Maske auf, und gut

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Die Regeln werden strenger, die Fallzahlen bleiben hoch. Trotz weiterer Ladenschließungen und einer teilweisen Ausgangssperre bekommt Europa die Pandemie nicht in den Griff. Das obere Ende der Fahnenstange ist aber noch nicht erreicht: Die deutliche Mehrheit der Deutschen spricht sich für die geltenden Maßnahmen aus. Doch Reden und Handeln sind eben zweierlei. Immer mehr Menschen scheinen zu glauben, alles sei gut, solange sich die anderen an die Regeln halten…

Seit Oktober erleben wir einen sprunghaften Anstieg der Corona-Infektionszahlen. Nachdem sich im vergangenen Sommer täglich nur noch wenige hundert Menschen mit dem Virus infiziert hatten, waren es zeitweise um die 30.000. Der Handlungsbedarf lag auf der Hand. Viele hielten einen erneuten Lockdown wohl bis zum Schluss für ausgeschlossen, doch die astronomischen Infektionswerte ließen der Bundesregierung keine andere Wahl: der Einzelhandel, Friseure und Fitnessstudios mussten erneut schließen. Wann sie wieder öffnen dürfen, ist derzeit ungewiss. Manche munkeln ab Februar, andere halten das für komplett unrealistisch.

Weit weg von der Herdenimmunität

Die erneuten Geschäftsschließungen und Kontaktbeschränkungen sorgten besonders über die Weihnachtszeit für Unmut. Nach einem einsamen Osterfest und der ausgefallenen Auslandsreise im Sommer musste man nun auch noch auf Weihnachten im Kreise der ganzen Familie verzichten.  Dieser Frust ist verständlich und menschlich. Trotzdem bleiben die Zustimmungswerte zu den Corona-Maßnahmen ungebrochen auf einem hohen Niveau. Mehr als 80 Prozent der Befragten empfanden die Maßnahmen als angemessen oder würden sie sogar noch verschärfen. Nur etwas mehr als 10 Prozent der Befragten hielten die Maßnahmen für übertrieben.

Nach neuer Lesart sollten diese Zustimmungswerte doch eigentlich für eine Herdenimmunität ausreichen. Aber von wegen: Obwohl diese 84 Prozent die Maßnahmen gutheißen, steigen die Zahlen weiter. Das lässt eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder die Maßnahmen sind absolut ineffektiv oder aber die Befragten haben nicht ganz die Wahrheit gesagt. Nun lässt sich über die Zielgenauigkeit der Maßnahmen bestimmt streiten. Sicher ist allerdings: Alle Maßnahmen sehen eine deutliche Reduktion der Kontakte zwischen Menschen vor. Es ist unbestritten, dass diese Kontaktbegrenzungen besonders geeignet im Kampf gegen das Virus sind.

Die hohen Inzidenzwerte müssen also zumindest teilweise auch dadurch erklärbar sein, dass die Maßnahmen eben nicht so sehr unterstützt werden, wie uns das die Umfragen weismachen wollen. Die Zeit der eisernen Disziplin aus dem Frühjahr, als viel mehr Menschen zu Hause blieben, als die Straßen wie leergefegt waren, sind nämlich lange vorbei. Viele Menschen haben es schlicht satt, auf viele Kontakte weiterhin verzichten zu müssen. Und wer wen wo besucht, lässt sich eben schlechter kontrollieren, als ob jemand die Maske richtig trägt. Die Maske ist für viele inzwischen kein rotes Tuch mehr. Von einer deutlichen Reduktion der Kontakte kann aber auch keine Rede mehr sein. Die sichtbaren Maskenverweigerer vom Frühjahr sind den unsichtbaren Verweigerern von Kontaktbeschränkungen gewichen.

Nach uns Corona

Die Umfragewerte geben nur begrenzt Auskunft darüber, wie sehr die Befragten die Maßnahmen unterstützen. In erster Linie zeigen sie eines: Mehr als 80 Prozent der Befragten halten es mindestens für angemessen, wenn sich die anderen an die geltenden Regeln halten. Um nicht als Regelbrecher aufzufliegen, tragen die meisten inzwischen Maske, und das sogar richtig. Der Mund-Nasen – Schutz ist inzwischen viel mehr ein Alibi, um ja nicht in den Verdacht zu geraten, man könnte gegen irgendeine der Maßnahmen gegen Corona verstoßen haben. Mit diesem Persilschein im Gesicht stürzen sich viele dann wieder ins Getümmel – sei es auf der Arbeit, beim Einkaufen, mit Freunden und Bekannten oder beim obligatorischen Wintersport.

