative zu herkömmlichen Mitarbeitern sind. In aller Regel verdient ein Leiharbeiter nur knapp mehr als den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn. Und der liegt aktuell bei 9,19 Euro. Im Einzelhandel bedeutet das schnell eine Lohndifferenz von 4 Euro pro Stunde.

Kein Wunder also, dass manch ein Arbeitgeber lieber Leiharbeiter in seinem Unternehmen beschäftigt sieht. Gestört daran haben sich vor allem linke Sozialdemokraten (und alle, die sich für solche hielten). Stolz verkündete die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles das reformierte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Dass dieses allenfalls als weiterer Sargnagel für die Sozen-Partei taugt, dazu später mehr.

Bei Anruf Arbeit

Doch was bedeutet es eigentlich, Leiharbeiter zu sein? Ich selbst habe lange Zeit über eine solche Firma für eine namhafte Warenhauskette gearbeitet. Was mir sogleich ins Auge fiel: Es sind alle Altersklassen und Geschlechter vertreten, Studenten und Menschen jenseits der 50 allerdings verstärkt. Im Prinzip hat sich hier ein regelrechter Parallelarbeitsmarkt aufgetan. Die Anforderungen sind dabei noch höher als sie inzwischen auch auf dem regulären Arbeitsmarkt sind. Man muss praktisch ständig verfügbar sein. Jederzeit kann der Anruf kommen mit der dringenden Bitte, für einen Kollegen einzuspringen. Regelmäßig verdrehte ich die Augen, wenn an meinem eigentlich freien Vormittag der Name meiner Chefin auf dem Handydisplay erschien.

Schuld daran war eine völlige Inkompetenz im Bereich der Personalplanung. In kontinuierlicher Beharrlichkeit wurde der Einsatzplan nur eine Woche im Voraus angefertigt. Nicht selten kam es vor, dass der Plan erst am Samstag eintrudelte und den Terminkalender völlig durcheinanderwirbelte. Als Arbeitnehmer hatte man sich aber natürlich stets an die Fristen für Freizeitwünsche zu halten. Ob persönlich mitgeteilt, telefonisch vereinbart oder per Mail schriftlich darauf hingewiesen – die Verfügbarkeiten wurden oftmals übergangen.

Vieles davon trug ich mit Würde, manches ließ mich schier verzweifeln. Doch ich war privilegiert. Ich konnte jederzeit kündigen. Der nächste Supermarkt hätte mich womöglich mit Kusshand genommen. Andere hatten diesen Luxus nicht. Deshalb machten sie brav Männchen, wenn mal wieder das Telefon klingelte.

Meine Chefin? Ein Phantom.

Kollidiert der Einsatzplan mit wichtigen Terminen oder gibt es Probleme mit der Urlaubsplanung, so ist Abhilfe nicht weit: Steckt er nicht gerade mitten in einer wichtigen Telefonkonferenz, so hat der Chef mit Sicherheit ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte seiner Belegschaft. In einem größeren Unternehmen kann das gerne auch ein Personalverantwortlicher sein. Klopf, klopf. Bla, bla. Problem hoffentlich gelöst.

Bei Leiharbeitern ist das nicht so einfach. Sie sind eben nur geliehen. Der Geschäftsleiter einer Supermarktfiliale hat nur sehr begrenzten Einfluss auf das Wohlbefinden der Leiharbeiterschaft. Sie müssen umständlich Kontakt zu den Personalvermittlern ihrer Firma aufnehmen. Teilweise ist das kaum schaffbar. Ständig wechselndes Personal erschweren diese Aufgabe ebenso wie eine generell schlechte Erreichbarkeit. Mails werden teilweise nicht beantwortet, Anrufe konsequent ignoriert. Meine direkte Vorgesetzte habe ich während meiner Tätigkeit kein einziges Mal zu Gesicht bekommen.

