Revolte der Helikopterkinder

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Es lebe die Vielfalt – aber bitte nicht bei uns: Mit der Ablehnung der Sängerin Ronja Maltzahn löste die Bewegung Fridays for Future kürzlich eine hitzige Debatte im Netz aus. Entzündet hat sich die Diskussion an der Begründung des Auftrittsverbots: Den Veranstaltern passte die Frisur der jungen Künstlerin nicht. In ihren Dreadlocks sahen sie eine nicht tolerierbare kulturelle Aneignung. Der Skandal zog weite Kreise, untergräbt aber das wichtige Anliegen, welches die Klimabewegung einst verfolgte. Heute wird Fridays for Future dominiert von gut situierten Kindern aus Akademikerfamilien, welche die Bewegung eher als Forum für ihre abstrusen Lebensentwürfe sehen.

Repolitisierte Jugend

2019 geschah etwas, was vielen nicht geheuer war: Zu Zehntausenden gingen in deutschen Großstädten Jugendliche und junge Erwachsene auf die Straße, um auf die Bedrohungen des menschengemachten Klimawandels aufmerksam zu machen und um eine effektivere Klimapolitik einzufordern. Sie wollten es nicht mehr hinnehmen, dass das Klima von Menschen gerettet wurde, die ihre eigenen Fehlentscheidungen nicht mehr erleben würden. Die jungen Menschen wussten sehr genau, dass sie die Leidtragenden einer verfehlten Klimapolitik sein würden.

Beinahe ehrfürchtig beobachteten die über 25-jährigen, wie die jüngere Generation Freitag für Freitag auf die Straße ging. Einige schlossen sich dem Protest an, Fridays for Future (FfF) blieb aber eine Bewegung der Jüngeren. Corona bereitete den Großdemos ein jähes Ende. Doch nach zahlreichen Online-Protestaktionen trauen sich die Anhänger von FfF inzwischen wieder auf die Straße.

Die Themenpalette der Demonstrantinnen und Demonstranten ist seit der Corona-Zwangspause sogar noch größer geworden. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mischen sich auch vermehrt Stimmen unter die Teilnehmenden, die ihre Solidarität mit dem angegriffenen Land bekunden. Beim globalen Klimastreik am 25. März 2022 wurde das Themenspektrum ein weiteres Mal erweitert: Zur Debatte stehen nun auch die Frisuren der Künstlerinnen und Künstler, die die Bewegung unterstützen.

Du hast die Haare (nicht) schön

Die Sängerin Ronja Maltzahn steht seither unfreiwillig im Fokus einer obskuren Debatte. Sie durfte bei der Kundgebung der Demo in Hannover nicht auftreten, weil sie ihre Haare zu Dreadlocks geflochten hatte. Die Organisatoren der Demo sahen darin eine imperialistische kulturelle Aneignung, die sie auf keinen Fall tolerieren konnten. Man stellte die Sängerin vor die Wahl: Haare ab oder Auftrittsverbot.

Das Netz war sogleich voll von solidarischen Kommentaren für beide Seiten. Der Zwischenfall bestimmte die Titelseiten, Ronja Maltzahns Haarpracht war in aller Munde. In Interviews bekräftigten die Verantwortlichen ihr Bekenntnis gegen Rassismus und kulturelle Aneignung. Sie könnten ihrem eigenen Anliegen nicht vehementer widersprechen. Wenn sich eine weiße Frau dazu entschließt, ihre Haare fortan als Dreadlocks zu tragen, dann hat das genau so wenig mit imperialistischem Denken zu tun wie wenn eine Luisa Neubauer ins Ristorante geht und sich eine Pizza bestellt.

Austausch statt Spaltung

Es ist eben kein imperialistischer Akt, wenn man sich von anderen Kulturen beeinflussen lässt und deren Gepflogenheiten oder deren Dress übernimmt. Es ist stattdessen ein Zeichen für einen lebendigen und gelingenden Austausch zwischen den Kulturen. Imperialistisch und rassistisch hingegen ist es, wenn man einer ethnischen Gruppe bestimmte Verhaltensweisen oder ein äußeres Erscheinungsbild zuweist und festlegt, dass nur diese Gruppe ungestraft so leben oder aussehen darf. Diese Herangehensweise verfestigt rassistische Stereotype und baut sie nicht ab.