Denn sobald mancherorts die ersten Zentimeter Schnee liegen, gibt es für viele kein Halten mehr. Teilweise werden mehrere Stunden Autofahrt in Kauf genommen, nur um einmal  den Hang runterzurodeln – ob man Kinder hat oder nicht ist dabei Nebensache. In schier ekelerregender Selbstgefälligkeit feiert man sich dann vor den Fernsehkameras, dass man sich diesen Winterspaß von Corona nicht verderben lasse. Stolz präsentieren diese Menschen ihre Masken, mit denen sie auf alle Zeit gegen das Virus gewappnet sind. Ihre Botschaft ist klar: Wir pfeifen auf die Kontaktbeschränkungen und haben trotzdem überlebt.

Diese Sichtweise blendet eine wichtige Dimension aus: Das eigene Überleben garantiert nicht das Wohlergehen der Mitmenschen. Diese Menschen sind sich der Tragweite ihres Handelns schlicht nicht bewusst und vergessen, dass jeder Kontakt ein Risiko ist. Dem Virus ist es egal, ob es auf der Skipiste, an der Supermarktkasse oder auf offener Straße zuschlägt. Jeder nicht nötige Kontakt ist zu vermeiden – winterliche Abenteuer auf dem Berg eingeschlossen. Die Kontaktbeschränkungen geben nämlich ein Maximalmaß an Kontakt vor und sind keine Aufforderung, die angegebene Kontaktzahl zu erreichen.

Halbe Sachen

Es ist ein großes Problem, dass sehr viele Menschen äußerst unreflektiert mit den Corona-Maßnahmen umgehen. Einige bringen das eigene Fehlverhalten nicht einmal ansatzweise mit der Realität in Verbindung. Die Maske, die sie im Bus oder in der Bahn brav tragen, ist unwiderlegbarer Beweis, dass sie mit den steigenden Fallzahlen nichts zu tun haben. Wenn sie doch einmal dabei erwischt werden, dass sie es mit Abstand und weniger Kontakten nicht ganz so ernstnehmen, brüsten sie sich sogleich damit, dass sie wegen fehlender Vorerkrankung sowieso nicht zu einer Risikogruppe gehören. Offensichtlich haben diese Menschen vergessen, dass es außer ihnen noch ungefähr 7 Milliarden weitere auf diesem Planeten gibt.

Der Grund für die steigenden Infektionszahlen ist für einige Realitätsverweigerer völlig klar: Der Winter ist schuld. Jeder Mensch weiß schließlich, dass Grippen und Erkältungen in der kalten Jahreszeit Hochsaison haben. Dass dieses fadenscheinige Argument nicht ausreicht, um 30.000 Neuinfektionen pro Tag zu erklären, kümmert offenbar immer mehr Menschen herzlich wenig.

Auch der Umgang mit den Geschäftsschließungen mutet stellenweise paradox an. So bedauern die meisten Menschen, dass sie weiterhin auf gemütliche Nachmittage im Café, auf ein geselliges Feierabendbier oder das romantische Candlelight-Dinner verzichten müssen. Gleichzeitig ist es aber die Halbherzigkeit einiger, welche die Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen erst nötig machen. Sie scheinen einem fatalen Irrtum zu unterliegen: Halbherzigkeit führt nicht dazu, dass wir das Virus nur halb so schnell bekämpfen. Halbherzigkeit sorgt dafür, dass wir das Virus gar nicht besiegen.


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Vertrauter Feind

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Die neuen Anti-Corona – Maßnahmen treffen Gastronomie und Kultur bis ins Mark. Viele Betriebe stehen endgültig vor dem Ruin, wenn nicht bald gegengelenkt wird. Steif und fest behaupten viele, für die steigenden Fallzahlen nicht verantwortlich zu sein. Die Zahlen steigen trotzdem weiter. Immer offensichtlicher wird: Die Übeltäter sind an anderer Stelle zu suchen. Sie sind praktisch überall und verstehen es meisterlich, sich aus der Schusslinie zu bringen. Den Frust kriegen währenddessen andere ab…

Wer war’s?