Die Sache mit den neun Monaten

Das gute an Brücken ist, dass sie Menschen voranbringen. Das schlechte an ihnen ist, dass man auf ihnen auch zurücklaufen kann. Genau so verhält es sich mit dem System Leiharbeit. Früher pries man es an als die goldene Brücke in den Arbeitsmarkt. Wer sich als Leiharbeiter anstrengte, schaffte es bestimmt in die Mitte der Stammbelegschaft. Diese dreiste Lüge wurde von der Realität längst widerlegt.

Andrea Nahles war sich 2017 sicher: Das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz würde eine ungeheure Verbesserung für Leiharbeiter mit sich bringen. Liebe Frau Nahles, bitte lassen Sie es mich so sagen: Regen, der tiefer fällt, bleibt trotzdem nass. Eingeführt wurde unter anderem der sogenannte Equal-Pay – Anspruch. Leiharbeitern steht demnach nach neun Monaten der gleiche Lohn zu, wie ihn die Stammbelegschaft erhält. Hurra, möchte man da instinktiv aufschreien. Doch der Satz geht noch weiter: Pausiert der Leiharbeiter für mehr als drei Monate, so kann er zu den anfänglichen Konditionen erneut entliehen werden, wiederum für neun Monate.

In vielen Betrieben und Unternehmen kommt es dadurch beinahe zwangsläufig zu einem Drehtüreffekt. Leiharbeiter werden nach einem Dreivierteljahr durch neue ersetzt. Die alten können nach drei Monaten (und einem Tag!) gerne wieder eingestellt werden. Gesetzt den Fall, dass sie in diesen paar Wochen nicht die Stelle für’s Leben entdeckt haben. Selten so gelacht.

Anstatt einen Anspruch auf Equal Pay durchzusetzen, der diesen Namen verdient, machte man die ohnehin schwierige Situation von Leiharbeitern noch prekärer. Arbeiteten Leiharbeiter bisher unbefristet zu miesen Konditionen, müssen sie dieses Trauerspiel künftig nur noch neun Monate ertragen. Und dann…egal.

Zwei Belegschaften

Was viele dabei aus dem Blick lassen: Nicht nur Leiharbeiter haben bei einem solchen Vorgehen das Nachsehen. Seit Jahren ist die Leiharbeit auch ein probates Mittel, um die Stammbelegschaft zu disziplinieren. Ständig hat man vor Augen, dass der eigene Job auch von einem Leiharbeiter gemacht werden kann, für weniger Geld. Viele überlegen es sich bei einem solchen Damoklesschwert dreimal, ob sie für mehr Lohn eintreten. Da gibt man sich doch lieber mit etwas weniger zufrieden.

Die Leiharbeit manipuliert also ganz erheblich das Lohngefüge. Sie hemmt die Lohnentwicklung und hält die Lohnkosten im Keller. Ständig einen Leiharbeiter neben sich zu wissen, erhöht außerdem die objektive Leistungsbereitschaft von Arbeitnehmern. Viel eher ist man unter solchen Bedingungen zu Überstunden und sonstigen Tätigkeiten bereit. Viele gehen krank zur Arbeit. Ein gutes Betriebsklima ist so nur selten möglich. Hier werden zwei Belegschaften gegeneinander ausgespielt.

Das geht sogar so weit, dass der legitime Arbeitskampf unterlaufen wird. Kommt es zum Streik, erledigt ein Leiharbeiter die Aufgaben des streikenden. Leiharbeiter dürfen nämlich nicht streiken. Sie dürfen allerdings auch nicht zu Streikbrechertätigkeiten verpflichtet werden. Ein höherer Lohn und eine harmlos scheinende Unterschrift macht vielen Leiharbeitern das „freiwillige“ Weiterarbeiten allerdings schmackhaft. Die meisten von ihnen kennen ihre Rechte in einem solchen Fall überhaupt nicht. Der höhere Lohn macht für sie aufgrund des Streikfalls zwar durchaus Sinn. Dass sie aber mit rechtlich dubiosen Methoden vor den Karren gespannt werden, um einen unliebsamen Streik abzufedern, ist den meisten nicht bewusst.


