Die Schwerpunktsetzer

Lesedauer: 6 Minuten

In Deutschland gilt die Meinungsfreiheit. Jeder kann das sagen, was er will. Aber diese Vielfalt an Meinungen wird nicht immer adäquat repräsentiert. Von einseitiger Berichterstattung und einer Verengung des zulässigen Meinungskorridors ist die Rede. Besonders häufig betroffen sind Themen, die sich um soziale Gerechtigkeit, Diplomatie und Frieden drehen. Das ist angesichts einer konservativ und wirtschaftsliberal geprägten Opposition nicht verwunderlich.

Es rumort in der deutschen Bevölkerung. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, nicht verstanden zu werden oder mit ihren Problemen auf taube Ohren zu stoßen. Seit Jahren gilt es als chic, wenn man von einem Abbau der Meinungsfreiheit, einer Einschränkung der freien Rede oder sogar von Diktatur spricht. In Zeiten von Pegida und Querdenkern hatten diese zugegeben sehr vernehmbaren Vorwürfe Hochkonjunktur.

Eine Republik diskutiert

Wir leben nicht in einer Diktatur. Es gibt in diesem Land freie Wahlen, Machtwechsel sind jederzeit denkbar. Und es gibt zu vielen Themen lebendige Debatten. Wenn darüber diskutiert wird, wie künftig mit Menschen umgegangen werden soll, die containern gehen, dann bewegt das die Menschen. Es geht nämlich um weit mehr als einen möglichen Hausfriedensbruch und mögliche Eigentumsdelikte. Es geht um die grundsätzliche Frage, was mit Lebensmitteln geschieht, die nicht den Schönheitsidealen aus der Werbung entsprechen oder die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Es ist ein Thema, das alle in irgendeiner Art und Weise betrifft.

Ähnliches gilt bei der Freigabe von Genusscannabis. Auch wenn hier nicht alle Bürger unmittelbar betroffen sind, haben die meisten dazu eine Meinung. Über diese wird dann munter diskutiert. Das Thema macht Schlagzeilen, füllt ganze Seiten und landet auf den Titelseiten von politischen Magazinen. Man nähert sich einem Ja oder Nein, die Meinungen gehen zwangsläufig weiter auseinander als beim Containern.

Für heftige Debatten sorgte auch das Selbstbestimmungsgesetz, das unter anderem die Änderung des Geschlechtseintrags im Ausweis vereinfacht. Vielen im Land ging diese Art der Liberalisierung zu weit und sie taten laut ihre Meinung kund. Andere Kreise wiederum hielten entschieden dagegen und warfen der Gegenseite Homo- und Transphobie vor. Sie taten das in einer Weise, welche die Realität der Debatte nicht wiedergab. Viel zu laut waren dafür die Stimmen aus den Reihen der Kritiker.

Kein politischer Rückhalt

Als es um das Sondervermögen für die Bundeswehr und Waffenlieferungen an die Ukraine ging, war das lange Zeit anders. Hier gelang es den Befürwortern, abweichende Meinungen mit teilweise absurden Vorwürfen niederzubrüllen und die wahrnehmbare Kritik an dem Vorhaben möglichst kleinzuhalten. Dabei waren nicht wenige Menschen im Land völlig anderer Meinung. Der Unterschied zwischen den oberen und dem unteren Beispiel: Beim Thema Aufrüstung hatten die Skeptiker eine viel schwächere politische Repräsentanz als bei der Cannabislegalisierung und dem Selbstbestimmungsgesetz.

Denn geht es um sicherheitspolitische Ausgaben und um Aufrüstung, dann haben konservative und rechte Parteien grundsätzlich kein großes Problem damit. Das ist in der aktuellen Themensetzung deutlich zu spüren. Denn ein Rechtsruck in der Politik ist nicht von der Hand zu weisen. Jahre der AfD-Oppositionsführung haben diesem Land nicht gutgetan. Wie selbstverständlich spricht man heute über mehr Geld für Waffen und vernachlässigt dafür andere wichtige innenpolitische Themen.