Seit Montag gelten bundesweit verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Explosionsartig steigende Infektionszahlen zwingen die Verantwortlichen dazu, erneut solch drastische Maßnahmen zu treffen. Schulen und Kitas sollen so lange wie möglich geöffnet bleiben. Gaststätten, Hotels und fast sämtliche Einrichtungen des Kulturbetriebs müssen ihre Pforten allerdings für die nächsten vier Wochen schließen. Unmut darüber macht sich breit. Die wirtschaftlichen Folgen des ersten Lockdowns sind noch lange nicht überschaubar und erst recht nicht verdaut. Viele befürchten, dass es finanziell nun solchen Betrieben an den Kragen geht, die in der ersten Jahreshälfte relativ glimpflich davongekommen sind.

Das ist berechtigt und nachvollziehbar. Immer wieder zweifeln vor allem betroffene Betriebe an, dass die steigenden Fallzahlen aus ihrem Bereich herrühren. Gastronomen verweisen auf die strikte Maskenpflicht in ihren Häusern. Erst am Platz und zum Einnehmen der Speisen dürfen die Masken abgenommen werden. Ähnlich argumentieren Vertreter aus dem Kulturbereich. Abstandhalten und freie Plätze bei Kinovorstellungen und öffentlichen Darbietungen gehören längst zur Normalität der Branche. Auch der Tourismus versteift sich vehement darauf, dass von Reiserückkehrern kein erhöhtes Infektionsrisiko ausgehe. Nun kann man den Beteuerungen aus den verschiedenen Bereichen unterschiedliches Gewicht beimessen. Fakt ist allerdings: Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis die Zahl der Neuinfektionen die 20.000er-Marke knackt.

Bekanntes Muster

Viele der Argumentationen in dieser Frage laufen den wissenschaftlichen Erkenntnissen in eklatant auffälliger Weise entgegen. Es mag fundierte und seriöse Auswertungen und Studien geben, die das unterschiedliche Infektionsrisiko aus den verschiedenen Bereichen belegen. Doch der Hinweis darauf, dass es gerade in diesem oder in jenem Bereich kaum zu Ansteckungen kommt, ist inzwischen längst zur ausgeleierten Floskel verkommen. Da wird auch schon das ein oder andere Mal auf „Studien“ verwiesen, die die eigene Argumentation untermauern. Viele dieser spontanen wissenschaftlichen Erkenntnisse basieren allerdings auf Hörensagen. Mit vermeintlichen Fakten versucht man eine Wahrheit zu generieren, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine Meinung.

Diese Meinung wird mit zusammengeklaubten Zahlen und Analysen zum unumstößlichen Fakt gestutzt. Das hat bereits in der Flüchtlingskrise bestens funktioniert. Hier dichtete man den Asylantinnen und Asylanten vier- oder fünfstellige Geldbeträge an, die sie angeblich an Sozialleistungen erhielten. Belege dazu? Fehlanzeige. Und so wurde die Meinung von eben zur dreisten Lüge. Ich halte es für brandgefährlich, in der Coronakrise auf den gleichen Zug aufzuspringen und wahllos mit vermeintlich wissenschaftlichen Fakten um sich zu werfen.

Das Phantom der Krise

Nun behauptet fast jede Branche, dass sie nicht für die steigenden Coronazahlen verantwortlich ist. Die Fallzahlen steigen indes ungehindert weiter. Es gibt daher mehrere Möglichkeiten: entweder die Betriebe und Einrichtungen sagen die Wahrheit und die Infektionen entstehen tatsächlich an anderer Stelle oder sie lügen. Vielleicht machen sie aber auch von beidem ein bisschen. Möglicherweise gibt es gar nicht „den“ Hotspot. Was wäre denn, wenn sich die Übeltäter branchenübergreifend bewegten? Und das nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum? Was, wenn nicht die Branchen an sich für die Neuinfektionen verantwortlich sind, sondern das Verhalten von einigen Gästen, Kunden und Besuchern?

