Maske auf, und gut

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Die Regeln werden strenger, die Fallzahlen bleiben hoch. Trotz weiterer Ladenschließungen und einer teilweisen Ausgangssperre bekommt Europa die Pandemie nicht in den Griff. Das obere Ende der Fahnenstange ist aber noch nicht erreicht: Die deutliche Mehrheit der Deutschen spricht sich für die geltenden Maßnahmen aus. Doch Reden und Handeln sind eben zweierlei. Immer mehr Menschen scheinen zu glauben, alles sei gut, solange sich die anderen an die Regeln halten…

Seit Oktober erleben wir einen sprunghaften Anstieg der Corona-Infektionszahlen. Nachdem sich im vergangenen Sommer täglich nur noch wenige hundert Menschen mit dem Virus infiziert hatten, waren es zeitweise um die 30.000. Der Handlungsbedarf lag auf der Hand. Viele hielten einen erneuten Lockdown wohl bis zum Schluss für ausgeschlossen, doch die astronomischen Infektionswerte ließen der Bundesregierung keine andere Wahl: der Einzelhandel, Friseure und Fitnessstudios mussten erneut schließen. Wann sie wieder öffnen dürfen, ist derzeit ungewiss. Manche munkeln ab Februar, andere halten das für komplett unrealistisch.

Weit weg von der Herdenimmunität

Die erneuten Geschäftsschließungen und Kontaktbeschränkungen sorgten besonders über die Weihnachtszeit für Unmut. Nach einem einsamen Osterfest und der ausgefallenen Auslandsreise im Sommer musste man nun auch noch auf Weihnachten im Kreise der ganzen Familie verzichten.  Dieser Frust ist verständlich und menschlich. Trotzdem bleiben die Zustimmungswerte zu den Corona-Maßnahmen ungebrochen auf einem hohen Niveau. Mehr als 80 Prozent der Befragten empfanden die Maßnahmen als angemessen oder würden sie sogar noch verschärfen. Nur etwas mehr als 10 Prozent der Befragten hielten die Maßnahmen für übertrieben.

Nach neuer Lesart sollten diese Zustimmungswerte doch eigentlich für eine Herdenimmunität ausreichen. Aber von wegen: Obwohl diese 84 Prozent die Maßnahmen gutheißen, steigen die Zahlen weiter. Das lässt eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder die Maßnahmen sind absolut ineffektiv oder aber die Befragten haben nicht ganz die Wahrheit gesagt. Nun lässt sich über die Zielgenauigkeit der Maßnahmen bestimmt streiten. Sicher ist allerdings: Alle Maßnahmen sehen eine deutliche Reduktion der Kontakte zwischen Menschen vor. Es ist unbestritten, dass diese Kontaktbegrenzungen besonders geeignet im Kampf gegen das Virus sind.

Die hohen Inzidenzwerte müssen also zumindest teilweise auch dadurch erklärbar sein, dass die Maßnahmen eben nicht so sehr unterstützt werden, wie uns das die Umfragen weismachen wollen. Die Zeit der eisernen Disziplin aus dem Frühjahr, als viel mehr Menschen zu Hause blieben, als die Straßen wie leergefegt waren, sind nämlich lange vorbei. Viele Menschen haben es schlicht satt, auf viele Kontakte weiterhin verzichten zu müssen. Und wer wen wo besucht, lässt sich eben schlechter kontrollieren, als ob jemand die Maske richtig trägt. Die Maske ist für viele inzwischen kein rotes Tuch mehr. Von einer deutlichen Reduktion der Kontakte kann aber auch keine Rede mehr sein. Die sichtbaren Maskenverweigerer vom Frühjahr sind den unsichtbaren Verweigerern von Kontaktbeschränkungen gewichen.

Nach uns Corona

Die Umfragewerte geben nur begrenzt Auskunft darüber, wie sehr die Befragten die Maßnahmen unterstützen. In erster Linie zeigen sie eines: Mehr als 80 Prozent der Befragten halten es mindestens für angemessen, wenn sich die anderen an die geltenden Regeln halten. Um nicht als Regelbrecher aufzufliegen, tragen die meisten inzwischen Maske, und das sogar richtig. Der Mund-Nasen – Schutz ist inzwischen viel mehr ein Alibi, um ja nicht in den Verdacht zu geraten, man könnte gegen irgendeine der Maßnahmen gegen Corona verstoßen haben. Mit diesem Persilschein im Gesicht stürzen sich viele dann wieder ins Getümmel – sei es auf der Arbeit, beim Einkaufen, mit Freunden und Bekannten oder beim obligatorischen Wintersport.