Auch wenn sich die extreme Rechte in diesem Land häufig gegen eine militärische Unterstützung des Kriegs in der Ukraine positioniert, macht sie das nicht automatisch zu Pazifisten. Sie können es schlicht nicht ertragen, dass ihre Brüder im Geiste eins auf die Mütze bekommen. Das ist Selbstgerechtigkeit und keine Friedensliebe.

Klare Themensetzung

Die aktuelle Bundesregierung macht vieles falsch. Immer wieder belegt sie ihre völlige Inkompetenz und trifft fatale politische Entscheidungen. Der Widerspruch wird dann besonders laut, wenn es um die Rechte von Transmenschen geht, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen diskutiert wird oder die Legalisierung von Cannabis ins Haus steht. Droht ein Zusammenstreichen der Kindergrundsicherung, begeben sich tagtäglich zig Geringverdiener, Arbeitslose und Rentner auf Pfandflaschensuche oder erfrieren jeden Winter unzählige Obdachlose in deutschen Großstädten, flammt eine kurze Empörung darüber auf, die sogleich wieder abebbt. Das ist die logische Folge einer wirtschaftsliberal und konservativ geprägten Opposition und Zeugnis einer grotesk schwachen Linken.

Eine echte linke Opposition gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Die Debatten über Pfandflaschen, Obdachlose und arme Kinder werden nur am Rande geführt und sind sehr viel leiser als die Rufe nach Kriegstüchtigkeit und börsendominierter Rente. Soziale Gerechtigkeit verkommt immer mehr zum Nice-to-have.

Zeit für was Neues

Keine der im Bundestag vertretenen Parteien tritt glaubwürdig für Frieden und soziale Gerechtigkeit ein. Die SPD macht gelegentlich Ausflüge in die linke Ecke und der sozialpolitische Flügel der Grünen ist nichts weiter als eine Alibiveranstaltung dieser kriegsbesoffenen Partei. Lange hat sich Die Linke für diese Themen starkgemacht, aber nach Jahren der politischen Selbstverstümmelung nimmt diesen Verein heute niemand mehr ernst.

Stattdessen feiert die Partei den Austritt von Sahra Wagenknecht als Befreiungsschlag – und merkt nicht, wo die Reise hinführen wird. Stolz verkündet die Parteiführung auf verschiedenen Kanälen, dass es Parteieintritte in großer Zahl gab, seitdem sich die unbeugsame Linksrechte einem neuen Projekt zugewandt hat. Scheinbar ist es den führenden Köpfen der Linken mittlerweile egal, wen sie sich in die Partei holen. Es wird nicht lange dauern, bis von der einstigen Kämpferin für Gerechtigkeit und Frieden nichts weiter übrigbleibt als ein verlängerter Arm der Grünen. Die wenigen verbliebenen Linken in der Partei werden sich noch umschauen.

Im Grunde haben die linksgerichteten Parteien in diesem Land zwei Möglichkeiten: Entweder sie kommen endlich zur Vernunft und lassen eine ausgewogene und lebendige Debatte zu bestimmten Themen wieder zu oder sie können dabei zusehen, wie sich in Deutschland eine neue politische Kraft breitmacht, die ihnen Wähler absaugt und Regierungsbildungen in Zukunft noch schwerer macht.

