Sommer, Sonne, Sonnenschein

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Wochenlang hatten wir unsere Ruhe vor ihr, jetzt feiert sie ihr düsteres Comeback: die Reproduktionszahl. Beachtlich lange schienen wir das Virus gut im Griff zu haben. Die Fallzahlen waren rückläufig, die Maßnahmen schienen zu fruchten. Seit wenigen Wochen allerdings wendet sich das Blatt. Die Infektionszahlen schießen erneut in die Höhe, ganze Betriebe machen zu, Gemeinden werden abgeriegelt. Wir haben es einer gefährlichen Minderheit in der Bevölkerung zu verdanken, dass uns mitten im Hochsommer eine zweite Welle der Pandemie droht.

Blick in die Zukunft oder Hokus Pokus?

In ihrem Buch End of Days schrieb die Autorin Sylvia Browne bereits vor zwölf Jahren von einer Seuche, die Lunge und Atemwege angreifen und die Welt im Jahr 2020 in einem bisher unbekannten Ausmaß heimsuchen würde. Die Symptome und Krankheitsverläufe, welche die amerikanische Schriftstellerin in ihrem Roman beschreibt, haben eine erschreckende Ähnlichkeit mit dem Coronavirus von heute. War Browne also eine Hellseherin? Oder hat sie einfach nur ins Blaue geraten und zufällig einen Volltreffer gelandet? Immerhin lagen zwischen der Veröffentlichung ihres Buches und dem Auftreten erster Coronafälle rund elf Jahre. Ihre Geschichte nimmt übrigens eine unvorhergesehene Wendung: Das Virus verschwindet so abrupt wie es aufgetaucht ist. Spätestens jetzt werden die meisten die Hoffnung aufgegeben haben, dass die Dame über hellseherische Fähigkeiten verfügte.

Denn ein Ende der Pandemie ist in der Realität weiter nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Infektionszahlen schießen auch in Deutschland seit Wochen wieder in die Höhe. Die Lockerungen des Lockdowns haben einige wohl zu dankbar angenommen. Unvorsichtige Auslandsreisende und leidenschaftliche Falschträger der Maske tun ihr übriges. Dabei glaubten viele, gerade der Sommer würde das Ende der Pandemie einläuten. Doch Pustekuchen: Neuere Untersuchungen ergaben, dass weder höhere noch niedrigere Temperaturen dem Virus wirklich beikommen. Kein Wunder also, dass das Virus in so manchem Fleischereibetrieb bei dichtem Gedränge und kühlen Temperaturen so wüten konnte. Leider auch kein Wunder, dass es außerhalb von Tönnies & Co. bei Außentemperaturen von über 30 Grad weiter so gut gedeihen kann.

Mit Hein Blöd am Tisch

Spätestens die Demonstranten von Berlin haben vielen die Hoffnung auf einen Schönwetter-Sieg zunichtegemacht. Das Virus kann nicht einfach so ad acta gelegt werden, wenn es Menschen gibt, die durch ihr unverantwortliches Handeln die große Mehrheit in Gefahr bringen. Virologen empfehlen zwar, die Maske regelmäßig bei mindestens 60 Grad gründlich auszuwaschen, aber 30 Grad im Schatten sind eben lange keine 60 Grad. Auch wenn selbst hohe Außentemperaturen alles andere als ideal für die Ausbreitung des Virus sind, bedarf es weiter einer strikten Einhaltung der Hygienemaßnahmen. Andernfalls verbreitet sich das Virus auch bei sommerlichen Temperaturen viel zu gut.

Es ist aber auch überhaupt nicht verwunderlich, dass sich das Virus beinahe unbehelligt trotz hoher Temperaturen so ungeniert weiter ausbreitet. Klar kann man sagen, die Lockerungen im gastronomischen Bereich kamen zu früh. Doch gerade im Sommer sollten diese Angebote bei Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln kein zu großes Problem sein. Wenn doch einmal eine Infektion auftritt, können Ketten dank modernster Datenerfassung auf Kritzelblöcken umfassend und vollständig ermittelt und zeitnah abgeschnitten werden. Soweit die Theorie.