Denn sobald mancherorts die ersten Zentimeter Schnee liegen, gibt es für viele kein Halten mehr. Teilweise werden mehrere Stunden Autofahrt in Kauf genommen, nur um einmal  den Hang runterzurodeln – ob man Kinder hat oder nicht ist dabei Nebensache. In schier ekelerregender Selbstgefälligkeit feiert man sich dann vor den Fernsehkameras, dass man sich diesen Winterspaß von Corona nicht verderben lasse. Stolz präsentieren diese Menschen ihre Masken, mit denen sie auf alle Zeit gegen das Virus gewappnet sind. Ihre Botschaft ist klar: Wir pfeifen auf die Kontaktbeschränkungen und haben trotzdem überlebt.

Diese Sichtweise blendet eine wichtige Dimension aus: Das eigene Überleben garantiert nicht das Wohlergehen der Mitmenschen. Diese Menschen sind sich der Tragweite ihres Handelns schlicht nicht bewusst und vergessen, dass jeder Kontakt ein Risiko ist. Dem Virus ist es egal, ob es auf der Skipiste, an der Supermarktkasse oder auf offener Straße zuschlägt. Jeder nicht nötige Kontakt ist zu vermeiden – winterliche Abenteuer auf dem Berg eingeschlossen. Die Kontaktbeschränkungen geben nämlich ein Maximalmaß an Kontakt vor und sind keine Aufforderung, die angegebene Kontaktzahl zu erreichen.

Halbe Sachen

Es ist ein großes Problem, dass sehr viele Menschen äußerst unreflektiert mit den Corona-Maßnahmen umgehen. Einige bringen das eigene Fehlverhalten nicht einmal ansatzweise mit der Realität in Verbindung. Die Maske, die sie im Bus oder in der Bahn brav tragen, ist unwiderlegbarer Beweis, dass sie mit den steigenden Fallzahlen nichts zu tun haben. Wenn sie doch einmal dabei erwischt werden, dass sie es mit Abstand und weniger Kontakten nicht ganz so ernstnehmen, brüsten sie sich sogleich damit, dass sie wegen fehlender Vorerkrankung sowieso nicht zu einer Risikogruppe gehören. Offensichtlich haben diese Menschen vergessen, dass es außer ihnen noch ungefähr 7 Milliarden weitere auf diesem Planeten gibt.

Der Grund für die steigenden Infektionszahlen ist für einige Realitätsverweigerer völlig klar: Der Winter ist schuld. Jeder Mensch weiß schließlich, dass Grippen und Erkältungen in der kalten Jahreszeit Hochsaison haben. Dass dieses fadenscheinige Argument nicht ausreicht, um 30.000 Neuinfektionen pro Tag zu erklären, kümmert offenbar immer mehr Menschen herzlich wenig.

Auch der Umgang mit den Geschäftsschließungen mutet stellenweise paradox an. So bedauern die meisten Menschen, dass sie weiterhin auf gemütliche Nachmittage im Café, auf ein geselliges Feierabendbier oder das romantische Candlelight-Dinner verzichten müssen. Gleichzeitig ist es aber die Halbherzigkeit einiger, welche die Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen erst nötig machen. Sie scheinen einem fatalen Irrtum zu unterliegen: Halbherzigkeit führt nicht dazu, dass wir das Virus nur halb so schnell bekämpfen. Halbherzigkeit sorgt dafür, dass wir das Virus gar nicht besiegen.


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Schöne Aussichten

Titelbild: Keith Gonzalez, pixabay, bearbeitet von Sven Rottner.

Lesedauer: 8 Minuten

Die goldenen 20er, wie sie noch vor knapp einem Jahr beschworen wurden, hätten mieser nicht beginnen können. Eine Pandemie stellt viele Länder seit Monaten vor gewaltige Probleme. Die Menschen werden krank, Geschäfte müssen schließen, Existenzen gehen kaputt. Das nächste Jahr kann nur besser werden.

Jahresrückblick besonderer Art

2020 neigt sich dem Ende. “Endlich!“ werden da einige erleichtert rufen. Sie haben allen Grund dazu: Ein Virus, vor dem wir vor zwölf Monaten noch absolut sicher schienen, hält die ganze Welt weiter in Atem. Nachdem sich Corona im Frühjahr auch hierzulande breitgemacht hatte, folgte der erste Lockdown. Geschäfte mussten schließen, Klopapier war knapp, die Menschen hatten Angst. Währenddessen übertraf sich die Zahl der Neuinfektionen und der Todesfälle von Tag zu Tag. Länder wie Italien und Spanien, aber auch die USA waren mit dieser Entwicklung heillos überfordert.

