Freifahrtschein ins Establishment

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Bei der EU-Wahl vom 9. Juni erlebte Die Linke eine herbe Klatsche. Mit weniger als 3 Prozent an Zustimmung kratzt sie an der politischen Bedeutungslosigkeit. Der Weg nach unten zeichnete sich lange ab: personelle Querelen, eine Abspaltung und die schiere Hilflosigkeit gegenüber der AfD begleiteten die Partei bei ihrem kontinuierlichen Abstieg. Die Bemühungen, den linken Parteiflügel der Grünen zu ersetzen, waren das Eintrittsticket der einstigen Protestpartei ins Establishment.

“Die Linke als sozialistische Partei steht für Alternativen, für eine bessere Zukunft.“ So beginnt das bis heute gültige Erfurter Programm der Linken. Selten hat ein Programm dem Test der Zeit so wenig standgehalten wie das Grundsatzprogramm dieser einst stolzen Protestpartei. Nicht nur die Wahlergebnisse gingen seit 2011 fast kontinuierlich in den Keller, auch inhaltlich haben die Ex-Sozialisten einen bemerkenswerten Wandel vollzogen.

Der „Schön wär’s“-Wahlkampf

Gerade im Wahlkampf begegnet man vielen pointierten Losungen wie „Mieten runter“, „Waffen schaffen keinen Frieden“ oder „Gegen Hass und rechte Hetze“. Währenddessen machen sechsarmige Krankenschwestern auf die unmenschliche Belastung in Pflegeberufen aufmerksam. Die Umfrageergebnisse der Linken geben trotzdem nicht viel her.

Doch auch zwischen den Wahlen legen sich die Linken mächtig ins Zeug. Die letzten Monate des Jahres 2022 sollten als der „heiße Herbst“ in die Geschichtsbücher eingehen. Massenproteste, Streiks und Demonstrationen waren aber fast nirgends zu sehen. Die niederschmetternden Wahlergebnisse und die ausbleibende Mobilisierung sind auch überhaupt kein Wunder. Die Menschen vertrauen dieser Partei nicht mehr. Sie empfinden ihr angebliches Angebot nicht mehr als glaubwürdig. In der Folge wandern sie ab.

Klare Prioritäten

Überraschend ist das nicht. Obwohl viele Wahlslogans in bekannter linkspopulistischer Manier daherkommen, waren es vor allem personelle Entscheidungen, die den Niedergang der Linken eingeläutet haben. Indem man Chiffren wie Carola Rackete, Katja Kipping, Bernd Riexinger und andere in Spitzenpositionen hievte, vollzog man auch einen thematischen Kurswechsel. Tonangebend in der Partei sind heute Leute, die soziale Gerechtigkeit zwar toll finden, deren Verwirklichung aber vor Zielen wie Gendergerechtigkeit, offenen Grenzen und einer möglichst vielfältigen Gesellschaft zurücktreten muss.

Einige Genossinnen und Genossen haben das im Laufe ihrer Parteilaufbahn begriffen und früher oder später das Weite gesucht. Manche davon haben zwischenzeitlich einen eigenen Laden aufgemacht. Andere hingegen kommen von der Partei nicht los – wer könnte es ihnen nach teils jahrzehntelangem Engagement verdenken? Ehrenwerte Persönlichkeiten wie Gesine Lötzsch und Gregor Gysi werden sich aber noch umschauen.

Protest von gestern

Der einstige Erfolg der Linken war keineswegs selbstverständlich. Nach dem Verlust des Fraktionsstatus‘ nach der Bundestagswahl 2002 war davon auszugehen, dass die damalige PDS wieder auf das Niveau einer ostdeutschen Protestpartei zusammenschrumpft. Dann kamen Hartz IV und der Zusammenschluss von PDS und WASG. Eine neue starke linke Kraft war geboren. Sie bot den etablierten Parteien Paroli und verfehlte ihre Wirkung insbesondere in den Anfangsjahren nicht. Die Kommentierung der Parteifusion war teils polemisch und von einer Abneigung gegen einst politische Weggefährten geprägt. Heute freilich wurde Die Linke als die Angstfigur auf der politischen Bühne von anderen abgelöst.

Die Krone der tonangebenden Gegenmeinung hat Die Linke auf ihrem Weg ins Establishment nur allzu bereitwillig abgegeben. Um als mögliche Regierungspartei mitmischen zu können, hat sie sich inzwischen gut im immer enger werdenden geduldeten Meinungsspektrum eingerichtet. Sie ist die nervige Cousine, neben der niemand bei der Geburtstagsfeier sitzen möchte, aber die trotzdem irgendwie dazugehört. Selbst Finanzminister Christian Lindner (FDP) riet bei einer Bürgerveranstaltung Wahl der Linken, wenn man mit der herrschenden Politik nicht einverstanden sei. Vom Vorsitzenden der Reichenpartei zur Zweckopposition geadelt – noch tiefer kann man als angeblich sozialistische Partei nicht sinken.