In der Praxis kann man durchaus von einem neuen Datenskandal reden. Teilweise liegen die Zettel mit Name, Anschrift und Telefonnummer minutenlang unbeaufsichtigt auf den Plätzen, nachdem die ahnungslosen Datenspender ihren Platz verlassen haben und laden zu allerlei Schabernack damit ein. Wie die Gastronomen dann die gesammelten Zettel aufbewahren, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Und dann gibt es noch solche Spezialisten, die es ganz besonders lustig finden, sich auf den einseitigen Gästebüchern als Hein Blöd oder Donald Duck zu verewigen. Das meinen sie natürlich bitterernst, schließlich muss man der grenzenlosen Ergaunerung der Daten konsequent entgegentreten. Sehen deren Follower auf Instagram, Tinder und WhatsApp übrigens genau so.

Für die Grundrechte, gegen die Verantwortung

Und währenddessen werden vor allem die Abstandsregeln munter gebrochen. Die Schlangen an Supermarktkassen schrumpfen spürbar immer weiter in ihre einstige Länge vor Corona. Abertausende von Schuhsohlen haben die Abstandsstriche auf den Fußböden der Einzelhändler in den letzten Monaten bis zur Unkenntlichkeit weggewetzt. Dem gemeinen Deutschen ist es in aller Regel nicht zuzutrauen, 1,50 Meter per Augenmaß zu bestimmen.

Natürlich hat all das nichts mit den steigenden Infektionszahlen zu tun. Schuld daran sind einzig und allein die Bekloppten vom Ballermann. Es ist auch so einfach, mit falschsitzender Maske vor dem Fernseher zu sitzen und ungläubig den Kopf zu schütteln, während das Partyvolk auf den Balearen in der Tagesschau munter über die Mattscheibe tänzelt. Aber ich muss diese Empörten leider enttäuschen: Auch wenn die Ballermänner und -frauen in erheblichem Maße zu höheren Krankheitsfällen beitragen, laden solche Exzesstäter immer dazu ein, die eigene Verantwortung auszublenden. Diese Urlauber mögen das Virus nämlich wieder ins Land einschleppen – verbreiten tun es aber die, die bei aller Empörung über die wildgewordenen Corona-Touris die eigene Verantwortung am Gemeinwohl ebenfalls mit Füßen treten.

Viele steigen mit falschsitzender oder sogar ganz ohne Maske in den Bus. Andere bemerken unterwegs, dass sie daheim kein Brot mehr haben. Der Supermarkt liegt auf dem Weg, also schnell noch reingehuscht. Dass man dieses eine Mal ausnahmsweise keine Maske trägt, wird schon nicht so schlimm sein, man ist immerhin gleich wieder raus. Zum Glück sind solche Leute weiterhin in der Minderheit. Aber Minderheit bedeutet nicht immer ungefährlich. Und auch die Masken der Vorbildlichen sind kein Universalschutz. Wie wildgewordene Spermien in einem Raum voll löchriger Kondome steuern diese Virenschleudern vom Eingang zum Feinkostregal, in Richtung Kasse und dann zum Ausgang. Zahl geglückter Befruchtungen: 4.

Vor dem heimischen Fernseher sitzen sie dann wieder ganz ungläubig, wenn Susanne Daubner um 20 Uhr von steigenden Infektionszahlen und strengeren Schutzmaßnahmen redet. Eine bodenlose Unverschämtheit. Schnell auf die Straße, um lauthals für die Grundrechte einzustehen. In Berlin ist eine großangelegte Demo? Nix wie hin! Und so tummeln sich zigtausende Hygienedemonstranten dicht an dicht und im Regelfall ohne Maske, um den Angriff auf ihre Bürgerrechte abzuwehren. Verbissen wollen sie eines unbedingt verhindern: einen zweiten Lockdown. Sie sehen nicht, dass es gerade ihr absurd unvorsichtiges Verhalten ist, das ebendiesen immer wahrscheinlicher macht.

Ein Teufelskreis

Die Angst vor einem neuen Lockdown ist übrigens berechtigt. Der alte hat schließlich viele Arbeitsplätze gekostet, tausende Menschen stecken weiterhin in Kurzarbeit. Kleinere Unternehmen kämpfen ums Überleben, von Solo-Selbstständigen will ich gar nicht anfangen. Man muss weder Hellseher noch Star-Ökonom sein, um zu sehen, dass unsere Wirtschaft einen zweiten Lockdown nicht überstehen würde.