Es folgte eine kurze Zeit der Entspannung. Im Sommer gingen die Fallzahlen spürbar nach unten. Ein Sonnenanbeter ist das Virus nicht. Die Menschen schöpften wieder Hoffnung. Vielleicht gehörten Abstand und Maske bald der Vergangenheit an? Doch es kam anders: Der Herbst war mehr als ernüchternd. Die zweite Welle der Pandemie war heftiger als die erste. Wieder schlossen Geschäfte, Hotels und Kultureinrichtungen.

Was kam dann? Unsereins kann diese Frage noch nicht beantworten. Aber es gibt Menschen, die über eine spezielle Gabe verfügen. Viele tun Hellseher als esoterische Spinner oder geldgierige Scharlatane ab. Die Glaubwürdigkeit einer kanadischen Hellseherin wurde aber jüngst durch einen Zwischenfall mitten in Deutschland untermauert. Ihre Vorhersagen deckten sich mit den Aussagen eines jungen Mannes, der behauptete, ein Zeitreisender zu sein.

Überraschende Trendwende?

Seine Herkunft belegte der 26-jährige Osnabrücker mit einigen Ankündigungen, die wenige Tage später genau so in den Nachrichten kamen. Diese Trefferquote hatte nicht einmal die Hellseherin, die sich selbst Madame Futura II. nennt (The One Who Will Have Been). In einigen Punkten waren sich die beiden aber doch einig. So erklärten sie unabhängig voneinander, dass das Virus mit Gongschlag 2021 auf mysteriöse Art und Weise verschwinden würde. Der deutsche Zeitreisende Robert T. (Name von der Redaktion geändert) konnte sogar konkreter werden. Weltweit gäbe es in den ersten Januartagen nur noch wenige Hundert Neuinfektionen pro Tag, bevor sich am 14. Januar der letzte Fall nachweisen lassen würde. T. wusste sogar, dass dieser Tag ein Donnerstag sein würde.

Doch der Besucher aus der Zukunft konnte noch mehr spektakuläres berichten. Noch in der Nacht auf den 1. Januar erlebten tausende Menschen weltweit eine regelrechte Spontanheilung von dem hartnäckigen Virus. Er erzählte von Intensivpatienten, die die Stationen noch vor Morgengrauen verlassen konnten. Besonders für das Klinikpersonal war das eine glückliche Fügung. Erneut würden nämlich wieder zahllose Opfer von Pyrotechnik die Intensivstationen fluten.

Der Zeitreisende zitierte außerdem aus einer Presseerklärung der Kanzlerin vom Januar 2021. In dieser zog sie einerseits die Ladenschließungen zurück und beendete andererseits die Maskenpflicht. Eine Welle der Erleichterung ging in der Folge durch das Land. Die Menschen konnten endlich wieder das tun, worauf sie ein knappes Jahr so eisern verzichtet hatten. Robert T. erzählte von gleich drei Partys, die er an einem Wochenende besuchte. Er berichtete: „Es war eine so große Freude, das erste Mal nach einem Jahr ausgiebig shoppen zu gehen. Die Läden hatten zwar zeitweise bereits 2020 geöffnet, aber wie wir wissen, ging keiner hin.“ Etwas ernster sprach er Umzüge und Demonstrationen an: „Es war für viele natürlich nicht leicht, nach einem Jahr der demokratischen Enthaltsamkeit, laut auf der Straße die Meinung zu sagen. Einige mussten das Demonstrieren erst wieder lernen.“

Der Duft der Geselligkeit

In andere vorpandemische Gepflogenheiten rutschte T. leichter wieder rein. „In Zeiten von Abstand und Maske kam man sich beim Einkaufen regelrecht vereinsamt vor. Als ich das erste Mal wieder den warmen Atem meines Hintermanns im Nacken spürte – was für ein Moment.“ Andere drückten ihre Freude über die zwischenmenschliche Wärme an der Supermarktkasse noch deutlicher aus. T. erzählte von einer Frau, die sich dreimal hintereinander genüsslich in die Arme des Mannes hinter ihr fallen ließ, bevor die eilige Kassiererin ihr Bad in der Menge abrupt beendete.

