Mein rechter, rechter Platz ist leer…

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Alle vier Jahre wieder: Wie bereits 2017 sträubt sich die FDP auch nach dieser Bundestagswahl, neben der AfD platzzunehmen. Zum einen möchten die liberalen Abgeordneten nicht als rechte Partei verschrien sein, zum anderen wollen sie ihr Trommelfell schonen. Es gibt inzwischen ernstzunehmende Gründe, warum die FDP mit ihrem Anliegen rechthaben könnte. Dann wiederum beweist sie mit ihrer Realpolitik, dass sie vielleicht doch an der richtigen Stelle sitzt – links neben der AfD.

Die Bundestagswahl liegt inzwischen fast vier Wochen zurück. Die meisten Stimmen sind ausgezählt, die Verhandlungen über eine neue Regierungsbildung laufen. Erstmals in der bundesdeutschen Geschichte zeichnet sich eine Bundesregierung aus drei Lagern ab. Besonders die FDP schafft es dabei bereits vor möglichen Koalitionsverhandlungen in die Schlagzeilen. Wie bereits 2017 möchte sie im Plenarsaal nicht neben der AfD sitzen.

Akustische Zumutung

Der Wunsch nach räumlicher Distanz von den Rechtspopulisten ist nur allzu verständlich. Keine andere Fraktion sammelte während der vergangenen Legislaturperiode so viele Ordnungsrufe und Rügen wie die AfD. Immer wieder fiel die Partei durch lautstarke Zwischenrufe und unflätige Kommentierungen negativ auf. Nicht alle diese Vorfälle sind für die breite Öffentlichkeit immer wahrnehmbar. Auch der stenographische Dienst des Bundestags hat Schwierigkeiten, sämtliche rhetorische Tiefflüge der AfD einzufangen.

Anders ergeht es da den Leuten, die in unmittelbarer Nähe der AfD sitzen. Während einer Debatte zur Situation von LGBTQI am 19. Mai 2021 platze der FDP-Abgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann dann der Kragen. In einer Kurzintervention wies sie darauf hin, dass es unerträglich sei, neben Abgeordneten zu sitzen, die „im Kontext von Transgendern von Schweinen und Kühen sprechen“.

Lautstarke Intervention

Auch die scheidende Justizministerin Christine Lambrecht von der SPD hatte bereits 2020 auf die unglaublichen Zwischenrufe aus der AfD hingewiesen. Auf den Regierungsbänken war deutlich zu hören gewesen, dass ein Abgeordneter der AfD Morddrohungen an Staatsminister Michael Roth als „gerechten Zorn“ empfand.

Legendär und fast eines GIFs würdig war auch das skurrile Schauspiel zwischen Alexander Gauland von der AfD und dem FDP-Mann Konstantin Kuhle. Aggressiv gestikulierend und mit hochroten Köpfen schrien sich die beiden Männer während einer Plenardebatte an. Diese Entgleisungen und Ausfälle geben der FDP alles Recht der Welt, sich möglichst weit von der AfD wegzuwünschen.

Fröhliches Beisammensein

Leider kommen die Liberalen mit ihren Extrawünschen wie bereits 2017 zu spät. Der 20. Bundestag wird am 26. Oktober das erste Mal tagen, der Umbau des Plenarsaals ist bereits in vollem Gange. Ein Umzug der FDP-Fraktion ist erst nach der konstituierenden Sitzung möglich. Das kostet Zeit und Geld. Steuergeld. Warum soll der gemeine Steuerzahler dafür aufkommen, wenn der FDP auf den letzten Drücker klarwird, dass der Platz neben der AfD für das menschliche Hirn eher suboptimal ist? Mit mehr als 730 Abgeordneten ist der Bundestag in der kommenden Legislaturperiode sowieso groß und teuer genug.

Auch der FDP ist klar, dass ihr Winseln und Jammern ob der unzumutbaren Geräuschkulisse durch die AfD nicht ausreicht, um sich einen besseren Platz unter der Reichstagskuppel zu sichern. Dann würde nämlich die Union neben der Rechtsaußen-Partei sitzen und wahrscheinlich auch bald alle Hebel in Bewegung setzen, um schleunigst wieder von da wegzukommen. Die Christian-Lindner – Partei hat sich daher etwas einfallen lassen: Jetzt, da sich die Ampel abzeichnet, sollten die regierenden Parteien beieinandersitzen.

