Der politische Star der Pandemie

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Ein Stück Stoff gegen die Pandemie – keiner anderen Maßnahme wird so viel Bedeutung beigemessen wie der Maske. Der Weg zur Maskenpflicht war lang – zu lang, wie einige sicherlich sagen werden. Auf den Tag genau seit drei Monaten ist in Baden-Württemberg das Tragen der Maske Pflicht. Viele setzen ganz aktuell große Hoffnungen in die Maske, eine zweite Welle der Pandemie möglichst milde ausfallen zu lassen. Eine ziemlich große Aufgabe für ein bisschen Stoff könnte man meinen. Doch aus den Kinderschuhen der Schutzmaßnahme ist die Maske längst herausgewachsen. Immer häufiger missbrauchen einige Spezialisten den Mund-Nase – Schutz dazu, politische Spielchen mit ihm zu treiben. Es wird dabei immer schwieriger zwischen rücksichtslosem Protest und bloßer Dummheit zu unterscheiden.

Wenn wir eines Tages die Pandemie überstanden haben, wenn sie vielleicht Jahrzehnte zurückliegt, was werden wir unseren Enkeln erzählen? Es ist unwahrscheinlich genug, dass wir dann noch in der Welt leben, wie wir sie jetzt kennen. Das Klima wird sich deutlich verändert haben, weite Teile der Erde werden nicht mehr bewohnbar sein, vielleicht hat uns bis dahin eine weitere Pandemie heimgesucht. Aber all diese Szenarien einmal ausgeblendet, was werden wir der Enkelgeneration über Corona sagen? Wir können von abstrakten wirtschaftlichen Folgen reden, die unsere Kindeskinder niemals begreifen werden, wenn sie in einer stabilen und wirtschaftlich starken Umgebung aufwachsen. Sie werden es zur Kenntnis nehmen, vielleicht Mitleid empfinden, so wie wir es tun, wenn wir uns die Lebensrealität unserer Großeltern und Vorfahren vor Augen führen. Aber eine Frage werden wir uns gefallen lassen müssen: Was war mit der Maske?

Gute Miene zum bösen Spiel

Denn wenn die Krankheit überwunden ist, verschwindet auch eine schwere Last. Die Rückkehr zur Normalität wird äußerst schwer, aber auch unverzichtbar. Was bleibt sind die Erinnerungen, über die natürlich niemand gerne reden wird. Aber es bleiben auch die Bilder von Menschen mit Maske, die bereits heute erstaunlich viele Menschen voller Inbrunst von sich machen. Der Masken-Selfie gehört in den Social Media bereits zum guten Stil. Stolz halten viele ihre Maske in die Kamera, als wäre die Pandemie ein schlechter Witz, ein Modegag, den es unbedingt auf Kamera festzuhalten gilt. Viel zu gut gelaunt werden wir unseren Enkeln auf diesen Fotos entgegenstrahlen wie es unsere eigenen Vorfahren taten, obwohl sie außerhalb der Fotos nicht viel zu lachen hatten.

Die Maske wird auf lange der Indikator dafür sein, wann ein Foto entstanden ist. „Das war doch bei Corona.“ Tatsächlich ist die Maske der offensichtlichste Ausdruck der Coronakrise. Sie ist nicht nur in den Medien omnipräsent. Bei jedem Gang nach draußen, bei jeder Bahnfahrt und bei jedem Einkauf erinnert sie uns daran, dass die Pandemie noch immer nicht überwunden ist. Von all den Maßnahmen, die zum Schutz vor dem Virus ergriffen wurden, ist die Maske die Maßnahme, die am meisten in die persönliche Freiheit der Menschen eingreift – zumindest kurzfristig. Denn jedes Mal, wenn wir die Maske aufziehen, müssen wir uns erneut an ihren fehlenden Tragekomfort gewöhnen. Abstandhalten kann doch jeder, Maske-Tragen aber will gelernt sein.

Die Maske als Politikum

Die Pflicht, Mund und Nase zu bedecken, wurde von Anfang an heiß diskutiert. Kommt die Maskenpflicht? Wie lange? Wo muss sie getragen werden? Inzwischen hat man sich beinahe an den Stofffetzen gewöhnt, da reden einzelne von Lockerungen. In einer dicht besiedelten Welt, in der Abstand halten oft gar nicht so leicht ist, belegte die Maske bald Platz 1 unter den Schutzmaßnahmen. Einerseits machte sie eine Ansteckung mit dem Virus trotz fehlendem Abstand bei korrekter Verwendung unwahrscheinlicher. Andererseits nutzen viele die Maske immer häufiger dazu, mit ihr ein politisches Statement zu setzen.

Denn häufig gibt die Maske, gewollt oder nicht gewollt, Aufschluss über die persönliche Haltung zur Pandemie. Falsch- oder Nichtträgern ist die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen entweder egal oder sie schätzen die Bedrohung aus unterschiedlichen Gründen nicht so groß ein. Andere wiederum instrumentalisieren die Maske dazu, um politisch Stellung zu beziehen. Sie tragen ihre Masken bewusst locker um den Hals oder unter dem Kinn, um bei Ansprache das Virus herunterzuspielen und von Grundrechtsverletzung und Totalüberwachung zu schwafeln.

Weil sie keinerlei Berührungspunkte mit dem Virus haben, mit der Maske gezwungenermaßen aber doch, ist die Bedrohung durch die Maske für sie realer. Wahrscheinlich kennen sie niemanden, der an dem Virus erkrankt oder gar gestorben ist, sie arbeiten vermutlich auch nicht in gesundheitlichen Einrichtungen und einen Nobelpreis für Medizin haben sie womöglich auch noch nie gewonnen. Darum schustern sie sich ihre heile Welt zusammen. Die Maske identifizieren sie in dieser Welt als Störenfried.

