Über Umwege nach rechts

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Donald Trump möchte wieder Präsident der USA werden und hat jüngst einen Vorgeschmack darauf gegeben, was das bedeuten würde: NATO-Länder, die nicht genug Geld in Waffen und Aufrüstung stecken, könnten keine US-amerikanische Hilfe erwarten, sollte zum Beispiel Russland sie angreifen. Der deutsche Verteidigungsminister schwört die Bevölkerung indes auf den Krieg ein, andere Politiker versuchen auf Biegen und Brechen, den wilden Pistorius zu überbieten. Die Ostermärsche bleiben stattdessen verwaist, andere Friedensinitiativen werden in die rechte Ecke gestellt. Währenddessen tobt in der Ukraine weiterhin ein brutaler Krieg. Trotz all dieser offensichtlichen Fehlentwicklungen ist ein Einlenken nicht in Sicht.

In der richtigen Partei?

Wir leben in der Ära des linken Zeitgeists. Falsch. Auch wenn AfD, Querdenker & Co. dies immer wieder beschwören, belegt die Realität etwas anderes. Wir leben in einer Zeit, in der die politische Rechte immer mehr Zuspruch findet. Rechte Parteien sind quasi allgegenwärtig: in den Medien, in den Parlamenten, in manchen Ländern sogar auf dem Regierungssessel. Die jüngsten Äußerungen des nächsten US-Präsidenten Donald Trump haben eindrucksvoll demonstriert, dass rechte Werte – Nationalismus, Aufrüstung, Krieg – weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind.

Entlarvend sind jedoch weniger die konkreten Äußerungen des vorbestraften Multimilliardärs, sondern die prompten Reaktionen darauf. EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley (SPD) brachte nämlich sogleich die Idee einer europäischen Atombombe ins Spiel. Es gab Zeiten, da wäre sie für solche Äußerungen aus der Partei herausgeworfen worden.

Zweierlei Maß

Die Ankündigung Trumps, nur solchen NATO-Staaten zu helfen, die sich an das 2-Prozent – Ziel hielten, hat zu einem entsetzen Aufschrei geführt. Erschrocken stellte man fest, dass man unter Trumps erneuter Präsidentschaft dem Russen schutzlos ausgeliefert wäre. Viel leiser ist dagegen die Entrüstung darüber, dass uns Trump brachial dazu zwingen will, noch mehr Geld in Waffen und Militär zu verpulvern.

Doch nicht nur in den USA und der EU macht sich diese kriegsbegeisterte Haltung breit. Auch die deutsche Regierung unterwirft sich nahezu devot dieser militaristischen Logik. Flugs wird ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur militärischen Unterstützung der Ukraine aus den Ärmeln geschüttelt. Die Schuldenbremse soll ausgesetzt werden, weil die Bundesregierung nicht mit Geld umgehen kann.  Auf solch ein entschlossenes Handeln wartet man bei Krisen wie der Kinderarmut, der immer schlimmer werdenden Wohnungsnot und der beschämenden Bildungsmisere vergebens. So viel zum linken Zeitgeist.

Fehlende Ansprache

Ganz Deutschland will den Krieg. Das könnte man meinen, schaut man sich die Beteiligung an Friedenskundgebungen und Mahnwachen gegen den Krieg an. In kleineren Ortschaften und Gemeinden sucht man solche Veranstaltungen meist vergebens, in größeren Städten versammeln sich überwiegend ältere Herrschaften und Alt-68er hinter den Transparenten, die für den Frieden werben.

Hat die junge Generation einfach kein Interesse an Abrüstung und Diplomatie? Sicher nicht. Ihr fehlt schlicht die richtige Ansprache, um für den Frieden auf die Straße zu gehen. Wie viel politische Gestaltungskraft in den jungen Menschen steckt, zeigen Bewegungen wie Fridays for Future oder die Letzte Generation. Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Anliegen, dem sich viele Parteien mittlerweile angenommen haben. Beim Frieden sieht es dagegen mau aus. Manche Parteien waren an Abrüstung nie interessiert, andere mutieren angesichts der russischen Bedrohung zu wahren Kriegsfanatikern.