Man sieht sie schließlich überall: in Bahnen, in Geschäften, in dicht gedrängten Einkaufsstraßen. Die obligatorischen Falschträger und Maskenverweigerer gehören fast so lange zum Bild wie es die Pandemie gibt. Wie Quotenmenschen schlängeln sie sich durch alle Bereiche des Lebens. Diese unverantwortlichen Mitbürger pfeifen auf die geltenden Hygienebestimmungen. Tagsüber tragen sie die Maske bestenfalls direkt unter der Nase. Erbarmt sich der Bahnfahrer dazu, die Heizung anzustellen, wandert der Stofffetzen gerne auch mal bis unter das Kinn. Zwischendurch beglücken sie zwei Aldi- und eine REWE-Filiale mit ihrem Besuch. Dort greifen sie beherzt in die Obst- und Gemüseauslage – keine Frucht kann ihrem Griff entkommen. An der Kasse fehlt ihnen die Bewegung. Sie merken, dass sie frieren und kuscheln sich vertraut an die wartende Person vor ihnen. Den Tag runden sie mit einer legendären Coronaparty ab, zu der neben den 270 facebook-Freunden auch sämtliche Follower von Instagram eingeladen sind.

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Diese Menschen sind dafür verantwortlich, dass die Zahlen ins unermessliche steigen und Restaurants, Hotels und Fitnessstudios wieder dichtmachen mussten. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir erneut solch schwere Einschränkungen ertragen müssen. Und hier wird’s schwierig: Diese Unverantwortlichen sind ausgesprochen heterogen. Es sind nicht überwiegend Männer und auch nicht vorwiegend Frauen. Sie können jung und alt sein, groß und klein. Sie können einen Professorentitel tragen oder ihre schulische Karriere bereits nach der neunten Klasse Hauptschule beendet haben. Für Bequemlichkeit ist Intelligenz kein Hindernis. Das einzige, was diese Menschen gemeinsam haben, sind schöne Nasen. Diese wollen sie mit der ganzen Welt teilen. Keine Maske, kein Abstandsstrich, keine Kontaktbeschränkung und erst recht keine Sperrstunde kann sie davon abhalten.

Vielleicht gäbe es ja aber doch eine Möglichkeit, dem unverantwortlichen Treiben dieser Menschen Einhalt zu gebieten. Wenn sie ausreichend gesellschaftlichen Druck zu spüren bekämen, würden viele von ihnen möglicherweise einlenken. Stattdessen werden sie seit Monaten geduldet, um nicht zu sagen hofiert. Der Frust und der Zorn richtet sich gegen die Politik, insbesondere gegen die Bundesregierung. Sicher kann die Zielgenauigkeit und auch das Zustandekommen der beschlossenen Maßnahmen kritisiert werden. Ist es sinnvoll, sämtliche Restaurants zuzumachen? Hätte nicht vorher das Parlament befragt werden müssen? Sicher ist aber auch, dass die Regierung aufgrund der jüngsten Entwicklungen unter gewaltigem Zugzwang stand. Sie lenkt dagegen, weil sie es muss. Den Grund dafür haben andere geschaffen.

Gefährliche Dynamik

Eine kleine Minderheit in der Bevölkerung lässt keine Gelegenheit aus, die Hygienemaßnahmen zu unterwandern und mit Füßen zu treten. Immer wieder muss die Mehrheit das Fehlverhalten dieser Minderheit ausbaden – ob durch Hamsterkäufe, verschärfte Maskenpflicht oder gestrichene Theaterbesuche. Es ist falsch, andere dafür verantwortlich zu machen. Der Finger muss auf jeden deuten, der in der Bahn die Maske runterzieht, sobald der Kontrolleur sich umdreht. Stattdessen versteifen sich immer mehr auf die Politik als den Unheilbringer in der Coronakrise. Den absoluten Tiefpunkt an menschlichem Niveau erreichten kürzlich der Wirt einer Bar in Berlin: Er erteilte der Bundeskanzlerin kurzerhand Hausverbot. Als die Zustimmung dafür vorwiegend aus der rechten Ecke kam, ruderte er zurück. Den fragwürdigen Beifall hätte man leicht vorhersehen und vermeiden können. Aber es eben immer leichter, gegen eine weit entfernte Gruppe vorzugehen als sich mit den Offensichtlichkeiten auseinanderzusetzen.