Trotz allem war der Lockdown im Frühjahr eine Maßnahme, um die Bevölkerung vor dem verheerenden Virus zu schützen. Die Demonstranten von Berlin und anderswo sehen das nicht so. Einige von ihnen halten das Virus für eine reine Erfindung, die meisten die getroffenen Maßnahmen zumindest für maßlos übertrieben. Dieses Konglomerat aus Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen, Impfgegnern und wer weiß was sonst noch ist viel zu wenig an der Wahrheit interessiert. Tatsächlich weist diese ungesunde Mischung eine noch höhere Resistenz gegenüber der Wahrheit auf als es das Virus gegen die getroffenen Maßnahmen tut. Sie sehen einen weiteren Lockdown als willkürliche staatliche Schikane, die das pöbelnde Volk mundtot machen soll. Aber wie soll man von solchen Menschen erwarten können, dass sie zeitweise auf Cafés, Bars und Restaurants verzichten, wenn sie es noch nicht einmal schaffen, den gebotenen Mindestabstand zu halten?

Stattdessen ziehen diese verantwortungslosen Bürger laut, aber offensichtlich taub weiter und merken nicht einmal, welchen Teufelskreis sie anstoßen. Jedes Mal, wenn sich ein solcher Pulk zusammenfindet, um Freiheit, Gerechtigkeit und Grundrechte zu verteidigen, rücken ihnen die strengeren Schutzmaßnahmen ein wenig näher auf die Pelle. Dann empfinden sie die Maßnahmen noch eher als Repression und wehren sich noch vehementer dagegen. Die Infektionszahlen steigen währenddessen ungebremst.

Es tobt der Hamster…

Je heftiger die Hygienedemos durch unser Land wüten desto wahrscheinlicher wird ein zweiter Lockdown. Das hätte Folgen. Denn bereits bei der ersten Welle der Pandemie herrschte in vielen Supermärkten der Ausnahmezustand. Wochenlang herrschte gähnende Leere bei Nudeln, Suppenkonserven und Toilettenpapier. Diese Hamsterkäufe waren keine Begleiterscheinung des ersten Lockdowns. Sie waren der Vorbote. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was im deutschen Einzelhandel los wäre, wenn ein zweiter Lockdown tatsächlich unmittelbar bevorstünde. Dieses Mal wissen die Leute, was sie erwartet. Das kann durchaus zusätzlicher Ansporn sein, dieses Mal noch hemmungsloser shoppen zu gehen.

Dazu kommt, dass die Menschen wissen, welch verheerende Konsequenzen ein zweiter Lockdown für Wirtschaft und Arbeitsmarkt hätte. Die Folgen des ersten Lockdowns sind schließlich noch nicht einmal im Ansatz verdaut. Die Angst vor dem Totalkollaps der Wirtschaft kann eine wichtige Rolle spielen, wenn es zu einer weiteren Welle an Hamsterkäufen kommt. Dann werden sich aber auch Einkaufsmöglichkeiten zu Hotspots bei der Virenverbreitung entwickeln.

Umso wichtiger ist es, so frühzeitig wie möglich, Maßnahmen zu ergreifen, um Zustände wie im Frühjahr zu verhindern. Noch bevor der erste Hamster aus seinem Schlummer erwacht, müssen Einlass- und Ausgabebeschränkungen her. Diese suggerieren zwar einen Notstand und könnten Einkäufe herausprovozieren, verhindern aber im gleichen Moment anarchische Zustände in den Läden. Anfang des Jahres kauften die Menschen tagelang ungebremst die Regale leer. Mit rechtzeitigen Beschränkungen kann man den Zeitpunkt leerer Regale zumindest hinauszögern. Anders ist der Minderheit der Rücksichtslosen und Bequemen leider nicht beizukommen. Denn immerhin haben es gerade solche Leute geschafft, mitten im Hochsommer eine zweite Welle der Pandemie loszutreten.


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Wenn Verdrängen absichtlich passiert

Lesedauer: 9 Minuten

Könnte der Mensch nicht verdrängen, würde er keinen Millimeter nach vorne kommen. Die Fähigkeit, störendes auszublenden, ist Fluch und Segen zugleich. Zwar hilft es uns, besonders traumatische Ereignisse aus den Gedanken zu verbannen, andererseits verleitet uns das aktive Verdrängen oft zu ausgesprochen unvorsichtigen Taten. Denn wir Menschen sind unvorstellbar gut im Verdrängen. Die Probleme werden oftmals nicht einmal dann angepackt, wenn sie sich direkt vor unserer Nase breitmachen. Erst wenn wirklich alle die Konsequenzen spüren, wird kehrtgemacht. Bei manchen Problemen ist das zu spät.