Das ist natürlich ein sehr fadenscheiniger Grund. Es gibt außerdem mehrere Beispiele aus der bundesrepublikanischen Parlamentsgeschichte, dass regierende Fraktionen eben nicht direkt nebeneinandersaßen. Erinnert sei an die letzten drei Großen Koalitionen unter Angela Merkel. Zwischen Union und SPD saßen stets die Bündnisgrünen, um wenigstens etwas die politische Differenz zu symbolisieren, die eigentlich zwischen den beiden ehemaligen Volksparteien liegen sollte.

Es war schon immer eine der vornehmsten Aufgaben des Parlaments, den politischen Willen des Volks widerzuspiegeln, und nicht die Zusammensetzung einer Regierung. Das Parlament muss die Regierung kontrollieren und nicht andersrum. Das gelingt am besten, wenn sich das Parlament ungeachtet rechnerischer Regierungsmehrheiten zusammensetzt. Im übrigen sitzen die regierenden Abgeordneten und Minister auf der Regierungsbank bereits zusammen.

Sitzordnung mit Tradition

Die FDP stört allerdings nicht nur der enorme Lautstärkepegel neben der AfD. Auch möchten die Liberalen nicht in eine ideologische Nähe zu den rechten Schreihälsen gerückt werden. Ihre Kritik an der parlamentarischen Positionierung ist erst so laut, seitdem die AfD in den Bundestag eingezogen ist.

Dabei hat der Sitzplatz der FDP durchaus seine Tradition. Schon seit der Französischen Nationalversammlung saßen solche Abgeordnete auf der rechten Seite, die die Interessen der Monarchie und des Adels vertraten. Diesen Adel gibt es in der Bundesrepublik nicht mehr. Trotzdem lässt sich der FDP durchaus ein Hang zu den Reichen und Mächtigen konstatieren. Vergleicht man die Summen an Parteispenden, so rangiert die FDP auf den vorderen Plätzen. Allerdings müssten nach dieser Logik zwischenzeitlich auch die Grünen weiter rechts platznehmen.

Die bequeme Alternative

Im wesentlichen befürworteten in den Parlamenten die linksplatzierten Abgeordneten staatliche Eingriffe in die Wirtschaft. Die Abgeordneten auf der rechten Seite des Parlaments folgten der Vorgabe des schlanken Staats, wollten also möglichst wenig staatliche Intervention in die Wirtschaft. Diesen Prinzipien ist die FDP bis heute treugeblieben und sitzt daher an der richtigen Stelle.

Seit Corona lieferte die FDP noch ein weiteres Argument dafür, dass sie rechts neben der Union richtig platziert ist. Nach ihrem dramatischen Umfragetief im Frühjahr 2020 konnte sie sich in den Folgemonaten erfolgreich als die Fürsprecherin der Bequemen profilieren. Durch eine strategische Rückbesinnung auf den eigenen Markenkern, die individuellen Freiheiten, gelang es der Partei, die Regierung unter Druck zu setzen. Maßnahmen wie die Maskenpflicht und die harten Lockdowns stellte die FDP stets in kleinbürgerlicher Manier in Frage.

Mit dieser Politik der erzwungenen Öffnungsperspektive trat die FDP mitunter in offene Konkurrenz zur AfD. Geschickt bot sie all den bequemen Wählerinnen und Wählern eine politische Heimat, denen es mit der AfD allmählich zu heikel wurde. Bereits 2019 wagte Parteichef Lindner diesen Schritt, als er in Bezug auf den Klimawandel medienwirksam von einer „Sache für Profis“ sprach. Er vermittelte damit das Bild eines Kampfes, den der Durchschnittsbürger nicht führen könnte und mit dem er bitteschön auch nicht behelligt werden sollte. Auch der Wahleklat von Thüringen im vergangenen Jahr dürfte wenig zur ideologischen Distanzierung von der AfD beigetragen haben.


Die FDP ist für mich keine rechte Partei. Sie vereinigt sowohl Elemente, die früher als linksliberal galten, ist aber gleichzeitig auf einen regelrechten Marktradikalismus fixiert. Sie hat einen beträchtlichen Teil der AfD-Wähler völlig zurecht als wahltaktische Zielgruppe identifiziert. Daraus darf ihr politisch kein Strick gedreht werden. Je mehr Wählerinnen und Wähler zu den demokratischen Parteien zurückkehren desto besser. Der FDP ist dieser Schritt gelungen – allerdings um den Preis, dass sie sich ideologisch von der Mitte entfernt und stattdessen ihren Platz rechts neben der Union verteidigt hat.