Die Verfechter der Political Correctness lassen sich von einem Gruppendenken leiten, für das sie manch rechter Zeitgenosse beneidet. Ihr Weltbild lebt von Unterschieden. Ziel ist nicht, die Unterschiede abzubauen, um Chancengleichheit herbeizuführen. Ihnen geht es darum, die vorhandenen Unterschiede über Gebühr zu betonen oder sogar neue Gegensätze künstlich zu konstruieren. In ihrer Ideologie dürfen nur die Vertreter einer bestimmten definierten Gruppe über die Belange ebenjener Gruppe sprechen. Alles andere ist inakzeptabel und ein Angriff auf die aufgeklärte Gesellschaft.

Dabei übersehen sie, dass sie einer Denkweise Vorschub leisten, die ganz sicher nicht in ihrem Interesse ist. Die groteske Wahl, vor die man Ronja Maltzahn gestellt hat, beweist eindeutig latent autoritäre Denkmuster. Wenn die Entscheidung nur Unterordnung oder Verzicht lautet, hat das mit einer vielfältigen Gesellschaft nichts zu tun. Man bedient sich faschistoider Methoden und keiner pluralen.

Die Akademikerbewegung

Eigentlich ist die Welt vieler FfF-Aktivisten eine heile Welt. Sie haben sogar so wenige echte Probleme, dass sie sich ausgiebig über die Haare einer jungen Sängerin echauffieren können. Viele junge Klimaaktivisten müssen in der letzten Woche eines Monats nicht jeden Cent zweimal umdrehen. Von den steigenden Energiepreisen haben sie zwar gehört, betroffen sind sie davon aber nur peripher.

Sie verdanken es ihren Eltern, dass diese Probleme von ihnen ferngehalten werden. Klimafreundliches Handeln und Leben ist für sie kein Problem, weil sie es sich leisten können. Meistens handelt es sich bei den Demonstrantinnen und Demonstranten um Menschen, die das Gymnasium besuchen oder bereits ein Studium aufgenommen haben. Dieses höhere Bildungsniveau geht fast wie selbstverständlich einher mit der höheren Einkommensschicht der Eltern.

Real- und Hauptschüler hingegen sind bei den Demonstrationen chronisch unterrepräsentiert. Sie fühlen sich verprellt von den Forderungen nach höheren Lebensmittelkosten und dem generellen Verzicht auf ein eigenes Auto. Die energisch vorgetragenen Ziele der Bewegung stimmen nicht mit ihrer eigenen Lebensrealität überein. Ihre Familien können sich nicht regelmäßig mit Bio-Lebensmitteln eindecken und ihre Eltern sind womöglich auf das Auto angewiesen. Diese jungen Leute gehen Fridays for Future verloren.

Hoffnungslos verloren

Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine der drängendsten Menschheitsaufgaben unserer Zeit. Wenn wir nicht alles in unserer Macht stehende tun, dann werden wir sehr bald in jeden Sommer Bilder wie aus dem Ahrtal zu sehen bekommen. Weite Teile des Planeten werden unbewohnbar werden, weil der menschengemachte Klimawandel den Lebensraum Erde zerstört hat.

Als Fridays for Future gegründet wurde, da hatte die Bewegung den klaren Anspruch, diesem Problem entschlossen entgegenzutreten. Die Älteren waren neidvoll beeindruckt vom Engagement und dem politischen Gestaltungswillen der jungen Generation. Aktionen wie der Boykott von Dreadlocks bringt die Klimabewegung aber zunehmend in Verruf. Es schadet dem Kampf gegen den Klimawandel, wenn sich ein paar verzogene Gören zu Fürsprechern der Kulturen aufschwingen und die Demonstrationen doch nur als Podium zur Selbstdarstellung nutzen.

Die Rettung des Klimas und unserer Erde kann nur gelingen, wenn die Menschen zusammenstehen. Fridays for Future hat sich in eine Richtung entwickelt, mit der die Bewegung eher spaltet als eint. Es gab ein kurzes Zeitfenster, als die Aktion über ihre Gründungsklientel hätte hinauswachsen können. Diese Chance wurde nicht genutzt. Die Debatte um die richtige Frisur erschwert es Fridays for Future zusätzlich, gesamtgesellschaftlich fußzufassen. Doch ohne die Akzeptanz und Unterstützung weiter Teile der Gesellschaft bleibt die Vision von Greta Thunberg ein Papiertiger. Und ohne Druck wird sich nie etwas ändern.


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