Gegen das Vergessen ist kein Kraut gewachsen. Gegen das Verdrängen allerdings auch nicht. Jeder Mensch macht es regelmäßig. Vielleicht sogar mehrmals am Tag. Was sonst eher psychisch auffälligen Personen zugeschrieben wird, das können auch alle anderen. Um Geschehenes zu verdrängen, braucht es keinen Unfall und auch kein traumatisierendes Erlebnis. Verdrängen kann der Mensch auch so. Aktiv. Viele denken, es muss etwas ganz furchtbar schlimmes passieren, damit ein Verdrängungsmechanismus in Gang gesetzt wird. Verdrängen wird als etwas passives verstanden, worauf man kaum Einfluss nehmen kann. Doch regelmäßig beweisen wir selbst, dass auch aktiv verdrängt werden kann.

Ein ganz normaler Mechanismus

In erster Linie bedeutet Verdrängen die Ausblendung des Negativen. Kein Mensch verdrängt ein freudiges Ereignis. Dieses Negative wird soweit ausgeblendet bis nur noch das Positive zu erkennen ist. Häufig ist das ein Schutzmechanismus, um nicht ständig an besonders schwerwiegende Erlebnisse erinnert zu werden. Viele Zeugen grausamer Straftaten können sich beispielsweise nicht daran erinnern, was sie gesehen haben. Manchmal helfen sogenannte Trigger ihrem Gedächtnis auf die Sprünge.

Womöglich wäre das aktive Erinnern an solche Begebenheiten schlicht zu zeit- und energieaufreibend. Das Gehirn möchte sich diese Strapazen gerne ersparen und verdrängt das Erlebte. Das klingt soweit ganz gesund. Menschen müssen wegen bestimmter Vorkommnisse also nicht auf Dauer innehalten, sondern können weitergehen.

Das Gute an Donald Trump

So viel zum passiven Verdrängen. Das aktive Verdrängen wiederum ist eine ganz besondere Form der Realitätsverweigerung. Menschen können sich ihre Welt so zusammenschustern, wie sie gerade Lust haben, das ist keine Neuigkeit. Sie können die Augen aber auch so fest vor der Realität verschließen, dass durchaus von Verdrängung gesprochen werden kann. Das tun sie meistens dann, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Wenn ihr Tun zwar erhebliche Risiken birgt, aber sie zumindest kurzfristig aus ihrer Misere entlässt – oder wenn sie das Gefühl haben, dass es das kann.

Hardliner wird es immer geben, auch dagegen ist wohl kaum ein Kraut gewachsen. Aber gerade in der Politik verhalten sich viele Menschen nur deshalb irrational, weil sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Obwohl die Nachteile von Donald Trumps Präsidentschaft auf der Hand lagen, machte ihn ein Großteil der US-Amerikaner zum mächtigsten Mann im Staatenbund. Sie bejubeln einen Mann, der die Welt ins Verderben stürzen kann. All das ist vielen Menschen in den USA irgendwie bewusst, aber sie schaffen es, diese Nachteile auszublenden, weil sie sich Vorteile von Trump als Präsidenten erhoffen. Viele gebaren sich als überzeugte Trump-Anhänger, verweigern sich in Wahrheit aber aktiv der Realität.

Es gelingt diesen Menschen die überwältigende Fülle an Negativem zu ignorieren, es im Prinzip überhaupt nicht wahrzunehmen, und nur das Positive an diesem Mann zu sehen. Denn irgendwas positives bleibt bei jedem Menschen übrig, auch bei Donald Trump. Immerhin hat er … Kinder.

Es müssen mehr werden

Aber so konkret wie Donald Trump muss man gar nicht werden. Zugegeben macht es der Mann einem auch nicht besonders leicht, über seine fragwürdigen Aktivitäten hinwegzusehen. Es gibt andere Dinge, bei denen ein Wegsehen wesentlich einfacher ist. Der Klimawandel ist beispielsweise so ein Fall. Jeder weiß, dass da irgendwas im Busch ist. Jeder weiß, dass alle immer vom Klimawandel reden. Und jeder weiß, dass mehr als 40 Grad in Mitteleuropa nicht gesund sind. Um die katastrophalen Folgen des Klimawandels abzuwenden, passiert aber erschreckend wenig. Das liegt hauptsächlich daran, dass die wirklich gravierenden Folgen der Erderwärmung noch nicht ausreichend stark zu spüren sind – zumindest nicht für die, deren Handeln wirklich etwas bewegen könnte.