Willkommen im Establishment!

Der Parteispitze der Linken ist das indes egal. In der Hoffnung, irgendwann einmal in den Genuss von Ministerposten auf Bundesebene zu kommen, führt sie weiter ein vermeintlich richtiges Leben im falschen. Anstatt sich der realen Gefahr bewusst zu werden, nach der nächsten Bundestagswahl nicht einmal mehr gewöhnliche Abgeordnetensitze abstauben zu können, zelebriert die Partei unbehelligt ihre Aufnahme ins Establishment.

Fragwürdiger Post: Mit Vollkaracho in die Bedeutungslosigkeit (Quelle: X)

So machte der thüringische Landesverband der Partei in den sozialen Medien allen Ernstes Stimmung gegen die „Putinfreunde[…] von AfD und BSW“. Sie stieg damit unreflektiert in den Kanon des Mainstreams ein, der sich mittlerweile bei seinen Diffamierungen und Verunglimpfungen gegen Andersdenkende immer aggressiver zu überbieten versucht. Perverser kann man nicht zur Schau stellen, dass man verlernt hat, unbequem zu sein.

Die Alarmsignale wurden nicht gehört. Die Linke verliert seit Jahren eine Wahl nach der anderen. Der Erfolg in Thüringen ist ein Ausreißer nach oben und einzig und allein dem Sympathieträger Bodo Ramelow zu verdanken. Bei der gerade zurückliegenden EU-Wahl halbierte die Partei ihr blamables Ergebnis von 2019 sogar noch einmal. Auch wenn die Parteifunktionäre auf Biegen und Brechen etwas anderes beschwören: In solchen Wahlergebnissen liegt die Zukunft dieser Partei.

Satellit der Grünen

Die Partei Die Linke ist heute nichts weiter als der verlängerte Arm des linken Parteiflügels der Grünen. Dieser findet in seiner eigenen Partei schon lange kein Gehör mehr und muss sich des ehemals sozialistischen Satelliten bedienen. Erfolgreich sind die Linken damit besonders in den westdeutschen Bundesländern. Gerade in Großstädten ist sie beliebt wie selten. Sie holt dort ebenjenes hippe Milieu ab, das sich immer mehr von den Grünen abwendet. Dazu passt, dass sie einzig von den Grünen Stimmengewinne für sich beanspruchen kann.

Solange die eher bürgerlichen Kräfte bei den Grünen so stark wie jetzt sind, stehen die Chancen gut, dass die Linken bei künftigen Wahlen zumindest einen eigenen Balken bekommen. Zögen die Grünen allerdings aus dem Desaster vom 9. Juni den Schluss, wieder eine soziale Agenda zu fahren, sieht es für Wissler, Schirdewan und Co. düster aus. Dann dürfte selbst der hart errungene neue Posten in Gefahr sein: die Stärkste unter den Schwächsten.

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Mehr als schlechte Laune

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Die deutschen Bürgerinnen und Bürger sind nicht zufrieden. Sie sind nicht zufrieden mit dem öffentlichen Personenverkehr, mit dem Umgang mit Landwirten, mit dem Zustand vieler Schulen, der medizinischen Versorgung oder mit der allgemeinen wirtschaftlichen Situation. Deswegen gehen sie in großer Zahl auf die Straße, mittlerweile auch, um einer befürchteten rechten Machtergreifung zuvorzukommen. Viele dieser berechtigten Proteste schieben weite Teile der Politik auf chronische schlechte Laune. Damit beweisen solche Politiker erneut eindrucksvoll, dass sie den Bezug zu den Menschen lange verloren haben. Die vielen Demonstrationen der letzten Monate sind Zeichen einer potenziell lebendigen Demokratie, aber auch einer gefährlichen Vernachlässigung von Wählerinteressen.

[Hier Name einfügen] muss weg!

“Die Eisenbahn ist kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr.“ Mit diesem einen längst realen Zustand beschreibenden Credo schwur Klaus Weselsky die deutsche Bevölkerung im letzten Monat auf eine lange Streikphase bei der Deutschen Bahn ein. Der gefühlt endlose Tarifkonflikt der DB reiht sich nahtlos ein in eine ähnliche Protestbereitschaft bei verdi, Landwirten, Apothekern und mittlerweile sogar bei der Breite der Bevölkerung, die empört gegen rechtsextreme Deportationsfantasien auf die Straße geht. Am 1. März schließlich machten unterschiedliche Akteure bei einer gemeinsamen Demo ihrem Unmut Luft. Die klare Botschaft: Die Regierung macht einen miesen Job.