Eine dieser Offensichtlichkeiten sind schlechte Vorbilder, die auch in der Politik vertreten sind. Die AfD gibt all denen Rückhalt, die zu feige sind, sich den Problemen zu stellen. Im Falle der Hygienemaßnahmen sind die Rechtspopulisten sogar aufgestiegen. Sie sind nun nicht mehr nur geistige Brandstifter, sondern aktive Vormacher. Immer wieder fallen die Abgeordneten der Fraktion im Bundestag durch eine sehr laxe Handhabung der allgemein gültigen Verordnungen auf. Wie soll die Pandemiebewältigung gelingen, wenn selbst im Bundestag Menschen sitzen, die mehr Probleme schaffen als welche zu lösen?

Solche Menschen setzen eine gefährliche Dynamik in Gang. Das Fehlverhalten weniger provoziert umfangreichere und härtere Maßnahmen, um der Lage Herr zu werden. Diejenigen, die den bisherigen Einschränkungen skeptisch gegenüberstanden, fühlen sich in ihren Ansichten bestätigt und torpedieren die härteren Maßnahmen. Die Querdenker und Querschießer der Nation haben Zulauf und machen ihrem Namen alle Ehre. Sie kommen der Sicherheit und der Gesundheit der Bevölkerung nämlich tatsächlich in die Quere. In ekelhafter Selbstgefälligkeit rühmen sie sich dafür, eine andere Meinung zu haben als die Mehrheit. Sie merken nicht, dass echte Kritik immer eine Verbesserung beabsichtigt. Sie aber zerstören.


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Der politische Star der Pandemie

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Ein Stück Stoff gegen die Pandemie – keiner anderen Maßnahme wird so viel Bedeutung beigemessen wie der Maske. Der Weg zur Maskenpflicht war lang – zu lang, wie einige sicherlich sagen werden. Auf den Tag genau seit drei Monaten ist in Baden-Württemberg das Tragen der Maske Pflicht. Viele setzen ganz aktuell große Hoffnungen in die Maske, eine zweite Welle der Pandemie möglichst milde ausfallen zu lassen. Eine ziemlich große Aufgabe für ein bisschen Stoff könnte man meinen. Doch aus den Kinderschuhen der Schutzmaßnahme ist die Maske längst herausgewachsen. Immer häufiger missbrauchen einige Spezialisten den Mund-Nase – Schutz dazu, politische Spielchen mit ihm zu treiben. Es wird dabei immer schwieriger zwischen rücksichtslosem Protest und bloßer Dummheit zu unterscheiden.

Wenn wir eines Tages die Pandemie überstanden haben, wenn sie vielleicht Jahrzehnte zurückliegt, was werden wir unseren Enkeln erzählen? Es ist unwahrscheinlich genug, dass wir dann noch in der Welt leben, wie wir sie jetzt kennen. Das Klima wird sich deutlich verändert haben, weite Teile der Erde werden nicht mehr bewohnbar sein, vielleicht hat uns bis dahin eine weitere Pandemie heimgesucht. Aber all diese Szenarien einmal ausgeblendet, was werden wir der Enkelgeneration über Corona sagen? Wir können von abstrakten wirtschaftlichen Folgen reden, die unsere Kindeskinder niemals begreifen werden, wenn sie in einer stabilen und wirtschaftlich starken Umgebung aufwachsen. Sie werden es zur Kenntnis nehmen, vielleicht Mitleid empfinden, so wie wir es tun, wenn wir uns die Lebensrealität unserer Großeltern und Vorfahren vor Augen führen. Aber eine Frage werden wir uns gefallen lassen müssen: Was war mit der Maske?

Gute Miene zum bösen Spiel

Denn wenn die Krankheit überwunden ist, verschwindet auch eine schwere Last. Die Rückkehr zur Normalität wird äußerst schwer, aber auch unverzichtbar. Was bleibt sind die Erinnerungen, über die natürlich niemand gerne reden wird. Aber es bleiben auch die Bilder von Menschen mit Maske, die bereits heute erstaunlich viele Menschen voller Inbrunst von sich machen. Der Masken-Selfie gehört in den Social Media bereits zum guten Stil. Stolz halten viele ihre Maske in die Kamera, als wäre die Pandemie ein schlechter Witz, ein Modegag, den es unbedingt auf Kamera festzuhalten gilt. Viel zu gut gelaunt werden wir unseren Enkeln auf diesen Fotos entgegenstrahlen wie es unsere eigenen Vorfahren taten, obwohl sie außerhalb der Fotos nicht viel zu lachen hatten.