Ein altes Trauma

Wer für den Frieden einsteht, wird heute verlacht und manchmal sogar als Putinknecht beschimpft. Bei solchen Voraussetzungen ist es nur naheliegend, dass insbesondere junge Menschen keine Lust haben, dafür zu demonstrieren. Welche Begeisterungskraft der Frieden noch immer entfalten kann, zeigt hingegen der Zustrom beim sogenannten „Aufstand für Frieden“, den vor gut einem Jahr Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiiert hatten. Vieles geschieht also unter dem Radar, es braucht nur den entscheidenden Anstoß. Es ist fatal, wenn man diesen Anstoß zum Frieden der extremen Rechten überlässt.

Stattdessen diskutieren die meisten Parteien heute ungeniert über Krieg und Aufrüstung. Viele von ihnen sind nicht wiederzuerkennen. In ihrer nahezu grenzenlosen Kriegsbesoffenheit überholt die einstige Friedenspartei Die Grünen heute nur noch der verlängerte Arm der Rüstungsindustrie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Auch die SPD ist der Lust auf Tod und Zerstörung mittlerweile hoffnungslos erlegen. Offensichtlich leidet die ehemalige Volkspartei noch immer unter dem Trauma von vor über 100 Jahren, als ihr vorgeworfen wurde, aus vaterlandslosen Gesellen zu bestehen, weil sie das Sponsoring des Ersten Weltkriegs ablehnte. Das Rückgrat dieser Partei ist irreparabel zerstört, bestes Beispiel dafür ist Kriegsminister Boris Pistorius.

Fähnchen im Wind

Wenn sich alle Parteien so einig sind, ist es kein Wunder, dass sich die Menschen einen Weg suchen, ihren Widerspruch zu artikulieren. Die AfD hatte schon immer ein verdammt gutes Gespür dafür, welche Stimmungen sie für ihre Zwecke ausnutzen kann. Während das Gros der Parteien hinsichtlich des neuartigen Coronavirus nicht in Hysterie ausbrechen wollte, forderte die AfD lautstark flächendeckende Lockdowns. Kaum war das umgesetzt, war die Forderung von gestern ein nicht hinnehmbarer Einschnitt der bürgerlichen Rechte. Genau die gleiche Dynamik legen die Rechtsextremen auch beim russischen Angriff auf die Ukraine an den Tag. Die Themen sind völlig austauschbar. Es zählt einzig, dass sich „die anderen“ viel zu einig sind. In gewisser Weise ist die AfD das Produkt einer Gesellschaft, die aufgehört hat, miteinander zu sprechen.

Diese gesellschaftliche Zerrüttung ist Grundvoraussetzung für das Erstarken extremistischer Kräfte. Es ist Unsinn, von rechtsextremen Wählern zu sprechen, wo sollen die ganzen Nazis denn plötzlich herkommen? Wenn wir nicht endlich wieder anfangen, uns gegenseitig zuzuhören und ernstzunehmen, wird sich an der Spirale des Hasses kaum etwas ändern. Dann werden in Zukunft auch weiterhin sehr rechte Ideologien über Umwege die Debatte beherrschen. Themen wie Krieg, Sozialabbau und Waffenlieferungen sind heute tonangebend. Es ist lachhaft, von einem linken Zeitgeist zu sprechen.

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Zurück zur Volkspartei

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Noch achtzehn Tage bis zur Parteigründung: Mit ihrer gerade entstehenden Partei will Sahra Wagenknecht die politische Landschaft aufmischen. Damit bürden sich die Parteigründer jede Menge auf. Sie wollen möglichst vielen enttäuschten Wählern eine politische Heimat bieten, egal aus welcher politischen Richtung es sie zum neuen Bündnis verschlägt. Den Medien passt das gar nicht. Sie haben sich in den letzten Jahren an die Schublade gewöhnt und sehen in dem neuen Projekt nichts weiter als ein Sammelbecken für chronisch Frustrierte. Dass mit der neuen Partei der etablierte Politikstil grundsätzlich in Frage gestellt wird, kommt in der Berichterstattung oft zu kurz.

Sahra Wagenknecht ist eine Rechte. Seit Jahren versuchen verschiedene Medien, die einstige Linken-Ikone in die Nähe der AfD zu rücken. Manchmal haben sie damit Erfolg. Denn Sahra Wagenknecht provoziert und polarisiert. Das ist vielen nicht geheuer, hat sich doch die linke Seite des politischen Spektrums zu harsche Kritik an den Regierenden schon vor Jahren abgewöhnt. Sahra Wagenknecht will nicht ins Raster passen. Kein Problem für die Medien, denn: Was nicht passt, wird passend gemacht.