Ich bin schon lange kein Leiharbeiter mehr. Ich wurde tatsächlich übernommen. Warum? Weil ich jung bin. Und dynamisch. Ich kann viele verschiedene Tätigkeiten ausführen, ohne jedes Mal an meine Bandscheibe denken zu müssen. Viele andere können das nicht von sich behaupten. Sie sind auf dem Arbeitsmarkt weniger wert. Und wenn sie dank Leiharbeit trotzdem einmal die Brücke in den Arbeitsmarkt beschreiten, sind sie dennoch Arbeiter zweiter Klasse. Aber zum Glück nur für neun Monate…

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„Das wird man wohl noch sagen dürfen!“

Lesedauer: 8 Minuten

Nie seit der Wende wurde in Deutschland so laut und so unüberhörbar „Wir sind das Volk“ gerufen wie in den letzten Jahren. Nie seit der Einheit wurden so ungeniert Deutschlandflaggen geschwenkt wie in den letzten Jahren, Fußball-Großereignisse ausgenommen. Und nie wurde trotz allem so sehr an der Meinungsfreiheit in unserem Land gezweifelt wie heute.

Ein geeintes und freies Land

Deutschland im Herbst 2019. Seit 30 Jahren ist die Mauer weg. Seit 29 Jahren ist auch die Einheit auf der Landkarte verwirklicht. Wovon viele Ostdeutsche jahrzehntelang träumten, ist nun auch in den neuen Bundesländern Realität: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Freiheit der Berufswahl, Freiheit der Person, Freiheit der Meinung und der Rede. Im Bundestag sitzen aktuell sieben Parteien, aufgeteilt in sechs Fraktionen. Eine solche Vielfalt an unterschiedlichen Strömungen war zuletzt Ende der 1950er im Bundesparlament vertreten.

Nichtsdestotrotz fallen immer wieder Begriffe wie „Altparteien“, „politischer Mainstream“ und „Lügenpresse“. Mancheiner spricht gar von Zensur. Menschen gehen zuhauf auf die Straße, um ihrer Empörung über die Politik der letzten Jahre Luft zu machen. Offen fordern sie die Bundeskanzlerin zum Rücktritt auf. Sie haben Angst vor einer Überfremdung im Land, sie bangen um ihre Jobs. Sie vermissen eine faire und kritische Berichterstattung in den Medien. Sie sagen ihre Meinung.

Das können sie in Deutschland auch. Denn hierzulande gilt die Meinungsfreiheit. Durch Artikel 5 des Grundgesetzes ist sie verbrieftes Recht eines jeden Bürgers. Doch die Bedeutung des Begriffs der Meinungsfreiheit hat sich in jüngster Zeit gewandelt. Immer häufiger wird Meinungsfreiheit mit ungezügelter Meinungsäußerung gleichgesetzt. Und genau das ist sie nicht. Bereits der Text im Grundgesetz macht auf die Grenzen der Meinungsfreiheit aufmerksam. So darf die geäußerte Meinung weder dem Strafgesetz zuwiderlaufen noch die „Ehre“ des anderen verletzen.

Von Gutmenschen, Kapazitätsgrenzen und Völkerball

Ganz praktisch heißt das, der Spaß hört auf, wenn zu Straftaten aufgerufen wird, der Holocaust geleugnet wird oder das Gegenüber schlicht beleidigt wird. Meinungsfreiheit bedeutet schließlich auch immer die Freiheit des anderen. Und genau hier liegt der Hund begraben. Was in den letzten Jahren zu beobachten ist, ist nicht der Abbau von Meinungsfreiheit. Es ist eine geringere Bereitschaft, die Meinung anderer zu akzeptieren, sich mit ihr auseinanderzusetzen und den anderen ernstzunehmen.