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Politisches Schmierentheater

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Der Wahlkampf zur diesjährigen Bundestagswahl war anders. Dieses Mal stand nicht von vornherein fest, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin werden würde. Insgesamt drei Parteien sahen daher ihre Chance, nach der Macht zu greifen. Diese große Auswahl machte den Wahlkampf allerdings nicht spannender. Spektakulär waren eher die Pannen, die die Wahl begleiteten und die Inbrunst der Medien, diesen Wahlkampf zum Spektakel zu machen. Auch am Wahlsonntag endete das unsägliche Spiel nicht. Ausgehende Stimmzettel machten die Wahl endgültig zur Farce, die Regierungsbildung deutet auf schmerzhafte Kompromisse hin. Stärke und Handlungsfähigkeit verspricht das nicht.

Die Würfel sind wieder einmal gefallen. Die Bundestagswahl 2021 brachte viele Sieger, aber auch einige Verlierer hervor. Die Union fuhr das schlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte ein. Auch die knapp 26 Prozent der SPD sind für die Partei kein herausragender Erfolg. Trotzdem konnten die Sozialdemokraten im Vergleich zu 2017 ordentlich zulegen. Zu den Siegern des Abends gehörten auch FDP und Grüne. Während sich letztere wohl Hoffnungen auf noch mehr gemacht haben, konnten die Liberalen noch einmal leicht zulegen.

Ungewöhnlich gewöhnlich

Der zurückliegende Wahlkampf war lange und zäh. Er war geprägt von TV-Debatten, Plagiatsvorwürfen und personellen Querelen. Eines war er aber mit Sicherheit nicht: spannend. Die Medien taten zwar alles dafür, die Bundestagswahl zum Jahrhundertereignis zu erhöhen, doch offen war einzig und allein der personelle Ausgang der Wahl. Die Bundestagswahl 2021 war ein Rennen ums Kanzleramt. Erstmals in der bundesdeutschen Geschichte trat eine amtierende Kanzlerin nicht wieder an. Daher war es nur logisch, dass der Wettbewerb um diesen Posten dieses Mal besonders heftig geführt wurde.

Der Wahlkampf hätte an Spannung gewinnen können, wenn nicht die SPD mit der Union um Platz 1 gerungen hätte, sondern wenn die Grünen dafür in Frage gekommen wären. Die Umfragewerte im Frühjahr sahen dieses Szenario zumindest voraus. Doch dann kam Annalena Bearbock und machte all diese grünen Wunschfantasien zunichte. Die Grünen schmierten auf Platz 3 ab und pendelten sich bei circa 15 Prozent ein.

Angesichts solch magerer Umfragewerte verwunderte es schon, dass auch Annalena Baerbock regelmäßig Gästin bei den Kanzlertriellen war. Beinahe schien es so, als wäre sie nur Mittel zum Zweck, um dem medialen Wahlkampf einen Hauch von Spannung beizufügen. Ins Programmschema der TV-Redakteure passte sie allemal. Keinen schien es zu interessieren, dass ihre Partei so weit vom Kanzleramt entfernt war wie Armin Laschet von Taktgefühl und Anstand.

Sie war jedoch nicht die einzige Fehlbesetzung in dieser semi-spannenden Wahl. Auch die Spitzenkandidaten der übrigen Parteien glänzten selten durch Kompetenz und Führungsstärke. Am ehesten fand Olaf Scholz (SPD) Zuspruch in der Bevölkerung. Anders als Gerhard Schröder und Martin Schulz vor ihm profitierte er allerdings fast ausschließlich von der Schwäche seiner Mitbewerber. Ein Blick in die Beliebtheitswerte genügt, um festzustellen, dass die Menschen alle drei Bewerber ums Kanzleramt auch nach der Wahl eher ablehnen. Der Drive von Olaf Scholz aus den letzten Wahlkampfwochen war einzig damit zu erklären, dass sich viele Menschen mit ihm als aussichtsreichstem Kandidaten abgefunden hatten.

Wahl nach Acht

Doch auch jenseits fragwürdiger Personalentscheidungen war diese Bundestagswahl an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Bereits im Vorfeld reihte sich eine Panne an die nächste. In Hamburg beispielsweise mussten Briefwahlunterlagen neu versendet werden, weil der Name eines Kandidaten größer gedruckt war als die Namen der übrigen Bewerber. In anderen Städten kam es zu ähnlichen Faux-pas. Dadurch entstand nicht nur ein beträchtlicher finanzieller Schaden, die Wahlbereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger dürfte ebenfalls getrübt worden sein. Für mancheinen war es vielleicht sogar schon zu spät, neue Wahlunterlagen zu bestellen und pünktlich zu wählen.