Einschlägige Besetzung

Nun hat Sahra Wagenknecht vor einigen Wochen einen bemerkenswerten Schritt gemacht. Mit einigen Getreuen hat sie einen Verein gegründet, der eine Parteigründung im Januar unterstützen soll. Mit ihr verließen neun weitere Bundestagsabgeordnete die Partei Die Linke. Neben Wagenknecht saßen bei der Vereinsvorstellung bei der Bundespressekonferenz unter anderem Amira Mohammed-Ali und Christian Leye auf dem Podium. Angesichts dieser einschlägigen Besetzung fiel es den Journalisten sichtlich schwer, von einem rechten Bündnis zu sprechen, ohne sich dabei der Lächerlichkeit preiszugeben. Manche taten es dennoch.

In einigen Berichterstattungen war von einer linken Sozialpolitik die Rede, die auf eine rechte Migrationspolitik trifft. Solch obskure Einordnungen werfen Fragen auf. Viele wollen von Sahra Wagenknecht wissen: Wo soll es hingehen? Nach links oder nach rechts?

Koalition mit der CDU?

Die sonst so wortgewandte Politikerin bleibt hier beharrlich unkonkret. Immer wieder weist sie darauf hin, dass die meisten Bürger mit solchen politischen Labels schon lange nichts mehr anzufangen wüssten. Einst bedeutende Leitplanken für die politische Orientierung, wurden diese Begriffe mittlerweile so überdehnt, dass offenbar keine Einigkeit mehr besteht, was sie eigentlich bedeuten. Das heißt in der Konsequenz: „Links“ und „grün“ werden auch in Zukunft synonym verwendet. Schade.

Doch nicht jeder Journalist gibt sich mit solchen Ausflüchten zufrieden. Auf die Frage, wo in den Parlamenten die neue Wagenknecht-Partei denn sitzen würde, antwortete dessen vorläufige Namensgeberin im Gespräch mit dem Autor Marc Friedrich knapp, sie sähe sich am ehesten in der Mitte. Es ist immerhin der Anspruch der neuen Partei, die Mitte der Gesellschaft zu repräsentieren. Dass sich Wagenknecht im Zweifelsfalle auch eine Koalition mit der CDU vorstellen kann, dürfte vielen Erzlinken für einen Moment die Sprache verschlagen haben.

Richtungsentscheidung

Vermutlich ist es zu früh, um über Koalitionen zu spekulieren, wenn einer der Koalitionspartner noch nicht einmal gegründet wurde. Und mit Sicherheit ist es ebenso vorschnell, über ein Parteiprogramm zu diskutieren, das es noch gar nicht gibt. Eckpunkte dafür liefert jedoch die Website des von Wagenknecht und Co. gegründeten Vereins. Wie zu erwarten war, spricht sich der Verein für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und für eine diplomatische Lösung des Kriegs aus. Außerdem kritisiert er die Verengung des zulässigen Meinungskorridors. Die neue Partei soll sich für Vernunft und Gerechtigkeit einsetzen.

Besonders dieser letzte Punkt brachte dem Verein viel Kritik ein. Zugegeben wäre es auch ziemlich absurd, eine Partei zu gründen, die sich für Ungerechtigkeit und Idiotie einsetzt. Erstens wäre damit den Bürgern im Land überhaupt nicht gedient und zweitens sitzen solche Parteien schon in der Regierung.

Partei der Beliebigkeit?

Im Urteil zur neuen Partei sind sich viele Berichterstattungen einig: zu pauschal, zu wenig greifbar, zu unkonkret – als hätte man sich in den letzten Monaten durch zahllose Interviews mit Sahra Wagenknecht nicht ein umfassendes Bild über ein mögliches Parteiprogramm machen können. Stattdessen wirft man ihr vor, die genannten Schwerpunktthemen könnten auch von jeder anderen Partei vertreten werden.