Potenzial für eine solche neue Kraft gibt es allemal. Denn es stimmt, was die demokratischen Parteien über die AfD sagen: Die extreme Rechte hat keinen Plan für dieses Land, erst recht nicht, wenn es um Soziales und Gerechtigkeit geht. Sie selbst haben es aber auch nicht. Es liegt auf der Hand, was passiert, wenn eine Partei entsteht, die genau auf diese offenen Fragen plausible Antworten liefert…


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Rechtes Überangebot

Lesedauer: 7 Minuten

Die neugegründete Partei „Bündnis Deutschland“ versteht sich als konservative Alternative zur CDU und wählbarere Konkurrenz für die AfD. Sie will politisch Heimatlose und Enttäuschte abholen und sie wieder in den demokratischen Diskurs einbinden. Im Dickicht des rechten Spektrums ist sie eine weitere neoliberale Gruppierung, die wie von selbst aus dem Boden zu sprießen scheinen. Und tatsächlich haben immer mehr Menschen in Deutschland das Gefühl, ihre Interessen würden politisch nicht abgebildet werden. Die Repräsentationslücke klafft jedoch nicht auf der rechten Seite des demokratischen Meinungskorridors. Immer deutlicher wird, dass echte linke Parteien mittlerweile Mangelware auf den Wahlzetteln sind.

Alternative zur Alternative

Seit dem 20. November 2022 ist die deutsche Parteienlandschaft um eine Partei reicher. Mit dem Bündnis Deutschland hat sich eine weitere Gruppierung formiert, die sich klar rechts der CDU verortet. Laut eigenen Angaben sehen die Gründerinnen und Grüner der Partei eine Repräsentationslücke im konservativen Spektrum, die von der AfD nicht gefüllt wird. Die neue Partei soll all jenen Wählerinnen und Wählern eine politische Heimat bieten, die sich eine klar konservative und wirtschaftsliberale Politik in Deutschland wünschen. Gesprächen mit anderen Parteien zeigt sich das Bündnis offen.

Die Neugründung ging groß durch die Medien. Die Mitglieder der ersten Stunde hatten ausgiebig Gelegenheit, der breiten Öffentlichkeit die Ziele ihrer Partei zu erläutern. Man wolle spätestens bei der Bürgerschaftswahl in Bremen im kommenden Frühjahr erste politische Erfolge erzielen. Trotzdem stellt sich unweigerlich die Frage, ob ein solch großes Presseecho angemessen war. Immerhin versuchten in den letzten Jahren mehrere Parteien, der AfD den Rang abzulaufen. Jedes dieser Projekte erlitt aber bösen Schiffbruch. Das Bündnis Deutschland hat bis zum heutigen Tage noch nicht einmal einen Wikipedia-Artikel.

Ähnlich wie die Blaue Partei von Frauke Petry und die Liberal-Konservativen Reformer von Bernd Lucke besteht die neue Partei zu einem beträchtlichen Teil aus ehemaligen Mitgliedern der AfD. Auch Überläufer der CDU suchen in dem Bündnis ein neues politisches Glück. Anders als die hoffnungslosen Versuche der ehemaligen AfD-Vorsitzenden besteht die Führungsriege von Bündnis Deutschland nicht aus AfD-Abtrünnigen. Damit enden die Unterschiede zu den rechten Splitterparteien der letzten Jahre auch schon. Auch dem Bündnis Deutschland wird eine programmatische Nähe zur FDP nachgesagt, besonders in Fragen der Wirtschaftspolitik. Es ist daher durchaus möglich, dass die Partei hier punkten kann, weil sich die Liberalen in der Ampelkoalition verheddert und sich gerade bei wirtschaftlichen Fragen kaum durchsetzen können.

Politisch verwahrlost

Die AfD kann viele dieser enttäuschten Wähler nicht mehr mobilisieren. Nach einigen Erfolgsjahren kurz nach der Gründung schrumpft die Partei besonders auf Länderebene immer mehr auf eine verlässliche Stammwählerschaft politisch Frustrierter zusammen. Sie sind schon lange keine Protestwähler mehr, sondern wählen aus gewohntem Frust die AfD. Eine große Zahl an Protestwählern der Jahre 2014 bis 2019 ist wieder dahin zurückgekehrt, wo sie herkamen: ins Nichtwählerlager.