Tatsächlich lässt sich bei der steigenden Demonstrationsbereitschaft der letzten Jahre eine Veränderung beobachten. Immer seltener geht es um konkrete Sachthemen mit einem klaren Adressaten. Stattdessen belegen schon die zahlreichen Protesttransparente und -banner, dass es den Demonstranten um etwas größeres geht. Mit ihren lauten und zahlenstarken Auftritten stellen sie die Regierung und die herrschende Politik insgesamt in Frage. Keiner dieser Aufmärsche kommt mehr ohne solche Schilder aus, welche die komplette Regierung zum Rücktritt auffordern.

Nur ein Gefühl?

Der Frust über die politischen Verhältnisse kommt allmählich in der Mitte der Gesellschaft an. Vor wenigen Jahren waren Demos, welche die Regierung als ganzes an den Pranger stellten, noch als rechts verfemt. Heute sind solche Protestbekundungen eher die Norm.

Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass über ihre Köpfe hinweg Politik gemacht wird. Das zumindest wird ihnen eingeredet – es ist nichts weiter als ein Gefühl. Sie seien selbst schuld, wenn sie Rattenfängern wie der AfD auf den Leim gingen und die hervorragende Regierungsarbeit nicht zu schätzen wüssten. Mit jeder dieser Ferndiagnosen von eingebildeter schlechter Laune schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in die herrschende Politik ein wenig mehr. Denn konkretes Regierungshandeln wie die verpfuschte Energiepreisbremse, der lächerlich lange Zoff um die Finanzierung des Deutschlandtickets und das Bonbon der Cannabislegalisierung führen den Menschen ein ums andere Mal vor Augen, dass die Regierung den Blick für das Wesentliche längst verloren hat.

Wenn sie dann auf sich aufmerksam machen und gegen dieses Staatsversagen auf die Straße gehen, wird ihnen in vielen Fällen leichtfertig eine offene Flanke nach rechts außen vorgeworfen. Dabei tun sie nur das, was eigentlich Job der Regierung wäre: Sie fordern demokratische Teilhabe ein und wenden sich inzwischen sogar offen gegen die Feinde der rechtsstaatlichen Verfassung.

PR-Gag für Rechts

Die Notwendigkeit für Massendemos gegen die bekanntgewordenen Deportationspläne der AfD und anderer Rechtsextremisten sind ein Zeugnis völligen Politikversagens. Es ist um unser Land und unsere Demokratie inzwischen so schlecht bestellt, dass es die widerwärtigsten Kreaturen vom rechten Rand fast 80 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager tatsächlich wagen, halböffentlich über die Verschleppung von Menschen zu sprechen, die ihrer Ansicht nach nicht zu Deutschland gehören. Die große Mehrheit der Gesellschaft hält entschlossen dagegen und zeigt Rechtsaußen sehr deutlich, was sie von solchen menschenverachtenden Plänen hält. Führende Köpfe der Koalitionsparteien und Mitglieder der Bundesregierung nehmen die Proteste wohlwollend zur Kenntnis und reihen sich teilweise in die Demozüge ein. Nicht im Traum kommen sie auf die Idee, ihre Mitverantwortung für diese fatale Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen.

Stattdessen pendelt die Regierung zwischen hilflosem Gebaren und blindem Aktionismus hin und her. Mit Prestigeprojekten wie der Cannabislegalisierung versucht sie Wahlversprechen einzulösen, die einer beträchtlichen Zahl an Menschen am Allerwertesten vorbeigehen. Aber nicht einmal bei diesem Klientelgeschenk denkt die Ampel weiter als bis zum nächsten Parteitag. Wichtige Frage wie Kontrollen, Grenzwerte und grundsätzliche Praktikabilität sind bei Verkündung des Gesetzes ungeklärt und offenbaren wie schon bei anderen Vorhaben die völlige Planlosigkeit dieser Truppe.