Auch nach jahrelanger Übung haben es manche Journalisten noch immer nicht begriffen: Politiker lassen sich nicht so leicht festnageln – und schon gar nicht Sahra W.. Die Frage nach Details eines imaginären Parteiprogramms und der politischen Orientierung einer gerade entstehenden Partei greift viel zu kurz. Längst sollte klar sein, dass Wagenknecht etwas viel größeres vorhat. Die von ihr immer wieder kritisierte Repräsentationslücke im Parteienspektrum hat viel mit dem Versagen der einstigen Volksparteien zu tun. Aus der Nische heraus konnte Wagenknecht bis zuletzt kaum etwas erreichen. Nun wendet sie sich einem neuen Projekt zu: Sie will die Volkspartei.

Zurück zur Volkspartei

Wieder einmal schwimmt Sahra Wagenknecht gegen den Strom. Das Totenglöckchen der Volksparteien läutet, da entdeckt sie ihr Herz für diese interessensübergreifende Formation. Denn der Trend geht eindeutig in Richtung Partikularisierung. Eine unbedachte Äußerung reicht heute aus, um in eine völlig falsche Schublade gesteckt zu werden. Als die Volksparteien die politische Landschaft noch dominierten, war das anders. Hier versammelten sich viele Verschiedendenkende um ein politisches Epizentrum, das die Stoßrichtung vorgab.

Nicht alle Wähler solcher Parteien waren vom kompletten Wahlprogramm überzeugt. Die 40 Prozent der Union waren nicht alles Nationalisten. Ebenso wenig hatten die Wähler der SPD in den 70er-Jahren das Ziel, den Kapitalismus lieber heute als morgen zu überwinden. Sie trauten der Partei ihrer Wahl aber zu, dass diese die Herausforderungen der Zeit meistern kann.

Heute ist das anders. Entweder man wählt zwischen Pest und Cholera oder man ist fanatischer Stammwähler. Abweichende Meinungen werden von den Kleinparteien weniger toleriert – sie kommen eben aus der Nische. Diese Vielfältigkeit an Meinungsströmungen kann Vorteile haben. Sie kann aber auch Menschen verprellen, die sich nicht so genau mit den Parteiprogrammen beschäftigen wollen. Viele Menschen wollen schlicht eine vernünftige Partei, die für viele wählbar ist. Genau diese Leerstelle hat Wagenknecht im Visier.

Raus aus der Nische

In den letzten Jahren war viel zu hören von den berüchtigten politischen Rändern. Diese wurden erst dann so stark, als die Volksparteien immer schwächer wurden. Das verwundert kaum: Es war schon immer Sinn und Zweck von Volksparteien, ein möglichst breites Spektrum an Meinungen zu bündeln. Wie ein Magnet hielten sie dabei auch Randpositionen in Schach. Was passiert, wenn sich die Magnete zu stark annähern und dadurch ihre Anziehungskraft verlieren, war bei beiden großen Volksparteien zu sehen. Es kam zu Abspaltungen auf der linken und rechten Seite. Deren Anziehungskraft kennt jedoch nur eine Richtung. Schnell können solche Parteien zu Sammelbecken für Extremisten werden.

Sahra Wagenknecht hat daraus anscheinend gelernt. Wie eine Volkspolitikerin spricht sie davon, die Mitte der Gesellschaft repräsentieren zu wollen. Sie hat begriffen, dass eine zu offensichtliche Schwerpunktsetzung nicht zum Erfolg führt und nur begrenzt etwas bewegen kann.  Stattdessen möchte sie möglichst viele Wähler aus verschiedenen sozialen Schichten und mit unterschiedlichen Biographien in einer Partei vereinen.

Sie hat sich damit eine Menge vorgenommen. Denn eine Volkspartei gründet man nicht so nebenbei. Andererseits könnte ihr neues Engagement auch voll aufgehen. Immerhin bietet sie ihren potenziellen Wählern nicht nur ein inhaltliches Programm, sondern einen alternativen Politikstil. Damit schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Denn mit diesem Konzept könnte sie sowohl die etablierten Parteien wie auch die AfD Wähler kosten. Erstere haben ein Programm, aber keinen Wumms. Letztere haben Wumms, aber kein Programm. Die Gründung dieser neuen Partei ist quasi naheliegend.