Die AfD zeigte kurzzeitig das demokratische Potenzial dieser Wählerinnen und Wähler auf. Sie waren durchaus für eine politische Beteiligung zu begeistern, auch wenn mit der AfD natürlich kein Blumentopf zu gewinnen war. Das starke Abschneiden der Rechtspopulisten bei der Bundestagswahl 2017 war schockierend, hätte aber auch als Weckruf genutzt werden können. Stattdessen war es von Anfang an verpönt, Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückzugewinnen. Mit diesen Menschen wollte man weder vor noch nach der Wahl etwas zu tun haben – und erst recht nicht mit ihren Sorgen und Ängsten.

Der Rechtsruck der Linken

Früher waren es linke Parteien, welche diese Menschen abgeholt haben. Lange vorbei sind aber die Zeiten, in denen sich die SPD für ihre Belange einsetzte. Gerhard Schröder, der Kanzler der Bosse, hat dann auch noch die letzten Wähler vertrieben, die nach einer echten linken Alternative gesucht hatten. Die Linke fing diese enttäuschten Wähler einige Jahre lang auf, bis sie damit begann, sich hauptsächlich mit sich selbst zu beschäftigen. Sehenden Auges ließ man die sorgengeplagten Menschen nach rechts abwandern. Dort wählen einige zuverlässig die AfD oder eine der anderen zahlreichen neurechten Parteien. Das Bündnis Deutschland beruft sich auf eine Repräsentationslücke im rechten Spektrum. In Wirklichkeit herrscht in dieser Ecke aber ein absurdes Überangebot.

Keine dieser rechten Parteien hat sich in den letzten Jahren nennenswert bewegt. Die AfD wurde mit einer offensichtlichen Tendenz zum Rechtsextremismus gegründet. Dieses bei der Parteigründung einkalkulierte Risiko hat die Partei zwischenzeitlich aufgefressen und gibt heute den Ton in der Partei an. Die anderen rechten Parteien wurden oftmals aufgrund der vielen Grenzüberschreitungen der erfolgreichen AfD gegründet oder weil sich die Partei immer mehr als Fundamentalopposition versteht.

Bewegung und Veränderung gab es hingegen im linken Spektrum. Die Grünen haben die meisten ihrer einstigen Grundsätze vollends über Bord geworfen und sind spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine glühende Kriegsverehrer. Die SPD ist durch die vielen Jahre in der Großen Koalition dauerhaft entstellt und die Linken hoffen insgeheim, den freigewordenen Platz der Grünen einzunehmen und würden dafür vielleicht sogar bereitwillig rechts der Sozialdemokraten platznehmen.

Frust ohne Protest

Eine aussichtsreiche traditionell linke Partei gibt es in Deutschland derzeit nicht. Eine Repräsentationslücke macht das aber noch nicht. Beobachtet man aber dann den Hype, der um eine mögliche Wagenknecht-Partei veranstaltet wird, sieht die Lage schon ganz anders aus. Ganz offensichtlich gibt es eine nicht zu unterschätzende Zahl an Menschen, die sich eine dezidiert linke Partei wünschen, die den Kurs der populären linken Politikerin folgt. Verlässliche Schätzungen gehen sogar von einem Wählerpotenzial von bis 30 Prozent aus, was fast dem Niveau einer Volkspartei entspricht. Wahrscheinlich würden nicht alle diese Menschen eine solche Partei tatsächlich wählen, aber sie alle würden die Gründung einer neuen linken Partei als Bereicherung in der Parteienlandschaft ansehen.

Aber egal, ob links oder rechts: Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sieht sich im derzeitigen politischen Spektrum nicht abgebildet. Dass die derzeitigen Herausforderungen wie Energiekrise, Klimawandel und Krieg die Menschen vor enorme Probleme stellen, liegt auf der Hand. Sie haben allen Grund unzufrieden und empört zu sein. Ihr Protest ist dafür erschreckend leise. Es gibt keine ernstzunehmende politische Kraft, welche dieses Potenzial bündelt und zum Ausdruck bringt. Die groß angekündigten Sozialproteste des Heißen Herbst blieben bislang größtenteils aus. Weder AfD noch Linken gelang es, nennenswert viele Menschen auf die Straßen zu bringen.