Machen wir uns nichts vor: Der globale Norden hat es in der Hand. Gerade in den USA, in Europa und in China sitzen die Menschen, die einen echten Wandel einleiten können. Greta kann noch so hartnäckig protestieren, ihr grimmiges Gesicht allein wird die Welt nicht vor dem Verderben schützen. Erst wenn ein großer Teil der Menschheit umdenkt, wird sich wirklich etwas verändern. Aber dazu müssen die Menschen begreifen. Der Klimawandel lässt sich aber nicht so leicht begreifen. Trotz des Getöses freitags auf den Straßen, kommt er schleichend. Und was so leise daherkommt, das lässt sich leicht verdrängen.

Eine neue Flüchtlingswelle?

Bisher ist der Klimawandel vielen noch zu theoretisch. Von der gewaltigen Dimension des Temperaturanstiegs haben die meisten zwar gehört, aber verstanden haben sie sie nicht. Es gibt bisher kaum Menschen, die ihre Heimat des Klimas wegen verlassen. Die Flüchtlinge von gestern und von heute versuchen Krieg und Hunger zu entkommen. Noch wird dieser Hunger durch politische Entscheidungen des globalen Nordens verursacht. Schon bald könnte sich das aber ändern. Dann flüchten die Menschen, weil sie ihre Heimat nicht durch einen Bombeneinschlag verloren haben, sondern weil ihre Siedlung plötzlich verschwunden war, weil der Grund darunter nachgab.

Immerhin sind Wirbelstürme noch lange nicht an der Tagesordnung. In bestimmten Regionen der Erde gehören sie zu bestimmten Jahreszeiten zum ganz natürlichen Bild. Sie mögen in den letzten Jahren zwar etwas heftiger ausgefallen sein, aber Häuser haben die Wirbelstürme auch schon vor Jahrzehnten verwüstet. Der Klimawandel findet in einer Zeitspanne statt, die das Denken der Menschen übersteigt. Die wirklich dramatischen Folgen werden erst in vielen Jahren spürbar sein, was macht es da aus, wenn heute wieder ein Gletscher dahinschmilzt? Es gibt ja noch genügend andere.

Dieser Sommer beispielsweise ist bisher alles andere als der typische Rekordsommer. Die 40-Grad – Marke wurde bisher nicht überschritten, nur gelegentlich stieg das Thermometer über 30 Grad. Aber sagen wir mal so: Vier Monate am Stück 28 Grad mit viel zu wenig Regen mögen viele zwar als besonders angenehm empfinden; das Ökosystem leidet allerdings enorm darunter.

Wirtschaftskrise oder Gesundheitskrise?

Bereits heute sind viele Folgen des Klimawandels greifbar. Man muss nur genau hinsehen. Frühling und Herbst gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Übrig blieben nur Sommer und Winter, die sich alle halbe Jahre abwechseln. Weil man an diese „normalen“ Extreme gewöhnt ist (und gegen einen schönen Sommer oder einen zünftigen Winter im Grunde nichts einzuwenden ist), wird das von vielen als der normale Lauf der Dinge hingenommen. Die Belege für den Klimawandel sind lange da. Man muss aber zumindest aktiv hinsehen und darüber nachdenken, um die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Egal wie minimal dieser Aufwand auch ist, es ist eine gewisse Form der Anstrengung. Und die fällt der Verdrängung zum Opfer.

Denn der Mensch glaubt nur das, was er sieht. Und er versteht nur das, was er spürt. Den Klimawandel spüren viele noch nicht in ausreichendem Maße als dass sie geeignete Maßnahmen dagegen ergreifen würden. Aktuell ist dieses aktive Verdrängen auch bei der Corona-Pandemie zu beobachten. Die Infektionszahlen in Deutschland sind seit einiger Zeit wieder deutlich steigend. Vielleicht hängt das mit den ganzen Auslandsreisenden zusammen, vielleicht aber auch an den Wiedereröffnungen gastronomischer Betriebe. Ganz bestimmt liegt es aber daran, dass viel zu viele Menschen die Augen vor der Gefährlichkeit des Virus verschließen.