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Die neugegründete Partei „Bündnis Deutschland“ versteht sich als konservative Alternative zur CDU und wählbarere Konkurrenz für die AfD. Sie will politisch Heimatlose und Enttäuschte abholen und sie wieder in den demokratischen Diskurs einbinden. Im Dickicht des rechten Spektrums ist sie eine weitere neoliberale Gruppierung, die wie von selbst aus dem Boden zu sprießen scheinen. Und tatsächlich haben immer mehr Menschen in Deutschland das Gefühl, ihre Interessen würden politisch nicht abgebildet werden. Die Repräsentationslücke klafft jedoch nicht auf der rechten Seite des demokratischen Meinungskorridors. Immer deutlicher wird, dass echte linke Parteien mittlerweile Mangelware auf den Wahlzetteln sind.

Alternative zur Alternative

Seit dem 20. November 2022 ist die deutsche Parteienlandschaft um eine Partei reicher. Mit dem Bündnis Deutschland hat sich eine weitere Gruppierung formiert, die sich klar rechts der CDU verortet. Laut eigenen Angaben sehen die Gründerinnen und Grüner der Partei eine Repräsentationslücke im konservativen Spektrum, die von der AfD nicht gefüllt wird. Die neue Partei soll all jenen Wählerinnen und Wählern eine politische Heimat bieten, die sich eine klar konservative und wirtschaftsliberale Politik in Deutschland wünschen. Gesprächen mit anderen Parteien zeigt sich das Bündnis offen.

Die Neugründung ging groß durch die Medien. Die Mitglieder der ersten Stunde hatten ausgiebig Gelegenheit, der breiten Öffentlichkeit die Ziele ihrer Partei zu erläutern. Man wolle spätestens bei der Bürgerschaftswahl in Bremen im kommenden Frühjahr erste politische Erfolge erzielen. Trotzdem stellt sich unweigerlich die Frage, ob ein solch großes Presseecho angemessen war. Immerhin versuchten in den letzten Jahren mehrere Parteien, der AfD den Rang abzulaufen. Jedes dieser Projekte erlitt aber bösen Schiffbruch. Das Bündnis Deutschland hat bis zum heutigen Tage noch nicht einmal einen Wikipedia-Artikel.

Ähnlich wie die Blaue Partei von Frauke Petry und die Liberal-Konservativen Reformer von Bernd Lucke besteht die neue Partei zu einem beträchtlichen Teil aus ehemaligen Mitgliedern der AfD. Auch Überläufer der CDU suchen in dem Bündnis ein neues politisches Glück. Anders als die hoffnungslosen Versuche der ehemaligen AfD-Vorsitzenden besteht die Führungsriege von Bündnis Deutschland nicht aus AfD-Abtrünnigen. Damit enden die Unterschiede zu den rechten Splitterparteien der letzten Jahre auch schon. Auch dem Bündnis Deutschland wird eine programmatische Nähe zur FDP nachgesagt, besonders in Fragen der Wirtschaftspolitik. Es ist daher durchaus möglich, dass die Partei hier punkten kann, weil sich die Liberalen in der Ampelkoalition verheddert und sich gerade bei wirtschaftlichen Fragen kaum durchsetzen können.

Politisch verwahrlost

Die AfD kann viele dieser enttäuschten Wähler nicht mehr mobilisieren. Nach einigen Erfolgsjahren kurz nach der Gründung schrumpft die Partei besonders auf Länderebene immer mehr auf eine verlässliche Stammwählerschaft politisch Frustrierter zusammen. Sie sind schon lange keine Protestwähler mehr, sondern wählen aus gewohntem Frust die AfD. Eine große Zahl an Protestwählern der Jahre 2014 bis 2019 ist wieder dahin zurückgekehrt, wo sie herkamen: ins Nichtwählerlager.

Die AfD zeigte kurzzeitig das demokratische Potenzial dieser Wählerinnen und Wähler auf. Sie waren durchaus für eine politische Beteiligung zu begeistern, auch wenn mit der AfD natürlich kein Blumentopf zu gewinnen war. Das starke Abschneiden der Rechtspopulisten bei der Bundestagswahl 2017 war schockierend, hätte aber auch als Weckruf genutzt werden können. Stattdessen war es von Anfang an verpönt, Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückzugewinnen. Mit diesen Menschen wollte man weder vor noch nach der Wahl etwas zu tun haben – und erst recht nicht mit ihren Sorgen und Ängsten.