Die Maske wird auf lange der Indikator dafür sein, wann ein Foto entstanden ist. „Das war doch bei Corona.“ Tatsächlich ist die Maske der offensichtlichste Ausdruck der Coronakrise. Sie ist nicht nur in den Medien omnipräsent. Bei jedem Gang nach draußen, bei jeder Bahnfahrt und bei jedem Einkauf erinnert sie uns daran, dass die Pandemie noch immer nicht überwunden ist. Von all den Maßnahmen, die zum Schutz vor dem Virus ergriffen wurden, ist die Maske die Maßnahme, die am meisten in die persönliche Freiheit der Menschen eingreift – zumindest kurzfristig. Denn jedes Mal, wenn wir die Maske aufziehen, müssen wir uns erneut an ihren fehlenden Tragekomfort gewöhnen. Abstandhalten kann doch jeder, Maske-Tragen aber will gelernt sein.

Die Maske als Politikum

Die Pflicht, Mund und Nase zu bedecken, wurde von Anfang an heiß diskutiert. Kommt die Maskenpflicht? Wie lange? Wo muss sie getragen werden? Inzwischen hat man sich beinahe an den Stofffetzen gewöhnt, da reden einzelne von Lockerungen. In einer dicht besiedelten Welt, in der Abstand halten oft gar nicht so leicht ist, belegte die Maske bald Platz 1 unter den Schutzmaßnahmen. Einerseits machte sie eine Ansteckung mit dem Virus trotz fehlendem Abstand bei korrekter Verwendung unwahrscheinlicher. Andererseits nutzen viele die Maske immer häufiger dazu, mit ihr ein politisches Statement zu setzen.

Denn häufig gibt die Maske, gewollt oder nicht gewollt, Aufschluss über die persönliche Haltung zur Pandemie. Falsch- oder Nichtträgern ist die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen entweder egal oder sie schätzen die Bedrohung aus unterschiedlichen Gründen nicht so groß ein. Andere wiederum instrumentalisieren die Maske dazu, um politisch Stellung zu beziehen. Sie tragen ihre Masken bewusst locker um den Hals oder unter dem Kinn, um bei Ansprache das Virus herunterzuspielen und von Grundrechtsverletzung und Totalüberwachung zu schwafeln.

Weil sie keinerlei Berührungspunkte mit dem Virus haben, mit der Maske gezwungenermaßen aber doch, ist die Bedrohung durch die Maske für sie realer. Wahrscheinlich kennen sie niemanden, der an dem Virus erkrankt oder gar gestorben ist, sie arbeiten vermutlich auch nicht in gesundheitlichen Einrichtungen und einen Nobelpreis für Medizin haben sie womöglich auch noch nie gewonnen. Darum schustern sie sich ihre heile Welt zusammen. Die Maske identifizieren sie in dieser Welt als Störenfried.

(K)eine heile Welt

Natürlich will jeder Mensch in einer Welt ohne Sorgen und Probleme leben. Denn Probleme zu erkennen und sie anzupacken, bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Davor haben viele Menschen Angst. Und deswegen schauen sie zu Menschen auf, die ihnen das Gefühl geben, richtig zu handeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz gehen regelmäßig mit gutem Beispiel voran und tragen Maske. Gestalten wie Jair Bolsonaro und Donald Trump hingegen nutzen die Maske rein für ihre politischen Zwecke. Erst vor kurzem zog der brasilianische Präsident trotz Corona-Erkrankung die Maske in Beisein von Kameras und Journalisten ab, um die Harmlosigkeit des Virus zu untermauern. Corona greift wohl doch schneller als erwartet das Gehirn an.

Doch scheinbar erreichen solche Politiker sehr viele Menschen. Sie schaffen es, den Menschen einzureden, dass in Wahrheit alles halb so wild ist und dass die da oben ein falsches Spiel treiben. Die Maske, als der greifbarste Ausdruck der Pandemiemaßnahmen mutiert für diese Menschen zum roten Tuch. Sie verteufeln diesen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte und wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, Stunk gegen die Maskenpflicht zu machen. Das alles sei doch nur eine von Bill Gates initiierte Verschwörung, die Maske soll auch symbolisch die Redefreiheit beschneiden, manche reden vom Merkel-Maulkorb. Dann wiederum besteigen ebensolche Menschen ein öffentliches Nahverkehrsmittel und ziehen sich noch vor Öffnen der Türen die Maske ins Gesicht.