Es ist nicht gut für eine Demokratie, wenn das Land so augenscheinlich gegen die Wand gefahren wird und die Mehrheit schweigt. Selbst wer die Maßnahmen der Bundesregierung feiert, muss zugeben, dass sie für einen großen Teil der Bevölkerung sehr einschneidend sind und unweigerlich zu Kritik führen müssen. Jeder, der noch recht bei Trost ist, muss sich in diesen Zeiten wundern, warum die Straßen ein paar verzogenen Gören gehören, aber nicht den abertausenden an Menschen, die Angst haben vor der nächsten Heizkostenabrechnung. Wenn diese Menschen der Demokratie nicht für immer verlorengehen sollen, muss eine neue Partei her. Und zwar schnell.


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Radikalisierung als Selbstzweck

Lesedauer: 9 Minuten

Die selbsternannte Alternative für Deutschland, kurz AfD, generiert sich gerne zum Gegenentwurf zu den etablierten Parteien. Ihrem Selbstanspruch zufolge möchte sie den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land wieder eine Stimme geben. Sie stellt sich der angeblichen Einschränkung der Meinungsfreiheit in diesem Land vehement entgegen. Am allerwichtigsten will sie aber nicht mit den Altparteien in Verbindung gebracht werden. Diesen Gefallen kann ich den Populisten von rechts außen leider nicht machen. Denn radikale Positionen hin oder her – im Prinzip verstehen viele AfDler den Politikbetrieb wie ein beträchtlicher Teil aller Abgeordneten: als Machtspiel.

Eine Partei unter vielen

Seit kurzem wird der Flügel um Bernd Höcke ganz offiziell vom Verfassungsschutz beobachtet. Den Hütern unserer Verfassung stehen dabei eine Vielzahl an Möglichkeiten offen. Diese reichen von Observationen bis hin zur Einschleusung von Informanten, also der Methode V-Leute light. Der Schritt war längst überfällig, ist doch offensichtlich, welche Bestrebungen die parteiinterne Strömung verfolgt. Doch nicht nur der Flügel steht unter öffentlichem Beschuss. Seit Jahren wird die Gesamt-AfD mit rechtsextremen Ideologien in Verbindung gebracht.  Zuzuschreiben hat sich das die Rechtsaußen-Partei größtenteils selbst. Führende Politiker der Partei hatten es nicht nur versäumt, sich klipp und klar von rechtsextremistischen Tendenzen zu distanzieren, einige von ihnen gossen mit wohlüberlegten Spitzen noch großzügig Öl ins Feuer.

Dabei beruft sich die AfD immer wieder darauf, dass sie doch eine demokratisch gewählte Partei sei. Damit hat sie gar nicht so Unrecht. In den Landtagen und im Bundestag sitzt sie, weil der Wähler es so gewünscht hat. Dieser Fakt allein wäscht sie allerdings nicht rein vom Verdacht einer demokratiefeindlichen Gesinnung.

Demokratische Verfahren beiseite, es steht außer Frage, dass die AfD inzwischen eine ernstzunehmende Kraft im Parteiengefüge ist. Und wie alle anderen Parteien in Deutschland möchte sie das auch gerne möglichst lange bleiben. Deswegen ist es für die AfD unumgänglich sich als eigenständige Partei zu profilieren. Eine Radikalisierung nach rechts scheint beinahe die traurige logische Konsequenz daraus zu sein.