Obwohl ein Großteil der Fälle gemäßigt verläuft, gibt es Fälle der Erkrankung, die erschreckend schwerwiegend ausfallen. Corona ist eben nicht mit einer gewöhnlichen Grippewelle vergleichbar. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings hoch, dass die Menschen, die einen Infizierten kennen oder sogar selbst erkrankt sind, glimpflich davongekommen sind. Dem gegenüber stehen die drastischen Schutzmaßnahmen, die eine Ausbreitung des Virus eindämmen sollen. Immer mehr Menschen empfinden diese Einschränkungen als strapaziöser als das Virus an sich. Viele können die Alternative, explodierende Infektionszahlen und den Zusammenbruch des Gesundheitssystems, nicht begreifen, weil dieses Szenario bisher erfolgreich verhindert wurde.

Dazu kommt, dass viele immer schwerer zwischen einer Wirtschafts- und einer Gesundheitskrise unterscheiden können. Die Folgen des wirtschaftlichen Rückgangs werden für viele tatsächlich spürbarer sein als die gesundheitlichen Folgen einer möglichen Infektion. Sie fürchten die Wirtschaftskrise derzeit mehr als das verheerende Ausmaß der Pandemie – schlicht und ergreifend, weil das eine für die Mehrheit spürbarer ist als das andere. Um diesem wirtschaftlichen Absturz zu entgehen, tun viele das Naheliegende: die gesundheitlichen Konsequenzen der Pandemie verdrängen. Denn es ist nur da, was man spüren kann. Eine Welt ohne Maske bedeutet für viele eine Welt ohne Pandemie.

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Der politische Star der Pandemie

Lesedauer: 9 Minuten

Ein Stück Stoff gegen die Pandemie – keiner anderen Maßnahme wird so viel Bedeutung beigemessen wie der Maske. Der Weg zur Maskenpflicht war lang – zu lang, wie einige sicherlich sagen werden. Auf den Tag genau seit drei Monaten ist in Baden-Württemberg das Tragen der Maske Pflicht. Viele setzen ganz aktuell große Hoffnungen in die Maske, eine zweite Welle der Pandemie möglichst milde ausfallen zu lassen. Eine ziemlich große Aufgabe für ein bisschen Stoff könnte man meinen. Doch aus den Kinderschuhen der Schutzmaßnahme ist die Maske längst herausgewachsen. Immer häufiger missbrauchen einige Spezialisten den Mund-Nase – Schutz dazu, politische Spielchen mit ihm zu treiben. Es wird dabei immer schwieriger zwischen rücksichtslosem Protest und bloßer Dummheit zu unterscheiden.

Wenn wir eines Tages die Pandemie überstanden haben, wenn sie vielleicht Jahrzehnte zurückliegt, was werden wir unseren Enkeln erzählen? Es ist unwahrscheinlich genug, dass wir dann noch in der Welt leben, wie wir sie jetzt kennen. Das Klima wird sich deutlich verändert haben, weite Teile der Erde werden nicht mehr bewohnbar sein, vielleicht hat uns bis dahin eine weitere Pandemie heimgesucht. Aber all diese Szenarien einmal ausgeblendet, was werden wir der Enkelgeneration über Corona sagen? Wir können von abstrakten wirtschaftlichen Folgen reden, die unsere Kindeskinder niemals begreifen werden, wenn sie in einer stabilen und wirtschaftlich starken Umgebung aufwachsen. Sie werden es zur Kenntnis nehmen, vielleicht Mitleid empfinden, so wie wir es tun, wenn wir uns die Lebensrealität unserer Großeltern und Vorfahren vor Augen führen. Aber eine Frage werden wir uns gefallen lassen müssen: Was war mit der Maske?

Gute Miene zum bösen Spiel

Denn wenn die Krankheit überwunden ist, verschwindet auch eine schwere Last. Die Rückkehr zur Normalität wird äußerst schwer, aber auch unverzichtbar. Was bleibt sind die Erinnerungen, über die natürlich niemand gerne reden wird. Aber es bleiben auch die Bilder von Menschen mit Maske, die bereits heute erstaunlich viele Menschen voller Inbrunst von sich machen. Der Masken-Selfie gehört in den Social Media bereits zum guten Stil. Stolz halten viele ihre Maske in die Kamera, als wäre die Pandemie ein schlechter Witz, ein Modegag, den es unbedingt auf Kamera festzuhalten gilt. Viel zu gut gelaunt werden wir unseren Enkeln auf diesen Fotos entgegenstrahlen wie es unsere eigenen Vorfahren taten, obwohl sie außerhalb der Fotos nicht viel zu lachen hatten.