Ungewollt politisch

Diese Doppelmoral, dieses zwiespältige – ich bin eigentlich gegen die Maske, möchte mich aber nicht zu explizit gegen die Mehrheit stellen – ist eine unglaubliche Rückgratlosigkeit. Einerseits diffamiert man die Maske als direkten Eingriff in die Grundrechte, als einen Angriff auf die freie persönliche Entfaltung, andererseits fügt man sich der verhassten Obrigkeit. Teilweise schaffen es diese Menschen, die Maske im selben Moment zu politisieren und ihr gleichzeitig die politische Dimension zu nehmen.

Denn die Maske ist in erster Linie kein politisches Instrument. Sie ist eine sinnvolle Maßnahme, die dem Gesundheitsschutz dient. Erst die Ablehnung der Maske eröffnet ihr einen politischen Raum. Es sind nicht Menschen wie Merkel, Macron oder Kurz, die die Maske politisieren. Es sind die Bequemen, die Gegner der Maske, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um die Maske in ein Politikum zu verwandeln.

Von Idiotie und Pandemie

Die Übergänge zwischen Idiotie und politischem Statement sind dabei fließend. Es wird zunehmend schwierig zu unterscheiden, wer die Maske aus Nachlässigkeit falsch trägt oder wer bewusst unser aller Gesundheit gefährdet. Solche, die die Maske permanent unterhalb der Nase tragen, sie aber wenigstens konsequent in Bus, Bahn und beim Einkaufen aufsetzen, gehen gerade noch so als Vollidioten durch. Vielleicht meinen es einige von ihnen nicht mal böse. Sie glauben, ihren Teil zur Pandemiebekämpfung beizutragen, obwohl sie dem Virus durch ihre grenzenlose Dummheit enormen Vorschub leisten. Möglicherweise sind sie zu bequem, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Lieber machen sie gute Miene zum bösen Spiel. Es gibt eine Verordnung, also wird sich daran gehalten. Solche Mitbürger sind die unpolitischsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann. Sie halten den Mund – und die Maske unterstützt sie offensichtlich dabei.

Dann gibt es die Verweigerer. Deren egoistisches Verhalten macht es ihnen unmöglich, sich auf die Gnade der Idiotie zu berufen. Sie setzen sich mit Maske in öffentliche Verkehrsmittel und betreten mit Maske die Geschäfte des Einzelhandels. Die Maske schwingt allerdings locker um ihren Hals; ans Aufziehen denken diese Gefährder nicht. Ganz bewusst verweigern sie sich dem Kampf gegen das Virus. Die Maske besitzen sie einerseits zu Alibizwecken, andererseits, um den Menschen in ihrem Umfeld zu beweisen, dass das Virus nicht so schlimm ist und sie auch ohne Mund-Nase – Schutz gut durchkommen.

In vollem Bewusstsein der Fahrlässigkeit ihres Handelns bringen sie alle anderen Menschen in Gefahr. Sie sorgen mindestens indirekt für steigende Fallzahlen, knappe Krankenhauskapazitäten und nehmen denen die Maske weg, die sie dringend benötigen. Sie sind Terroristen am Gesundheitssystem und es ist mehr als bedauerlich, dass die Gesellschaft diese Menschen duldet und mitträgt.

Immer mehr Menschen scheinen es für unnötig zu halten, in Bus und Bahn die Maske korrekt aufzusetzen, wenn sie weniger als drei Stationen fahren. Sie wollen allen zeigen, dass sie die Lage jederzeit unter Kontrolle haben, dass sie stärker sind als das Virus. Dabei ist es ihre chronische Angst davor, Verantwortung zu übernehmen, die sich schon viel länger als die Corona-Pandemie global breitmacht. Wegsehen, sich nur um sich selbst kümmern, Ellbogen ausfahren und nichts wie geradeaus – diese generelle Haltung ist alles andere als hilfreich im Kampf gegen die Pandemie.


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