Bloß nicht abkupfern

Denn was würde denn passieren, wenn die gemäßigten Kräfte innerhalb der AfD dem rechtsextremen Flügel Einhalt gebieten würden? Die Alternative für Deutschland hätte zwar weiterhin eine politische Botschaft, doch würde sich diese nicht grundlegend von den Werten unterscheiden, die einst von Union und FDP vertreten wurden. Das Problem AfD hätte sich für die anderen Parteien dann schnell erledigt. Nach ein oder zwei Sonderparteitagen würden sie zu ihrer alten Form und ihrem alten Profil zurückfinden. Die AfD wäre damit obsolet.

Aus diesem Grund muss sich die AfD klar von den anderen Parteien unterscheiden. Sie nutzt die Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger, um andere Themen auf die Agenda zu setzen. Sie macht sich Ideen zueigen, die von den anderen Parteien immer gemieden wurden – und das aus gutem Grund. Es sind damit sozusagen die Ideen der AfD. Diese Themen jetzt aufzugreifen und zu kopieren, wie es mancher Bierzelt-CSUler gerne hätte, wäre der absolut falsche Weg. Denn eine gemäßigte AfD würde vom einstigen Original Union und FDP leicht aufgefressen werden. Ein ganz ähnliches Schicksal würde die demokratischen Parteien allerdings ereilen, wenn sie sich tatsächlich auf den fahrlässigen Pfad begäben und das Original AfD kopierten.

Ein demokratisches Korrektiv?

Denn der Aufstieg der AfD wurde nicht zufällig von einer Radikalisierung der Partei begleitet. In den Anfangstagen unter Bernd Lucke kopierte die AfD noch fleißig Positionen, die früher einmal vor allen Dingen CDU und CSU vertreten hatten. Das kam bei einigen Menschen gut an, vertrat die AfD doch eindeutig konservative und wirtschaftsliberale Positionen, die die Union nach Jahren der großen Koalition vernachlässigt hatte.

Bei diesen Positionen sind die meisten AfDler auch geblieben. Nicht jeder radikalisierte sich gleichermaßen. Frauke Petry beispielsweise entzog sich einer Radikalisierung, als sie aus ihrer alten Partei austrat. Hätte sie das nicht getan, hätte sie die radikalen Positionen weiter mittragen müssen und hätte sich gleich mitradikalisiert.

Die Mitte der Partei

Die AfD wurde nicht umsonst als Partei und nicht als Bewegung gegründet. Als Partei wohnt ihr ein Selbsterhaltungstrieb inne, eine Dynamik, die dafür sorgt, dass sie am Leben bleibt. Dafür sind in erster Linie eigene Positionen nötig. Die nationalistischen Tendenzen, die nun das Ruder in der AfD übernommen haben, waren von Anfang an vorhanden. Von Beginn an profitierte die AfD von der Pegida-Bewegung und machte sich mit Personen wie Bernd Höcke gemein, die sie bis heute in ihren Reihen duldet. Laut ehemaligem Parteichef Gauland ist er mit seinen rechtsextremen Ansichten inzwischen in der Mitte der Partei angekommen.

Mit ihren Positionen spricht die AfD Wählerschichten an, die selbst die CSU zu ihren konservativsten Zeiten nicht erreicht hat. Doch auch viele Nichtwähler, die sich enttäuscht von der Teilnahme an Politik abgewendet haben, reaktiviert die Rechtsaußen-Partei. Mit ihrer polarisierenden Rhetorik grenzt sich die AfD nicht nur erfolgreich von den anderen Parteien ab. Sie schürt auch eine immer größer werdende Abneigung ihrer Wähler gegenüber den sogenannten Altparteien. Als gäbe es nach einem Kreuz bei den Rechtspopulisten kein Zurück mehr…

Konservatives Aushängeschild

Denn die AfD will Macht. Frauke Petry mag zu AfD-Zeiten noch beschworen haben, dass ihre Partei als demokratisches Korrektiv anzusehen sei. Wäre die AfD diesem Anspruch treu geblieben, hätte also jedwede extremistische Aktivität unterbunden, dann hätte die Partei bei der letzten Bundestagswahl ein Ergebnis von vielleicht 7 oder 8 Prozent erzielt. Mit einer doch so schwachen AfD hätte eine weitere GroKo unter Umständen verhindert werden können, ein Politikwechsel wäre also eingeleitet worden und der Zweck der AfD hätte sich in Wohlgefallen aufgelöst.