Kritik begegnen viele mit einer fast automatischen Abwehrhaltung. Dem Gegenüber wird immer seltener die Freiheit zugestanden, anderer Meinung zu sein. Wer nicht alles in Grund und Boden verdammt, was von der Bundesregierung kommt, ist selbstredend ein linksgrün-versiffter Gutmensch. Dieser Mechanismus funktioniert auch in die andere Richtung. Sahra Wagenknecht spricht von offensichtlichen Grenzen der Aufnahmebereitschaft von Asylsuchenden? Kusch, kusch, ins braune Eck!

Solche Diffamierungen sind einer ernsthaften Debatte natürlich nicht zuträglich. Viel eher unterdrücken solche Verbarrikadierungen jede faire Diskussion. Es ist wesentlich bequemer, sich von Schutzwällen aus Anschuldigungen und Vorverurteilungen vor der Meinung anderer abzuschotten. Viele Menschen haben verlernt, was es bedeutet, miteinander zu diskutieren. Wer ernsthaft miteinander ins Gespräch kommen möchte, muss auch immer einen Teil seiner selbst offenlegen. Debattieren geht eben nicht ohne Zugeständnisse. Andere mit der eigenen Meinung abwerfen und bloß nicht vom Gegenüber getroffen werden – das bringt uns nicht weiter. Wir müssen weg von dieser Völkerballlogik. Es nützt viel mehr, die Hand aufzuhalten und den Ball wieder aufzufangen.

Der Wolf im Schafspelz

In Ray Bradburrys Roman „Fahrenheit 451“ löschen die Feuerwehrmänner nicht etwa Brände. Im Gegenteil, sie legen Feuer, um unliebsame Kritik aus der Welt zu schaffen. Etwas ähnliches können wir heute beobachten. Die am lautesten gegen Zensur auf die Straße gehen, haben oft mit Meinungsfreiheit selbst nicht viel am Hut. Nicht jeder, der sich zum Fürsprecher der freien Rede aufschwingt, lässt andere gerne zu Wort kommen. Wie in Bradburrys Klassiker tarnen sich die Feinde der Meinungsfreiheit als deren Verfechter, die den angeblich um sich greifenden Brand der Zensur löschen wollen. Sie implizieren, dass die freie Meinung in Deutschland akut bedroht sei. Wer jedoch auf die Straße gehen darf, umringt und geschützt von hunderten Polizisten, um den Verfall der Meinungsfreiheit zu beklagen, der braucht sich genau darum eigentlich keine Sorgen zu machen.

Glaubt man gewissen rechten Parteien, so könnte man meinen, der Staat wirft im Minutentakt unliebsame Kritiker in die Kerker unter dem Kanzleramt. Fakt ist allerdings: Noch nie wurde in diesem Land ein einziger Demonstrant von Pegida, noch ein anderer „besorgter Bürger“, aufgrund seiner bloßen Meinung mit staatlichen Repressalien überzogen. Der inzwischen beinahe geflügelte Satz „Das wird man wohl noch sagen dürfen“ impliziert, dass bereits heute tabu ist, was gestern noch völlig legitim war. Die wenigsten realisieren, dass das gesagte schon immer tabu war. Sie entlassen sich mit diesem Satz selbst aus der Verantwortung, das geäußerte kritisch zu hinterfragen. Sie mobilisieren sich gegenseitig und begreifen nicht, dass am Ende genau das Gegenteil von echter Meinungsfreiheit steht.

Meinungsfreiheit vs. Meinungsäußerung

Künstliche Bedrohungskulissen haben schon oft zum Ziel geführt. Die Rechtspopulisten heute bringen sich in die Opferrolle, um unliebsame Kritik zu entwerten. Sie suggerieren direkte Angriffe auf die Meinungsfreiheit, um die Freiheit anderer einzuschränken. Doch ein solch perfides Vorgehen lässt sich auch bei anderen Akteuren beobachten. Stichwort „Rüstungsetat“: Die Verteidigungsministerin AKK will auf Biegen und Brechen das heilige Zwei-Prozent – Ziel erreichen. Ihre Logik geht an den Fakten ebenso vorbei wie die der AfD. Lauscht man AKKs Reden, so könnte man meinen, der Russe stünde vor dem Brandenburger Tor, während der Franzose gerade im Saarland einmarschiert. Das ist ebenso an den Haaren herbeigezogen wie die von Rechtspopulisten verbreitete Mär, es gäbe Gesinnungshaft.