Auch den Berliner Wählerinnen und Wählern wurde eine pünktliche Stimmabgabe zum Teil verwehrt. Weil einem Wahllokal im Stadtteil Prenzlauer Berg bereits am Nachmittag die Stimmzettel ausgingen, mussten sich manche Wählerinnen und Wähler bis halb 9 Uhr abends gedulden. Auch das dürfte der Wahleuphorie einen Dämpfer verpasst haben. Besonders brisant: Noch während in Berlin die Stimmabgabe lief, stiegen und senkten sich bei ARD und ZDF bereits die Balken zu ersten Prognosen und Hochrechnungen. Grotesker kann man eine Wahl nicht manipulieren. Ein weiteres Mal war der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht bereit dazu, auf aktuelle Entwicklungen angemessen zu reagieren.

Pleiten, Pech und Pannen

Doch selbst als die meisten Wahllokale längst geschlossen hatten, setzte sich die Pannenserie fort. Die Bild- und Tonspuren bei der Berliner Runde waren zunächst nicht synchron zueinander, Kanzlerkandidat Armin Laschet hatte ein störendes Rauschen im Hintergrund und Annalena Baerbock wurde bei der Vorstellung der Gäste gar nicht erst eingeblendet.

Diese Aneinanderreihung von Pannen und Störungen täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass einige Parteien am Wahlsonntag baden gingen. Die Union fuhr das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl in ihrer Geschichte ein, die AfD konnte nicht mehr so viele Wählerinnen und Wähler mobilisieren wie noch vor vier Jahren, die Linken schafften es nur durch Sonderklauseln in den Bundestag.

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Weil’s nicht so schön war: Die Berliner Runde 2021
Einmal Lachet, immer Laschet

Solche Momente sind bitter für Parteien und deren Spitzenkandidaten. Armin Laschet mag von Anfang an der falsche Mann für den Job des Kanzlerkandidaten gewesen sein. Bei den anstehenden Verhandlungen über ein mögliches Jamaika-Bündnis muss er jedoch der Verhandlungsführer sein. Sollte eine solche Koalition zustandekommen, wäre Laschet Bundeskanzler. Wie würde es wohl aussehen, wenn plötzlich jemand anderes aus der Union auf diesen Posten gehievt werden würde? Es wäre eine Farce, es wäre Wählerverarsche. Armin Laschet hat für die Union im Wahlkampf den Kopf hingehalten. Es ist seine Bürde oder sein Privileg nun die Ernte einzufahren.

Einen ähnlich lächerlichen Rückzieher hat es vor nicht all zu langer Zeit gegeben. Lange schwelte der Streit darüber, wer nach der EU-Wahl 2019 neuer Kommissionspräsident werden würde. Im Wahlkampf standen der Sozialdemokrat Frans Timmermans und Manfred Weber von der CSU zur Debatte. Nach der Wahl einigte man sich aus heiterem Himmel auf Ursula von der Leyen, die mit dem Wahlkampf rein gar nichts zu tun hatte. Demut vor dem Wählerwillen sieht anders aus.

Die Königmacher

Leider zeichnet sich ein ähnliches Szenario nun auch auf Bundesebene ab. Nach dem niederschmetternden Ergebnis vom letzten Sonntag zweifeln immer mehr Unionsabgeordnete, ob Laschet der richtige Mann für’s Kanzleramt ist. Ihre Bedenken kommen reichlich spät. Auch eine Regierungsbeteiligung von CDU und CSU halten viele für immer unwahrscheinlicher. Anders ist die Wahl von Ralph Brinkhaus zum halbjährigen Fraktionsvorsitzenden nicht zu erklären. Offenbar will man zumindest den Posten des Oppositionsführers für Laschet warmhalten.

Währenddessen können Grüne und FDP frei wählen, wen sie für die kommenden vier Jahre zum Kanzler küren. Vieles deutet auf eine Ampel hin, doch auch Jamaika ist lange nicht vom Tisch. Der Wahlkampf und die Wahl haben Deutschland stellenweise zum Gespött gemacht. Warum sollte das bei der Regierungsbildung anders sein? Beide stark angeschlagene ehemalige Volksparteien meldeten Ansprüche auf die Kanzlerschaft an. Der Höhepunkt an Lächerlichkeit wäre erreicht, wenn sich die beteiligten Akteure nun auf eine gesplittete Regierungszeit einigen würden. Zwei Jahre lang würde Olaf Scholz das Land regieren, bevor er von Armin Laschet für die zweite Hälfte abgelöst werden würde.