(K)eine heile Welt

Natürlich will jeder Mensch in einer Welt ohne Sorgen und Probleme leben. Denn Probleme zu erkennen und sie anzupacken, bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Davor haben viele Menschen Angst. Und deswegen schauen sie zu Menschen auf, die ihnen das Gefühl geben, richtig zu handeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz gehen regelmäßig mit gutem Beispiel voran und tragen Maske. Gestalten wie Jair Bolsonaro und Donald Trump hingegen nutzen die Maske rein für ihre politischen Zwecke. Erst vor kurzem zog der brasilianische Präsident trotz Corona-Erkrankung die Maske in Beisein von Kameras und Journalisten ab, um die Harmlosigkeit des Virus zu untermauern. Corona greift wohl doch schneller als erwartet das Gehirn an.

Doch scheinbar erreichen solche Politiker sehr viele Menschen. Sie schaffen es, den Menschen einzureden, dass in Wahrheit alles halb so wild ist und dass die da oben ein falsches Spiel treiben. Die Maske, als der greifbarste Ausdruck der Pandemiemaßnahmen mutiert für diese Menschen zum roten Tuch. Sie verteufeln diesen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte und wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, Stunk gegen die Maskenpflicht zu machen. Das alles sei doch nur eine von Bill Gates initiierte Verschwörung, die Maske soll auch symbolisch die Redefreiheit beschneiden, manche reden vom Merkel-Maulkorb. Dann wiederum besteigen ebensolche Menschen ein öffentliches Nahverkehrsmittel und ziehen sich noch vor Öffnen der Türen die Maske ins Gesicht.

Ungewollt politisch

Diese Doppelmoral, dieses zwiespältige – ich bin eigentlich gegen die Maske, möchte mich aber nicht zu explizit gegen die Mehrheit stellen – ist eine unglaubliche Rückgratlosigkeit. Einerseits diffamiert man die Maske als direkten Eingriff in die Grundrechte, als einen Angriff auf die freie persönliche Entfaltung, andererseits fügt man sich der verhassten Obrigkeit. Teilweise schaffen es diese Menschen, die Maske im selben Moment zu politisieren und ihr gleichzeitig die politische Dimension zu nehmen.

Denn die Maske ist in erster Linie kein politisches Instrument. Sie ist eine sinnvolle Maßnahme, die dem Gesundheitsschutz dient. Erst die Ablehnung der Maske eröffnet ihr einen politischen Raum. Es sind nicht Menschen wie Merkel, Macron oder Kurz, die die Maske politisieren. Es sind die Bequemen, die Gegner der Maske, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um die Maske in ein Politikum zu verwandeln.

Von Idiotie und Pandemie

Die Übergänge zwischen Idiotie und politischem Statement sind dabei fließend. Es wird zunehmend schwierig zu unterscheiden, wer die Maske aus Nachlässigkeit falsch trägt oder wer bewusst unser aller Gesundheit gefährdet. Solche, die die Maske permanent unterhalb der Nase tragen, sie aber wenigstens konsequent in Bus, Bahn und beim Einkaufen aufsetzen, gehen gerade noch so als Vollidioten durch. Vielleicht meinen es einige von ihnen nicht mal böse. Sie glauben, ihren Teil zur Pandemiebekämpfung beizutragen, obwohl sie dem Virus durch ihre grenzenlose Dummheit enormen Vorschub leisten. Möglicherweise sind sie zu bequem, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Lieber machen sie gute Miene zum bösen Spiel. Es gibt eine Verordnung, also wird sich daran gehalten. Solche Mitbürger sind die unpolitischsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann. Sie halten den Mund – und die Maske unterstützt sie offensichtlich dabei.

Dann gibt es die Verweigerer. Deren egoistisches Verhalten macht es ihnen unmöglich, sich auf die Gnade der Idiotie zu berufen. Sie setzen sich mit Maske in öffentliche Verkehrsmittel und betreten mit Maske die Geschäfte des Einzelhandels. Die Maske schwingt allerdings locker um ihren Hals; ans Aufziehen denken diese Gefährder nicht. Ganz bewusst verweigern sie sich dem Kampf gegen das Virus. Die Maske besitzen sie einerseits zu Alibizwecken, andererseits, um den Menschen in ihrem Umfeld zu beweisen, dass das Virus nicht so schlimm ist und sie auch ohne Mund-Nase – Schutz gut durchkommen.

In vollem Bewusstsein der Fahrlässigkeit ihres Handelns bringen sie alle anderen Menschen in Gefahr. Sie sorgen mindestens indirekt für steigende Fallzahlen, knappe Krankenhauskapazitäten und nehmen denen die Maske weg, die sie dringend benötigen. Sie sind Terroristen am Gesundheitssystem und es ist mehr als bedauerlich, dass die Gesellschaft diese Menschen duldet und mitträgt.

Immer mehr Menschen scheinen es für unnötig zu halten, in Bus und Bahn die Maske korrekt aufzusetzen, wenn sie weniger als drei Stationen fahren. Sie wollen allen zeigen, dass sie die Lage jederzeit unter Kontrolle haben, dass sie stärker sind als das Virus. Dabei ist es ihre chronische Angst davor, Verantwortung zu übernehmen, die sich schon viel länger als die Corona-Pandemie global breitmacht. Wegsehen, sich nur um sich selbst kümmern, Ellbogen ausfahren und nichts wie geradeaus – diese generelle Haltung ist alles andere als hilfreich im Kampf gegen die Pandemie.


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