Demokratie von oben

Jedenfalls erkennt die Regierung, dass die Stimmung am Brodeln ist und insbesondere der rechte Rand vom Unmut profitiert. Statt aber die Ursachen für diese Entwicklung zu beheben, werden flugs ein paar Demokratiefördergesetze aus der Taufe gehoben, die den Bezug zur Wirklichkeit ein weiters Mal vermissen lassen. Es mag wie ein edles Ansinnen daherkommen, wenn die Regierung die Demokratie fördern will, es ist aber sicher nicht ihre Aufgabe, der Bevölkerung zu erklären, wie Demokratie funktioniert. Das Volk bestimmt in unserem Land, wie der Hase läuft. Alles andere ist übergriffig und anmaßend.

Es stellt sich zudem die Frage, wie die Demokratie durch ein Gesetz geschützt werden soll. Demokratie lässt sich nicht verordnen oder vorschreiben, sie wird jeden Tag neu ausgehandelt und erkämpft. Wenn die Bürgerinnen und Bürger in großer Zahl auf die Straße gehen und der Bundesregierung Versagen und Inkompetenz vorwerfen, dann ist das ihr gutes Recht. Es ist mehr als frech, ihnen dafür Rechtsoffenheit oder gar Extremismus vorzuwerfen. Am Ende stärkt man damit nur solche Kräfte, die man eigentlich bekämpfen will.

Die Regierung hat nicht begriffen, dass Verbote und Denunziationen nicht dazu beitragen, den Extremismus in den Griff zu kriegen. Beamte und Richter, bei denen Zweifel an der Verfassungstreue bestehen, aus dem Dienst zu entfernen, mag ein wichtiges Signal sein, löst aber nicht das zugrundeliegende Problem. Eine Politik, die sich im Laufe der Jahre immer weiter von den Bürgerinnen und Bürgern entfernt hat, trug dazu bei, dass solche Demokratiefeinde heute auf so großes Interesse stoßen. Alle Politiker sollten für die Proteste auf den Straßen eigentlich dankbar sein und den Menschen endlich wieder zeigen: Wir hören euch.


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Schlechte Stimmung

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Über Umwege nach rechts

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Donald Trump möchte wieder Präsident der USA werden und hat jüngst einen Vorgeschmack darauf gegeben, was das bedeuten würde: NATO-Länder, die nicht genug Geld in Waffen und Aufrüstung stecken, könnten keine US-amerikanische Hilfe erwarten, sollte zum Beispiel Russland sie angreifen. Der deutsche Verteidigungsminister schwört die Bevölkerung indes auf den Krieg ein, andere Politiker versuchen auf Biegen und Brechen, den wilden Pistorius zu überbieten. Die Ostermärsche bleiben stattdessen verwaist, andere Friedensinitiativen werden in die rechte Ecke gestellt. Währenddessen tobt in der Ukraine weiterhin ein brutaler Krieg. Trotz all dieser offensichtlichen Fehlentwicklungen ist ein Einlenken nicht in Sicht.

In der richtigen Partei?

Wir leben in der Ära des linken Zeitgeists. Falsch. Auch wenn AfD, Querdenker & Co. dies immer wieder beschwören, belegt die Realität etwas anderes. Wir leben in einer Zeit, in der die politische Rechte immer mehr Zuspruch findet. Rechte Parteien sind quasi allgegenwärtig: in den Medien, in den Parlamenten, in manchen Ländern sogar auf dem Regierungssessel. Die jüngsten Äußerungen des nächsten US-Präsidenten Donald Trump haben eindrucksvoll demonstriert, dass rechte Werte – Nationalismus, Aufrüstung, Krieg – weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind.

Entlarvend sind jedoch weniger die konkreten Äußerungen des vorbestraften Multimilliardärs, sondern die prompten Reaktionen darauf. EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley (SPD) brachte nämlich sogleich die Idee einer europäischen Atombombe ins Spiel. Es gab Zeiten, da wäre sie für solche Äußerungen aus der Partei herausgeworfen worden.

Zweierlei Maß

Die Ankündigung Trumps, nur solchen NATO-Staaten zu helfen, die sich an das 2-Prozent – Ziel hielten, hat zu einem entsetzen Aufschrei geführt. Erschrocken stellte man fest, dass man unter Trumps erneuter Präsidentschaft dem Russen schutzlos ausgeliefert wäre. Viel leiser ist dagegen die Entrüstung darüber, dass uns Trump brachial dazu zwingen will, noch mehr Geld in Waffen und Militär zu verpulvern.

Doch nicht nur in den USA und der EU macht sich diese kriegsbegeisterte Haltung breit. Auch die deutsche Regierung unterwirft sich nahezu devot dieser militaristischen Logik. Flugs wird ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur militärischen Unterstützung der Ukraine aus den Ärmeln geschüttelt. Die Schuldenbremse soll ausgesetzt werden, weil die Bundesregierung nicht mit Geld umgehen kann.  Auf solch ein entschlossenes Handeln wartet man bei Krisen wie der Kinderarmut, der immer schlimmer werdenden Wohnungsnot und der beschämenden Bildungsmisere vergebens. So viel zum linken Zeitgeist.