Dieses Szenario stünde für ein politisch völlig handlungsunfähiges Land. Es stünde für eine Politik der unendlichen Kompromissbereitschaft. Die Deutschen hätten dann zwei Kanzler. Zwei Kanzler, die sie beide nie wollten…

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Auf wackeligen Beinen

Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni waren lange Koalitionsverhandlungen vorprogrammiert. Die Mehrheit aus CDU und SPD war so knapp, dass Rainer Haseloff sein Kabinett um die FDP erweiterte. Der Preis für so viel Kompromissbereitschaft ließ nicht lange auf sich warten: Haseloff gelang es erst im zweiten Wahlgang, sich zum Ministerpräsidenten wiederwählen zu lassen. Der Weg des neuen alten Regierungschefs ist nicht alternativlos: Eine Bündelung der demokratischen Kräfte wäre auch anders denkbar gewesen.

Munteres Zahlenspiel

Seit vergangenem Donnerstag ist es offiziell: Das Land Sachsen-Anhalt hat eine neue Regierung. Ministerpräsident bleibt Rainer Haseloff von der CDU. Er führt das Land fortan mit einer Deutschlandkoalition mit SPD und FDP. Wie bereits in Thüringen vor anderthalb Jahren zeichnete sich bereits am Wahlabend am 6. Juni ab, dass es zu langen Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen kommen würde. Klarer Wahlsieger war zwar Haseloffs CDU, doch gestaltete es sich schwierig, die Bedürfnisse aller Koalitionspartner unter einen Hut zu bringen.

Umso erstaunlicher ist nun, dass es Ministerpräsident Haseloff gelungen ist, sich aus drei unterschiedlichen Lagern zum Regierungschef wählen zu lassen – wenn auch erst beim zweiten Anlauf. Immerhin ist die Regierungsbeteiligung der FDP rein rechnerisch überhaupt nicht vonnöten. Die CDU in Sachsen-Anhalt käme auch allein mit der SPD auf eine absolute Mehrheit. Die beiden Parteien stellen im Magdeburger Landtag derzeit 49 von 97 Sitzen, also genau die Anzahl an Mandaten, die für eine Mehrheitsbildung nötig ist.

Alles für die Mehrheit

Die Liberalen wurden als reiner Stabilitätsfaktor mit ins Boot geholt. Der erste Wahlgang vom Donnerstag zeigte, dass dieser Puffer eine gute Investition für Rainer Haseloff war. Selbst mit dieser breiten Mehrheit gelang es ihm zunächst nicht, auf die absolute Mehrheit zu kommen. Wie wäre der Wahlgang wohl ausgegangen, wenn die FDP nicht gewesen wäre?

Vermutlich hätte Haseloff eine noch herbere Niederlage einstecken müssen. Trotzdem ist es durchaus bedenklich, dass die rechnerische Mehrheit zulasten der Opposition erweitert wird. Rainer Haseloff mag die Landtagswahl zwar haushoch gewonnen haben, trotzdem verteilten sich abweichende Meinungen auf insgesamt fünf Parteien. Es ist nicht demokratisch, diese Vielfalt an Widerspruch durch Mehrheitsbeschaffungsmaßnahmen ungerecht kleinzuhalten.

Weniger Opposition, mehr AfD

Es ist nämlich einerseits keine Selbstverständlichkeit für die FDP, überhaupt in den Landtag eines ostdeutschen Bundeslands gewählt worden zu sein. Seit der Wiedervereinigung hatten es die Liberalen eher schwer, in diese Parlamente einzuziehen. Das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler nun dazu zu nutzen, um auf Teufel komm‘ raus in der Regierung zu sitzen – das ist für die FDP schon einmal nach hinten losgegangen.

Diese Schwächung der Opposition hat aber noch einen anderen Effekt. Die Oppositionsführerin AfD hat nach der Fahnenflucht der FDP nun noch mehr Gewicht. Mit einem Konkurrenten weniger in der Opposition wird es ihr noch leichter fallen, sich als einzige wählbare Alternative zu gerieren.