Die Maske wird auf lange der Indikator dafür sein, wann ein Foto entstanden ist. „Das war doch bei Corona.“ Tatsächlich ist die Maske der offensichtlichste Ausdruck der Coronakrise. Sie ist nicht nur in den Medien omnipräsent. Bei jedem Gang nach draußen, bei jeder Bahnfahrt und bei jedem Einkauf erinnert sie uns daran, dass die Pandemie noch immer nicht überwunden ist. Von all den Maßnahmen, die zum Schutz vor dem Virus ergriffen wurden, ist die Maske die Maßnahme, die am meisten in die persönliche Freiheit der Menschen eingreift – zumindest kurzfristig. Denn jedes Mal, wenn wir die Maske aufziehen, müssen wir uns erneut an ihren fehlenden Tragekomfort gewöhnen. Abstandhalten kann doch jeder, Maske-Tragen aber will gelernt sein.

Die Maske als Politikum

Die Pflicht, Mund und Nase zu bedecken, wurde von Anfang an heiß diskutiert. Kommt die Maskenpflicht? Wie lange? Wo muss sie getragen werden? Inzwischen hat man sich beinahe an den Stofffetzen gewöhnt, da reden einzelne von Lockerungen. In einer dicht besiedelten Welt, in der Abstand halten oft gar nicht so leicht ist, belegte die Maske bald Platz 1 unter den Schutzmaßnahmen. Einerseits machte sie eine Ansteckung mit dem Virus trotz fehlendem Abstand bei korrekter Verwendung unwahrscheinlicher. Andererseits nutzen viele die Maske immer häufiger dazu, mit ihr ein politisches Statement zu setzen.

Denn häufig gibt die Maske, gewollt oder nicht gewollt, Aufschluss über die persönliche Haltung zur Pandemie. Falsch- oder Nichtträgern ist die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen entweder egal oder sie schätzen die Bedrohung aus unterschiedlichen Gründen nicht so groß ein. Andere wiederum instrumentalisieren die Maske dazu, um politisch Stellung zu beziehen. Sie tragen ihre Masken bewusst locker um den Hals oder unter dem Kinn, um bei Ansprache das Virus herunterzuspielen und von Grundrechtsverletzung und Totalüberwachung zu schwafeln.

Weil sie keinerlei Berührungspunkte mit dem Virus haben, mit der Maske gezwungenermaßen aber doch, ist die Bedrohung durch die Maske für sie realer. Wahrscheinlich kennen sie niemanden, der an dem Virus erkrankt oder gar gestorben ist, sie arbeiten vermutlich auch nicht in gesundheitlichen Einrichtungen und einen Nobelpreis für Medizin haben sie womöglich auch noch nie gewonnen. Darum schustern sie sich ihre heile Welt zusammen. Die Maske identifizieren sie in dieser Welt als Störenfried.

(K)eine heile Welt

Natürlich will jeder Mensch in einer Welt ohne Sorgen und Probleme leben. Denn Probleme zu erkennen und sie anzupacken, bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Davor haben viele Menschen Angst. Und deswegen schauen sie zu Menschen auf, die ihnen das Gefühl geben, richtig zu handeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz gehen regelmäßig mit gutem Beispiel voran und tragen Maske. Gestalten wie Jair Bolsonaro und Donald Trump hingegen nutzen die Maske rein für ihre politischen Zwecke. Erst vor kurzem zog der brasilianische Präsident trotz Corona-Erkrankung die Maske in Beisein von Kameras und Journalisten ab, um die Harmlosigkeit des Virus zu untermauern. Corona greift wohl doch schneller als erwartet das Gehirn an.