Fehlende Ansprache

Ganz Deutschland will den Krieg. Das könnte man meinen, schaut man sich die Beteiligung an Friedenskundgebungen und Mahnwachen gegen den Krieg an. In kleineren Ortschaften und Gemeinden sucht man solche Veranstaltungen meist vergebens, in größeren Städten versammeln sich überwiegend ältere Herrschaften und Alt-68er hinter den Transparenten, die für den Frieden werben.

Hat die junge Generation einfach kein Interesse an Abrüstung und Diplomatie? Sicher nicht. Ihr fehlt schlicht die richtige Ansprache, um für den Frieden auf die Straße zu gehen. Wie viel politische Gestaltungskraft in den jungen Menschen steckt, zeigen Bewegungen wie Fridays for Future oder die Letzte Generation. Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Anliegen, dem sich viele Parteien mittlerweile angenommen haben. Beim Frieden sieht es dagegen mau aus. Manche Parteien waren an Abrüstung nie interessiert, andere mutieren angesichts der russischen Bedrohung zu wahren Kriegsfanatikern.

Ein altes Trauma

Wer für den Frieden einsteht, wird heute verlacht und manchmal sogar als Putinknecht beschimpft. Bei solchen Voraussetzungen ist es nur naheliegend, dass insbesondere junge Menschen keine Lust haben, dafür zu demonstrieren. Welche Begeisterungskraft der Frieden noch immer entfalten kann, zeigt hingegen der Zustrom beim sogenannten „Aufstand für Frieden“, den vor gut einem Jahr Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiiert hatten. Vieles geschieht also unter dem Radar, es braucht nur den entscheidenden Anstoß. Es ist fatal, wenn man diesen Anstoß zum Frieden der extremen Rechten überlässt.

Stattdessen diskutieren die meisten Parteien heute ungeniert über Krieg und Aufrüstung. Viele von ihnen sind nicht wiederzuerkennen. In ihrer nahezu grenzenlosen Kriegsbesoffenheit überholt die einstige Friedenspartei Die Grünen heute nur noch der verlängerte Arm der Rüstungsindustrie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Auch die SPD ist der Lust auf Tod und Zerstörung mittlerweile hoffnungslos erlegen. Offensichtlich leidet die ehemalige Volkspartei noch immer unter dem Trauma von vor über 100 Jahren, als ihr vorgeworfen wurde, aus vaterlandslosen Gesellen zu bestehen, weil sie das Sponsoring des Ersten Weltkriegs ablehnte. Das Rückgrat dieser Partei ist irreparabel zerstört, bestes Beispiel dafür ist Kriegsminister Boris Pistorius.

Fähnchen im Wind

Wenn sich alle Parteien so einig sind, ist es kein Wunder, dass sich die Menschen einen Weg suchen, ihren Widerspruch zu artikulieren. Die AfD hatte schon immer ein verdammt gutes Gespür dafür, welche Stimmungen sie für ihre Zwecke ausnutzen kann. Während das Gros der Parteien hinsichtlich des neuartigen Coronavirus nicht in Hysterie ausbrechen wollte, forderte die AfD lautstark flächendeckende Lockdowns. Kaum war das umgesetzt, war die Forderung von gestern ein nicht hinnehmbarer Einschnitt der bürgerlichen Rechte. Genau die gleiche Dynamik legen die Rechtsextremen auch beim russischen Angriff auf die Ukraine an den Tag. Die Themen sind völlig austauschbar. Es zählt einzig, dass sich „die anderen“ viel zu einig sind. In gewisser Weise ist die AfD das Produkt einer Gesellschaft, die aufgehört hat, miteinander zu sprechen.

Diese gesellschaftliche Zerrüttung ist Grundvoraussetzung für das Erstarken extremistischer Kräfte. Es ist Unsinn, von rechtsextremen Wählern zu sprechen, wo sollen die ganzen Nazis denn plötzlich herkommen? Wenn wir nicht endlich wieder anfangen, uns gegenseitig zuzuhören und ernstzunehmen, wird sich an der Spirale des Hasses kaum etwas ändern. Dann werden in Zukunft auch weiterhin sehr rechte Ideologien über Umwege die Debatte beherrschen. Themen wie Krieg, Sozialabbau und Waffenlieferungen sind heute tonangebend. Es ist lachhaft, von einem linken Zeitgeist zu sprechen.

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