Dokumentierte Treue

Über ihren vermeintlichen Wahlsieg im Juni kann sich die CDU also nach wie vor nicht freuen. Der Abstand zur AfD ist zwar größer als erwartet, doch besonders in der CDU brodelt ein Richtungsstreit, der Haseloff einige Stimmen gekostet hat. Großes Streitthema in der Fraktion ist der Umgang mit der AfD. Haseloffs Brandmauerpolitik gefällt nicht jedem. Dieser Zwist wird einer der Gründe dafür sein, warum Haseloff im ersten Wahlgang insgesamt acht Stimmen abhandengekommen sind.

Um sich keinem falschen Verdacht auszusetzen, sah sich mindestens ein Abgeordneter der CDU beim zweiten Wahlgang dazu genötigt, seinen Stimmzettel mit dem Kreuz für Rainer Haseloff zu fotografieren. Diesen fragwürdigen Treueschwur nutzen die Grünen nun dazu, um gegen die Wahl vorzugehen. In jedem Fall verdeutlicht dieser Vorgang den Riss, der durch die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt geht.

Auf wackeligen Beinen

Die wackelige Mehrheit, auf die sich Rainer Haseloff beruft, ist kein neues Phänomen. Seit Jahren verlieren rechnerische Mehrheiten nach Parlamentswahlen an Bedeutung. Immer wieder mussten gestandene Politiker erleben, wie sie von Gefährten aus den eigenen Reihen zu Fall gebracht wurden. Erinnert sei hier nur an den traurigen Fall von Heide Simonis (SPD). Einer der ihren verweigerte ihr in insgesamt vier Wahlgängen die Unterstützung und führte damit die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein vor.

Auch die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel musste die Erfahrung machen, dass ihre Koalition nicht geschlossen hinter ihr steht. Bei ihrer Wiederwahl zur deutschen Bundeskanzlerin am 14. März 2018 fehlten ihr insgesamt 35 Stimmen. Selbst bei einer Großen Koalition ist diese Differenz bemerkenswert.

Eine Regierung für alle?

Diese unsteten Mehrheiten zeigen, dass es den Parteien zunehmend schwerfällt, die politischen Kräfte in klassischen Mehrheitskoalitionen zu bündeln. Oft wird in diesem Atemzug die AfD genannt, die die politische Ordnung durcheinanderbringt. Man rechtfertigt übergroße Koalitionen wie in Sachsen-Anhalt damit, dass sich die demokratischen Parteien gegen die AfD zusammenschließen müssten.

Die Verteidigung der Demokratie ist durchaus eine wichtige Aufgabe aller demokratischen Parteien. Eine Regierung sollte aber nicht nur den Kampf gegen die Undemokraten in einer Gesellschaft im Blick haben, sondern vor allem die Bedürfnisse der breiten Mehrheit. Bei zu großen Regierungskoalitionen schauen viele Menschen schnell in die Röhre. Unter dem Vorzeichen des Kompromisses ist es der Politik dann nicht mehr möglich, der politische Vielfalt in der Bevölkerung angemessen Rechnung zu tragen.

Angewandte Demokratie

Im übrigen könnten die Parteien der AfD auch ohne künstlich erzeugte Mehrheiten etwas entgegensetzen. Jenseits von Regierungsmehrheiten ist ein Zusammenschluss in Einzelfragen durchaus möglich. Das Stichwort ist hier „Toleranz“. Diese Toleranz kann sogar so weit gehen, dass die Parteien eine Regierung akzeptieren, die auf keine parlamentarische Mehrheit kommt. In Sachsen-Anhalt könnte davon besonders die FDP profitieren, die weiterhin keine Abstriche aus Rücksicht auf eine Koalition nehmen müsste.

Solche Minderheitsregierungen würden dem Wunsch vieler Menschen im Volk entsprechen. Die Parteien müssten wieder echte Überzeugungsarbeit leisten. Es würde wieder eine lebendige Diskussion stattfinden. Die Hetzer von rechts hätten es schwerer, vom politischen Einheitsbrei zu faseln. In Zeiten, in denen es immer schwerer wird, stabile Mehrheiten zu bilden, wäre eine solche Lösung ein wahrer Gewinn für die Demokratie. Dieser Weg wäre ausdrücklich kein Einknicken vor der AfD. Viel eher würde man den Wunsch in der Bevölkerung nach Unterscheidbarkeit der Parteien ernstnehmen. Im Kampf für die Demokratie helfen keine Machtdemonstrationen. Es braucht Demokratiedemonstrationen.

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