Immer häufiger wird Meinungsäußerung gegen Meinungsfreiheit ausgespielt. Es gibt einen Ort auf dieser Welt, an dem das häufiger geschieht als anderswo. Ein Ort, wo jeder das sagt, was ihm auf der Seele brennt. Ein Ort, an dem sich die meisten unangreifbar fühlen und nicht mit Gegenwehr rechnen: Der Küchentisch. Dort wird alles rausgehauen, was in anständigen Diskussionen keinen Platz gefunden hat. Entweder, weil die nötigen Argumente fehlen oder weil man eigentlich gar keine Lust hat, darüber ernsthaft zu debattieren. Das gute am Küchentisch: Was dort gesagt wird, bleibt dort.

Beim Internet ist das nicht so. Dieser gigantische öffentliche Küchentisch ist eine wahre Fundgrube an unterschiedlichen Ansichten und Meinungen. Kopflos wird hier eine Provokation nach der anderen vom Stapel gelassen. Guter Nährboden für eine sachliche Diskussion ist das wirklich nicht. Und genau darum geht es im Internet auch gar nicht. Viele Menschen sind einfach froh, dort all das sagen zu dürfen, womit sie anderswo mit Gegenwind zu rechnen hätten. Einige verkriechen sich hinter der Anonymität des Netzes. Meinungsaustausch rückt immer mehr in den Hintergrund. Meinungsmache leider nicht.

Immerhin gibt es bestimmte Algorithmen, die die angezeigten Inhalte für Nutzer vorauswählen. Ein negativer Kommentar unter einem Bild kann dazu führen, dass man bald eine Reihe weiterer negativer Kommentare zu dem Werk vorgeführt bekommt. Man fühlt sich kurzzeitig in seiner Meinung bestätigt, bevor sachlich recherchierte Nachrichten das soeben errichtete Gebäude zum Einsturz bringen wollen. Natürlich reagiert man dann mit Entrüstung. Und mancheiner spricht dann sogar von Lügenpresse.

Die digitale Ghettoisierung

Das wirklich bedenkliche ist, dass das Internet zum Teil ein rechtsfreier Raum ist. Erst kürzlich hat das Landgericht Berlin entschieden, dass die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Bündnis 90/ Die Grünen) auf das übelste beleidigt werden darf. Viel zu lange hat man versäumt, das Strafrecht auch im Internet anzuwenden – und es wird weiter versäumt. Es greift nicht einmal zu weit, wenn man sagt, es entstünden regelrechte Parallelwelten im Internet. Im Zuge dieser digitalen Ghettoisierung kann jeder beinahe unbehelligt in seiner Blase leben. Jeder kann sich seine eigene Realität so herrichten, wie es ihm beliebt. Das Internet bietet die ideale Voraussetzung dafür: Unpassende Fakten und Meinungen werden einfach ausgeblendet. Passt doch einmal etwas nicht in die eigene Wirklichkeit, wird mit harten Bandagen zurückgeschlagen.

Fakt ist: Es gibt in Deutschland die Meinungsfreiheit – und es wird sie auch weiterhin geben. Aber man darf eben nicht alles sagen, was man denkt. Wer es trotzdem tut, der leidet an Tourette. Das war viele Jahre lang absolut unstrittig. Heute ist es das nicht mehr. Ja, die Meinungsfreiheit in diesem Land ist bedroht. Aber nicht von staatlicher Zensur. Die Menschen scheinen eher zu vergessen, was Meinungsfreiheit bedeutet und wie wertvoll sie ist.

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