Doch scheinbar erreichen solche Politiker sehr viele Menschen. Sie schaffen es, den Menschen einzureden, dass in Wahrheit alles halb so wild ist und dass die da oben ein falsches Spiel treiben. Die Maske, als der greifbarste Ausdruck der Pandemiemaßnahmen mutiert für diese Menschen zum roten Tuch. Sie verteufeln diesen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte und wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, Stunk gegen die Maskenpflicht zu machen. Das alles sei doch nur eine von Bill Gates initiierte Verschwörung, die Maske soll auch symbolisch die Redefreiheit beschneiden, manche reden vom Merkel-Maulkorb. Dann wiederum besteigen ebensolche Menschen ein öffentliches Nahverkehrsmittel und ziehen sich noch vor Öffnen der Türen die Maske ins Gesicht.

Ungewollt politisch

Diese Doppelmoral, dieses zwiespältige – ich bin eigentlich gegen die Maske, möchte mich aber nicht zu explizit gegen die Mehrheit stellen – ist eine unglaubliche Rückgratlosigkeit. Einerseits diffamiert man die Maske als direkten Eingriff in die Grundrechte, als einen Angriff auf die freie persönliche Entfaltung, andererseits fügt man sich der verhassten Obrigkeit. Teilweise schaffen es diese Menschen, die Maske im selben Moment zu politisieren und ihr gleichzeitig die politische Dimension zu nehmen.

Denn die Maske ist in erster Linie kein politisches Instrument. Sie ist eine sinnvolle Maßnahme, die dem Gesundheitsschutz dient. Erst die Ablehnung der Maske eröffnet ihr einen politischen Raum. Es sind nicht Menschen wie Merkel, Macron oder Kurz, die die Maske politisieren. Es sind die Bequemen, die Gegner der Maske, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um die Maske in ein Politikum zu verwandeln.

Von Idiotie und Pandemie

Die Übergänge zwischen Idiotie und politischem Statement sind dabei fließend. Es wird zunehmend schwierig zu unterscheiden, wer die Maske aus Nachlässigkeit falsch trägt oder wer bewusst unser aller Gesundheit gefährdet. Solche, die die Maske permanent unterhalb der Nase tragen, sie aber wenigstens konsequent in Bus, Bahn und beim Einkaufen aufsetzen, gehen gerade noch so als Vollidioten durch. Vielleicht meinen es einige von ihnen nicht mal böse. Sie glauben, ihren Teil zur Pandemiebekämpfung beizutragen, obwohl sie dem Virus durch ihre grenzenlose Dummheit enormen Vorschub leisten. Möglicherweise sind sie zu bequem, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Lieber machen sie gute Miene zum bösen Spiel. Es gibt eine Verordnung, also wird sich daran gehalten. Solche Mitbürger sind die unpolitischsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann. Sie halten den Mund – und die Maske unterstützt sie offensichtlich dabei.

Dann gibt es die Verweigerer. Deren egoistisches Verhalten macht es ihnen unmöglich, sich auf die Gnade der Idiotie zu berufen. Sie setzen sich mit Maske in öffentliche Verkehrsmittel und betreten mit Maske die Geschäfte des Einzelhandels. Die Maske schwingt allerdings locker um ihren Hals; ans Aufziehen denken diese Gefährder nicht. Ganz bewusst verweigern sie sich dem Kampf gegen das Virus. Die Maske besitzen sie einerseits zu Alibizwecken, andererseits, um den Menschen in ihrem Umfeld zu beweisen, dass das Virus nicht so schlimm ist und sie auch ohne Mund-Nase – Schutz gut durchkommen.

In vollem Bewusstsein der Fahrlässigkeit ihres Handelns bringen sie alle anderen Menschen in Gefahr. Sie sorgen mindestens indirekt für steigende Fallzahlen, knappe Krankenhauskapazitäten und nehmen denen die Maske weg, die sie dringend benötigen. Sie sind Terroristen am Gesundheitssystem und es ist mehr als bedauerlich, dass die Gesellschaft diese Menschen duldet und mitträgt.

Immer mehr Menschen scheinen es für unnötig zu halten, in Bus und Bahn die Maske korrekt aufzusetzen, wenn sie weniger als drei Stationen fahren. Sie wollen allen zeigen, dass sie die Lage jederzeit unter Kontrolle haben, dass sie stärker sind als das Virus. Dabei ist es ihre chronische Angst davor, Verantwortung zu übernehmen, die sich schon viel länger als die Corona-Pandemie global breitmacht. Wegsehen, sich nur um sich selbst kümmern, Ellbogen ausfahren und nichts wie geradeaus – diese generelle Haltung ist alles andere als hilfreich im Kampf gegen die Pandemie.


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