Der Rechtsruck der Linken

Früher waren es linke Parteien, welche diese Menschen abgeholt haben. Lange vorbei sind aber die Zeiten, in denen sich die SPD für ihre Belange einsetzte. Gerhard Schröder, der Kanzler der Bosse, hat dann auch noch die letzten Wähler vertrieben, die nach einer echten linken Alternative gesucht hatten. Die Linke fing diese enttäuschten Wähler einige Jahre lang auf, bis sie damit begann, sich hauptsächlich mit sich selbst zu beschäftigen. Sehenden Auges ließ man die sorgengeplagten Menschen nach rechts abwandern. Dort wählen einige zuverlässig die AfD oder eine der anderen zahlreichen neurechten Parteien. Das Bündnis Deutschland beruft sich auf eine Repräsentationslücke im rechten Spektrum. In Wirklichkeit herrscht in dieser Ecke aber ein absurdes Überangebot.

Keine dieser rechten Parteien hat sich in den letzten Jahren nennenswert bewegt. Die AfD wurde mit einer offensichtlichen Tendenz zum Rechtsextremismus gegründet. Dieses bei der Parteigründung einkalkulierte Risiko hat die Partei zwischenzeitlich aufgefressen und gibt heute den Ton in der Partei an. Die anderen rechten Parteien wurden oftmals aufgrund der vielen Grenzüberschreitungen der erfolgreichen AfD gegründet oder weil sich die Partei immer mehr als Fundamentalopposition versteht.

Bewegung und Veränderung gab es hingegen im linken Spektrum. Die Grünen haben die meisten ihrer einstigen Grundsätze vollends über Bord geworfen und sind spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine glühende Kriegsverehrer. Die SPD ist durch die vielen Jahre in der Großen Koalition dauerhaft entstellt und die Linken hoffen insgeheim, den freigewordenen Platz der Grünen einzunehmen und würden dafür vielleicht sogar bereitwillig rechts der Sozialdemokraten platznehmen.

Frust ohne Protest

Eine aussichtsreiche traditionell linke Partei gibt es in Deutschland derzeit nicht. Eine Repräsentationslücke macht das aber noch nicht. Beobachtet man aber dann den Hype, der um eine mögliche Wagenknecht-Partei veranstaltet wird, sieht die Lage schon ganz anders aus. Ganz offensichtlich gibt es eine nicht zu unterschätzende Zahl an Menschen, die sich eine dezidiert linke Partei wünschen, die den Kurs der populären linken Politikerin folgt. Verlässliche Schätzungen gehen sogar von einem Wählerpotenzial von bis 30 Prozent aus, was fast dem Niveau einer Volkspartei entspricht. Wahrscheinlich würden nicht alle diese Menschen eine solche Partei tatsächlich wählen, aber sie alle würden die Gründung einer neuen linken Partei als Bereicherung in der Parteienlandschaft ansehen.

Aber egal, ob links oder rechts: Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sieht sich im derzeitigen politischen Spektrum nicht abgebildet. Dass die derzeitigen Herausforderungen wie Energiekrise, Klimawandel und Krieg die Menschen vor enorme Probleme stellen, liegt auf der Hand. Sie haben allen Grund unzufrieden und empört zu sein. Ihr Protest ist dafür erschreckend leise. Es gibt keine ernstzunehmende politische Kraft, welche dieses Potenzial bündelt und zum Ausdruck bringt. Die groß angekündigten Sozialproteste des Heißen Herbst blieben bislang größtenteils aus. Weder AfD noch Linken gelang es, nennenswert viele Menschen auf die Straßen zu bringen.

Es ist nicht gut für eine Demokratie, wenn das Land so augenscheinlich gegen die Wand gefahren wird und die Mehrheit schweigt. Selbst wer die Maßnahmen der Bundesregierung feiert, muss zugeben, dass sie für einen großen Teil der Bevölkerung sehr einschneidend sind und unweigerlich zu Kritik führen müssen. Jeder, der noch recht bei Trost ist, muss sich in diesen Zeiten wundern, warum die Straßen ein paar verzogenen Gören gehören, aber nicht den abertausenden an Menschen, die Angst haben vor der nächsten Heizkostenabrechnung. Wenn diese Menschen der Demokratie nicht für immer verlorengehen sollen, muss eine neue Partei her. Und zwar schnell.


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