Gerade der immer kleinerwerdende gemäßigte Teil der AfD ist allerdings von herausragender Bedeutung für die Partei. Denn er hilft immer wieder tatkräftig mit, ein Bild von der AfD zu zeichnen, welches eben nicht in das Narrativ einer extremen Partei passt. Wenn die anderen Parteien wegen der erstarkenden extremistischen Tendenzen zurecht eine Koalition mit der AfD ausschließen, fühlen sich vor allen Dingen konservative Wähler verprellt und wählen die rechtspopulistische Partei.

Gefährliche Symbiose

Aber nicht jeder in der AfD lässt sich von den extremistischen Strömungen in der Partei gängeln. Frauke Petry ist bestimmt die prominenteste Vertreterin der Aussteiger aus der Partei. Ihr haben es vier weitere Abgeordnete aus der AfD gleichgetan und haben sowohl Fraktion als auch Partei verlassen. Sie gehören seitdem als fraktionslose Abgeordnete dem Bundestag an. Sind dies nun reumütige Demokraten, die wieder auf den richtigen Pfad zurückgefunden haben? Oder sind sie machthungrige Politiker, die ihre Parteimitgliedschaft über die Klinge springen ließen?

Wenn man bedenkt, dass diese Abgeordnete als Fraktionslose wesentlich geringere Einflussmöglichkeiten haben, verbietet sich die zweite Überlegung zunächst. Andererseits stellt sich doch die Frage, wie weit diese Abgeordneten gekommen wären, hätten sie sich bereits früher von der Gesamtpartei distanziert. Eine Mitgliedschaft im Bundestag wäre für sie möglicherweise nicht herausgesprungen. Die nationalistischen Tendenzen in der Partei werden eine maßgebende Rolle gespielt haben. Doch als Mitglied dieser Partei werden die Abgeordneten Petry, Mieruch, Kamann, Herrmann und Hartmann bereits früh Lunte gerochen haben.

Frauke Petry war lange Zeit Bundesparteivorsitzende und vermochte es in dieser Zeit offenbar nicht, das extreme Potenzial der Partei in Grenzen zu halten. Das wird auch sie bemerkt haben. Trotzdem verhalf sie einer solchen Partei mit ihrer Rhetorik und ihrem Charisma zum Einzug in den Bundestag. Viel wichtiger wird für sie allerdings eine andere Überlegung gewesen sein: Sie verhalf sich selbst in den Bundestag. Petry und die AfD sind also in gewisser Weise eine Symbiose eingegangen, die nach der Wahl 2017 nicht mehr von Nöten war.

Auch wenn Frauke Petry es regelmäßig bestreitet, ihrem Austritt aus der Partei wird immer der Verdacht des Kalküls anhaften. Denn ganz offensichtlich war sie bereits vor der Bundestagswahl damit beschäftigt, eine neue Partei aufzubauen. Und auch die anderen Ex-AfDler sollten sich fragen, worüber sie hinwegsahen, nur um einen Sitz im Bundestag zu erlangen. Sie pflegten eine Fassade der Bürgerlichkeit und des Liberalismus, hinter dem sich ein knallharter Rechtsextremismus versteckte. Nun sitzt die AfD im Bundestag, die Fassade darf also gerne bröckeln. Doch ganz wegfallen sollte sie nie. Zumindest jetzt noch nicht. Denn die gemäßigten Positionen in der AfD sehen viele nach wie vor als einen legitimen Grund, dieser Partei die Stimme zu geben. Die extremistischen Positionen bieten nach wie vor genug Anlass, nicht mit dieser Partei zu kooperieren. Und so bedingt eins das andere.

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