Ein ganz besonderes Phänomen erläuterte Robert T. mit einem Schmunzeln: „Nach monatelangem Maskentragen wusste ich nicht einmal mehr, ob meine Nase überhaupt noch ihren Dienst tut. Die Zweifel waren schnell ausgeräumt, als ich mich Anfang Januar in eine vollgepackte Bahn zwängte. Der durchgeschwitzte Herr neben mir kam wohl gerade aus dem Fitnessstudio. Ich fand es schade, dass er bereits an der nächsten Station ausstieg.“

Rundum gut versorgt

Robert T. gab an, am 10. November 2021 in seine Kapsel gestiegen zu sein. Die Aussage der kanadischen Madame Futura II. konnte er also leider nicht bestätigen. Sie sah voraus, dass die Weihnachtsmärkte im kommenden Jahr ein voller Erfolg werden würden. In ihrer Ekstase konnte sie den Duft von Glühwein, Rostbratwurst und heißen Maroni förmlich riechen. Vor ihrem inneren Auge sah sie Heerscharen an Menschen, die selig und zufrieden von Stand zu Stand zogen. Alle lachten und jeder genoss das Beisammensein, auf das im Vorjahr verzichtet werden musste.

Madame Futura II. wurde aber noch konkreter. Sie sagte rosige Aussichten für die Wirtschaft auch in Deutschland voraus. Immerhin umtrieb die Wirtschaftslage viele Menschen bereits im Jahr 2020. Die Hellseherin konnte die Menschen aber beruhigen. Das Ende der Pandemie bedeutete auch ein Ende der Kurzarbeit und eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung. Der Zeitreisende Robert T. bestätigte ihre Angaben. Er selbst wäre nie an Corona erkrankt, wusste aber von den katastrophalen Zuständen in den Krankenhäusern aufgrund der steigenden Fallzahlen. „Im Sommer 2021 war ich einige Tage in stationärer Behandlung. Ich fühlte mich rundum gut versorgt. Während ich mit einer Schwester über Urlaubspläne sprach, fand eine andere sogar die Zeit, mir die Füße zu massieren. Von Überlastung keine Spur mehr.“

Auch die Zustände in Fleischereibetrieben entspannten sich spürbar. Weil kein einziger Corona-Fall mehr nachgewiesen werden konnte, kehrten die Arbeiterinnen und Arbeiter namhafter Betriebe wieder in ihre gewohnte Umgebung zurück. T. zitierte einen befreundeten Mitarbeiter von Tönnies: „Ich genieße es, endlich wieder mit meinen Freunden in einem Zimmer zu leben. Die dauerhafte Quarantäne war eine schlimme Erfahrung.“

Schöne Aussichten

Lobend hob T. außerdem die Bundesregierung hervor. Weil diese im Jahr 2020 ausnahmsweise die Schuldenbremse gelockert hatte, konnten nachhaltige wirtschaftliche Schäden größtenteils abgewendet werden. „Weil der Staat in den Jahren zuvor so sparsam war, musste nicht einmal mehr die Mehrwertsteuer erhöht werden. Sie blieb bei maximal 16 Prozent“, berichtet T.. Er kündigte außerdem an, dass fast alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit deutlich höheren Löhnen in den Folgejahren rechnen könnten. Er selbst hätte gerade damit begonnen, ein Haus zu bauen, als er im Garten die Zeitkapsel fand.

Das kanadische Medium hatte außerdem noch einen Tipp für Anleger und Sparer: Das Jahr 2021 würde wohl ein sehr lukratives Jahr werden. Weil Banken und Sparkassen nach Jahren endlich wieder die Sparzinsen anhöben, würden sich private Investitionen besonders lohnen. In diesem Moment leuchtete ihre Kristallkugel hell auf. Sie erklärte das folgendermaßen: „Anscheinend ist die Netzabdeckung im nächsten Jahr so gut, dass selbst ich aus der Vergangenheit etwas davon mit meiner Kugel empfangen habe.“

T.s Aufenthalt in unserer Zeit war allerdings nur von kurzer Dauer. Nach zwei Tagen musste er wieder ins Jahr 2021 zurückkehren. Bevor er ging, hatte er noch eine weitere ermunternde Botschaft: „Das Klimaproblem wird deutlich kleiner. Weil fast ein Jahr lang alle so diszipliniert zu Hause blieben und kein Auto fuhren, sinkt die Verschmutzung der Luft im nächsten Jahr deutlich.“ Mit diesen Aussichten können wir dem kommenden Jahr alle beruhigt entgegensehen. Vielleicht treffen wir ja sogar den zeitreisenden Robert T. – er soll ziemlich charmant sein.

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